Bilder und Image: Zur Symbiose von Politik und Medien

Bilder und Image: Zur Symbiose von Politik und Medien
Gestern ist ein Sommermärchen zu Ende gegangen. Die Erklärung des Bundesinnenministers wirkte auf viele Journalisten wie eine kalte Dusche. Ein Spitzenpolitiker entdeckte zuvor die Schweigespirale. Außerdem zur Frage, ob Facebook einen Metternich braucht.

Medien haben die Aufgabe zu berichten. Gestern Abend kündigte Bundesinnenminister Thomas De Maizière die Einführung von Grenzkontrollen zum Nachbarn Österreich an. Das ist eine wichtige Nachricht. Über die Gründe kann man streiten, genauso wie über die Plausibilität dieser Maßnahme. Solche Debatten finden in der Politik und der interessierten Öffentlichkeit statt. Die Medien sind dabei sowohl Plattform als auch Akteure mit kritischen Kommentaren. Diese Pressekonferenz, die keine war, weil keine Fragen zugelassen worden waren, hatte allerdings einen anderen Charakter. Sie wirkte auf die deutsche Öffentlichkeit wie eine kalte Dusche. In der taz bringt Rieke Havertz diese verbreitete Stimmung zum Ausdruck.

„So konterkariert Angela Merkel das Image, in dem sie sich international sonnt. Ein Image, das Deutschland als Land zeigt, das in einer humanitären Krise handelt. Menschlich, unbürokratisch – und so die restriktive Politik anderer EU-Staaten entlarvt. Teil dieses Images ist die Hilfsbereitschaft der Menschen an den Bahnhöfen und Notunterkünften. Merkel und alle anderen nahmen diese Bilder gerne mit.“

„Bilder“ und „Image“ sind gute Stichworte. In der „Willkommenskultur“ fand beides seinen Ausdruck. Der Begriff könnte wie der „Kindergarten“ - und der „Blitzkrieg“ - im Ausland zum geflügelten Wort werden, so vermuteten manche schon. Nichts sei mehr übrig geblieben von den Deutschen als strenge Zuchtmeister in der Eurokrise. In den Medien fand das seinen vielfältigen Ausdruck. Von einem "Sommermärchen der Solidarität" war die Rede. Die Bild-Zeitung mit ihrem gut entwickelten Gefühl für Stimmungen, sprang auf diesen Zug auf und wirkte als Resonanzverstärker. „Wir helfen“, so ihr Motto in diesen Tagen. Sogar der Vizekanzler zeigte sich mit einem entsprechenden Button im Bundestag. „Wir helfen“ war ohne das Versprechen der Kanzlerin vom „Wir schaffen das schon“ allerdings nicht zu denken. Politik und Medien gerieten auf diese Weise in eine symbiotische Beziehung. Ein gemeinsamer Gegner war auch gefunden worden. Es waren jene Europäer, übrigens nicht nur in Osteuropa, die diese Stimmung nicht teilten. Frau Havertz bringt das gut zum Ausdruck: Wir entlarvten „die restriktive Politik der anderen EU-Staaten.“ Die durchaus berechtigte Kritik an Ungarn wegen seines Umgangs mit den Flüchtlingen in den Aufnahmelagern bekam eine andere Funktion. In der Kontrastierung mit den deutschen Bildern vom Engagement freiwilliger Helfer zugunsten der Flüchtlinge gerieten sie zu einem Akt deutscher Selbstbestätigung.

Es nahmen eben nicht nur die Kanzlerin und ihr Vizekanzler diese Bilder gerne mit, wie die taz schreibt, sondern auch viele Berichterstatter. Die Solidarität mit den Flüchtlingen bestimmte die Diskussion. Jeder Einwand über die Grenzen der Aufnahmemöglichkeiten Deutschlands wurde zu einem Diskurs über die Grenzen der Solidarität. Es wurde damit zu einer moralischen Frage, die eine Debatte über Handlungsmöglichkeiten der deutschen Politik faktisch ausschloss. Das Bild vom toten Jungen am Strand von Bodrum hatte dabei seine Wirkung nicht verfehlt. Es wurde zum Fanal für diesen Diskurs. Er war als Wendepunkt der europäischen Flüchtlingspolitik interpretiert worden.

+++ Ab Samstag sollte sich das ändern. München als Drehkreuz für die Flüchtlinge in Deutschland geriet an seine Grenzen. In der Welt wurde plötzlich über die Kritik der Landesinnenminister an der Entscheidung der Bundeskanzlerin berichtet, den in Ungarn angekommenen Flüchtlingen über Österreich die Einreise nach Deutschland zu gewähren. In der Süddeutschen Zeitung gab Jens Spahn ein bemerkenswertes Interview. Er ist parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und Mitglied im CDU-Präsidium. Auf die Frage nach der Stimmung in der Bevölkerung wies er auf die Schweigespirale seligen Angedenkens hin.

„Ich sage Ihnen, das ändert sich gerade stündlich. Die Debatte wird in wenigen Tagen ganz anders aussehen. Wir sehen gerade eine klassische Schweigespirale: Viele meinen angesichts der beinahe euphorischen Darstellung in den Medien und in der öffentlichen Debatte, dass sie mit Ihren Sorgen und Fragen immer nur in der Minderheit sind. Sie finden sich nicht wieder, in dem was gesagt und gesendet wird, und werden deshalb immer verschlossener. Dabei ist die übergroße Mehrheit im Land derzeit in Sorge. Keiner bezweifelt, dass wir den Zuzug von mehr als 800.000 Flüchtlingen in diesem Jahr bewältigen werden. Aber die alles bestimmenden Fragen der Bürger sind: Wie viele kommen dann nächstes Jahr? Bekommt ihr die Lage wieder in den Griff? Und wie soll Deutschland das auf Dauer aushalten?“

Das muss man sich einmal vorstellen. Ein führender Politiker der Bundesregierung kritisiert in der Funktion des Medienkritikers eine Schweigespirale, die seine Kanzlerin erst in Gang gesetzt hat. In dem Geist des „Wir schaffen das schon“ war jeder kritische Einwand mit dem Hinweis auf die „Herausforderung“ einer Integration der Flüchtlinge abgeblockt worden. Vielmehr wurde der Nutzen dieser Zuwanderung wegen des demographischen Wandels betont. Es werde das Land mehr verändern als die Wiedervereinigung (Siehe auch das Altpapier vom 31.08.2015). Die Menschen wurden immer verschlossener, weil ihnen die Kanzlerin den Mund verboten hatte. Der „besorgte Bürger“ zu einer Medienkarikatur und der Rassismus-Verdacht zum probaten Mittel des Verzichts auf Politik. Die „Bilder“ und das „Image der Deutschen“ traten an deren Stelle.

+++ So müssen sich die Medien fragen, welche Rolle sie in diesen zwei Wochen eines neuen „Sommermärchens“ gespielt haben. In der FAZ hat heute der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Udo Di Fabio, eine Vermutung. Er schreibt von einer „eigenartigen Stimmung“, die aber mit der Einführung von Grenzkontrollen schlagartig vorbei ist. Diese haben vor allem eins bewirkt: Die Haltlosigkeit dieses Sommermärchens regierungsamtlich einzugestehen. Di Fabio diagnostiziert eine gravierende Veränderung im politischen Diskurs.

„Was bei alldem praktisch ausfällt, ist eine kühle Sachdebatte, die Mitleiden nicht verdrängt, aber umsichtig nach Lösungen sucht. Einsicht in Funktionsvoraussetzungen des westlichen Gesellschaftsmodells, Gespür für Institutionen: Das ist Mangelware. Auch politische Parteien kommen kaum dazu, eine vernünftige Position zu formulieren und dann konsistent zu vertreten, weil Stimmungen wie hohe Wellen wirken, auf denen Politik allenfalls geschickt surfen, die sie aber nicht richtig eindämmen und in Sachdebatten kanalisieren kann.“

Di Fabio macht dafür die Logik sozialer Netzwerke verantwortlich, die wie der Boulevard von Emotionen leben. Nur gab es dieser Phänomen schon immer. Politik und Medien haben noch nie im Modus der Wissenschaft funktioniert, wo Fachleute kühl nach Lösungen suchen. Es gibt keinen Grund, die Vergangenheit zu romantisieren. Aber unter den heutigen Bedingungen müssen sich vor allem die Medien fragen, ob die Selbstkorrekturmechanismen noch funktionieren. Sie selbst zu einem Teil dieser Schweigespirale werden, weil sie den Konflikt scheuen. Die Schweigespirale hat nämlich den Herdentrieb zur Voraussetzung. Und der ist allemal bequemer als sich dem Shitstorm entfesselter Leidenschaften stellen zu müssen. Vor allem, wenn er im Dienst einer guten Sache wie der Solidarität mit Flüchtlingen zu stehen scheint. Gestern ist vom Bundesinnenminister mit wenigen Worten die Illusion eines Sommermärchens beendet worden und damit zugleich die symbiotische Beziehung zwischen Medien und Politik in den vergangenen zwei Wochen. Die Medien müssen sich allerdings fragen, wie das passieren konnte.

+++ Heute trifft sich auch der Bundesjustizminister mit Verantwortlichen von Facebook wegen der Hasskommentare in diesem mit Abstand wichtigsten sozialen Netzwerk. Dazu auch ein skeptischer Kommentar in der Berliner Zeitung. Der schon zitierte Udo Di Fabio macht in seinem Artikel aber einen interessanten Hinweis.

„Manchen Betreibern sozialer Netzwerke wie Facebook wird deutlich angesonnen, fremdenfeindliche Inhalte zu beseitigen. Bei manchem Inhalt liegt der Grund für solche Forderungen offen zutage – Fälle für die Staatsanwälte. Aber was alles ist heute und morgen fremdenfeindlich, und wer hat in welchen Verfahren das Recht zur Zensur? Vielleicht denkt manch einer schon weiter, jenseits einer legitimen Strafverfolgung im Einzelfall, über eine Internetzensur nach. Womöglich ähneln die Argumente denjenigen der Metternichschen Bürokraten seit 1815, die nach Napoleon den Kontinent nicht noch einmal durch bewegte Volksmassen in Elend und Dauerkrieg gestürzt sehen wollten und deshalb „Demagogen“ verfolgten.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.


Altpapierkorb

+++ Bekanntlich hat die Berufspolitik nicht um ihre Zukunft zu fürchten. Das sieht bei den Medien schon anders aus. Diese fürchten um ihre ökonomische Basis. Heute wird ein Schritt in eine digitalisierte Zukunft versucht. Blendle geht an den Start. Dieses Angebot aus den Niederlanden gilt als Antwort auf die veränderten Lesegewohnheiten digitalisierter Medien. Die Nutzer haben zwar schon immer selektiv gelesen, konnten das aber nicht in ihrem Kaufverhalten ausdrücken. Gerade die Tageszeitungen und politische Magazine waren dem Anspruch verpflichtet, einen umfassenden Überblick über das Geschehen des Vortages zu geben. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Mit der Digitalisierung gerieten sie unter Druck. Zum einen stellten sie ihre Artikel auf den eigenen Internetseiten kostenlos zur Verfügung, um ihrer publizistischen Bedeutung gerecht zu werden. Zum anderen mussten sie die Kannibalisierung ihres eigenen Angebots verhindern. Man konnte schon immer einzelne Artikel käuflich erwerben, aber die Preisgestaltung diente eher als Anreiz gleich die gesamte Ausgabe zu nehmen. Blendle bietet einen Ausweg aus dieser Falle an: „Mit dem offiziellen Start von Blendle eröffnen wir für deutsche Leser eine völlig neuen Welt des Journalismus: alle Artikel, für alle zugänglich auf nur einer Plattform, mit nur einem Klick. So viele der richtig guten Geschichten waren bis heute versteckt in Papierbündeln oder hinter Paywalls. Erstmals können Menschen in Deutschland die besten Artikel lesen, ohne dafür ein Abo zu benötigen. Auf Blendle muss man nur dafür zahlen, was man wirklich liest — und liebt: Denn wer einen Artikel nicht mag, kriegt von uns sofort sein Geld zurück.“

+++ Blendle wird dabei nur funktionieren, wenn es als Plattform die Logik der digitalen Ökonomie nutzt: Den Trend zur Monopolisierung. Google hat sich bei den Suchmaschinen durchgesetzt. Facebook als soziales Netzwerk. Diese Logik ergibt sich aus dem Infrastruktur-Charakter dieser Plattformen. Sie stellen keine Inhalte zur Verfügung, sondern bieten die Möglichkeit, sie zu finden oder zu veröffentlichen. Bei Blendle ist das weitgehend gelungen. „Wir haben ordentlich geschuftet in den vergangenen zwei Wochen. Schon seit Anfang können Nutzer unserer Plattform alle Artikel der besten Zeitungen und Magazine lesen, aus Der Spiegel zum Beispiel. Oder aus Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Zeit, Stern, The Economist, The Wall Street Journal oder The New York Times. Aber heute, am Tag unseres Launches, bin ich super glücklich, dass wir nochmals eine ganze Reihe neuer Titel auf die Plattform geholt haben: Handelsblatt, Wirtschaftswoche, Handelsblatt Magazin, Focus, Wired, GQ, Süddeutsche Magazin, Zeit Magazin und noch viel, viel mehr. Wirklich sehr viel mehr: Über 100 Zeitungen und Magazine sind auf Blendle jetzt verfügbar.“

+++ Nun muss man es mit der PR nicht übertreiben, wenn auch die dort zu findende Begeisterung nachzuvollziehen sein mag. Aber Blendle bekommt diese Bedeutung, weil es die erbitterte Debatte der Verlage mit den Infrastruktur-Monopolisten beendet. So wenigstens deren Hoffnung. Denn in der Kombination mit einer Paywall wird ein alternativer Vertriebsweg angeboten, der ein Ausweg aus der Falle zwischen publizistischen Anspruch und ökonomischer Verwertung ermöglichen könnte. Blendle funktioniert nicht auf Kosten der Verlage, sondern nur in der Kooperation mit ihnen. Man ist hier als ökonomischer Zwerg nicht in der Konkurrenz mit Weltkonzernen, wie Google und Facebook. Zwar sind auch weiterhin die wenigsten Inhalte in der digitalisierten Ökonomie journalistischer Art. Aber immerhin kann der Journalismus hier eine Nische finden, die funktionieren könnte.

+++ Nun wusste auch niemand beim Start von Facebook, dass sich Jahre später deren Verantwortliche mit dem Bundesjustizminister treffen, um über Metternich zu diskutieren. So gibt es etwa berechtigte Fragen von Benjamin O'Daniel zur Preisgestaltung bei Blendle: „Die großen Schlachtschiffe in Deutschland machen zwar bei Blendle mit. Aber einfach nur mitmachen, reicht nicht. Sie müssen ihre Preise reduzieren, um die Attraktivität der Plattform zu steigern. Sie könnten mit Blendle auch gezielt austesten, für welche konkreten Inhalte eine Zahlungsbereitschaft vorhanden ist. Mit den beiden Blendle-Gründern hätten sie Kooperationspartner, die glaubwürdig zeigen, dass sie ein Interesse am Überleben des Journalismus und der Verlage haben.“ Preisfindung ist aber das Charakteristikum von Märkten. Aber ist die Konkurrenz von Newsportalen wirklich das Problem? Überregionale Tageszeitungen waren nämlich schon immer ein Nischenprodukt gewesen (zur alten Medienwelt auch Ulrike Simon). Es kann also lediglich das Ziel sein, die bisherige Zielgruppe zurückzugewinnen, die verloren gegangen war. Die im Abonnement eines Überblicks zum Tagesgeschehen keinen zusätzlichen Nutzen sahen, der die damit verbundenen Ausgaben rechtfertigte. Ein abstraktes Bewusstsein von der Notwendigkeit eines professionellen Journalismus wird daran auch nichts ändern. Märkte funktionieren unter der Voraussetzung von Knappheit.

+++ Blendle wird aber zugleich die Arbeitsweise von Journalisten verändern. Schon bisher spielte die Reichweite von Artikeln eine Rolle für die Reputation von Autoren. Das muss nicht gleichbedeutend mit Qualität sein. Aber wenn via Blendle die Verlagserlöse so unmittelbar mit der journalistischen Arbeit zusammenhängen, wird das Konsequenzen haben. Da sollte sich niemand etwas vormachen. Es erhört den Druck einer Zielgruppen-orientierten Ansprache. Nur gehört es bisweilen zum Kriterium journalistischer Unabhängigkeit, den Erwartungen der eigenen Leserschaft zu widersprechen. Man wird sehen, wie Verlage und Chefredaktionen in Zukunft mit diesem Problem umgehen werden.

+++ Was in keinem Altpapier fehlen darf: Das Medienverständnis der türkischen Regierung. Es ist eine Zumutung.

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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