Was Dinge vom Glauben erzählen
Religion ist nicht nur etwas für den Kopf – sie zeigt sich auch in Dingen: in einem Gesangbuch, einem Abendmahlskelch, einer Kirchenbank. Solche Objekte erzählen Geschichten. Vom Glauben. Vom Alltag. Von dem, was Menschen bewegt hat – und heute noch bewegt. In der Serie "Evangelisches Zeug" geht es um genau solche Dinge. Um Alltagsobjekte und besondere Stücke, die etwas über evangelische Frömmigkeit und Kultur verraten. "Zeug" ist hier liebevoll gemeint – im Sinne von "Gegenstand", "Gerät", "Begleiter". Neugierig geworden? Dann gehen Sie mit Kunsthistoriker Sebastian Watta auf Entdeckungstour – durch Kirchen, Museen oder einfach im Alltag. Es gibt viel zu sehen und einiges neu zu entdecken.
Stellen Sie sich eine Gartenszene der beginnenden Siebzigerjahre vor. Ein bürgerliches Wohnhaus, vielleicht mit hellbeige verputzter Fassade und Glasbausteinen neben der Eingangstür. Balkone aus Metallrohr tragen Kästen mit Geranien, nicht zu wenige, nicht zu viele. Auf dem Rasen hat sich eine familiäre Festgesellschaft an einem Tisch versammelt, es werden Getränke ausgeschenkt. Man feiert die Konfirmation des jüngsten Sohnes. Die Eltern haben nichts dem Zufall überlassen und bereits im Vorfeld die möglichst kostspieligen Geschenke, man hofft zusätzlich auf Bargeld, den einzelnen Pat:innen zugewiesen.
Da hört man plötzlich durch das geöffnete Wohnungsfenster einen schrecklichen Krach, und sieht drinnen, wie ebendiese geschenkten Gegenstände auf dem Fliesenboden zerschellen: der neue Globus, ein Barometer, die teure Uhr, hinterher fliegen kleine Fetzen von Lexikonseiten und Geldscheinen. Als die Familie in die Wohnung stürmt, hat der frisch konfirmierte Sohn bereits sein Werk beendet, alles liegt zerstört am Boden. An die Tür zu seinem Zimmer hat er seine Konfirmationsurkunde geheftet. Entsetzt lesen seine Eltern den Konfirmationsspruch Jes 33,15-16: "Wer Unrecht hasst samt der Habgier und seine Hände abzieht, dass er nicht Geschenke nehme, (...) der wird in der Höhe wohnen und Felsen werden seine Feste und Schutz sein."
Konfirmationsspruch wörtlich genommen
Diese Szene hat Gabriele Wohmann in ihrer Kurzgeschichte "Habgier" beschrieben und die von ihr verwendete Übersetzung der Jesaja-Stelle habe ich hier übernommen. Beim Lesen läuft es einem kalt den Rücken herab, so sehr wird die Verachtung der Eltern ihrem Sohn gegenüber deutlich, der seinen Konfirmationsspruch wörtlich nimmt und für sich umsetzt. Die an die Tür gepinnte Urkunde stellt die Verbindung her zum eigenen Handeln, zu allem, was in seinem Zimmer hinter der Tür passiert.
Den Konfirmationsspruch aufhängen? Das erinnert mich an ein Hobby: Ich gehe gern auf Flohmärkte. Da kann man sie noch finden, die gerahmten Festerinnerungen, die Tauf-, Konfirmations- und Hochzeitsurkunden mit graphischer Gestaltung, bunten biblischen Szenen oder Blumengebinden. Sie sind meistens gerahmt, schwarze Leiste oder dunkelbraunes Holz, auf der Rückseite eine Öse zum Aufhängen. Sie waren in ihrer Zeit ein wichtiger Zimmerschmuck. Manchmal werden sie heute auch direkt zum Sperrmüll gestellt und man fragt sich vielleicht im Vorbeigehen: Sollte man oder "darf" man das wegwerfen?
Ein typisches Exemplar habe ich einmal auf einem Trödelmarkt gefunden. In einem für die Zeit um 1900 üblichen schwarzen Rahmen. Von Hand eingetragen und vom Pastor unterschrieben sind die persönlichen Daten, Name, Geburts-, Tauf- und der Konfirmationstag, der 15. April 1897, außerdem die Stelle des wohl individuell ausgewählten Konfirmationsspruchs: 1. Tim 6,12.
Darüber ein Matthäuszitat und ein heute militaristisch anmutender Erbauungsspruch. Fast die Hälfte der Urkunde wird von einem Kreuz im Lichtkranz und einem Blumengebinde eingenommen. Weiße Lilien und blaue Vergissmeinnicht verweisen auf die Tugenden von Unschuld, Erinnerung und Treue. Grüne Zweige und Fichtenzapfen stehen vielleicht für Beständigkeit oder auch das ewige Leben? Das alles unter der Überschrift "Erinnerung an den Tag der Confirmation".
Daten, Sprüche und Blumensymbolik
Heute kann man es sich kaum vorstellen, aber diese Konfirmationsurkunden oder –scheine, individuell ausgefüllt und im Gottesdienst nach der Einsegnung an die einzelnen Kinder verteilt, hatten eine große Bedeutung, neben der noch heute eher bekannten Konfirmationsbibel als beinahe obligatorischem Geschenk zum Fest.
Manche waren sich wohl nicht sicher, welchen Status diese Scheine dem Ritus der Konfirmation selbst gegenüber nun hätten. Interessanterweise kann man Gerichtsurteile aus dieser Zeit finden, die bewusst die Entscheidung verweigern, ob die Papiere nun rein "weltliche" Dinge seien oder aber entscheidenden Anteil am Konfirmationsritus hätten ("Charakter einer religiös-kirchlichen Einrichtung"). Die Frage war, ob etwa eine "Beschimpfung" des Scheines auch die Konfirmation selbst und ihr Ergebnis treffe. Vielleicht hatte das Bild-Motiv nicht gefallen?
In der Zeit um 1900 wiesen in Zeitschriften und Handbüchern für das Pfarramt immer wieder Pastoren selbst darauf hin, wie wichtig ihnen die Qualität in Wort und Bild dieser Konfirmationsurkunden sei. Man empfahl sich gegenseitig die Produkte bestimmter Verlage, je nach Geschmack und was man so für "angemessen" hielt. Heikel war dies auch, da der Protestantismus in seiner Geschichte oft auch eine gewisse Skepsis religiösen Bildern gegenüber mitbrachte. Man rang immer wieder um die richtige "Bildsprache".
Geschmackvoll oder Kitsch?
Es ging um einiges: durch die Darstellungen, beispielweise biblische Szenen, christliche Bildung zu vermitteln, etwas herzumachen und das Heim in angemessener Weise zu schmücken, vor allem aber, Geschmackloses zu vermeiden. Die Gestaltung sollte zum Aufhängen als Zimmerschmuck einladen. Aber es gab auch Kritik an der Massenproduktion und der gehäuften Zurschaustellung dieser Dinge. Denn die Bildentwürfe bezogen dabei weder zeitgenössisches theologisches Denken noch neuere künstlerische Ansätze ein. Sie waren "gefällig", für diverse Produkte würden wir heute sicherlich den Begriff "Kitsch" verwenden. Aber auch viele Beispiele der Glückwunschkarten-Produktion der Gegenwart sind wohl in dieser Hinsicht nicht unbedingt besser.
Wenn etwas einen Rahmen bekommt, wird es verändert. Der Rahmen grenzt ein und hebt zugleich heraus. Das Einrahmen der Urkunden, so kann man lesen, war Sitte "auf dem Lande und in den bürgerlichen Kreisen in den Städten". Man drapierte Trockenblumen oder kleine Girlanden um die Rahmen. Die Wand der "Guten Stube" gerade im ländlichen Raum könne ruhig vor allem mit den Urkunden aller Familienangehörigen gefüllt sein, so schreibt ein Pastor. Ein Nachbar und Gemeindemitglied, so berichtet ein anderer, habe ihn gebeten, die Qualität seines Wandschmucks zu beurteilen und Ratschläge fürs Dekorieren zu geben. Man möchte es sich fast vorstellen.
Deko-Tipps vom Pastor
Die Erinnerung an die Konfirmation sollte den Menschen ein ganzes Leben begleiten. Von besonderer Bedeutung war und ist auch heute noch der Konfirmationsspruch, der durch die Pastoren mehr oder weniger individuell für das einzelne Kind ausgesucht wurde. Oskar Pank, Superintendent und Pastor an der Berliner Dreifaltigkeitskirche erzählte stolz, dass er mit Freude Bismarck einen Jubiläumsschein zum fünfzigsten Jahrestag der Konfirmation ausgestellt habe, nachdem er feststellte, dass dieser sogar noch seinen Konfirmationsspruch habe aufsagen können.
Der Spruch war durch die Urkunde im Wohnraum präsent, in einer Zeit, in der christliche Sprüche, auch als Stickbilder, zur Erbauung generell gern in Zimmern aufgehängt wurden. Hinzu kam weiterer Zimmerschmuck mit christlichen Themen, etwa der "Ecce homo"-Christus des Guido Reni oder eine kleine Version des Thorvaldsen-Christus. Das alles in einer Einrichtung mit dunklem Holz, schweren Vorhängen und Teppichen in gedeckten Farben.
Zimmerdenkmale
Die Forschung hat den Effekt "evangelisches Zimmerdenkmal" genannt. Die Bilder hielten das Ritual, das ja vor allem unkörperlich war, im Raum präsent.
Wenig später, besonders nach dem Ersten Weltkrieg, wurden auch Gruppenaufnahmen der Konfirmanden modern, die heute auf uns aufgrund der Farbgebung in Schwarzweiß und den ernsten Mienen häufig recht düster wirken. Da helfen auch einzelne Akzente in Goldfarbe und die weißen Blüten in Hinterglasmalerei, wie auf einem Beispiel aus Sachsen, wenig. Allerdings zeigt sich deutlich, was man für angemessen hielt, um es der eigenen "Erinnerungswand" hinzuzufügen. Mit den historischen evangelischen "Denkmalen fürs Heim" bewegen wir uns natürlich in einer Zeit, in der es noch sehr starke Vorgaben und Erwartungshaltungen der Besucher:innen an eine solche Zimmereinrichtung gab.
Auch in unserer Umgebung gibt es "Zimmerdenkmale", Dinge, mit denen wir uns umgeben. Sie schaffen eine Atmosphäre, die wir schätzen, die uns irgendwie entspricht und die uns definiert. Das kann Reputation sein: Wir alle kennen die klischeehaften Darstellungen von ärztlichen Sprechzimmern aus amerikanischen Filmen, in denen alle Wände mit Urkunden verschiedener Universitäten zugepflastert sind, oder die Bücherwände bei Videokonferenzen, gern auch mit Werken aus der eigenen Feder. Früher erinnerten kitschige Sammelteller an Urlaube, direkt neben den gerahmten Fotos zum gleichen Thema. Zimmerdekoration ist immer auch eine Art der Selbstdefinition; eben eine, in der man selbst sitzt.
In der Gegenwart haben wir es oft mit digitalen Erinnerungen zu tun. Sie bestehen an ihrem Ort, etwa im Handy, wenn man sich das Gruppenfoto des letzten Familientreffens zeigt oder es herumschickt. Aber eine eigene Substanz haben sie nicht, keinen Körper, sie sind nicht permanent "da" und wenn der Bildschirm dunkel wird, dann sind sie fort. Wir haben heute so viele Bilder, nur die wenigsten können wir uns im digitalen Bildschirm-Rahmen auf die Anrichte stellen oder in der Drogerie ausdrucken.
Zur Taufe ein Löffel
Und wie ist es mit anderen Festterminen im Leben? Mit der Taufe als bedeutsamem Akt sind mehr Dinge verbunden, allen voran das Wasser, aber auch das Taufbecken oder die –schale, vielleicht das vererbte Taufkleidchen aus der Familie und anderes mehr.
In einem Besteckkasten für festliche Anlässe fand ich einmal einen angelaufenen silbernen Suppenlöffel. In einem Pflanzenornament auf der Vorderseite des Griffs sind die Initialen, auf der Rückseite das Taufdatum des Großvaters eingraviert. Das Material wirkt dünn. Bereits Jahrhunderte alt ist die Tradition für die Pat:innen, zur Taufe Löffel oder Besteck in Form von Messer und Gabel zu schenken, mit Gravuren von Namen und Daten und oftmals in aufwändigen Etuis. Ein Glückwunsch und Ausdruck der Hoffnung auf Wohlstand. Mancherorts gab es wohl auch die Tradition, zu bestimmten Festlichkeiten des weiteren Lebens mit diesem Besteck zu essen. Ob der Löffel durch den Großvater jemals in dieser Weise benutzt wurde, weiß ich allerdings nicht.
Auch diese Objekte erfüllen ihre Funktion nur im Zusammenhang mit dem eigentlichen Ritual, sind nicht ein Teil davon, sondern sollen daran erinnern. Sie vermitteln eine Beziehung dazu durch ihr einfaches Dasein. Erinnerung braucht es, gerade an die Taufe, die viele im Kleinkindalter erleben. Das Gedächtnis der Taufe aller Getauften regelmäßig zu feiern, ist auch heute eine weit verbreitete liturgische Praxis.
Was heute damit tun?
Und die Sache mit dem Weitergeben oder Wegwerfen? Als ich meine Mutter fragte, sagte sie, ich könne den Löffel ruhig mitnehmen. Vielleicht auch, da sie wusste, dass ich ihn aufheben würde. Aber ich denke, diese Dinge dürfen auch gehen, wenn "ihre" Menschen nicht mehr da sind. Sie haben dann ihren Auftrag des Erinnerns erfüllt. Sie kommunizierten mit ihrem Menschen. Sie können, aber sie müssen keine familiären Erinnerungsstücke werden. Der Kunsthistoriker in mir sagt natürlich: Nein, selbstverständlich aufheben, bewahren, andere fragen, ob nicht irgendeine Sammlung Interesse oder jemand gerade ein Forschungsprojekt zu diesen Themen hätte. Wenn ich aber darüber nachdenke, kann ich auch verstehen, wenn Menschen sich für das Gehenlassen entscheiden.