Demo - garantiert nicht "für alle"

Demo - garantiert nicht "für alle"
"Manif pour tous" - "Demo für alle" heißt das Bündnis, das am vergangenen Wochenende in Paris mehrere zehntausende Menschen zum Protest gegen die Homo-Ehe auf die Straße gebracht hat. Dieser Versuch, errungene Minderheiten- und Freiheitsrechte zurück zu schrauben, mahnt zur Wachsamkeit, meint Wolfgang Schürger.

Wer gemeint hat, Lesben und Schwule seien in Westeuropa endgültig in die Gesellschaft integriert, wurde am Wochenende wieder einmal eines Besseren belehrt: In Paris haben zehntausende Menschen für die Abschaffung der Homo-Ehe und für "traditionelle Familienwerte" protestiert. Die Polizei spricht von gut 20.000, die Veranstalter gar von rund 200.000 Personen.

Im Land von "Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit" steht also nicht weniger auf dem Spiel als die Gleichheit gleichgeschlechtlicher Paare. Bereits der Beschluss zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare im Jahr 2013 war politisch heftig umkämpft, bei Demonstrationen gegen das Gesetzesvorhaben gingen im März 2013 rund 1,4 Millionen Franzosen auf die Straße. Die Zahl der Protestierenden war jetzt deutlich geringer, doch ist ds Ansinnen umso gefährlicher: Erstmals nämlich geht es darum, auf demokratischem Weg errungene Minderheiten- und Freiheitsrechte wieder zurück zu nehmen - ein skandalöses Unterfangen!

Organisiert wurde die Pariser Demonstration (wie schon die Demonstrationen im Jahr 2013) von der ultrakonservativen Bewegung mit dem perfiden Namen "Manif pour tous" - "Demo für alle". Unterstützt wird die Bewegung von konservativen Kreisen der römisch-katholischen Kirche und etlichen Kandidatinnen und Kandidaten des Front National, allen voran die junge Marion Maréchal-Le Pen. Ziel der "Demo für alle" ist ganz offensichtlich, bei der Wahl zur Nationalversammlung im nächsten Jahr Abgeordnete zu stärken, die das Gesetz zur "Homo-Ehe" zurück nehmen. Der zentrale Slogan der Demo lautete "2017 werde ich für die Familie stimmen!".

Nicht nur die Homo-Ehe sind dem "Manif pour tous" ein Dorn im Auge, sondern auch Gender-Theorien im schulischen Unterricht. Dadurch, so die Demonstranten, würden die "naturgegebenen" Geschlechterunterschiede vermischt. Michael Brinkschröder, katholischer Theologe und ehemaliger Co-Präsident des „Europäischen Forums Christlicher LGBT-Gruppen“ hat bereits im Umfeld der Vatikanischen Familiensynode vor zwei Jahren darauf hingewiesen, wie problematisch dieses Engagement konservativer römisch-katholischer Kreise ist: "Nicht nachvollziehbar bleibt (...) die Behauptung, dass durch die Beseitigung der Homophobie die sexuelle Identität (...) umgestürzt werden soll." (Stimmen der Zeit 6/2015, 363-374) Brinkschröder darin inzwischen eine konsequente Strategie des konservativen Katholizismus: Der Kampf gegen verschiedene, von den Aktivistinnen und Aktivisten meist nicht unterschiedene, Gender-Theorien werde vom Vorwand, um die erkämpfte Gleichberechtigung lesbischer und schwuler Paare rückgängig zu machen. Viele Menschen seien durch die Gender-Vorstellungen irritiert, weil sie sich dadurch in ihrer eigenen sexuellen Identität in Frage gestellt sehen, und ließen sich so zum Kampf gegen die Homo-Ehe motivieren.

Brinkschröder fordert, "endlich die Konsequenzen aus der moraltheologischen Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils über den Menschen als Person und die Würde der menschlichen Person zu ziehen." Die abstrakten, normativen Ordnungen eines (von Gott gegebenen) Naturrechts seien seit dem Konzil nicht mehr theologisch haltbar. "Aus dieser Sicht muss die Kirche, um weiterhin glaubwürdig zu sein, die Subjektivität und die Konstitution des personalen Selbst von Menschen mit homosexueller Orientierung ernst nehmen statt sie weiterhin im Rahmen des Naturrechts oder einer heteronormativ verstandenen 'Schöpfungsordnung' zu deuten und damit zu verfehlen." Ganz offensichtlich tut sich aber ein guter Teil der römisch-katholischen Gläubigen immer noch schwer damit, Sexualität nicht als normativ geordnetes Mittel zur Errichtung einer traditionellen (Klein-)Familie zu verstehen, sondern als Teil personaler Identität, die in vielfältigen Formen in Verantwortung vor Gott gelebt werden kann.

LGBTTIQs, die sich aufgrund ihrer Minderheitensituation zwangsläufig mit ihrer sexuellen Identität auseinandersetzen und beschäftigen mussten, werden für solche, angstbesetzten Menschen zwangsläufig zum Feindbild: Ihr Anderssein wird zur Herausforderung, ihr eigenes, scheinbar unhinterfragbares So-Sein zu durchdenken und gegebenenfalls neu zu begründen. Die Ausgrenzung des Anderen erscheint da als der einfachere Weg, "traditionelle" Werte zu wahren...

Ein alter Schulkamerad hat mir vor ein paar Tagen geschrieben "Schön, dass du deine Freunde nicht nach der sexuellen Orientierung sortierst!" Ich habe das als großes Lob verstanden, denn vor etlichen Jahren habe ich ihn nach seiner Bitte, ihn und seine Frau zu trauen, schlicht und einfach mit der Feststellung konfrontiert, dass ich dann zum Fest aber gerne mit meinem Mann kommen würde. Vorurteile und Ängste lassen sich abbauen, wenn wir lernen, uns in unserer Verschiedenheit zu begegnen und ernst zu nehmen. Diese Begegnung sollten wir auch Menschen der "Demo für alle" nicht ersparen...

Gleichzeitig aber müssen wir als LGBTTIQs wieder lernen wachsam zu sein für politische Veränderungen. Gemäß einer Studie von Le Monde war der Front National bei den Nationalwahlen im Jahr 2015 unter verheirateten homosexuellen Paaren die beliebteste Partei. Das kann doch nicht wahr sein: Homo-Paare wählen mehrheitlich die Partei, in der sich viele Politikerinnen und Politiker für die Abschaffung der Homo-Ehe engagieren!

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