Wo eher die Musik als der Glaube hilft

Wo eher die Musik als der Glaube hilft
Wikipedia Commons / Pumbaa80 / Montage: Rainer Hörmann
Zwei US-Bundesstaaten haben jüngst diskriminierende Gesetze gegen Homosexuelle und Transgender erlassen. In Mississippi dürfen andere Menschen mit Verweis auf religiöse Überzeugung ausgegrenzt werden. Kritik aus Deutschland? Fehlanzeige.

Der Protest in den USA ist groß. Rockstar Bruce Springsteen und sein kanadischer Kollege Bryan Adams haben Konzerte in North Carolina bzw. Mississippi abgesagt, um ein Zeichen zu setzen gegen Gesetze, die Schwule, Lesben und Transgender diskriminieren.

Ursprünglich als ein Gesetz zur "Wiederherstellung der religiösen Freiheit" geplant, wurde im US-Bundesstaat North Carolina im April nun eine Vorlage mit der "sachlichen" Bezeichnung HB2 ("House Bill 2") beschlossen. Sie schreibt einerseits Trans*Menschen vor, die Toiletten/Duschen zu benutzen, die für das Geschlecht vorgesehen sind, das in ihrer Geburtsurkunde vermerkt ist. Zugleich verhindert das Gesetz ausdrücklich, den Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung wie des Geschlechts auszuweiten. Im US-Bundesstaat Mississippi behielt man ausdrücklich 'die religiöse Komponente‘ in der homophoben Gesetzgebung bei. Obwohl es bereits möglich ist, gegen Gesetze zu klagen, weil sie die "religiöse Überzeugung" verletzen, legte man nochmals nach. Ob Kuchen, Wohnung, Job oder Anwalt - "ernsthafte" (!) religiöse Überzeugungen sind nun ein Grund, anderen Menschen eine Dienstleistung zu verweigern. HB 1523 legalisiert die Ausgrenzung von Schwulen, Lesben und Transgender im Namen der Religion - und mit Religion ist vornehmlich die christliche gemeint.

Firmen wie Apple, Microsoft, Paypal laufen Sturm gegen die Diskriminierung. Selbst der Polter-Präsidentschaftskandidat Donald Trump riet, doch alles beim alten zu lassen. Das britische Außenministerium hat eine Reisewarnung veröffentlicht, die sich an Homo- und Bisexuelle wie Transgender mit Ziel North Carolina und Mississippi in den USA richtet. LGBT-Reisende könnten von der dort herrschenden Gesetzgebung negativ betroffen sein. Eine Gruppe scheint fast gänzlich unter den Protestierenden zu fehlen ‑ und zwar innerhalb der USA wie der Welt drum herum: die Christen. Da werden im Gewand der Religion Homosexuelle und Transgender ausgegrenzt - und dem wird von Seiten der Religion nur mit stiller Duldung und mit frommem Gottvertrauen begegnet?

Nun ist ja eine generelle Frage, ob und in welcher Form man auf Ereignisse im Ausland reagieren sollte. Soll ich meines Bruders Hüter sein? Hätte man ja viel zu tun. Zumal sich die amerikanische Zivilgesellschaft bestimmt selbst helfen kann. Verglichen mit den IS-Terroristen und ihren Propaganda-Videos, in denen sie Schwule vom Hausdach stürzen oder von Kindern steinigen lassen, ist die Sache in Mississippi irgendwie nicht so schlimm. Aber wie kommt es eigentlich, dass jeder Einzeiler vom Papst auseinander gedröselt und auf seinen homofreundlichen wie homofeindlichen Gehalt analysiert wird, aber bei anderen Ländern und Personen längst die große Duldung eingekehrt ist. Ist es Desinteresse? Ist es Resignation? Ist es - ernsthaft gefragt - vielleicht einfach nicht sinnvoll, Gedanken an etwas zu verschwenden, "was weit weg ist"? Europa als Empathie-Grenze?

Der zum Postkartenmotiv mutierte, dem US-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr zugeschriebene Spruch über die Gelassenheit ist nicht fern: "Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden."

In Deutschland bleibt nicht nur die EKD gelassen. Weder beim weltlichen Lesben- und Schwulenverband noch bei der ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexualität und Kirche findet sich eine Zeile der Kritik an den US-Bundesstaaten oder auch nur eine Zeile der symbolischen Solidarität. Es sollte engagierten homosexuellen Christinnen und Christen nicht egal sein, wenn - egal wo in der Welt - im Gewand der Religion Schwule und Lesben explizit diskriminiert werden dürfen. Sehr treffend war im US-Magazin "The Advocate" ein Kommentar zur homophoben Gesetzgebung mit "It Takes Faith to Challenge Religious Bigotry" überschrieben: Es braucht Glauben, um gegen religiöse Bigotterie anzugehen. Wie es aussieht, sollte man aber eher in die Marktinteressen von Großkonzernen vertrauen - und natürlich in die Musik von Bruce Springsteen.

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