"Unsere Befürchtungen zu TTIP und CETA sind wahr geworden"

Eine Demonstrationsteilnehmerin mit Plakat "Stop TTIP" nimmt am 23.04.2016 in Hannover (Niedersachsen) auf dem Opernplatz an einer Demonstration gegen das umstrittene transatlantische Freihandelsabkommen TTIP teil.
Foto: dpa/Christian Charisius
Auch "Brot für die Welt" engagiert sich gegen TTIP
"Unsere Befürchtungen zu TTIP und CETA sind wahr geworden"
"Brot für die Welt" gehört zu den 30 Nichtregierungsorganisationen, die für den 17. September zu Großdemonstrationen gegen die umstrittenen Handelsabkommen TTIP und CETA aufrufen. Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von "Brot für die Welt", erklärt im Interview, warum.

Es ist ein breites Bündnis, das am 17. September zu Großdemos in sieben deutschen Städten aufruft. "Stop CETA und TTIP!" soll es dann unter anderem in Köln, München, Stuttgart oder Berlin heißen. Neben "Brot für die Welt" zählt auch "ver.di" zu den Organisatoren des Protestes. Kann das gut gehen? Kirche und Gewerkschaften sind ja beim Thema Tarifverträge eher Gegner.

Cornelia Füllkrug-Weitzel: Kirche und Diakonie einerseits, ver.di andererseits haben zwar unterschiedliche Auffassungen in der Tarifpolitik. Das hindert uns aber nicht daran, bei Sachthemen miteinander Stellung zu beziehen.

Was sind denn Ihre Kritikpunkte an CETA und TTIP?

Füllkrug-Weitzel: Für Brot für die Welt und die evangelische Kirche sind das die Auswirkungen auf die Entwicklungspolitik und die Menschenrechte. Die Befürchtungen im Vorfeld sind wahr geworden. Es gibt kein einziges Wort, das dazu zu finden ist. Die Vertragstexte wurden ja mittlerweile geleakt und sind erst dadurch bekannt. Die EU-Selbstverpflichtung, alle außenwirtschaftlichen Verträge auf ihre Verträglichkeit für die Entwicklungspolitik und die Menschenrechte zu prüfen, wurde überhaupt nicht eingehalten. Und es ist auch jetzt nicht die Rede davon, dass es von irgendeiner Relevanz ist.

Malen Sie da als Kirche nicht zu schwarz?

Füllkrug-Weitzel: Nein. Das Abkommen zielt im Wesentlichen darauf ab, global Unternehmensrechte abzusichern, gegen Arbeitnehmerrechte, wie sie etwa in den ILO-Kernstandardnormen festgeschrieben sind, gegen Allgemeinwohlinteressen und auch gegen die demokratische Mitbestimmung in den Parlamenten. Das alles widerspricht auch den nachhaltigen Entwicklungszielen der UN, die im letzten Jahr verabschiedet wurden. Das alles wird schlicht und einfach ignoriert.

"Dass aber auch auf schwache Menschen Rücksicht genommen wird, ist ein genuin kirchliches Anliegen"

Aber das klingt nach linksliberaler Kapitalismuskritik, wie sie gerade in der evangelischen Kirche gerne geübt wird.

Füllkrug-Weitzel: Typisch Kirche, insofern wir wie auch andere in Deutschland daran interessiert sind, eine Wertebasierung der Politik durchzusetzen, wie sie auch vom Grundgesetz vorgegeben ist. Aber eben auch von der EU und der UN. Wie viele andere bilaterale Investitions- und Freihandelsabkommen soll auch TTIP Unternehmen das Recht einräumen, Staaten vor Sonderschiedsgerichten zu verklagen. Laut den Vertragsentwürfen zum TTIP können Unternehmen bereits dann Klage erheben, wenn eine Umweltschutzauflage oder andere staatliche Maßnahmen die Investitionsgewinne eines Unternehmens beeinträchtigen. Diese Schiedsgerichte stehen außerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit und führen die Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wir stehen dagegen dafür ein, dass nicht nur die Profitinteressen von großen Unternehmen die Politik dominieren sollen.

Nur: Arbeitsplätze werden doch nun mal durch eine florierende Wirtschaft geschaffen. Auch wenn sie aus Amerika kommt.

Füllkrug-Weitzel: Na ja, die großen Vorteile, die die Abkommen für die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben sollen, sind ja recht bescheiden. Das durch die Verträge angekurbelte Wirtschaftswachstum liegt schätzungsweise gerade mal im Ein-Prozent-Bereich. Gleichzeitig ist aber ebenso klar, dass es schädliche Auswirkungen auf die Ökonomien im Süden hat. Schon konservative Schätzungen gehen davon aus, dass dort mehr als zwei Prozent Wirtschaftsrückgang in Kauf genommen werden muss. Aus entwicklungspolitischer Sicht ist TTIP auch deshalb problematisch, weil der Abbau von Zöllen zwischen den USA und der EU dazu führen könnte, dass Entwicklungsländer ihre bisherigen Zollpräferenzen für die EU de facto verlieren und Handelsströme zu ihren Ungunsten umgelenkt werden. Möglicherweise importiert Europa dann beispielsweise Fischprodukte, Baumwolle, Zitrusfrüchte oder Rindfleisch eher aus den USA als aus armen Ländern. Dass aber auch auf schwache Menschen Rücksicht genommen wird, ist ein genuin kirchliches Anliegen und hat zum Beispiel mit Anti-Amerikanismus gar nichts zu tun.

Sie sagen, mit CETA und TTIP werden Blaupausen für Entwicklungsländer geschaffen. Wie das?

Füllkrug-Weitzel: Es gibt gegenwärtig einen Stillstand in der internationalen Rahmensetzung für Welthandelsbeziehungen. Die Kanadier, die US-Amerikaner und die EU sind mit ihren beiden Handelsverträgen jetzt voran geprescht. Wenn das zum Abschluss kommt, werden sie den größten Wirtschaftsraum weltweit abdecken. Und damit sind in Zukunft alle Versuche, multilaterale Verträge auszuhandeln, relativ zum Scheitern verurteilt. CETA und TTIP werden die dominanten Muster werden, da EU, USA und Kanada dazu einfach die ökonomische Macht besitzen. Nach Abschluss des TTIP aber könnte ein ständig tagender "Regulativer Kooperationsrat" über bisherige Streitpunkte bei der Schlachtung (Chlorhühnchen) und Mast (Wachstumshormone und Antibiotika), über Klonfleisch oder bei der Zulassung genveränderter Pflanzen und Tiere z. B. Kompromisse finden, die Parlamente und Regierungen unter Druck setzen und dann zu "Goldstandards" werden, die dem Rest der Welt übergestülpt werden. Das wäre nicht nur für Europa schädlich, sondern auch für die Entwicklungsländer. Aus deren Sicht erscheint es notwendig, dass die Industrie die Unschädlichkeit ihrer Produkte selbst nachweist und dafür die Kosten trägt. Denn die Entwicklungsländer können sich meist keine gut ausgestatteten Labore leisten, um eigene effektive Tests durchzuführen. Schon aus diesem Grund sollte eher das Vorsorgeprinzip zum Weltstandard werden, keinesfalls jedoch eine reduzierte Version im Rahmen von TTIP.

Im Agrarbereich ist TTIP ein Förderprogramm für die weitere Intensivierung und Industrialisierung einer zunehmend exportorientierten Landwirtschaft. Während Agrarkonzerne und große Produzenten von den neuen Möglichkeiten profitieren, geraten bäuerliche Betriebe und kleinere Verarbeiter auf beiden Seiten des Atlantiks unter zusätzlichen Preis- und Wettbewerbsdruck. Dieser könnte sie schließlich von den Märkten verdrängen. Ein Wachstum der industriellen Landwirtschaft gefährdet auch die Ernährungssicherheit hunderter Millionen Kleinbauern, Fischer und Hirten in Entwicklungsländern. Noch mehr preiswerte Exportprodukte aus der EU und den USA könnten die Märkte der armen Staaten überschwemmen, ohne dass die dortigen Landwirtinnen und Landwirte einen besseren Zugang zu den Märkten des europäisch-nordamerikanischen Wirtschaftsraums erhalten. Und insofern werden diese Verträge zur Blaupause für die ärmeren Länder in der Welt werden.

Das heißt, hier werden entwicklungspolitische Weichen für die nächsten Jahrzehnte gestellt. Denken Sie, dass das in der Kirche schon genügend diskutiert wurde und dass gerade Christinnen und Christen sich zur Demo am 17. September gegen CETA und TTIP aufgerufen fühlen?

Füllkrug-Weitzel: Die evangelische Kirche kann sich mit ihrer lebendigen Diskussion über TTIP sehen lassen. Schon die EKD-Synode im Herbst 2014 hat einen Beschluss dazu verabschiedet und Bedenken geäußert. Sie hat den Rat der EKD dazu aufgefordert, sich gegenüber der Bundesregierung und den europäischen Institutionen dafür einzusetzen, die negativen Auswirkungen auf Bürger, auf Gesellschaften und auf ärmere Länder zu begrenzen. Auch mehrere Landessynoden haben ähnliche Beschlüsse gefasst. Die EKBO hat im September 2015 ein detailliertes Papier mit ethischen Kriterien erarbeitet. Damit hat jedes Gemeindeglied, jede Christin und jeder Christ die Möglichkeit, sich ein eigenes kritisches Bild der Materie zu machen.