Abschied unter freiem Himmel

Beerdigung in Zeiten von  Corona
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Wenn ein Mensch stirbt, helfen Abschiedsrituale auf dem Friedhof, Schmerz und Trauer zu bewältigen. Das ist in der Coronakrise jedoch nur begrenzt möglich. Händeschütteln oder Umarmungen sind auf dem Friedhof derzeit tabu.
Abschied unter freiem Himmel
Bestattungen in Corona-Zeiten stellen Pastoren und Angehörige vor neue Herausforderungen
Abstand halten, die Kapelle geschlossen und nur der engste Familienkreis am Grab: Trauerfeiern sind in Zeiten der Corona-Pandemie nur unter Einschränkungen möglich.

Dass das irdische Leben von Oma Vera in ihrem 95. Lebensjahr zu Ende geht - damit hatten die Angehörigen seit einigen Monaten rechnen müssen. "Den Tod haben wir für sie zum Schluss als Segen empfunden. Aber ausgerechnet in dieser Corona-Krise?", fragt Schwiegersohn Wolfgang Siemers. Denn für alle ist nichts mehr wie sonst: nicht für die trauernde Familie, nicht für den Ort Altgarbsen bei Hannover, der keinen Abschied nehmen kann. Und auch nicht für den evangelischen Pastor Peter-Christian Schmidt, der hin- und hergerissen ist zwischen würdevoller Gestaltung der Trauerfeier, öffentlichen Auflagen und Empfehlungen der hannoverschen Landeskirche.

Oma Vera habe viel erleben müssen, erzählt Siemers: Als sie 13 Jahre alt war, begann der Zweite Weltkrieg, Nach dessen Ende - sie war gerade 19 Jahre alt - flüchtete sie über Leipzig nach Hannover. "In einem Alter, in dem wir in Discos gingen, hat diese Generation für den Wiederaufbau geschuftet." Der Generation seiner Eltern und Schwiegereltern sei die Jugend geklaut worden - und jetzt in der Corona-Krise sei diese Generation erneut am meisten betroffen. "Was mir wehtut ist, dass wir die Leistungen dieser Menschen unter diesen Umständen gar nicht würdigen können." Das ganze Dorf habe Oma Vera gekannt, für einen Plausch oder beim Eierholen.

An dem Nachmittag, an dem Vera beerdigt wird, legen die Friedhofsgärtner eine Pause ein. Auf dem Rasen zwischen den Gräbern sprießen die Gänseblümchen, Vögel zwitschern, der blaue Himmel ist wolkenfrei. Nur ab und an durchbricht ein Lastwagen auf dem Autobahnzubringer die frühlingshafte Ruhe. Punkt 15 Uhr beginnt die Glocke der roten Backsteinkapelle mit dem Totengeläut. Die Kapelle darf nicht betreten werden, und auch davor bleibt die kleine Trauergemeinde nicht stehen.

Sechs Träger bringen den mit gelb- und orangefarbenen Gerbera geschmückten Sarg vorbei an vielen Kreuzen zur letzten Ruhe. Dahinter folgen mit Abstand Pastor Schmidt und der allerengste Familienkreis - mehr als zehn Personen sollen es nach den Vorgaben der hannoverschen Landeskirche nicht sein. Wenige Meter nur sind es von der Kapelle bis zur Grabstätte, wo auch Veras Ehemann Wilhelm vor vielen Jahren beerdigt wurde.

Nichts ist normal

Pastor Schmidt richtet ein paar Worte über Veras langes Leben an die Trauernden, spricht einen Psalm und das Vaterunser. Aus seinem Talar holt er eine weiße Kerze, entzündet sie und stellt sie ans Grab. Wolfgang Siemers zeigt sich später von dieser Geste berührt. "Als ihr Mann starb, zündete sie eine Kerze an und wollte ihn so hinüber begleiten," erzählt der Schwiegersohn nach der Trauerfeier. Ansonsten sei seine Schwiegermutter eher pragmatisch gewesen: kein großes Heulen, nach Lösungen suchend. Nach Tochter Christiane und Schwiegersohn Wolfgang kommen jeweils die Enkel zu zweit ans Grab. Pastor Schmidt wiederholt jedes seiner Worte. Keine halbe Stunde dauert die Beerdigung unter freiem Himmel insgesamt.

Peter-Christian Schmidt bedauert, dass sich Trauerfeiern im Moment nicht normal gestalten ließen. "Normal hieße: Der ganze Ort hat Abschied genommen." Viele Altgarbsener wären gekommen. Kein tröstender Händedruck am Sarg - ihm als Pastor tue das in der Seele weh. Er sei Pastor geworden, um Menschen nahe zu sein. Sich jetzt von ihnen fernzuhalten, koste ihn viel Disziplin. "Das macht aber auch mehr mit den Trauernden als sie vorher im Gespräch noch glauben." Im Rahmen der Vorgaben gehe er deshalb auf alles ein, was die Trauernden wünschten. Aber würdig müsse es sein.

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Wolfgang Siemers ist sich noch unschlüssig, ob die Familie etwa eine spätere Trauerfeier in der Zeit nach der Corona-Krise möchte. "Es ist nicht das gleiche, das unter freiem Himmel zu machen oder in einer Kapelle und auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt." Eine Tochter habe jedoch bei der Trauerfeier gar nicht dabei sein können, da sie wegen einer Corona-Quarantäne zu Hause bleiben musste. "Wir haben ihr ein Foto von der Beerdigung geschickt - das hat uns alle sehr berührt." Viel schlimmer seien jedoch die Momente nach dem Tod von Oma Vera gewesen. "Die körperliche Nähe oder Umarmen war ja nicht möglich, wir mussten auch in diesem Moment, wo wir uns ganz nah sein wollten, Abstand halten." Das habe den Tränen oder der Trauer zwar keinen Abbruch getan. "Aber wohl der Bewältigung der Trauer."