Queering Kirchentag

Open-Air-Gottesdienst mit Hanna Reichel auf dem Kirchentag in Hannover.
epd-bild/Thomas Lohnes
Open-Air-Gottesdienst mit Hanna Reichel auf dem Kirchentag in Hannover.
Queer und religiös ist auf Evangelischen Kirchentagen schon lange kein Widerspruch mehr. Hier ein paar Highlights aus der queeren Kirchentagswelt.
Queering Kirchentag
Auf dem Evangelischen Kirchentag gab es wieder das Zentrum Geschlechterwelten/Regenbogen mit einem vielfältigen Programm für queere Personen. Hier einige Eindrücke daraus.

Der Evangelische Kirchentag in Hannover ist zu Ende. Aus queerer Sicht gibt es einiges Bemerkenswertes über den Kirchentag zu erzählen. 

Das Zentrum Geschlechterwelten/Regenbogen hatte zum ersten Mal kein eigenes Zentrum irgendwo am Rande der jeweiligen Kirchentagsstadt mit allen Podien, Workshops und einem Café. Stattdessen fanden die Workshops und kleineren Veranstaltungen im Hans-Lilje-Haus in der Nähe zur Marktkirche statt. Das Regenbogencafé war für die Zeit des Kirchentages im Café K:Punkt direkt um die Ecke beheimatet und nicht nur für Kirchentagsgäste geöffnet.

Die vier größeren Podiumsveranstaltungen des Zentrums waren sowohl in einer Kirche als auch in den Messehallen mitten im Geschehen vertreten. Dieses dezentrale Konzept ist grundsätzlich ganz gut aufgegangen. Allerdings hätten die meisten Workshops mindestens doppelt so viele Interessierte beherbergen sollen. Die Räume waren zu klein.

Auch die Themenvielfalt war groß. Es ging um queere mündliche Geschichte als Generationendialog, eine Einführung in queere Theologie und queere Bibelexegese. Auch der Dauerbrenner-Workshop „Mit der Bibel gegen Homophobie“ war wieder vertreten. Es wurde in diverse Geschlechtsidentitäten eingeführt und wie die Vielfalt für Schule oder Gemeindearbeit aufbereitet werden kann. Auf einem internationalen Podium wurde über intersektionale Bündnisse und Strategien gegen Rassismus, Queerfeindlichkeit und Rechtspopulismus diskutiert. Dort wurde auch eine Schweigeminute für den im Februar ermordeten schwulen Imam Muhsin Hendricks aus Südafrika gehalten. Hendricks hätte auch auf dem Podium sitzen sollen. Er hatte bereits zugesagt. Sein Stuhl blieb leer.

Es gab Veranstaltungen zu verschiedenen Segensritualen und zu queersensibler Seelsorge und Beratung. Andere dachten über Geschlechterstereotypen nach, diskutierten verschiedene Sexualitäten und Beziehungs- und Familienformen. Zudem wurde kontrovers über Sexarbeit debattiert. Auch die Themen Machtgefälle und sexualisierte Gewalt wurden im Zentrum Geschlechterwelten/Regenbogen nicht ausgelassen. Insgesamt ein Feuerwerk an spannenden Veranstaltungen, die die Vielfalt auch innerhalb der queeren Community abbilden, die sich gleichzeitig als religiös und religiös/theologisch interessiert verorten. Außerdem wurden auf dem Kirchentag von verschiedenen Gruppen queere Gottesdienste gefeiert, unter anderem von der Queeren Kirche Köln.

Ein Highlight für viele non-binäre und trans-Personen war die Namensfeier und persönliche Segnung von etwa 50 Personen in einem Namensfeier-Gottesdienst in einer Stadtkirche in Hannover. Die Schweizer Pfarrerin Priscilla Schwendimann und ihr Team aus der Mosaic Church in Zürich luden non-binäre und trans Personen ein, in einen Segenskreis zu treten und sich mit dem selbst gewählten Namen und den eigenen Pronomen vorzustellen und dann gesegnet zu werden. Jede Person hat eine Namenskerze und eine Urkunde mit dem selbst gewählten Namen und den Daten des Segensgottesdienstes geschenkt bekommen. Viele haben in diesem Gottesdienst geweint, manche, weil sie zum ersten Mal vor Gott und den Menschen ihren selbst gewählten Namen laut ausgesprochen haben und dann gesegnet worden sind. 

Im Vorfeld des Gottesdienstes hatten einige Verantwortliche Angst um die Sicherheit der Teilnehmenden. Der Ketzer der Neuzeit und einige andere rechtspopulistische Influencer:innen sind auf dem Kirchentag gewesen und haben auf ihren digitalen Kanälen Spott und Häme zum Programm abgesondert. Gerade queere Personen und queere Gottesdienste werden immer wieder zur Zielscheibe unqualifizierter Hetze aus diesen Kreisen. Ein verstärktes Sicherheitskonzept und die achtsame Unterstützung vieler Gottesdienstteilnehmenden haben den Abend zu einem "safer space" für die Beteiligten werden lassen und zu einem ganz besonderen Ereignis.

Beim Abschlussgottesdienst predigte Professor:in Hanna Reichel vor Tausenden von Menschen auf dem Platz der Menschenrechte vorm Rathaus. Reichel ist deutscher Herkunft, lebt und arbeitet aber seit sieben Jahren am Princeton Theological Seminary in den USA. Hanna Reichel ist non-binär und systematische Theolog:in. Reichel trug während des Gottesdienstes eine Sonnenbrille, die mit den Farben einer transgeschlechtlichen Flagge gerahmt ist. Nur Insider:innen ist dies vermutlich aufgefallen. 

Die Predigt war weniger provokant und prophetisch als bei Quinton Ceasar, der vor zwei Jahren in Nürnberg auf dem Hauptmarkt unter anderem Gott als queer bezeichnet hat und dafür sowohl Applaus als auch Morddrohungen erhalten hat. Es waren eher die leisen Töne, mit denen Hanna Reichel dafür geworben hat, dass Menschen aus verschiedenen ideologischen und politischen Lagern miteinander im Gespräch bleiben, sich zuhören und miteinander streiten lernen müssen, um sich nicht gegenseitig zu entmenschlichen. Reichel macht sich stark für klare Worte und eine ehrliche Streitkultur (siehe zur Predigt auch die Einschätzung von Philipp Greifenstein im Onlinemagazin "Die Eule" vom 5. Mai 2025).

Gleichzeitig spricht Reichel skeptisch über die Liebe, die eins der Leitmotive des Kirchentags gewesen ist. Sie sagt, dass Christenmenschen viel zu oft eine Liebe beschworen haben, die andere moralisch unter Druck setzt und sie in die Enge treibt. Christliche Liebe soll verständnisvoll und langmütig sein, sie soll verzeihen und alles nachsehen. Auch die in christlichen Kreisen gerne gemachte Aussage „Nichts kann uns trennen!“ kritisiert Reichel und sagt klar und deutlich: 

„Uns trennen Gräben! – auch gesellschaftlich. Über die können wir nicht einfach Liebe drüber bügeln. So nach dem Motto: „Du musst das halt aushalten, dass ich ein egoistischer Kotzbrocken bin… Gute Miene zum bösen Spiel ist kein Frieden. Mit Kompromisslerei und Wegducken gibt´s keine Versöhnung.“

Eine solche Liebe sei übergriffig, respektlos und kann die Luft zum Atmen nehmen, fährt Reichel fort. Liebe ist für Reichel da, wo sie nicht nur beschworen wird, sondern auch so gehandelt wird. 
Entscheidend ist der Perspektivwechsel: Nicht meine Liebe ist es, die ich überall drüber packen muss. Sondern die Liebe Gottes ist es, die allen geschenkt wird und die den Menschen ermöglicht trotz aller Meinungsunterschiede, Konflikte und Streitpunkte nicht völlig auseinander zu driften, so wie das gesellschaftspolitisch gerade viel zu oft geschieht.

Mit Reichels Worten klingt das dann so:

Nichts kann dich trennen von der Liebe Gottes. Darum bin ich stark genug, dich zu ertragen, bist du stark genug, mir Grenzen zu setzen. Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes. Darum sind wir ganz beherzt: aus einem Haufen kleinkarierter Nervensägen wird die Gemeinschaft der Heiligen.“

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