Da die Todesfälle nicht natürlicher Natur sind, sieht die Polizei den Abschied für immer naturgemäß weniger romantisch, und witzig ist die Sache ohnehin nicht: Irgendjemand träufelt den Besuchern eines bestimmten Festzelts die Partydroge Liquid Ecstasy ins Bier. Im besten Fall sind die Opfer bloß ohnmächtig, aber dann stirbt ein Italiener quasi in den Armen von Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl). Der ist gerade auf dem Weg in den Urlaub und hält den Touristen im U-Bahnhof für einen der unzähligen Betrunkenen.
Da die Ermittler zunächst noch nichts davon ahnen, dass ein Serientäter sein Unwesen treibt, ist der Einstieg in die Geschichte gut gelaunt: Der aus den Ferien heimgeholte Leitmayr hat seine Wohnung an zwei Schwedinnen vermietet und kommt vorübergehend beim Kollegen Batic (Miroslav Nemec) unter, der wiederum trinkfreudigen Besuch aus der kroatischen Heimat hat und sein Domizil für die frömmelnden älteren Damen in das Heim eines guten Christenmenschen verwandelt hat.
Aber dann wird’s ernst. Die Politik sieht keine Veranlassung, das Festzelt zu schließen, weil dies den Eindruck erwecken würde, man könne nicht für die Sicherheit der Wiesn-Besucher garantieren. Die Polizisten müssen sich daher mit der scharfkantigen Besitzerin (Gisela Schneeberger) des Amüsierbetriebs rumschlagen; und natürlich mit den renitenten Besuchern.
Für Leitmayr ergibt sich in Gestalt der hübschen Kellnerin Ina (Mavie Hörbiger) immerhin ein Lichtblick, und als er einen allzu zudringlichen Gast in die Schranken weist, darf er sogar auf ihrem Sofa schlafen, was ihn der Wahrheitsfindung am Ende aber näher bringt, als ihm lieb ist.
Das Drehbuch stammt von dem erfahrenen Autorenduo Stefan Holtz und Florian Iwersen. Gemeinsam haben sie mehrmals für die Krimireihe "Donna Leon" gearbeitet, aber auch zwei Kluftinger-Krimis geschrieben; das erklärt den mehrfachen Stimmungswechsel des Films, der dank einiger skurriler Momente weiterhin nicht bloß spannend, sondern auch unterhaltsam ist.
Regie führte Marvin Kren, ein damals noch vergleichsweise junger Regisseur, der unter anderem zwei "Tatort"-Episoden mit Wotan Wilke Möhring inszeniert hat ("Die Feigheit des Löwen"), wobei gerade der Drohnenkrimi "Kaltstart" ein sehenswerter und vor allem optisch reizvoller Überwachungs-Thriller war. Anschließend hat er mit "4 Blocks", "Freud", "German Genius" und "Crooks" einige bemerkenswerte und zum Teil preisgekrönte Serien gedreht. Sein Kameramann aus den ersten Filmen, Moritz Schultheiß, war auch beim Münchner "Tatort" für die Bildgestaltung verantwortlich; gerade die Lichtsetzung macht den Reiz vieler Szenen aus.
Akustisch allerdings werden Nordlichter einige Probleme haben, denn "Die letzte Wiesn" ist ein sehr bayerischer Krimi. Das gilt nicht nur für die Dialoge, sondern auch für den krachledernen Umgangston, der im Festzelt herrscht. Selbst die Musik sorgt für Dissonanzen, weil ein etwas seltsamer junger Mann den Ort des Verbrechens mit Kopfhörern betritt, aus denen wummernde Elektroklänge wabern; ein heftiger Kontrapunkt zur volkstümlichen oder schlagerbetonten Festzeltmusik.
Die Bilder sind ebenfalls nicht immer leicht verdaulich, und das keineswegs bloß, weil immer wieder mal Neonröhren flackern. Einen Überfall auf den leitenden Mitarbeiter der Zeltbesitzerin hat Kren mit brutaler Intensität gefilmt. Auf der anderen Seite gibt es Einstellungen, die regelrecht Kunst sind, etwa, als gegen Ende eine Taube auf dem leblosen nackten Körper des Mörders sitzt. Der Fall ist damit aber noch nicht gelöst, denn als der Mann bereits tot war, gab es ein weiteres Opfer; und nun wird der Film zur Tragödie.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Wer heute noch mehr mehr von Leitmayr und Batic sehen will: Um 22.00 Uhr zeigt der NDR "Die Wahrheit" (2016). Der Film beginnt mit einem sinnlosen Mord: Ein Mann reicht einem anderen, der auf dem Boden liegt, die Hand, um ihm beim Aufstehen zu helfen, und wird mit fünf Messerstichen niedergestochen.
Die Polizei hat keinerlei Anhaltspunkte, die Zeugenaussagen sind auch keine Hilfe, also wird ein Massen-Gentest mit allen Männern organisiert, deren mobiles Telefon zur Tatzeit im Umkreis des Tatorts registriert worden ist. Der Aufwand ist enorm, das Ergebnis ernüchternd; nach einem halben Jahr gilt der Fall als nicht mehr lösbar. Erol Yesilkaya (Buch) und Sebastian Marka (Regie) wurden für diesen Krimi für den Grimme-Preis nominiert; 2019 haben sie die Auszeichnung dann für einen "Tatort" aus Berlin bekommen ("Meta"). Zu einem herausragenden Film wird "Die Wahrheit" vor allem durch die Inszenierung.
Schon allein die Farbgebung ist interessant, weil Willy Dettmeyers Bildgestaltung die Revierräume in immer wieder anderen farblichen Schattierungen zeigt, wobei "Schattierung" tatsächlich Zwielicht heißt. Aufnahmen aus der vertikalen Vogelperspektive verdeutlichen die Aussichtslosigkeit der polizeilichen Bemühungen. Abgerundet wird die ausgezeichnete Gesamtleistung aller Beteiligten durch die Musik von Thomas Mehlhorn, die mit einer Mischung aus Elektronik und melancholischen Klavierpassagen ihren Teil dazu beiträgt, dass dieser Krimi zu den besten aus München gehört.