Sehenswürdigkeiten

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Spiritus Blog mit Birgit Mattausch
Geistvoll in die Woche
Sehenswürdigkeiten
Wieder mit Grüßen aus Wien

Was muss ich gesehen haben in Wien?
Fragen mich die, die nur ein paar Tage hier sind.


Und natürlich sage ich: Stephansdom, Basiliskenhaus, Ring, Museumsquartier, Café Landtmann, Zentralfriedhof, Belvedere.

Aber eigentlich denke ich:
Du musst gesehen haben, dass hier überall Gemeindebauten mit günstigen Wohnungen sind und jedes Viertel deshalb wenigstens einigermaßen milieudurchmischt. Du musst auf irgendeiner Bank irgendwo im Zweiten Bezirk sitzen und all die beobachten, die hier Tag für Tag dafür sorgen, dass diese Stadt eine der lebenswertesten Städte der Welt ist: die Müllleute, die Gärtner:innen, die Hausbesorger:innen, der Mann, der in der Bustür stehen bleibt, damit ich noch einsteigen kann. 

Du musst darauf achten, wie langsam die Menschen hier gehen, wie wenig sie sich vordrängen - nicht einmal an der Rolltreppe im Zentrum am Stephansplatz. Du musst nicht nur das Ehrengrab von Friederike Mayröcker auf dem Zentralfriedhof besuchen (das natürlich auch oder das von Falco oder von Helmut Qualtinger oder Gusti Wolf oder Ludwig van Beethoven oder wer dir sonst noch heilig ist), sondern auch den Würstelstand am Haupttor mit der nettesten Würstelstandfrau der Welt. 

Du musst nicht nur am Karl-Lueger-Denkmal vorbeigehen, sondern kurz stehenbleiben und innerlich denen Danke sagen, die rot "SCHANDE SCHANDE SCHANDE" darauf gesprüht haben. Du musst auf einem Sofa in einem Second-Hand-Laden sitzen und mit der Besitzerin darüber sprechen, wie glücklich Textil machen kann.

Was muss ich gesehen haben vom Christentum?
Fragt mich ehrlich gesagt eigentlich quasi nie jemand.

Und würde mich jemand fragen, wüsste ich gar nicht, was ich so schnell antworten sollte. Dabei hat das Christentum etwa so viele Sehenswürdigkeiten wie Wien.

Aber vermutlich würde ich denken:
Du musst gesehen haben, wie jemand nach Worten sucht für etwas, für das es keine Worte gibt. Du musst mit denen gesprochen haben, die sich Zettel mit Bibelversen in den BH stecken, weil das wenigstens ein bisschen dabei hilft, die Wohnung zu verlassen. Und mit denen, die nicht müde werden, "SCHANDE SCHANDE SCHANDE" auf all die Denkmäler, Traditionen und Bewegungen des Christentums zu sprayen, die totalitär und gewaltsam waren und sind.

Du musst auf einem Stuhl am Rand gesessen und dabei zugesehen haben, wie jemand für uns alle sorgt. Wenigstens für die Länge einer Zigarette musst du es gesehen haben - auch wenn es danach wieder wie verschwunden ist.
Du musst deine Hoffnung für diese Welt mit jemandem geteilt haben - und außerdem eine Tüte Gummibärchen oder Chips oder Kirschen oder Brot. Du musst für einen Moment zumindest dir vorgestellt haben, dass es gut werden kann, weil es gut geworden ist und du es nicht schaffen musst.

Vermutlich so würde ich denken. Und wahrscheinlich würde ich noch den Namen sagen. Der, der mit J beginnt. Aber vielleicht wäre das gar nicht so wichtig, weil er sowieso in allem ist.
 

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