Digitale Selbstbestimmung?

Digitale Selbstbestimmung?
Foto: Wolfgang Schürger
Wer hat in den letzten Wochen nicht ohne großes Nachdenken den neuen Datenschutzrichtlinien zugestimmt, die die meisten Webseiten uns präsentiert haben? Wir hinterlassen viele Spuren im Netz. Wolfgang Schürger geht der Frage nach, ob wir uns in der digitalen Welt noch selbstbestimmt bewegen können.

"Sind Sie einverstanden, dass diese Seite Cookies nutzt?" - so oder so ähnlich werden wir seit dem Inkrafttreten der neuen Datenschutzgrundverordnung fast von jeder Webseite gefragt, auch von evangelisch.de. Manchmal wird man auch aufgefordert, den neuen Datenschutzrichtlinien zuzustimmen. Wer von uns hat sie wirklich gelesen, bevor die Checkbox ihr Häkchen bekommt? Wer stimmt den "Plätzchen" (Cookies) nicht zu?

Digitale Selbstbestimmung - geht das also heute überhaupt noch? Im "Netzwerk Ethik" haben wir uns vor wenigen Tagen intensiv mit dieser Frage beschäftigt, und ich denke, sie ist auch für die queere Community durchaus relevant. Zumindest aus dem schwulen Alltag sind die verschiedensten Online-Portale kaum mehr weg zu denken - und wer ist nicht in irgendeiner Whatsapp-Gruppe, in der wichtige Teile des sozialen Lebens vereinbart werden?

Wo immer wir uns im weltweiten Netz bewegen, da hinterlassen wir normalerweise Spuren. Für Google und Co. sind diese Spuren bares Geld wert: Personalisierte Werbung führt signifikant häufiger zu einem Kauf als allgemeine Werbung. Selbst Suchergebnisse werden von Google und anderen Suchmaschinen "passend" zum Surfverhalten der Nutzer*in präsentiert. Wer viel wissenschaftliche Texte im Netz liest, bekommt bei der Suche auch wissenschaftliche Seiten als erstes gelistet, wer gerne Filme ansieht, bekommt youtube-Links zum Suchbegriff ganz oben präsentiert. Nicht zu glauben? Probiert es aus, indem ihr in einer Gruppe von Leuten ein und denselben Suchbegriff (z.B. "Astronaut") in die Suchmaschine eingebt. Felix Freiling, Professor für IT-Sicherheitsstruktur an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, hat uns dies bei der Jahrestagung des Netzwerks ausprobieren lassen - selbst in dieser Gruppe wissenschaftsaffiner Ethiker*innen war die Streuung der Ergebnisse beeindruckend!

Suchmaschinen und Webseiten kommunizieren miteinander und erstellen so Nutzer*innenprofile. Wie das geschieht, kann man sich relativ leicht sichtbar machen, erklärte uns Freiling. Für den Firefox-Browser gibt es das Add-On "Lightbeam". Lightbeam macht sichtbar, welche Seiten die eigentlich aufgerufene Seite nachlädt - und wie diese Seiten miteinander kommunizieren. Das Titelbild zu diesem Blog zeigt mein Surfverhalten der letzten 48 Stunden. Unglaublich, wie viele Netzwerk-Knoten sich da finden - Knoten, aus denen sich die Nutzer*innen-Profile erstellen lassen.

Was also tun? Felix Freiling und Peter Dabrock, Vorsitzender des Nationalen Ethikrates, waren sich einig, dass die völlige Anonymität im Netz so gut wie nicht möglich ist. Beide rieten aber dazu, sich immer wieder zu fragen, welche Spuren ich hinterlasse - und welche ich vielleicht auf keinen Fall hinterlassen will. "Wenn Sie in meiner Profession unterwegs sind, dann können Sie relativ leicht über die IP-Adressen, von denen aus Ihre Webseite besucht wurde, auf den Besucher rückschließen", erläuterte Freiling. "Wenn ich im Rahmen von Bewerbungsverfahren Gutachten über einen Kollegen erstellen muss, dann will ich das natürlich vermeiden - und benutze den Tor-Browser." Dieser sei zwar durch das Darknet in Verruf gekommen, sei aber ein ganz legaler Browser, bei dem die Anfragen erst über mehrere Server in verschiedenen Ländern zu der eigentlichen Zieladresse geleitet werden.

Auch für Nachrichtendienste und Suchmaschinen gibt es Alternativen, die auf Tracking und Werbung verzichten. Threema sammelt weniger Informationen als WhatsApp, ist aber weit weniger verbreitet. Posteo ist ein Mailserver, der auf Werbung verzichtet, dafür aber eine kleine Monatsgebühr kostet. Und DuckDuckGo eine Suchmaschine, die keine Nutzerprofile erstellt. Über deren Qualität allerdings können sich Dabrock und Freiling heftig streiten: "Ich habe sie auch eine Zeit lang genutzt," meinte Dabrock, "aber die Ergebnisse sind halt doch deutlich weniger relevant für mich als über Google." Tracking macht offenbar das Leben doch ganz bequem...

Das Netzwerk Ethik in der ELKB ist ein Zusammenschluss verschiedenster Akteure, die im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zu ethischen Fragen arbeiten. Im Dezember startet es mit einem Online-Lexikon: ethik-evangelisch.de

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