"Du siehst mich" - als LSBTTIQ* auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Berlin (24.-28.5.2017)

"Du siehst mich" - als LSBTTIQ* auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Berlin (24.-28.5.2017)
Foto: Wolfgang Schürger
Lange waren LSBTTIQ*s unsichtbar in ihren Kirchen und Gemeinden. Das hat sich geändert - und der Deutsche Evangelische Kirchentag hat einen wesentlichen Anteil daran. Denn auf ihm gilt schon viele Jahre, was die Kirchentagslosung in diesem Jahr zum Ausdruck bringt: "Du siehst mich!" - auch als LSBTTIQ*

"Du siehst mich", unter dieser Losung steht der Deutsche Evangelische Kirchentag in Berlin vom 24. bis 28. Mai dieses Jahres. "Du siehst mich" - ohne Vorbedingungen, so legt die Präsidentin die Losung in Bezug zu Gott aus. Die Worte selbst stammen aus der Geschichte von Hagar (1. Mose 16), der Sklavin Abra(ha)ms, die auf ihrer Flucht in die Wüste von Gott gerettet wird.

Gott sieht die Niedrigen, die Ausgegrenzten, die, die auf der Flucht sind - diese Botschaft durchzieht die ganze Bibel. Für einen Kirchentag im Jahr des Reformationsjubiläums ist das eine gute Losung, finde ich, gerade in der Auslegung, die Christina Aus der Au, die Präsidentin, ihr gibt: "Was muss ich tun, wie muss ich leben, damit Gott mich gnädig ansieht?", das war ja die Frage, an der Martin Luther beinahe gescheitert ist. Die Frömmigkeit und Theologie seiner Zeit legte den Menschen Vorbedingungen über Vorbedingungen auf - die sie eigentlich nicht erfüllen konnten, wenn sie ihr Leben ehrlich in den Blick nahmen. "Du siehst mich - ohne Vorbedingungen", das war Luthers reformatorische Erkenntnis, die ihm und vielen Menschen nach ihm einen neuen Raum zum Leben und zum Glauben eröffnete.

Als LSBTTIQ*s waren wir in unseren Kirchen über sehr lange Zeit nicht (gerne) gesehen, wollten wir nicht gesehen werden oder durften wir nicht sichtbar werden. Inzwischen hat sich das in vielen Gemeinden völlig verändert - wir sind sichtbar, wir werden gesehen (und gesegnet).

Der Deutsche Evangelische Kirchentag hat keinen geringen Anteil daran, dass wir als Queers heute so sichtbar sind in unseren Kirchen: Auf dem Berliner Kirchentag 1977 wurde die Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche, die HuK, gegründet, am Samstag des diesjährigen Kirchentages wird es ein großes Fest zum 40. Geburtstag geben!

Seit Langem sind wir wirklich sichtbar auf den Deutschen Evangelischen Kirchentagen: Bald nach ihrer Gründung hat die HuK regelmäßig ein eigenes Zentrum angeboten - und anders als bei den Katholikentagen ist dieses Zentrum seit vielen Jahren schon im offiziellen Programm des Kirchentages zu finden. "Regenbogenzentrum" heißt es inzwischen - in diesem Jahr wird es zum ersten Mal zusammen mit dem Genderzentrum an einem gemeinsamen Ort stattfinden. Die Vielfalt der Lebensformen ist sichtbar auf dem Kirchentag!

Mit dem Kosmos hat der Kirchentag einen Veranstaltungsort  gefunden, der zwar in einiger Entfernung von der Messe liegt, auf der die großen Veranstaltungen des Kirchentages angesiedelt sind, der aber einen phantastischen Rahmen für die beiden Zentren abgibt: ein ehemaliges Kino an der Karl-Marx-Allee, das heute als Event-Location professionell gemanaget wird. Auf die Besucher*innen warten zum Teil ziemlich stylische Veranstaltungsräume und ein weitläufiges Foyer, das zu Gesprächen, zum Verweilen oder einem Imbiss einlädt. Wer vertraulicher reden will, findet wenige Meter entfernt in der Christuskirche, einer beeindruckenden Holzkirche, Menschen, die Zeit für Beratungsgespräche haben.

Das Programm des Regenbogenzentrums erinnert daran, dass es noch lange nicht in allen Teilen der Welt und noch lange nicht in allen Kirchen selbstverständlich ist, dass LSBTTIQ*s sichtbar sind. "Religionsfreiheit oder Hassrede" fragt zum Beispiel Heiner Bielefeldt auf einem Podium am Freitag Nachmittag, über die Situation von geflüchteten LSBTTIQ*s diskutieren Ursula Gräfin Praschma vom Bundesamt für Migration, Volker Beck und andere bereits am Donnerstag Nachmittag.

Natürlich gibt es aber im Regenbogenzentrum auch eine Reihe von Veranstaltungen und Workshops, die der Frage nachgehen, wie wir uns als LSBTTIQ*s sehen und wie uns die anderen sehen - zum Beispiel die Eltern ihre queeren Kinder. Andere sehen und gesehen werden, dazu bietet dann das Café Regenbogen Raum, ebenfalls in der Christuskirche.

Wer auf der Programmseite des Kirchentages das Stichwort "Regenbogen" eingibt, erhält schnell eine Übersicht über das gesamte Programm des Zentrums. Ein Besuch lohnt sich - und ich würde mich freuen, die eine oder den anderen im Zentrum oder bei anderen Veranstaltungen auf dem Kirchentag zu sehen!

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