"Beim Gotteskind zuhause"

Heinrich Bedford-Strohm
© epd-bild/Lukas Barth
Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland und Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.
"Beim Gotteskind zuhause"
"Denn mit dem Kind in der Krippe ist eine Liebe in die Welt gekommen, die niemand mehr zerstören kann. Sie ist das größte Geschenk, das wir an Weihnachten bekommen", predigte Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm am Abend des 24. Dezembers im ZDF-Fernsehgottesdienst in der St. Andreaskirche Weißenburg. Lesen Sie bei uns seine Predigt.

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm: "Liebe Gemeinde, Weihnachten duftet nach Kindheit. Es schmeckt nach Vertrautem, klingt nach Geborgenheit und leuchtet hell. In einer unsicheren Welt sollen die Festtage verlässlich bleiben, das wünschen wir uns. Und lieben unsere Traditionen rund um das Weihnachtsfest. Hier in Franken ist Weihnachten ohne die Christkindl kaum denkbar. Das Weißenburger Christkindl Hannah ist heute Abend auch zu uns gekommen. Liebe Hannah, was genau hat Dich daran gereizt, ein Christkind zu werden? Und was sind Deine Aufgaben?"

Hannah Schmidt (Christkindl): "Ich dachte mir, dass es ganz toll ist, vielen Menschen eine Freude zu machen. Besonders denen, für die die Weihnachtszeit eine traurige Zeit ist. Weil sie sie vielleicht nicht mit ihrer Familie verbringen können.

Ich war zum Beispiel im Altenheim und habe dort etwas vorgelesen und meinen Prolog gesprochen. Der geht so: Es naht sich schon die Weihnachstzeit, drum kommt und hört mir zu, Ihr Leut. Euch leuchten hier viel hundert Kerzen und bringen Licht in eure Herzen. Die Buden sehr ihr reich geschmückt, sind mit Geschenken gut bestückt. Mit großen Augen schaun die Kinder und manch Erwachsner staunt nicht minder. Wo Menschen sich so einfach freun, stellt die Erinnerung sich ein. An Tannenbaum und Kerzenduft, und das Klingen in der Luft, wenn von den Kirchen überall herüberweht der Glockenschall."

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm: "In diesem Jahr hat eine Kollegin von Hannah viel Aufsehen erregt: Das Nürnberger Christkindl. Wie Hannah erfüllt die junge Frau alle Ansprüche: Sie ist herzlich, strahlt von innen und tritt sicher auf. Die Jury entschied sich einstimmig für sie. Doch dann kam eine Beschwerde: Das Nürnberger Christkindl sei nicht 'Deutsch' genug. Müller, Meier, Schulze – statt Benigna Munsi? Ihr Name erzählt, dass das deutsche Christkind auch indische Vorfahren hat.

Für die Nürnberger spielt das keine Rolle. Sie stehen zu ihrem Christkindl und schickten Benigna Munsi einen 'Lovestorm', eine Welle liebenswürdiger Internet-Nachrichten. Die Nürnberger sahen ihre Tradition, die Verlässlichkeit ihrer Heimat, nicht in Gefahr. Im Gegenteil. Aber wir sehen daran, wie schnell Gefühle aufbrausen können, wenn mit Heimat bestimmte Vorstellungen verknüpft werden. Oder gar, wenn dieses große Wort politisch missbraucht wird.

Bilder von Heimat und Geborgenheit vermitteln das Gefühl von innerer Sicherheit. Sie sagen: wenn sich äußerlich viel verändert, dann bleibt wenigstens diese eine Tradition verlässlich. Und das ist etwas sehr Schönes.

Gleichzeitig  wissen wir auch, dass sich Heimat immer verändert. Frau Mrusek hat vorhin erzählt, wie seltsam es für sie war, als 1989 plötzlich lauter fremde Menschen in der Kirche waren. Deutsche, die sie in der DDR nur von anderen Orten kannte. Waren sie da, weil sie sich jetzt erstmals in eine Kirche getraut haben? Oder was hatte sie motiviert?

Besonders in Umbruchszeiten sehnen wir uns nach Vertrautem. Bekannten Liedern, Worten, die wir mitsprechen können, innige Menschen um uns und vertraute Orte wie diese schöne alte Kirche. Driving home for Christmas − das ist oft auch eine Heimreise in die Kindheit. Zu einem Weihnachten voller Staunen, Glück und Geborgenheit.

Dem Jesuskind war davon wenig beschert: Seine Mutter, eine einfache junge Frau in Nazareth, in jener Kleinstadt irgendwo im Nahen Osten, begegnet einem Engel. Sie wird unehelich schwanger und macht sich mit ihrem Verlobten Josef auf dem Weg zu einer behördlich angeordneten Volkszählung nach Bethlehem.

Und als die Wehen kommen, gibt es nirgendwo eine Herberge für sie, so dass sie irgendwo in einer Höhle oder in einem Stall das Kind bekommt. Umgeben von Kälte und Mist.

All das klingt nicht nach Heimat und Geborgenheit, nicht nach schönem Duft und lichterfüllter Wohnung.

Die ersten, die von der Geburt des Jesuskindes hören, die Hirten, kennen auch kein gemütliches Heim. Ihr Dach ist der Sternenhimmel. Sie schlafen auf hartem Boden und leben von der Hand in den Mund. Sie sind unbehauste, wahrscheinlich auch ungehobelte Gesellen, die von Tag zu Tag lebten ohne zu wissen, was kommt.

Denen verkünden die Engel die Botschaft zuallererst: Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.

Zuerst fürchten sich die Hirten. Was ist das? fragen sie. Doch dann laufen sie los. Denn sie ahnen, dass sie beim Gotteskind etwas finden, das sie heilt, das sie froher und gewisser macht als alles, was sie je erlebt und versprochen bekommen haben.

Als sie im Stall ankommen, ist die Zeit eine andere. Himmel und Erde verschmelzen.  Die Hirten und alle, die sich versammeln, verstehen zum ersten Mal, was es heißt wirklich Mensch zu sein, geliebt und frei. Der Blick des Kindes in der Krippe sagt jedem:

Ja, Du bist Gottes geliebtes Kind, so wie du bist. Tief in dir ist alles gut und heil. Du musst keine Angst haben. Mein Friede ist mir dir. Mein Licht leuchtet dir. Und die Hirten spüren: Hier bin ich zuhause. Ganz und gar zuhause. Hier bei diesem Kind, ist meine Heimat, egal wo ich bin.

Als sie später wieder aufbrechen, nehmen sie diese Gewissheit im Herzen mit. Und erzählen sie weiter an 'alles Volk'. Als erste der vielen, die Jesus von Nazareth begegnen. Als erste, die spüren, wie er Seelenfrieden und innere Heimat gibt. In seiner Nähe wird der Himmel hell und die Luft schwingt vom Lob Gottes. Die Tür in die Zukunft öffnet sich.

Ihr seid Gott willkommen, sagt er später als erwachsener Mann.

'Selig seid Ihr Armen, denn das Himmelreich ist euer. Selig seid ihr, wenn Ihr weint, denn Ihr werdet lachen. Bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden. Klopfet an, so wird euch aufgetan.'

Selbst wenn Jesus schweigt, spüren die Menschen Gottes Nähe. Er legt die Hände auf. Er verurteilt nicht. Er richtet nicht, er beantwortet Gewalt nicht mit Gewalt. Seine Macht beruht nicht auf Waffen, sondern auf Liebe, die das Herz erleichtert und tief erfüllt.

Diese Liebe kann niemand aufhalten. Nicht einmal der Tod. Als die Mächtigen Jesus festnehmen und ihn töten, weist Gott den Tod in seine Schranken. Nach drei Tagen ist das Grab leer. Christus lebt und verspricht allen das Leben.

Und so folgen seit zwei Tausend Jahren ihm nach: Jüdische Fischer, griechische Hafenarbeiter, österreichische Bäuerinnen, sächsische Musiker, spanische Architekten, indische Handwerker, afrikanische Ärzte, amerikanische Unternehmer, dänische Designerinnen, georgische Buchhändler, und ungezählte andere Menschen.

Sie alle begegnen Jesus Christus. Im Gebet. Im Gottesdienst. Durch ein Bibelwort. In der Begegnung mit anderen. Durch den Dienst am Nächsten. Und sie spüren: Wenn er mir begegnet, finde ich Geborgenheit. Egal wo ich bin und wie es dort aussieht: Bei Gott bin ich zuhause.

Und wenn die Welt voll Teufel wär. Und auch heute Nacht wieder Schüsse peitschen. Wenn ich weine, weil ich allein bin. Oder in der Familie böse Worte fallen − bei Gott bin ich zuhause. Das Wort der Engel an die Hirten gilt auch uns: Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.

Wozu  braucht es dann die Fränkischen Christkindl? Manche tun sie als 'Folklore' ab. Ich finde das verkürzt. Denn viele Traditionen und Bräuche haben einen 'heiligen' Kern.

Traditionen sind unsere je eigene Brücke zur Weihnachtsbotschaft. Darum genießen Sie Ihre Bräuche, liebe Gemeinde.

Und sehen Sie die Christkindl ist eine Art Engel. Sie verkünden die himmlische Botschaft, die immer ganz irdische Auswirkungen hat.

Denn mit dem Kind in der Krippe ist eine Liebe in die Welt gekommen, die niemand mehr zerstören kann. Sie ist das größte Geschenk, das wir an Weihnachten bekommen.

Deswegen sage ich zu den Traurigen und zu den Fröhlichen in einem ganz tiefen Sinne und von ganzem Herzen: Frohe Weihnachten! Amen."