Propaganda der Tat oder bloßes Geschwätz?

Propaganda der Tat oder bloßes Geschwätz?
Diese Frage stellt man sich neuerdings bei den Mitteilungen des IS. Wobei sein bloßes Geschwätz ein effektives Mittel zu seiner Bekämpfung wäre. Es zerstörte seine Glaubwürdigkeit. Er wird uns diesen Gefallen wohl leider nicht tun. Womit der IS vorsichtiger agierte als manche Medien, die über ihn berichten. Ansonsten stellen wir uns die Frage, warum Markus Lanz gestern Abend ausgefallen ist. Lag es etwa an der Geschwätzigkeit seiner Gäste?

An Tagen wie gestern wartet man eigentlich nur noch auf den nächsten Terroranschlag. Er ließ nicht lange auf sich warten. Im französischen Rouen stürmten zwei junge Männer eine Kirche und töteten einen 85jährigen Priester mit einer Stichwaffe. Man kann es auch andes ausdrücken: Sie schnitten ihm die Kehle durch. In den Medien erleben die Zuschauer das längst gewohnte Bild. Ein von der Polizei abgesperrter Tatort, der französische Präsident ist vor Ort und hält anschließend eine Fernsehansprache zum Geschehen. François Hollande ist nicht zu beneiden. Er muss in solchen Reden nicht nur sein Entsetzen und Mitgefühl, sondern auch Zuversicht ausdrücken. Je schneller sich aber die Ereignisse wiederholen, um so mehr wird diese Botschaft als Ratlosigkeit interpretiert. Das geschieht jenseits des tatsächlich vorhandenen Handlungsspielraums des französischen Präsidenten.

Es wurde aber in Rouen sehr schnell geklärt, wer die Täter sind und in welchem Kontext diese Tat einzuordnen ist. Der IS bekannte sich zudem über eine ihm nahestehende Onlineplattform zu dem Verbrechen. Außerdem war einer der Täter ein der Polizei bekannter sogenannte Gefährder. Er trug sogar eine Fußfessel, die seine lückenlose Online-Überwachung sicherstellen sollte. Den Mord verübte er im Rahmen seines erlaubten Freigangs. Bisher gibt es keine Hinweise auf Vorbereitungshandlungen der Täter, die den Sicherheitsbehörden hätten bekannt sein müssen. Christian Geyer beschäftigt sich heute in der FAZ mit der Frage, was Prävention eigentlich bedeutet und was das mit den Medien zu tun hat.

„Ohnehin hat man den Eindruck, dass Wissen in den Zeiten des Terrors überschätzt wird. Jedenfalls, wenn die überzogenen Erwartungen an die Prävention sich auf das Anhäufen von Daten richten. Die mediale Täterpsychologie ist der Einfachheit halber stark behavioristisch orientiert, zwischen Reiz und Reaktion ist da oft nur ein Hüpfer. Ein Nichtwissen wird als ein Noch-nicht-Wissen verkauft. Nach dem Motto: Was wissen wir über den Täter von Ansbach? Was wissen wir noch nicht? Ergänze: Finden wir nur noch diesen einen Puzzlestein, dann wissen wir, warum die Tat geschah. Der Asylablehnungsbescheid nur zwei Wochen vor der Tat: „Vielleicht also ein Auslöser, warum er jetzt diese Tat begangen hat“, diagnostiziert die Ansbach-Reporterin vorgestern in der „heute“-Sendung. Die Kausalität scheint, wiewohl beim Täter ein „vielschichtiges psychologisches Profil“ vorliege, grundsätzlich aufklärbar: „Was da zusammengespielt hat, dass er genau gestern Abend zugeschlagen hat, da wird man noch einiges klären müssen.“ Man sammle nur weiter Daten, dann wird die Psyche des Täters bald rundlaufen. Was hat solcher Datenoptimismus mit der Undurchdringlichkeit menschlicher Entscheidungen zu tun? Nicht sehr viel, steht zu befürchten – oder besser: zu hoffen.“

Die Aufgabe der Polizei ist einfach zu beschreiben. Sie muss möglichst schnell am Tatort sein, um weitere Verbrechen zu verhindern. Zudem hat sie die Täter zu identifizieren und möglichst festzunehmen. Deren Tötung ist lediglich das letzte Mittel zur Gefahrenabwehr. In dem Sinne kann bisher in Rouen von einem Staats- oder Polizeiversagen nicht die Rede sein. Die Frage ist nur, ob diese realistische Sichtweise in einem medialen Diskurs durchsetzbar ist, der dieser Taten als politisches Versagen interpretiert.

+++ In Frankreich fragt man sich sicherlich auch, welche psychologischen Dispositionen zwei junge Männer haben müssen, wenn sie solche Taten wie in Rouen verüben. Es ist schließlich keine übliche Verhaltensweise, in einer Kirche greisen Priestern die Kehle durchzuschneiden. Allerdings gibt es in den deutschen Medien einen interessanten Unterschied. Hier werden die Täter pathologisiert, während in Frankreich deren politische Motivation im Vordergrund steht. Der Täter von Ansbach gilt erst einmal als krank. Diese Erklärungen machen solche Täter zum tragischen Einzelfall, der sich einer politischen Diskussion letztlich entzieht. Dabei geht man sogar so weit, die Selbstbezichtungen der Täter und des IS anzuzweifeln. #ISbekenntsich heißt dieser Slogan auf Twitter. Er behauptet, der IS agiere als Trittbrettfahrer. Dieser reklamiere lediglich solche Verbrechen als terroristische Akte. Niemand weiß, wo diese These überhaupt entstanden ist. Tatsächlich gibt es keinen nachgewiesenen Fall, wo der IS entsprechend gehandelt hat. Yassin Musharbash, unter anderem Autor der Zeit, hat dazu in seinem Blog interessante Anmerkungen gemacht

„Some of the claims, I am confident, the security services will be able to check out and then we will know more. It is likely that the IS exaggerates some aspects. It is in my opinion also unlikely, however, that the IS completely fabricates a story like this.“

Der IS hat hier erneut, wie schon nach dem Zugattentat von Würzburg, eine mediale Debatte konterkariert, die solche Anschläge vor allem als pathologische Einzelfälle definierte. Er müsste allerdings einen desaströsen Glaubwürdigkeitsverlust befürchten, wenn sich seine Propaganda der Tat als haltloses Geschwätz herausstellte. Vielleicht sollten sich das manche deutsche Medien zum Vorbild nehmen.

+++ Dazu passt, was der Bildblog gestern Abend veröffentlichte. Es ging um die angeblich steigenden Zahlen sexueller Übergriffe in Schwimmbädern durch Flüchtlinge. Diese Information hat sich mittlerweile als falsch herausgestellt, wurde aber trotzdem zur Grundlage eines Artikels im European. Die Schlussfolgerung im Bildblog lautet wie folgt:

„Dass Joachim Nikolaus Steinhöfel die „Bild“-Geschichte dennoch vor wenigen Tagen aufgreift, obwohl sie schon längst entkräftet ist, verdeutlicht das Folgeproblem an unsauberer Berichterstattung über Geflüchtete und Zuwanderer: Einmal veröffentlicht, werden die Artikel von Leuten herangezogen, die populistische Thesen in die Welt jagen wollen und die sich nicht sonderlich dafür interessieren, ob eine Meldung stimmt oder nicht, solange sie eine Quelle haben, die zur eigenen Position passt. Da kann man noch so viel richtigstellen.“

Wohl wahr. Aber die Mentalität, Thesen in die Welt zu schicken, die vor allem zur eigenen Position passen, haben ja nicht nur Leute, die „populistische Thesen in die Welt jagen wollen.“ Zur „unsauberen Berichterstattung über Flüchtlinge und Zuwanderer“ gehört es schließlich auch, aus einem IS-Kämpfer in einem Ansbacher Flüchtlingsheim unbedingt einen Kranken machen zu wollen.

+++ Ansonsten müsste nämlich nicht jedes Verbrechen umstandslos in den Interpretationswahnsinn sozialer Netzwerke geraten. So gestern der Mord an einen Kieferorthopäden in einem Berliner Krankenhaus. Konrad Lischka ruft in seinem Blog zur Rettung der Empirie auf.

„Das Problem dabei ist: Die Wahrheit ist oft nur das plausibelste, was die Evidenz hergibt, bis sie widerlegt ist. Die WAHRHEIT ist viel attraktiver als die Wahrheit, die sich nur widerlegen, aber selten schlussendlich beweisen lässt. Die bewährte Methode zum Erkenntnisgewinn ist harte, langwierige Arbeit und leider oft unbefriedigend. Das ist die Herausforderung: Wer empirisch argumentiert, muss oft ohne klare eigene Antworten sehr klare Antworten anderer in Frage stellen und abstrakte Methodik verteidigen.“

Überprüfen wir einmal diese These empirisch. In Reutlingen hatte ein 21jähriger Syrer eine 45jährige Frau mit einer Machete ermordet. Anschließend konnte er erst, so die Meldungen nach der Tat, durch das beherzte Eingreifen eines jungen Mannes gestoppt werden. Nichts von diesen Informationen war richtig, obwohl sie von allen Onlinemedien berichtet worden waren. Die Machete entpuppte sich als ein Dönerspieß. Sie stammte aus dem Imbiss, wo der Syrer gearbeitet hatte. Offensichtlich handelte es sich um eine Beziehungstat, die nach derzeitigem Kenntnisstand ungeplant verübt worden ist. Warum der Täter weitere unbeteiligte Personen verletzte, ist allerdings noch nicht geklärt. Das beherzte Eingreifen des erwähnten jungen Mannes erwies sich mittlerweile als schlichter Verkehrsunfall. Empirisch geht es hier aber nur um ein Wort: Das Tatwerkzeug Machete spricht für geplantes Handeln, mithin einen terroristischen Anschlag oder einen Amoklauf. Wer nimmt schon zufällig eine Machete mit? Ein falsches Wort kann eben fatale Folgen für den Diskurs haben.


Altpapierkorb

+++ Um solche falschen Worte zu vermeiden, hat das ZDF gestern Abend die Sendung von Markus Lanz kurzfristig aus dem Programm genommen. Bei DWDL lesen wir die Begründung des ZDF: "Dabei liegt die für heute geplante Sendung bereits fertig produziert vor. Doch gerade weil sie offenbar bereits vor einiger Zeit aufgezeichnet worden war, erscheint sie im Lichte der jüngsten Ereignisse offenbar dem ZDF als nicht mehr sendbar. So erklärt der Sender auf Anfrage gegenüber DWDL.de: "Aufgrund einer produktionell notwendigen Sommerpause werden mitunter 'Markus-Lanz'-Sendungen voraufgezeichnet. Mit Blick auf die aktuellen Ereignisse der vergangenen Wochen entsprechen im heutigen Fall die voraufgezeichneten Gesprächsinhalte nicht mehr den Anforderungen an Aktualität, die man an 'Markus Lanz' stellt. Deshalb hat sich das ZDF entschieden, die voraufgezeichnete Sendung aus dem Programm zu nehmen." Eigentlich waren für heute Abend der Schauspieler Volker Brandt, Borris Brandt, Südamerika--Korrespondent Andreas Wunn, sowie Maria Leenen und Michael Räber, die sich für Flüchtlinge engagieren, als Gäste angekündigt. Genauere Details, aufgrund welcher Inhalte die Sendung gesperrt wurde, nannte das ZDF nicht." Diese Entscheidung ist durchaus nachvollziehbar. Aussagen können tatsächlich irreführend werden, wenn sie in einem zum Zeitpunkt der Aufzeichnung noch nicht bekannten Kontext interpretiert werden. Es kann sich allerdings auch nur um darum handeln, dass deren Irrtümer dann offenkundig werden. Beurteilen kann das der Zuschauer jetzt nicht mehr nicht. Aber wahrscheinlich wird das Interesse an diesen Aussagen deswegen nicht abnehmen, weil sie keiner kennt. Prardoxerweise wird das Gegenteil der Fall sein.

+++ In der Türkei verliert man mittlerweile den Überblick, wer dem Gegenputsch der türkischen Regierung so alles zum Opfer fällt. Heute geht es um die Verhaftungswelle unter Journalisten. Zyniker könnten formulieren, es ginge dabei noch relativ überschaubar zu. Laut Spiegel Online betrifft es insgesamt 89 Kollegen. Lesenswert dazu auch das Türkische Tagebuch in der Süddeutschen Zeitung.

+++ Während man jetzt über das Darknet diskutiert, wo der Massenmörder von München seine Waffe kaufte, ist zeitgleich eine Studie zum Thema Anonymität im Internet erschienen. Futurezone.at berichtet darüber: „Wer im Netz seine Identität preisgibt, sei glaubwürdiger und beliebter, so die Studienautoren. Hassposter, die unter ihrem Klarnamen posten würden, können die Mitmenschen in ihren sozialen Netzwerken leichter überzeugen, so die Studienautoren. Dadurch würden sie sich einen Vertrauensbonus erarbeiten und im Idealfall den sozialen Status erhöhen, heißt es. Im eigenen Freundeskreis werden die Beiträge dann mit vielen Likes versehen und die Postings verbreiten sich im eigenen Dunstkreis. Wer anonym postet, muss hingegen auf eine Weiterverbreitung seiner Meinung via Social Media weitgehend verzichten. Zudem würden viele Menschen, die Hasskommentare abgeben, nicht damit rechnen, dass sie für ihre Worte jemals bestraft werden könnten, so die Autoren. Die meisten Hassposter würden davon ausgehen, dass ihr verbales Verhalten nicht geahndet werde, so Lea Stahel, Co-Studienautorin vom Soziologischen Institut der Universität Zürich. „Wieso sollten sich Verfasser von Hasspostings, die ihren Protest als moralische Pflicht rechtfertigen und sich für eine gerechte Sache einsetzen, verstecken?

+++ Dort sind ebenfalls kritische Anmerkungen zu den Enthüllungen von Wikileaks über die Türkei zu finden.

+++ Was irritiert: Menschen, die den Freitod wählen, veröffentlichen ihre Abschiedsbriefe online. Solche letzten Worte waren bisher den Familienangehörigen vorbehalten. Was das für eine Gesellschaft bedeutet, sollte diskutiert werden.

+++ Ist eine Marketing-Idee für den Babyboom in Dänemark verantwortlich? Das ist auf Spiegel Online zu lesen. Empirisch verifizierbare Daten sind über diesen Zusammenhang nicht zu erwarten. Wer will ernsthaft überprüfen, ob eine Zeugung nur wegen der zu erwartenden Gratifikation stattfand? Empirie ist halt eine komplexe Angelegenheit. Im Vergleich dazu ist ein Marketing-Gag eine einfache Übung.

+++ In der taz gibt es ein lesenswertes Interview mit dem Medienethiker Alexander Filipović. Auf die Frage, ob die Kritik an den Journalisten angebracht wäre, antwortete er: „Die Medienkritik neigt in solchen Zeiten selbst zur Hysterie und wird damit Teil der Aufregung. Das ist auch nicht klug. Auf Twitter sieht man, wie viel Verachtung journalistischer Arbeit entgegengebracht wird. „Journalisten, ihr seid zum Kotzen!“ Das führt zu nichts.“

Das Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.

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