Von Los Angeles nach Brüssel

Von Los Angeles nach Brüssel
Und die etablierten Medien sind immer dabei. So auch an diesem Montagmorgen. In Los Angeles gab es laute Geräusche und in Brüssel einen Bombenanschlag. Oder war es ein Brandanschlag? Wir wissen es noch nicht. Die etablierten Medien sind nicht dafür zu schelten, wenn sie das auch so formulieren. Daran haben sie sich heute vorbildlich gehalten. Aber der Logik der Aufmerksamkeitsökonomie unterliegen sie trotzdem.

An diesem Wochenende war nichts los. Da mussten wir auf den Montag warten bis endlich etwas passiert. So ist in Los Angeles heute Morgen der Flughafen geräumt worden. Allerdings ging dem hashtag auf Twitter ziemlich schnell die Puste aus. Das Gerücht von Schüssen im Flughafen bestätigte sich nicht. Die Panik scheint durch laute Geräusche ausgelöst worden zu sein, die keine Schüsse gewesen sind. Aber von Los Angeles ging es umstandslos nach Brüssel. Dort gab es ebenfalls laute Geräusche. Sie stammten von einer nächtlichen Bombe. Peter Neumann, Experte für islamistischen Terrorismus in London, teilte, wahrscheinlich zum morgendlichen Kaffee, auf Twitter mit, diese Aktion „mache keinen Sinn“. Er meinte damit die Perspektive islamistischer Terroristen. Warum jemand mitten in der Nacht eine Bombe vor einem kriminologischen Institut der Brüsseler Polizei zündet, ist aber trotzdem eine interessante Frage. Medien, und damit sind nicht nur die klassischen Medienportale gemeint, können sie so schnell nicht beantworten. Niemand kennt halt zu diesem Zeitpunkt (kurz nach 08.00 Uhr, ebenfalls beim Kaffee) schon den Hintergrund. Wahrscheinlich noch nicht einmal die Polizei. Wenn aber in Brüssel nicht noch etwas anderes passiert, wird diese Bombe in den Tageszeitungen am Dienstag nur als Kurzmeldung erscheinen. Die meisten Mediennutzer werden sie bis Morgen auch schon längst vergessen haben.

+++ Los Angeles und Brüssel passen sehr gut zu diesem Artikel von Christian Meier in der Welt am Sonntag. Er schildert die Dramaturgie, denen alle Nachrichtenportale ausgesetzt sind.

„Die "Karriere" eines einzelnen nachrichtlichen Artikels ist in nahezu allen Medien gleich. Die Aufmerksamkeit knallt gewissermaßen von null auf hundert, hält sich etwa einen Tag weit oben und sinkt dann sehr deutlich. Schon am zweiten, spätestens am dritten Tag war es das, auch die durchschnittliche Verweildauer sinkt über diesen Zeitraum. Schon wenige Stunden nach einer "Breaking News" werden in den Redaktionen weitere Beiträge produziert, die in die Analyse, den Hintergrund, die Kommentierung gehen. Andere Themen werden in dieser heißen Phase weitgehend verdrängt.“

An einigen interessanten Beispielen macht Meier zudem deutlich, wie unterschiedlich sich das Interesse der Leser entwickelt. Und wie ein Nachrichtenportal wie die Welt darauf reagiert. Mit dem sinkenden Leserinteresse nimmt auch die Bereitschaft ab, sich damit journalistisch zu beschäftigen. Aber Themen mit gleichbleidend hohem Interesse erfüllen durchaus eine Funktion, so Meier. Sie ermöglichten in fragmentierten Öffentlichkeiten eine gesamtgesellschaftliche Debatte. Das verbindet Meier mit selbstkritischen Bemerkungen an die eigene Branche:

„Nicht eine vermeintliche Abstumpfung der Menschen sollte der Nachrichtenbranche darum zu denken geben. Sondern die Überhitzung ihrer eigenen Aufmerksamkeitsökonomie. Die mediale Eskalationsspirale dreht sich nämlich tatsächlich. Die immer stärker werdende Konkurrenz unter den Onlinemedien hat dazu geführt, dass auch minderrelevante Ereignisse als Eklats, Skandale und Shitstorms inszeniert werden. Medien sind somit Getriebene und Treiber zugleich.“

Allerdings ist diese Orientierung am Leserinteresse nichts Neues. So funktionierten Medien schon immer. Aber der Journalismus beginnt erst dort, wo das Leserinteresse noch nicht zu finden ist. Gerade weil der nächtliche Bombenanschlag in Brüssel so sinnlos erscheint, ist er in journalistischer Perspektive ein spannendes Ereignis. Nämlich herauszufinden, welchen Sinn er hat. Die Frage an die Medien ist somit nicht, ob sie darüber nach den Grundsätzen der Aufmerksamkeitsökonomie berichten. Das müssen sie, selbst wenn sie noch nichts wissen. Vielmehr ob in den Redaktionen noch jemand die Zeit hat, darüber zu recherchieren. Selbst auf die Gefahr hin, am Ende nichts zu finden, was den Leser interessiert. Damit wäre zudem die grassierende Sinnsuche im Netz zu konterkarieren. Neumann versuchte ja beim Kaffee lediglich der Vermutung, es könnte sich nur um Islamisten handeln, unter der Bedingung des Nicht-Wissens etwas Rationalität entgegenzusetzen.

+++ Mit solchen Sinnsuchern beschäftigte sich auch die taz am vergangenen Wochenende. Es ging um „bloggende Aktivisten“. Die heißen Martin Lejeune und Graham Phillips.

„Der Begriff >>Journalist<< ist nicht geschützt. Jeder, der schreibt, sendet, bloggt, twittert, kann sich Journalist nennen. Das führt dazu, dass sich Leute als Journalisten verkaufen, die von Sorgfaltspflicht und journalistischem Handwerk, vom Zwei-Quellen-Prinzip und ausgewogener Berichterstattung nicht viel halten. Gerade in Kriegs- und Krisengebieten, wo Schwarz und Weiß oft nur schwer auseinanderzuhalten sind, werden sie zu Einzelkämpfern. Sie haben keine große Zeitung oder einen Sender hinter sich, der ihren Fans, die das Vertrauen in etablierte Medien verloren haben, dubios erscheinen könnte. Ihr Erfolgsrezept heißt Personalisierung. Auffällig ist: Sie alle beanspruchen für sich >>die Wahrheit<<.“

Deswegen nennt sich Lejeue auch einen „objektiven Journalisten“, der sich, so zitiert ihn die taz, gegen die „ekelhafte Desinformationskampagne“ deutscher Medien in der Türkei-Beichterstattung wehrt. Allerdings hat er keine nachvollziehbare Antwort darauf, wer ihm eigentlich seinen Lebensunterhalt finanziert. Jenseits dessen ist Lejeune aber kein Journalist, sondern ein politischer Aktivist. Weniger höflich formuliert: Er macht Propaganda. Zuerst für die Hamas und heute für die Erdogan-Regierung in der Türkei.

Die Funktion des hauptberuflichen Propagandisten gab es aber schon immer. Sie ist kein Kind der Digitalisierung. Diese fanden auch schon immer ihr Publikum. So hatte die National-Zeitung des verstorbenen Gerhard Frey Mitte der 1970er Jahre eine Auflage von über 100.000 Exemplaren. Sogar die Kommunistische Volkszeitung des KBW hatte in dieser Zeit eine verkaufte Auflage von 33.000 Stück. Die Leser dieser Druckerzeugnisse hatten bestimmt auch ihr „Vertrauen“ in die damals „etablierten Medien“ verloren. Diese haben es aber überlebt. Die „etablierten Medien“ müssen nämlich wirklich nicht das Vertrauen jedes Mediennutzers gewinnen. Manchen ist schlicht nicht zu helfen.

+++ Das eigentliche Problem des Journalismus ist aber ein anderes. Darüber erfährt man etwas in diesem Interview im Deutschlandfunk. Brigitte Baetz interviewt in „Markt und Medien“ den Kriegsreporter Kurt Pelda. In Syrien gibt es praktisch keine journalistische Berichterstattung mehr, so dessen These.

„Pelda sagte, die Medien und die Gesellschaft hätten sich an die Meldungen aus Syrien gewöhnt. "Dementsprechend ist auch die Berichterstatttung." Die Berichte stammten in der Regel nicht von Journalisten, die vor Ort waren oder seien. Wenn man als Reporter sicher nach Syrien reisen wolle, benötige man unter anderem Geld und ein gutes Kontaktnetz. Für ihn koste ein Tag in Syrien mit Leibwächtern, Autos und Übersetzern fast 1.000 Euro. "Das kann man als freier Journalist kaum stemmen." Wenn Medienhäuser Hungerhonorare zahlten, lohne sich die Berichterstattung aber gar nicht mehr. Die Krux: Es gebe fast nur noch freie Journalisten, die die Reise nach Syrien wagten.“

Diese Lücke nutzen besagte Propagandisten für die Interessen ihrer Auftraggeber.

+++ Die Schwierigkeiten bei der Berichterstattung aus Syrien wären sicherlich ein gutes Thema für einen Blog der ARD. Am fehlenden Geld sollte die in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht scheitern. Dafür hat aber das ARD-Hauptstadtstudio jetzt unter dem Schlagwort #BockaufBlog sein neues Angebot am Sonntag online gestellt. Es ist bisher zumeist eine Weiterverwertung der für das Fernsehen und den Hörfunk produzierten Beiträge. Eine Ausnahme ist dieses Interview mit Tina Hassel, der Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, zum Sommer-Interview mit der Bundeskanzlerin gestern Abend. Ansonsten formuliert die taz folgende Kritik:

„Klingt überraschend jung und frisch für die ARD, die ja sonst eher für ihren Stock im Arsch bekannt ist. Einziges Problem: Es mag nicht so recht funktionieren. Denn „crossmedial“ heißt eben nicht bloß „Fernsehen – jetzt auch online“. Die gemeine Social-Media-Nutzerin stellt ganz andere Ansprüche an Bildsprache und Schnelligkeit als der durchschnittliche 20-Uhr-Fernsehzuschauer. Der Blog kommt zwar erst mal fresh und bunt daher – klickt man aber auf die Videobeiträge, dann folgt dieselbe Stocksteifheit, die man von der „Tagesschau“ kennt.“

Die Formulierung „Stock im Arsch“ hört sich zwar jugendlich an. Aber soll die ARD in Zukunft ohne diesen Stock berichten? Daran hat man Zweifel. So liest man jetzt Neues (immer noch beim Kaffee um 10:45 Uhr) zum Bombenanschlag in Brüssel, der für ein wenig Aufregung nach einem ereignisarmen Wochenende sorgte. Nach aktuellem Sachstand (oder Gerüchtestand) galt der Anschlag einem DNA-Labor im kriminologischen Institut. Insofern war es eine gute Idee etablierter Medien mit besagtem Stock und der gebotenen Zurückhaltung zu berichten. Dafür kann man sogar die Erwartungen mancher Mediennutzer aufs Spiel setzen. Irrtümlich hält man das ja für Vertrauen. Weitergehende Recherche schließt das bekanntlich nicht aus. So wissen wir übrigens auch nicht, ob Peter Neumann morgens überhaupt einen Kaffee trinkt, wenn er twittert.


Altpapierkorb

+++ Der Burkini an Frankreichs Küsten ist in aller Munde. Gerade wenn eine Frau ihn ausziehen muss. Was sagen aber die wenigen Fotos, die um die Welt gingen, eigentlich aus? Meedia hat bei diversen Redaktionen nachgefragt, auf welcher Grundlage sie darüber berichteten. Hier wird noch einmal deutlich, was es bedeutet über etwas berichten zu müssen, dessen Hintergrund in der kurzen Zeit niemand klären konnte.

+++ Die Burkini-Debatte hat etwas mit Hysterie zu tun. Aber ein Artikel in der FAZ vom Samstag über die Debatte in arabischen Staaten war durchaus informativ, selbst wenn man nicht hysterisch sein sollte: “In den vergangenen Monaten hat die Diskussion wieder Fahrt aufgenommen: Im März startete eine antiislamistische Gruppe eine Kampagne für das Verbot der Vollverschleierung an allen staatlichen Institutionen sowie in Schulen, Universitäten und Krankenhäusern. Die Befürworter des Verbots führen dabei vor allem das Sicherheitsargument ins Feld: Die Muslimbrüder, so sagte der Kampagnengründer Mohamed Attiya dem Online-Magazin Al-Monitor, könnten den Niqab dazu benutzen, Chaos im Land zu stiften und Terroranschläge zu verüben. Auch Politiker schlossen sich der Kampagne an, mehrere Parlamentsabgeordnete forderten im Frühjahr ein Niqab-Verbot in der Öffentlichkeit. Die Abgeordnete Asma Nosseir argumentierte dabei damit, dass der Niqab vorislamische Wurzeln habe: Er sei jüdischen Ursprungs.“ Auf die Idee muss man erst einmal kommen. Ein Niqab-Verbot wegen des angeblichen „jüdischen Ursprungs“ zu fordern. In der deutschen Debatte hat dieses Argument allerdings noch niemand formuliert. So hysterisch sind wir dann doch noch nicht.

+++ Der Geschäftsführer der Bavaria verdient mehr als der Intendant des bayerischen Rundfunks. Das berichtet der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe. Immerhin wird er aber wohl keine Ausgaben von 1.000 Euro am Tag haben, wie Kurt Pelda in Syrien. Wahrscheinlich sind die sogenannten Marktpreise für herausragende Führungskräfte die Begründung.

+++ Welche Markpreise mit Sport-Berichterstattung zu erzielen sind, die sich in Deutschland weitgehend auf Fußball beschränkt, ist ebenfalls etwas im Spiegel zu lesen.

+++ WhatsApp wird ja gerne genutzt. Was man zu den neuen Geschäftsbedingungen namens Datenaustausch mit Facebook wissen muss, liest man bei Heise und Bento. Widersprechen werden wohl nur wenige.

+++ Über die Sicherheitslücke bei Apple informiert uns dagegen die Süddeutsche Zeitung: „Zweifellos: Die Sicherheitsbehörden müssen Kompetenzen aufbauen, um in der digitalen Welt ihre Aufgabe erfüllen zu können. Demokratische Rechtsstaaten dürfen aber nicht als Getriebene agieren; sondern sie müssen ruhig und standhaft abwägen, wie weit man sich um einer oft nur vermeintlichen Sicherheit willen in Graubereiche begibt. Letztlich geht es darum: Wie viel Freiheit will man opfern, um Freiheit zu verteidigen?

+++ Hans Hoff beschäftigt sich auf DWDL mit einem Langeweiler namens Harald Lesch, der sich vielleicht auch mit Stöcken beschäftigt, wenn es der für den Zuschauer von Interesse sein sollte. “Das Schöne ist, dass einer wie Lesch oft für einen Langweiler gehalten wurde. Seine Art war noch nie hip, und die Schaumkrone jeglicher Erregung fiel in sich zusammen, wenn er auf den Bildschirm kam. Genau das aber macht ihn in diesen Zeiten, da alle so gerne und schnell aufschäumen und sinnfrei eskalieren, so wertvoll. Lesch steht für einen Typ Fernsehmensch, der das öffentlich-rechtliche Medium mit einer Grundsubstanz versorgt: mit Glaubhaftigkeit. Er weiß um die Kraft seines Wissens und setzt genau die ein. Natürlich wird auch er eitel sein. Möglicherweise ist er hinter den Kulissen unerträglich. Macht nichts, so lange er auf dem Schirm wirkt wie einer, der dort nicht hingehört. Genau das ist die Chance und damit die Zukunft des Fernsehens. Es muss Menschen versammeln, die für etwas stehen, die Haltung zeigen.“

+++ Langweilig, aber dafür unvermeidlich, ist allerdings der montägliche Hinweis auf die Lage der Medien in der Türkei.

+++ Wie generiert man Aufmerksamkeit? Das wissen neuerdings auch die Rechten. „Aktionen wie der ,Identitären Bewegung’ auf dem Brandenburger Tor folgen einer Raum- und Wortergreifungsstrategie innerhalb der Medienmechanismen unserer Zeit. Was man sonst nicht mitbestimmen kann und darf, etwa die tägliche Berichterstattung über existentielle Themen, kann man auf diese Weise anstoßen und schlagartig prägen“, sagte Kubitschek der F.A.Z. am Sonntag. Die Aktionen sollen also vor allem eines erreichen: Aufmerksamkeit erzeugen. Die Frage, ob er selbst beteiligt war, wollte Kubitschek nicht beantworten.“

+++ „Wie könnte eine Demokratie im 21. Jahrhundert aussehen, die sich von den Zwängen eines Kapitalismus befreit, der im 17. und 18. Jahrhundert entstand, der im 19. und 20. zu voller Macht wuchs und der im 21. Jahrhundert womöglich die vollkommen falschen Antworten parat hält, Antworten von gestern für die Probleme von morgen? Das ist es, womit ich mich im kommenden Jahr beschäftigen werde, jedoch nicht in dieser Kolumne, die für diese Zeit pausiert.“ Das schreibt Georg Diez auf Spiegel online. „Ich weiß, dass die Aufgabe etwas größenwahnsinnig ist, und ich bin nicht sicher, ob ich und die, mit denen ich zusammen suche, eine Antwort finden werden. Vielleicht ist schon das Wort Antwort falsch gewählt. Was mir klar erscheint, ist, dass es so nicht weitergeht. … . Ich werde also für ein Jahr den Journalismus unterbrechen und mich in einem anderen Umfeld, mit anderen Menschen mit diesen Fragen beschäftigen: als Nieman Fellow an der Universität Harvard, wo ich seit einer guten Woche bin, eine Mischung aus Akademie und Praxis, die mich schon jetzt begeistert.“ Wir wünschen Georg Diez viel Glück bei der Suche. Es ging übrigens bisher immer weiter.

+++ Der Europa-Korrespondent des Guardian, Ian Trynor, ist tot. Einen Nachruf findet man in seiner Zeitung.

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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