Wird Michelle Obama US-Präsidentin?

Wird Michelle Obama US-Präsidentin?
Diese Frage wurde an diesem Wochenende ernsthaft diskutiert. Sie ist Ausdruck der Krise der amerikanischen Politik und gerade nicht die Lösung. Ansonsten beschäftigt sich der Spiegel in seiner lesenswerten Titelgeschichte mit dem Untergang der Deutschen Bank. Außerdem gratulieren wir Carolin Emcke zum Friedenspreis des deutschen Buchhandels.

Journalismus lohnt sich. Die Titelgeschichte des Spiegel über die Deutsche Bank als „Geschichte eines Untergangs“ ist dafür ein gutes Beispiel. Sie erzählt den Niedergang der Deutschen Bank in den vergangenen dreißig Jahren. Wie diese Institution des rheinischen Kapitalismus ihre Identität verlor, um mittlerweile als die Hinterlassenschaft des im Jahr 2008 kollabierten Finanzkapitalismus zu wirken. Dafür stehen die unzähligen Prozeßrisiken in der Bilanz der Deutschen Bank. Es ist eine Firmenkultur, die der Spiegel-Artikel mit seinen ersten Worten so beschreibt: Gefallsucht, Gier, Provinzialität, Komplexbeladenheit, Selbstüberschätzung, Unreife, Verlogenheit, Inkompetenz, Schwäche, Hochmut, Versagertum, Dekadenz, Arroganz, Biedersinn, Naivität. Alles Begriffe, die bei den „monatelangen Recherchen über den Ablauf und die Ursachen des Niedergangs der größten deutschen Bank gefallen“ sind. Wer sich so selbst beschreibt, ist längst dem Untergang geweiht. Als Ursache erkennt der Spiegel eine Art „Heimatverlust“ des Deutschen im Namen der Deutschen Bank. Es habe sich dort „eine Entfremdung“ breit gemacht. Im „Inneren habe sich ein Nasskern gebildet“, so zitieren sie einen Mitarbeiter kurz nach der Jahrtausendwende. Das Haus „verfaule von innen, weil die Mitarbeiter den Glauben verloren hätten.“ Entsprechend das Ergebnis, wie es der Spiegel so zusammenfasst: „So gewinnen die Amerikaner, die Briten den Kulturkampf in der Deutschen Bank, sie vernichten die alte Identität des Unternehmens.“

Was hier fehlt, ist der Kulturkampf in den meisten Medien gegen den rheinischen Kapitalismus, den man damals gerne als „Deutschland AG“ titulierte. Beim Spiegel vertrat diese Linie vor allem der heutige Herausgeber des Handelsblatts, Gabor Steingart. Damals konnte vielen unter dem Stichwort „Reformstau“ der Umbau des rheinischen Kapitalismus nicht schnell genug gehen. Josef Ackermann wurde als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank zum positiven Symbol für das Schleifen einer alten Festung. Kritiker dieser Politik galten als hoffnungslose Fälle, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt hätten. Insofern leisteten die Medien jene publizistische Schützenhife, der heute auf dem Spiegel-Titel zur „Geschichte eines Untergangs“ geworden ist. Die Medien sind deshalb nicht für die Fehler der Deutschen Bank verantwortlich, die in dieser lesenswerten Titelgeschichte erläutert werden. Aber die Medien schufen mit ihrem damaligen Herdentrieb eine gesellschaftliche Atmosphäre der Kritiklosigkeit, wo solche Sumpfblüten wie in der Deutschen Bank erst uferlos wachsen konnten.

+++ Wo die Kritikfähigkeit endet, ist im amerikanischen Wahlkampf zu erleben. Sie endet bei Donald Trump. So beschäftigen sich die FAS und ebenfalls der Spiegel mit Michelle Obama. Wie gut stehen ihre Chancen US-Präsidentin zu werden, so etwa die Frage von Markus Günther in der FAS. „Bestens“, so seine Antwort.

„Denn es kommt vieles günstig zusammen. Ihre Popularitätswerte sind durch die grandiosen Reden der letzten Monate steil nach oben geschnellt, in einem zutiefst gespaltenen Land ist sie eine der wenigen Integrationsfiguren, die über Parteigrenzen hinweg akzeptiert werden. Und: Die Demokraten werden schon bald nach einer neuen Führungsfigur suchen, wenn Hillary Clinton aller Voraussicht nach im Januar als 69-Jährige ins Weiße Haus einzieht. Michelle Obama ist mit 52 Jahren so jung, dass sie sowohl in vier als auch in acht Jahren antreten könnte. Die Suche nach einer neuen Führungsfigur dürfte im Lager der Demokraten bald beginnen. Auf die Unterstützung von Hillary Clinton, die ihr nach diesem Wahlkampf viel zu verdanken hat, kann sie dabei ebenso zurückgreifen wie auf die ihres Mannes, dessen Beliebtheit zwar arg gelitten hat, der aber im Laufe der nächsten Jahre wieder besser angesehen sein dürfte – auch das lehrt die historische Erfahrung: Ex-Präsidenten sind in Amerika fast immer populär.“

Bisher hat niemand erfahren, welche politischen Positionen Frau Obama vertritt, außer die Ehefrau des bisherigen Präsidenten zu sein. Das Fehlen jeglicher politischer Erfahrung ist bekanntlich eines der zentralen Argumente gegen Donald Trump. Bei der First Lady spielt das plötzlich keine Rolle mehr. Sie kann Reden halten und ist in den Medien gut zu verkaufen. Ihre einzige Qualifikation, um Präsidentin zu werden, entspricht dem, was auch erst Donald Trumps Kandidatur möglich gemacht hat. Politik wird als Entertainment verstanden, nicht als das Ringen um politische Positionen. Nur bespielt Michelle Obama mit ihrem Gemüsegarten im Weißen Haus natürlich ein anderes Feld als der Entertainer Trump mit seinen fortlaufenden Provokationen. Dass man damit zugleich dem Trend in den Vereinigten Staaten zur politischen Dynastiebildung Vorschub leistet, ist noch ein weiterer Aspekt.

Der Überdruß am Establishment wurde in den USA nicht zuletzt von der Perspektive im Vorwahlkampf genährt, dass am Ende eine Clinton und ein Bush um das Präsidentenamt konkurrieren könnten. Soll jetzt wirklich mit den Obamas die nächste Dynastie entstehen, die den Kampf um das Weiße Haus unter sich ausmachen? So verstärken die Medien mit ihrer Neigung zur Personalisierung den Trend zur Entpolitisierung der Politik. Kritisch wird das aber offensichtlich nur gesehen, wenn es um Donald Trump geht. Dieser ist aber nicht die Ursache für die Krise der amerikanischen Politik, sondern das Symptom. Die Debatte über eine Präsidentschaft von Michelle Obama sollte dazu gerechnet werden. Hier wird zudem deutlich, welche Rolle die Medien dabei spielen. Einen guten Überblick über die täglichen Absurditäten dieses Wahlkampfes gibt es übrigens im American Breakfast von Ansgar Graw und Clemens Wergin.

+++ Welchen Bedingungen das heutige Mediensystem ausgesetzt ist, erlebten wir am vergangenen Freitag. In den USA ist das halbe Internet ausgefallen. Im Standard wird das mit der launigen Überschrift „Internet-Blackout. "System, das Atomschläge überlebt, ist nun anfällig für Toaster" so beschrieben.

„Die Frage nach den Hintermännern wird wohl in den kommenden Tagen und Wochen für einige Debatten sorgen. Beachtet werden sollte allerdings auch die Durchführung der DDoS-Schläge in technischer Hinsicht. Soweit bekannt waren es längst nicht nur einfache Computer und Server, die zu Datenschleudern umfunktioniert worden sind. Sondern zahlreiche vernetzte Geräte, die aufgrund von Sicherheitsproblemen kompromittiert und ferngesteuert wurden. … . Bei DynDNS hat man mittlerweile herausgefunden, dass eines der Netzwerke, von dem die Angriffe ausgingen, aus internetfähigen Überwachungskameras bestand, eine Gefahr vor der Experten schon länger gewarnt haben. Alle Modelle, die sich an der Datenflut beteiligten, liefen mit Chips von einem Hersteller namens XiongMai Technologies. Laut Flashpoint waren die Geräte erfolgreich mit einer Malware namens "Mirai" infiziert und übernommen worden.“

Einen Vorteil könnten solche Angriffe immerhin haben. Sie verhindern den Einsatz von Social Bots. Diese werden mittlerweile massenhaft im amerikanischen Wahlkampf eingesetzt, um über solche Automaten den Meinungsbildungsprozeß von Wählern zu beeinflussen. Im Spiegel wird über diese „digitalen Dreckschleudern“ und deren möglichen Einsatz im kommenden Bundestagswahlkampf berichtet. Die AfD soll deren Einsatz für sinnvoll halten. Allerdings ist deren Wirkung nicht zu prognostizieren. Was sie aber bestimmt erreichen, ist die Zerstörung der Glaubwürdigkeit von Trends in sozialen Netzwerken. Dafür gibt es allerdings eine Voraussetzung: Deren Enttarnung als Manipulationsinstrument.

+++ Digitale Öffentlichkeiten funktionieren auch nicht anders als der gute alte Boulevard-Journalismus. Dieser hatte allerdings schon in analogen Zeiten eine höhere Auflage als die Qualitätspresse. Welchen Bedingungen die Boulevard-Presse heute unterliegt, erläutert Marion Horn in einem Gespräch mit Ulrike Simon. Die Chefredakteurin der Bild am Sonntag nennt ein interessantes Stichwort namens Authentizität.

„Ich frage mich, ob Boulevard der richtige Begriff ist für das, was wir machen. Wenn von Boulevardisierung die Rede ist, meint das doch nichts anderes als die Tatsache, dass sich heute eigentlich alle Medien bemühen, Sachverhalte klar und verständlich und auch mit optischen Mitteln aufzubereiten. Das ist populär. Aber ist das Boulevard? „BamS“ will authentisch sein, das ist alles. Unser Ziel ist Relevanz, Unterhaltung, Lebensnähe. Uns ist egal, was man angeblich tun muss, um diese oder jene Zielgruppe zu erreichen. Wir wollen interessante Geschichten erzählen.“

Authentizität bedeutet nichts anderes als Glaubwürdigkeit. Welchen Fallstricken die Medien dabei ausgeliefert sind, wurde an diesem Wochenende in Schmölln deutlich. In der Thüringer Kleinstadt war ein junger Flüchtling in den Tod gesprungen. Dabei soll es nach ersten Meldungen zu zynischen Bemerkungen („Spring doch“) von Anwohnern gekommen sein. Der Bürgermeister machte in einer Pressekonferenz entsprechende Angaben. Darauf bezog sich auch die Berichterstattung in den Medien. Mittlerweile gibt es vom Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow neue Erkenntnisse, die diese ersten Meldungen wohl nicht bestätigen. Hier wird der Mechanismus deutlich, dem wir alle unterliegen. Das Problem ist ja gerade nicht die ursprüngliche Falschmeldung. Das passiert öfter. Es geht um die Interpretation in unseren Köpfen. Sie bestätigen vor allem unserere Vorurteile, weil wir solche Ereignisse sofort kontextualisieren. Dabei ist es gleichgültig, wie man das macht. Die einen sehen darin einen Beleg für die Fremdenfeindlichkeit der Ostdeutschen. Andere erkennen dort die Vorurteile über die Ostdeutschen. Ein solches Ereignis als Tragödie einfach für sich stehen zu lassen, wird offensichtlich immer schwieriger.


Altpapierkorb

+++ Am Sonntag bekam Carolin Emcke den Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen. Wir gratulieren! Patrick Bahners bietet eine historische Einordnung. Thomas Schmid eine kritische Würdigung ihrer Dankesrede. Interessant ist an dieser Rede vor allem folgende Passage: „Als ich mich das erste Mal in eine Frau verliebte, ahnte ich - ehrlich gesagt - nicht, dass damit eine Zugehörigkeit verbunden wäre. Ich glaubte noch, wie und wen ich liebe, sei eine individuelle Frage, eine, die vor allem mein Leben auszeichnete und für andere, Fremde oder gar den Staat, nicht von Belang. Jemanden zu lieben und zu begehren, das schien mir vornehmlich eine Handlung oder Praxis zu sein, keine Identität. Es ist eine ausgesprochen merkwürdige Erfahrung, dass etwas so Persönliches für andere so wichtig sein soll, dass sie für sich beanspruchen, in unsere Leben einzugreifen und uns Rechte oder Würde absprechen wollen. Als sei die Art, wie wir lieben, für andere bedeutungsvoller als für uns selbst, als gehörten unsere Liebe und unsere Körper nicht uns, sondern denen, die sie ablehnen oder pathologisieren. Das birgt eine gewisse Ironie: Als definierte unsere Sexualität weniger unsere Zugehörigkeit als ihre.“ Es lohnte sich die Debatte darüber, warum aus „einer Handlung oder Praxis“ überhaupt erst eine Identität werden konnte. Das bedeutet nämlich nichts anderes als sich über diese Handlung oder Praxis zu definieren. Es stellt sich die Frage, warum das überhaupt nötig geworden ist. Und was das über unsere Gesellschaft aussagt.

+++ Zu dem Interview mit Marion Horn passt dieser Artikel von Dirk Benninghoff. Die „Leute“ wollten, „im Gegensatz zur gängigen Berufsauffassung von Journalisten, die Welt weder erklärt noch eingeordnet haben wollen. Genau dieses „Gatekeeper“-Dünkel sorgt bei vielen Lesern für Ausschlag. Die Menschen trauen sich zu (maßen sich an?) ihre eigene Meinung bilden zu können, ihr eigenes Weltbild zu verfassen. Bislang hat sich die Branche um ihre Außendarstellung beim Kunden nicht groß geschert. Der Vorwurf der „Lügenpresse“ wurde als rechte Spinnerei abgetan. Das Ergebnis zeigt, dass die Medien umdenken müssen. Die Branche braucht dringend eine breit angelegte Kampagne in eigener Sache.“ Sicher haben die Leute ihre eigene Meinung. Der Journalismus soll ja gerade zu dieser Meinungsbildung beitragen. Nur meint Benninghoff wohl etwas anderes. Nämlich den „Leuten“ nicht in erster Linie mitzuteilen, welche Meinung sie nicht haben sollten. Der Journalismus dokumentiert nämlich lediglich sein Mißtrauen gegenüber dem Urteilsvermögen seiner Rezipienten, wenn er sich vor allem noch mit der Veröffentlichung moralisierender Traktakte beschäftigt. Das wird vor allem dann passieren, wenn hauptsächlich Identitätsfragen in den Mittelpunkt gestellt werden. Diese lösen fast immer einen Kulturkampf aus, dessen Folgen anschließend von allen beklagt werden.

+++ Jetzt im Text mit Links zum Artikel in der FAS über Michelle Obama. Außerdem die Rheinische Post über den Einsatz der Social Bots.

+++ Zur „fragilen Redefreiheit“ im digitalisierten Mediensystem Ludger Fittkau im DLF. Er zitiert unter anderem den Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen: "Wir erleben eine Verpöbelung des öffentlichen Diskurses. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt: Wir erleben eine maximale – Trump ist hier gleichsam die Chiffre für diesen Prozess - eine maximale Polarisierung des öffentlichen Diskurses. Und der dritte Punkt: Wir haben mit den wunderbaren digitalen Überall-Medien Instrumente in der Hand und gleichsam immer in der Tasche, die sich nicht nur dazu eignen, andere, fremde Welten und Kulturen kennenzulernen, sondern systematisch Konfliktintensivierung zu betreiben."

+++ Die „geplante Übernahme von Time Warner durch AT&T stößt in den USA auf Vorbehalte in der Politik“, so lesen wir in der futurezone. Aber dafür werden die Pläne für ein Trump-TV konkreter. So das Handelsblatt via turi. In Deutschland gibt es noch keine derartigen Pläne. Aber die Verlage suchen für ihre Magazine angeblich ein Patentrezept. Es geht um die Zielgruppe der Frauen über 50 Jahre. Dabei dachten wir bisher, das wäre die treueste Kundschaft im Zeitschriftenmarkt. So kann man sich irren.

+++ Der WDR hat heute zwei interessante Meldungen. Zum einen über einen Prozeß gegen einen Facebooknutzer, der wegen strafbarer Meinungsäußerungen vor Gericht steht. Zum anderen über die „Horror-Clowns“, deren vorherige Medienkarriere mittlerweile im wirklichen Leben stattfindet.

+++ Sollen Lokalzeitungen in Zukunft nicht mehr täglich erscheinen? Dazu ein Interview mit dem Medienökonomen Andreas Möring in Töne, Texte, Bilder auf WDR 5. Es gibt aber immer noch kein Konzept, wie man den Lesern zum gleichen Preis eine Zeitung mit reduzierter Erscheinungsweise verkaufen will. Wer mit der Erscheinungsweise kein Problem hat, sind Lobbyisten. Sie veröffentlichen zunehmend unter falscher Flagge.

+++ Was jetzt auch nicht mehr fehlt? Die New York Times druckt das Internet aus.

+++ Was sicherlich in den kommenden Tagen nicht fehlen wird? Die Zukunft der Berliner Zeitung. Oder doch? Es soll zeitnah entschieden werden, berichtet die taz.

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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