Gottesdienstverschiebungen

Gottesdienstverschiebungen
Foto: iStockphoto/jim pruitt
Die Präses der Westfälischen Kirche regt neue Gottesdienstzeiten an. Ob das wirklich das Grundproblem ist?

Na, mal ehrlich: Wann waren Sie zum letzten Mal in einem Gottesdienst am Sonntagmorgen? (Wenn Sie beruflich damit zu tun haben, erweitere ich die Frage: … und zwar an einem freien Sonntag.) 

Die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, hat nun angeregt, man möge doch mal darüber nachdenken, den Sonntagmorgentermin zu Gunsten anderer Uhrzeiten oder sogar anderer Wochentage aufzugeben. Vielleicht würde das wieder mehr Christen in die Kirche locken. OK, wenn ich als Pfarrer am Sonntag nicht mehr so früh aufstehen muss, hat das natürlich was für sich. 

Aber ganz ehrlich: Das, was wir da in den meisten Kirchen am Sonntagmorgen so abziehen, reißt gerade junge Menschen oft nicht wirklich vom Hocker. Ich erinnere mich an einen Gottesdienst, den ich mit einer Jugendgruppe besuchte. Mein Kollege feierte einen, so fand ich, recht lockeren, ansprechenden Gottesdienst. Zum großen Teil moderne Lieder, eine verständliche Predigt, alles das. Und doch meinte einer meiner langjährigen Mitarbeiter hinterher zu mir: „Ich bin entsetzt!“ Ihm war das alles zu steif, zu weit an seinem Leben vorbei. Er besuchte durchaus mal besondere Gottesdienste, arbeitete sogar im Jugendgottesdienstteam mit. Aber der Sonntagmorgengottesdienst? Das war nichts für ihn.

Nun gibt es auf der anderen Seite ja durchaus Gottesdienste, die andere Zielgruppen bedienen. Kinder-, Familien- und Jugendgottesdienste. Motorradgottesdienste. Berggottesdienste und Waldweihnachten. Ach, und was da noch so alles kreucht und fleucht im Garten des Herrn.

Die wenigsten dieser Gottesdienste finden am Sonntagmorgen statt. Aber ich wage zu behaupten: Tag und Uhrzeit sind für den Besuch dieser Veranstaltungen nur sekundär. Wen's interessiert, der wird hingehen, außer es kommt ihm ein anderer Termin in die Quere (was wiederum am Sonntagmorgen am unwahrscheinlichsten ist, außer der Termin heißt „Frühstücken“). Die Osternachtsfeiern am Sonntag sehr früh – irgendwann zwischen 5 und 6 Uhr morgens – sind ja auch normalerweise hervorragend besucht. Und umgekehrt sind traditionelle Gottesdienstfeiern am Samstagabend oder Sonntagabend auch nicht wirklich anziehender als am Sonntagmorgen, so jedenfalls meine Erfahrung. Wir in Schweinfurt bieten zweimal im Jahr besondere Andachten in der weitgehend dunklen Kirche – am Freitagabend um 20 Uhr im Dezember und sogar um 21 Uhr in der Passionszeit. Es ist zu dunkel, um die Leute zu zählen, aber so 150 dürften jedes Mal kommen.

Nein, die Uhrzeit ist nicht das Problem, befürchte ich. Das Problem ist, dass unser guter alter Gottesdienst nach Agende I einfach nicht mehr so zieht. Ja, ich mag ihn. Und viele ältere Gemeindeglieder auch. Die finden da ein Stück Heimat, weil Sonntag für Sonntag der gleiche Ablauf auf sie wartet. Und ich fände es auch schade, wenn über Jahrtausende gewachsene Traditionen einfach so verloren gehen würden, denn auch die Feier des Gottesdienstes verbindet uns mit den Generationen vor uns. Aber wenn's die Menschen nicht mehr interessiert? Dann müssen wir halt neue Wege gehen. Die Hand an den Pflug legen und nicht zurück, sondern nach vorne sehen. Auf den Heiligen Geist vertrauen. Gemeinsam feiern, fröhlich, einladend, segnend. Egal wo, egal wann, egal wie.
 

weitere Blogs

Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.

Vom Versuch nicht zu hassen. Biografische Streiflichter von gestern, das irgendwie auch heute ist.