Wenn Schlapphüte die Idiotenkarte spielen

Wenn Schlapphüte die Idiotenkarte spielen

Ist die „heute-show“ viel schlechter als ihr Ruf? Ist die Vergabe des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Jaron Lanier so falsch wie die Entscheidung, Barack Obama mit dem Friedensnobelpreis auszuzeichnen? Hat die SZ 2012 einem Aktenvernichtungsskandal die Spitze genommen? Außerdem: Das Radio verhält sich sich zur Streaming-App heute ungefähr so wie das Grammofon zum iPod. Ein Gericht verbietet der taz, Männer zu diskriminieren. Ein anderes Gericht verbietet der Bild-Zeitung, einen aktuellen Text mit einem 33 Jahre alten Nacktfoto zu illustrieren.

Wir wissen nicht, ob Frank Schirrmacher gestern „Olé-Olé-Olé“ gesungen hat oder „So ein Tag so wunderschön wie heute“, aber natürlich war die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Jaron Lanier auch ein nicht ganz kleiner Sieg für die FAZ, die den Autor, der zwischenzeitlich in der „Unbedeutsamkeit entschwunden“ war (Falk Steiner in einem Deutschlandfunk-Kommentar, auf den wir noch zurückkommen) hier zu Lande groß gemacht hat, indem sie immer wieder lange Riemen von ihm publizierte (siehe zuletzt unter anderem dieses und dieses Altpapier). Dort, wo Laniers Texte sonst oft stehen, also auf der ersten Seite des Feuilletons, steht nun auch Schirrmachers Kommentar zur Friedenspreisvergabe, die er „ein politisches Signal“ nennt:

„Eine unregulierte Informationsökonomie, soviel ist klar, führt zur Autonomieverlusten, die vom Einzelnen bis zu ganzen Branchen reicht. Es gibt Auswege, und Lanier ist einer von denen, der sie aufzeigt: Gleichsam ‚ethische‘ Systeme, die ihre Algorithmen offenlegen, einem erklären, welche Daten sie wofür benutzen und wofür man sich verkauft, wenn man angeblich kostenlose Dienste benutzt, sind pragmatische Schritte. Das Bewusstsein dafür, dass Daten identisch mit dem menschlichen Leben werden können, erzwingt ein fundamentales Umdenken darüber, ob Algorithmen automatisch Geschäftsgeheimnisse sein können oder nicht offengelegt werden müssen."

Schirrmacher nimmt das aus allgemeiner Frankfurter Sicht erfreuliche Ereignis auch zum Anlass zu erwähnen, dass der Begriff „Kulturpessimist“, mit dem Lanier, er und seinesgleichen oft bedacht werden, einer ist, „den die neue Kaste der Industrie-Intellektuellen aus den soziologischen Friedhöfen des zwanzigsten Jahrhunderts ausgebuddelt hat“.

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Während Gerrit Bartels (Tagesspiegel) meint, die Auszeichnung sei „längst überfällig“ gewesen, wägt Jörg Häntzschel (SZ) ab:

„(Laniers) Vorschlag, ein System von Mikro-Bezahlung einzuführen, das Twitterer und Blogger für ihre Netzbeiträge entlohnen soll, wurde als weltfremd abgetan. Viele hielten Laniers Alternativmodell, nach dem jede Äußerung sofort einen monetären Gegenwert bekommt, für noch beängstigender. Alles andere als weltfremd ist jedoch Laniers humanistische Sorge um eine Welt, in der Gleichmacherei und unbezahltes Arbeiten zur Norm werden.“

Man würde gern wissen, was die Lanier-Fans in der Irgendwas-mit-Kreativität-Branche von folgender, dank Peter Kusenberg (konkret 4/14) gefundener Passage aus „Wem gehört die Zukunft?“, dem aktuellen Buch des Meisters, halten, in der der Autor sich eher nicht als Bündnispartner zu erkennen gibt:

„Die Idee der kostenlosen Informationen ist tragfähig, wenn nur eine begrenzte Zahl von Menschen entrechtet wird. Wir würden es überleben, wenn wir lediglich die Mittelschicht der Musiker, Journalisten oder Fotografen vernichten. Nicht tragbar ist dagegen die zusätzliche Vernichtung der Mittelschichtsberufe im Transportwesen, im Handwerk und im Energiebereich, in der Verwaltung oder im Bildungs- und Gesundheitsbereich.“

Da wir damit schon im Lanier-skeptischen Milieu gelandet sind, kommen wir zu den aktuell negativen Reaktionen auf die Friedenspreisvergabe, an denen es natürlich nicht mangelt. Der oben schon zitierte Deutschlandfunk-Kommentator Steiner meint:

„Es ist eine erstaunliche und enttäuschende Wahl, die die Jury des Börsenvereins des deutschen Buchhandels getroffen hat, als sie Jaron Lanier zum Friedenspreisträger erkor (...) Die Jury entschied sich für einen Krawallmacher, einen Schreihals, dessen größte Leistung in der Popularisierung des Begriffes ‚virtuelle Realität‘ steckt – und damit der Irreführung der potenziellen Getrenntheit der Welten (...) Einen wie ihn mit dem Friedenspreis des Buchhandels zu ehren, dürfte ähnlich klug sein, wie Barack Obama den Friedensnobelpreis zu verleihen.“

Und Thierry Chervel (Ententeich-Blog/Perlentaucher) „macht (...) die Entscheidung eher traurig“:

„Sie ist so deutsch! Bevor man die Befreiung feiert, die das Netz doch brachte, bevor man Autoren und Pioniere sucht, die das Offene und das Verbindende am Netz verkörpern, zeichnet man doch lieber einen aus, der seit einigen Jahren mit Hingabe – und durchaus auch Argumenten – die dunklen Seiten des Netzes ausmalt.“

Wobei ein interessanter Unterschied zwischen den Lanier-Gegnern noch darin besteht, dass der eine (Chervel) froh ist, dass wenigstens nicht Evgeny Morozov den Preis gewonnen hat, während der andere (Steiner) Morozov gern als Gewinner gesehen hätte.

[+++] Gleich zweimal steht gerade die SZ im Fokus medienkritischer Betrachtungen. Petra Sorge moniert in der Medienkolumne von Cicero Online die Berichterstattung der SZ bzw. des Verbundes SZ/NDR/WDR, deren Stars gerade von einer „Kehrtwende“ schrieben, als bekannt wurde, dass Generalbundesanwalt Harald Range ermitteln werde, ob Angela Merkels Mobiltelefon unerlaubt abgehört wurde. Dass die Autoren, die vorher berichtet hatten, Range werde nicht ermitteln, „vielleicht selbst verwirrenden Fährten gefolgt waren, erwähnten sie nicht“, kritisiert Sorge.

Weiter zurück liegt der Anlass für die SZ-Kritik, die Dirk Laabs im Debattiersalon formuliert. Der Co-Autor Stefan Austs wirft den Münchenern vor, dass sie 2012 bei der Berichterstattung über die NSU-Aktenvernichtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) der Verharmlosungsstrategie der Behörde gefolgt sei und dem „Skandal die Spitze genommen“ habe:

„Das BfV hatte geschickt, wie schon so oft, die Idiotenkarte gespielt: alles nur ‚Pannen‘, Fehler und Versehen von inkompetenten Beamten.“

[+++] Auf welche Weise Focus Online bei der Bild-Zeitung bzw. Bild Plus klaut (siehe Altpapier von Donnerstag), hat sich Stefan Niggemeier mal ganz genau angesehen;

„Wenn Uli Hoeneß vor seinem Haftantritt noch einmal kurz einen Bild-Mann zurückruft und ihm ein paar Sätze sagt, steht all das hinterher nicht nur (kostenpflichtig) auf Bild plus, sondern auch (frei) auf Focus Online, mit ausführlichsten Original-Zitaten, gekürzt nur um das unwesentlichste Drumherum und ein paar eitle Belanglosigkeiten. Wenn ein angeblicher WhatsApp-‚Insider‘ mit Bild über die Probleme und Pläne bei dem Nachrichtendienst spricht, pickt sich Focus Online daraus nicht die vermeintliche Nachricht oder ein, zwei knackige Zitate, sondern erzählt den kompletten Artikel, fast ohne Auslassung, nach.“

Bevor nun Mitleid aufkommt mit den Opfern, blenden wir mal kurz rüber zu Ekkehard Müller-Jentsch (SZ.de), der gestern bei Gericht war:

„Darf ein Boulevard-Blatt ein Jahrzehnte altes Nacktfoto zur Illustration einer aktuellen Geschichte verwenden? Diese Frage stand im Mittelpunkt eines Prozesses vor der Pressekammer am Landgericht München I: Corinna Drews - früher Schauspielerin und Model, jetzt Textilunternehmerin - hatte Bild verklagt. Es ging um eine 33 Jahre alte Aufnahme aus dem Playboy, das die Boulevardzeitung aus der Mottenkiste gezogen und groß aufgemacht hatte. Das brachte dem Blatt am Donnerstag eine Unterlassungs-Verurteilung ein. Und eine Schadensersatzklage dürfte bald folgen.“

[+++] Der instruktivste Text des Tages steht heute im Feuilleton der SZ. Es geht um kein tagesaktuelles Thema, sondern, grob gesagt, um den Wandel des Radios, das sich heute „zur Streaming-App ungefähr so verhält wie das Grammofon zum iPod“, wie Felix Stephan meint.

„(Bei der) App Beats Music, für die Apple gerade 3,2 Milliarden Dollar geboten hat (...), gibt der Nutzer der Software lediglich an, mit wem er gerade wo ist, wie er sich fühlt und welches Genre er mag, und die App findet selbstständig Musik, die die Szenerie in den besten aller möglichen Videoclips verwandelt (...) Jetzt sind auch Menschen, denen nie in den Sinn gekommen ist, sich von Musik berühren zu lassen, popästhetisch auf der Höhe der Zeit. Dazu müssen sie nicht einmal wissen, was gerade so läuft, das weiß ja schon die Software.

Aber:

„Die größere Revolution besteht (...) vielleicht darin, dass (...) Apps das verändern, was sich das 20. Jahrhundert unter Liveness vorgestellt hat. Als sich das Radio zum Massenmedium entwickelt hat, hat es eine Erfahrung begründet, die für die Popkultur grundlegend war: Einerseits konnte man nun in Echtzeit an Ereignissen teilnehmen, für die man sich vorher die Tickets nicht hätte leisten können. Andererseits wurde dem Einzelnen bewusst, wie isoliert er in seinem unbedeutenden Kleinstadtleben tatsächlich vor sich hin alterte.

Tempi passati! Denn:

Heideggerianisch gesprochen entfernt das Internet das Ereignis, wobei ent-fernen hier meint: die Ferne aufheben.“

Wer die „marxistische“ Interpretation lesen will, die der Text auf Seite 13 auch enthält, muss am Kiosk 2,50 Euro zahlen.

[+++] Im Aufmacher der SZ-Medienseite beschreibt Detlef Esslinger, warum er findet, dass die „heute Show“ viel, viel schlechter als ihr Ruf:

„Wenn die Reporterfiguren Ulrich von Heesen und Albrecht Humboldt in der Sendung herumschreien, übertüncht ihr Overacting, dass ihnen mal wieder ein Text aufgeschrieben wurde, der als solcher frei von Witz und Kunst ist. Wenn aber (Ralf) Kabelka auf Bloßstellungstour ist, oder Welke über ältere Menschen, die auf der Bundestagstribüne Platz nehmen, äußert, die seien vom ‚Motorradklub Die künstlichen Hüften‘, so geben sie zu erkennen: Demütigung ist für sie eine Form von Witz. Es sind die Momente, in denen die ‚heute-show‘ sogar peinlich ist, in denen der Gedanke kommt: gut, dass nach diesem Freitag Sommerpause ist.“

Dass diese Sendung die letzte vor der Pause ist, kommt auch in einem anderen Zusammenhang zur Sprache: Das ZDF hat nämlich entschieden, dass es auch die - vorerst - letzte sein wird, in der Martin Sonneborn mitwirkt, weil der gerade in den ZDF-Fernsehrat das Europaparlament gewählt wurde. „Politisch tätige Menschen dürfen für das ZDF auch auf dem Bildschirm arbeiten, Mandatsträger dürfen das nicht“ - so fasst Joachim Huber (Tagesspiegel) die Haltung des Senders zusammen.

Zu Sonneborns Kollegen in der „heute-show“ gehört bisher Christian Ehring, der darüber hinaus die Satiresendung „extra 3“ im NDR Fernsehen moderiert. Diese wiederum soll nun, wie die Funkkorrespondenz herausgefunden hat, ab Oktober einmal monatlich zusätzlich im Ersten laufen - was ja wiederum nicht denkbar gewesen wäre ohne den Erfolg der „heute-show“. 


ALTPAPIERKORB

+++ Die taz darf keine Männer mehr diskriminieren, hat das Arbeitsgericht Berlin gerade entschieden. Weniger flapsig beschreibt der Tagesspiegel den Fall: „Die taz hatte eine ihrer freien Volontärsstellen ausschließlich für eine Frau mit Migrationshintergrund ausgeschrieben und lehnte die Bewerbung von Männern – unter ihnen die des Klägers – von vornherein ab (...) Das Arbeitsgericht Berlin hat der Klage des Mannes entsprochen und die taz zur Zahlung einer Entschädigung von drei Monatsgehältern verurteilt.“

+++ Wieder mal unschöne Neuigkeiten aus Ungarn: Gergö Saling, der Chefredakteur des „zur Deutschen Telekom gehörenden, unabhängigen Online-Nachrichtenportals origo.hu“ wurde gerade geschasst, wie Reporter ohne Grenzen berichten. „Aus der Redaktion ist zu hören, der politische Druck auf die Geschäftsführung sei zu groß geworden“, schreibt Cathrin Kahlweit auf der SZ-Medienseite. Derweil „protestiert“ der Bertelsmannsche RTL Klub „mit einer Sendepause gegen die rechtspopulistische Regierung“, meldet das Handelsblatt.

+++ Michael Seewald wirft in der FAZ (Seite 13) einen Blick darauf, was jener öffentlich-rechtliche Bildungskanal, der noch BR-alpha heißt, ab Ende Juni bieten wird (wenn er dann ARD-alpha heißen wird). „In ‚Campus Slams‘ und ‚Campus Talks‘ sollen Laien wissenschaftliche Sachverhalte nahegebracht werden. Zum Semesterbeginn im Herbst beginnt mit dem ‚Campus Magazin‘ ein, wie die ARD versichert, ‚bundesweit einmaliges, wöchentlich aktuelles Hochschulmagazin.‘“

+++ Kennen Sie jemanden, der sich sorgt, dass private Regional-TV-Sender „in absehbarer Zeit marginalisiert werden könnten“? Falls nicht: In der Funkkorrespondenz lernen Sie einen kennen. Thomas Langheinrich, Präsident der baden-württembergischen Landesmedienanstalt, schreibt dort: „Noch profitieren die regionalen Informationsprogramme auch von ihrer Ausstrahlung im analogen Kabel mit einer vergleichsweise überschaubaren Senderzahl. In der digitalen Welt der Vielfalt drohen die Regionalen jedoch mehr und mehr im Nirwana zu verschwinden. Und das nicht nur in der smarten App-Welt der Flatscreens, sondern auch im linearen Programmangebot.“

+++ Carta analysiert die aktuelle Rangliste der „50 größten Medienkonzerne“.

+++ „Was lehrt uns das Scheitern der #Krautreporter?“ fragt Jens Rehländer, der selbst 60 Euro in das Projekt investiert hat. Auf den Begriff „Scheitern“ bezieht sich der Kommentar von Krautreporter-Mitinitiator Sebastian Esser; „Lieber Herr Rehländer, ich bin verwirrt: Sie unterstützen Krautreporter, aber erklären uns eine Woche vor Schluss für tot?“

+++ Und wo steht Jean-Claude Juncker auf einem Titelbild in einer Reihe mit Napoleon, Mussolini und Hitler? Nein, nicht bei einer Satirezeitschrift, sondern - siehe watson.ch - bei der Weltwoche.

Neues Altpapier gibt es wieder nach Pfingsten.

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