Immer diese Ruhrpolen!

Immer diese Ruhrpolen!
So könnte man sporthistorisch die aktuelle Debatte zusammenfassen, die Alexander Gauland in den Medien kurz vor dem Beginn der Fußball-Europameisterschaft um die nationale Identität entfesselt hat. Zum Glück muss sich aber Gauland nicht die Frage stellen, ob er Muhammad Ali als Nachbar haben will. Der war nämlich Amerikaner.

In der Rückschau hört sich manches anders an. So war an diesem Wochenende in den Medien nicht von einer „weißen Hoffnung“ oder der Kritik an der Wehrdienstverweigerung als Ausdruck fehlenden Patriotismus die Rede. Nicht nur in den USA wurde Muhammad Ali als einer der größten Sportler des 20. Jahrhunderts gewürdigt. Dabei war Ali in den 1960er Jahren hoch umstritten, gerade weil er nicht in das gängige Bild des schwarzen Boxers passte. Schon zu Beginn seiner Karriere prägte er als „Großmaul“ sein Image mit einem überbordenden Selbstbewußtsein, das so gar nicht in die Rolle passte, die in den USA für Schwarze vorgesehen war. Daher ist es wenig erstaunlich, wenn nach seinem Tod kein Online-Portal auf eine Bildergalerie mit seinen besten Sprüchen verzichtet hat.

Ali war ein herausragender Boxer, der die alte Weisheit vom „They never come back“ widerlegte. Und ein charismatischer Unterhaltungskünstler, der den Sport endgültig zum Teil des Showbusiness machte. Ali war in der Beziehung einzigartig. Er entzog sich allen heute gängigen PR- und Vermarktungsstrategien, um den Marktwert eines Profisportlers zu steigern. Er wäre in den Medien und sozialen Netzwerken von einem Shitstorm in den nächsten geraten, sicherlich auch bei denen, die ihm heute wegen seiner Einzigartigkeit die pompösesten Lorbeerkränze flechten. Das beste Interview zu Alis Tod ist wahrscheinlich im Tagesspiegel mit Jan Philipp Reemtsma erscheinen. Es dokumentiert die Widersprüchlichkeit dieser Jahrhunderfigur.

„Für ihn war die Zugehörigkeit zu den Muslims eine Chance, sich als öffentliche Person gegen den Mainstream aufzubauen. Und als Black Muslim positionierte er sich immerhin gegen das christliche Amerika. Das zeugte von großem Mut. Ob es von großer Vernunft zeugte, ist eine andere Frage. Die Black Muslims sind eine sehr merkwürdige Sekte, in mancherlei Hinsicht, auch mit sehr starken antisemitischen Affekten.“

Dabei machte, so Reemtsma, diese Eigenwilligkeit gerade Ali aus.

„In meinem Buch erwähne ich die Geschichte von Bertrand Russell, der ihn anrief und zu seiner Standhaftigkeit gratulierte. Ali hat sich bedankt und wollte wissen, warum es ihn denn interessiere, was ein Boxer dazu sagt. Russell hat erwidert, einen Schwergewichtsweltmeister umgebe eine besondere Aura, und was der zu so einem Thema sagt, sei nie belanglos. Wenn das denn wirklich so stattfand, hatte Russell natürlich völlig Recht. Solche Bewegungen brauchen nicht nur eine Menschenmenge, sie brauchen auch auratische Figuren für ihre Existenz, und das war Muhammad Ali.“

Das Gespräch mit Reemtsma ist übrigens schon im Jahr 2012 geführt worden, anläßlich des 70. Geburtstags von Ali. Die besten Nekrologe gibt es offensichtlich noch zu Lebzeiten des Verstorbenen.

+++ Nun wissen wir nicht, ob Alexander Gauland besagten Muhammad Ali gerne zum Nachbarn hätte, oder doch lieber Cassius Clay. Wir wissen noch nicht einmal, ob sich Gauland für das Boxen interessiert und er von Ali überhaupt schon einmal gehört hat. In den Zeitungen war von diesem Ali in den vergangenen Jahren schließlich nur selten die Rede. Aber dafür ist von seinen Vorbehalten, die er etwa gegenüber der heutigen Fußball-Nationalmannschaft formuliert, in den Medien in diesen Tagen viel zu lesen. So sagt Gauland im aktuellen Spiegel folgende Sätze:

„Der Profifußball folgt eben anderen Regeln, und eine deutsche oder eine englische Nationalmannschaft sind eben schon lange nicht mehr deutsch oder englisch im klassischen Sinne. Fußball ist letztlich eine Geldfrage und keine Frage der nationalen Identität mehr. Für viele Menschen ist es aber offenbar nach wie vor eine gelunge Aufführung.“

Zum Glück redet Gauland nicht vom Profiboxen. Der war schon immer eine Geldfrage gewesen, weswegen sich die Mafia zu Alis besten Zeiten für diesen Sport besonders interessiert hatte. Dieses Problem hat die FIFA bekanntlich nicht. Sie braucht für krumme Touren schließlich nicht einmal mehr die Mafia. Aber davon hat Gauland sicherlich noch nichts gehört. Man kann eben nicht alles wissen. Diese Argumentation aus dem Spiegel-Interview hat er gestern Abend bei Anne Will wiederholt. Hier eine Auswahl aus den TV-Kritiken: FAZ, Spiegel online und Tichys Einblick. Er verwies auf die deutschen Weltmeister von 1954 und 1974 mit ihren urdeutschen Nachnamen Müller und Maier. Er vergaß etwa den Weltmeister von 1974 mit dem urdeutschen Namen Grabowski. Die nationale Identität ist so eine Sache. Gerade weil in dieser Woche die Fußball-Europameisterschaft beginnt, lohnt sich für die Kollegen vom Sport ein Blick zurück. Sie sollten mit der AfD und Gauland die deutsche Geschichte aufarbeiten, um sich mit unserer nationalen Identität zu beschäftigen. Titel:

Immer diese Ruhrpolen!

Sie bestimmten als Ernst Kuzorra und Fritz Szepan den berühmten Schalker Kreisel der 1920er und 1930er Jahre. In dem Sinne sollte man historisch jenes Argument Gaulands besonders würdigen, worauf Peter Carstens in der FAZ TV-Kritik zu Anne Will hinwies:

„Gauland passt das alles nicht. Er will behalten, ein „Land, wie wir es ererbt von unseren Vätern“. Aber was ist das in seinem Fall für ein Land? Er selbst wurde 1941 geboren, mitten im zweiten Weltkrieg. Was hat er also „ererbt“? Ein zerstörtes, von Nationalismus und Rassismus der Väter seiner Generation moralisch und physisch zugrunde gerichtetes Deutschland. Hat er wohl ganz vergessen.“

Dafür war der Ruhrpole Fritz Szepan in den 1930er Jahren so gut in die deutsche Gesellschaft integriert, dass er sogar mit den Nazis sympathisierte. Stellt sich das Gauland jetzt als gelungene Integration vor? Wirklich sehr verwirrend, sich als journalistischer Berichterstatter mit den Themen zu beschäftigen, von denen ein deutscher Politiker namens Gauland eingestandenermaßen keine Ahnung hat.

Aber es geht noch weiter. Der Schalker Junge Mesut Özil war nämlich nach Mekka gereist. Das machen Muslime so. Gauland besucht als Patriot bestimmt auch Bismarck-Denkmäler. Er formuliert seine Einwände als zeitgenössischer Reichsbedenkenträger im Spiegel so:

„Dass Herr Özil an die Kaaba von Mekka gewandert ist, ist sehr gewöhnungsbedürftig für eine Partei, die den Islam nicht als Teil Deutschlands betrachtet. Was die Kollegen aus Sachsen erklärt haben, zeigt, dass es gerade im kulturellen Raum noch Dinge gibt, die die Menschen voneinander trennt. Dass Fragen aufkomme, wenn einer nach Mekka wandert, ist völlig klar.“

Es sind schon immer deutsche Muslime um die Kaaba gewandert. Das stand aber wahrscheinlich nicht in der Zeitung. Es reisen übrigens auch deutsche Katholiken in den Vatikan. Es wird wirklich Zeit erneut zu untersuchen, ob es sich dabei um den verabscheuungswürdigen Ultramontanismus seligen Angedenkens handelt. Bismarck-Verehrer Gauland rüstet daher zum Kulturkampf.

„Ich muss aber fragen dürfen, wo die Loyalität dieser Menschen liegt. Liegt sie beim deutschen Grundgesetz oder liegt sie bei einem Islam, der ein politischer Islam ist? Und will er, wenn er um die Kaaba wandert, zeigen, dass er diesem politischen Islam nahesteht? Aber Fußballer wie Herr Özil sind für mich keine Entscheidungsträger.“

Sicher darf man alles fragen. Man darf auch fragen, ob jeder Katholik, der in den Vatikan reist, sich nicht des Ultramontanismus verdächtig macht. Oder fragen, ob man laut Gauland erst in Deutschland integriert ist, wenn man „im ererbten Land seines Vaters“ als Ruhrpole wie Fritz Szepan mit den Nazis sympathisiert. Bisher war nämlich niemand, außer die sächsische AfD und Alexander Gauland, auf die Idee gekommen, Fragen zu stellen, wenn einer nach Mekka wandert. Mesut Özil auf diese Weise zugleich unter Islamismus-Verdacht zu stellen, ist die besondere Perfidie dieser Logik.

Für Muhammad Ali wird es am kommenden Freitag eine Trauerfeier geben. Einer der Redner wird der frühere US-Präsident Bill Clinton sein. Ali war ein Amerikaner, wie er im Buche steht. Das betraf selbst jene Facetten in seiner Biographie, die ihn sicherlich nicht zum geborenen Präsidentschaftskandidaten gemacht hätten. Wer will schon ein „Großmaul“ im Weißen Haus sehen? Ali wäre aber noch nicht einmal im Traum auf die Idee gekommen, für dieses Amt zu kandidieren. Er betrachtete sich schließlich nicht als Entscheidungsträger. Aber hier wird zugleich der Unterschied zwischen amerikanischen und deutschen Diskursen deutlich. Niemand hätte einen Cassius Clay seine Fremdheit vorgeworfen, weil er sich später Muhammad Ali nannte. Er blieb sogar als „Black Muslim“ ein Amerikaner. Auf diese Idee wäre Gauland bestimmt nicht gekommen. Wenn er denn von dem Boxer schon einmal gehört haben sollte.


Altpapierkorb

+++ Ein weiteres Thema an diesem Wochenende war der in der Bild angekündigte Verzicht von Joachim Gauck auf eine erneute Präsidentschaftskandidatur. Mittlerweile wissen wir, dass die Bild mit ihrer Vermutung richtig gelegen hat. Ansonsten wäre das natürlich peinlich gewesen. Wir dürfen uns auf einen spannenden Wahlkampf gefasst machen. Nur dass das natürlich keiner sein wird, weil der Bundespräsident nicht vom Volk gewählt wird. In Wirklichkeit handelt es sich um ein koalitionspolitisches Machtspiel, das aber für zukünftige Machtoptionen im Bund von Bedeutung sein wird. Und insoweit auch den kommenden Wahlkampf beeinflusst. Die AfD wird bestimmt Alexander Gauland aufstellen. Eine der Aufgaben eines Bundespräsidenten ist die Auszeichnung verdienter Sportler mit dem „Silbernen Lorbeerblatt“. Gauland wäre sicherlich überrascht, wie vielen Fremden er dabei begegnet.

+++ Die taz hat sich an diesem Wochenende um Aufklärung bemüht. Es ging um die Keylogger-Affäre ihres früheren Mitarbeiters Sebastian Heiser. Die zentrale Passage in dieser investigativen Recherche in eigener Sache lautet: „Auch in diesem Fall sind es nicht gerade Personen mit brisanten Informationen, an denen ein Nachrichtendienst Interesse haben könnte. Es sind auch nicht die, bei denen jemand Fragwürdiges innerhalb der taz herausfinden wollte. Allerdings sind es junge Leute, die im Rahmen des Workshops traditionell auch eine Party in seiner WG feiern. Sebastian Heiser ist bei vielen Panter-Workshops dabei und macht Fotos. Noch während in der taz von einer „Spionageaffäre“ zu lesen ist, festigt sich innerhalb der Redaktion das Bild, dass die Daten mutmaßlich nicht aus professionellen Motiven abgefischt wurden, sondern aus privaten. Diese Lesart wird auch in den damals veröffentlichten taz-Texten vorsichtig angedeutet. Zwar wird öffentlich weiter spekuliert, was hinter der ganzen Geschichte steckt, doch in der Redaktion atmen viele auf: Es ging wohl nicht um Informanten. Es ging wohl nicht um die taz als Presseorgan.“ Private Motive ist eine höfliche Formulierung. Man könnte es natürlich auch anders ausrücken: Er war ein Spanner.

+++ Andere Probleme hat Jacob Appelbaum. Ihm ergeht es jetzt, wie Julian Assange. Allerdings ist ihm nicht die schwedische Justiz auf den Fersen, sondern ein digitaler Pranger. „Nun sind auf der Seite jacobappelbaum.net mehrere Berichte veröffentlicht worden, in denen die anonymen Verfasser Appelbaum beschuldigen, sie sexuell genötigt, gedemütigt und manipuliert zu haben. Zwei Personen berichten, Appelbaum habe gegen ihren Willen sexuelle Handlungen an ihnen vorgenommen, als sie schliefen beziehungsweise bewusstlos waren. Alle bisher veröffentlichten Berichte legen nahe, dass die Verfasser sehr enge, oft auch intime Beziehungen zu Appelbaum hatten. Inwiefern die geschilderten Erlebnisse der Wahrheit entsprechen und ob eine der Personen Strafanzeige erstattet hat, ist unklar.“ Immerhin muss der in Berlin lebende Appelbaum jetzt nicht in die Botschaft Ecuadors flüchten. Aber es ist schon erstaunlich, wie hier mit Beschuldigungen Politik gemacht wird. Denn im Gegensatz zu Assange, der immerhin in Schweden auf ein rechtsstaatliches Verfahren vertrauen könnte, leben solche Pranger allein vom Verdacht. Es gibt nämlich gar kein Verfahren, wo sich am Ende die Anschuldigung als Verleumdung herausstellen könnte. Appelbaum bestreitet die Vorwürfe.

+++ Während Deutschland jetzt einen neuen Bundespräsidenten sucht, hat die Türkei bekanntlich noch einen. Dieser hat eine besonders interessante Idee. Auf die wäre noch nicht einmal Alexander Gauland gekommen. „Erdogan erneuerte auch seine Angriffe auf türkischstämmige Abgeordnete im Bundestag. „Manche sagen, das seien Türken“, sagte Erdogan. „Was denn für Türken bitte? Ihr Blut muss durch einen Labortest untersucht werden.“ Den Grünen-Vorsitzenden Cem Özdemir, der zu den Initiatoren der am Donnerstag im Bundestag verabschiedeten Resolution gehörte, nannte Erdogan einen „Besserwisser“. Die Türkische Gemeinde kritisierte die Äußerungen Erdogans. „Morddrohungen und Bluttestforderungen finden wir abscheulich“, sagte der Bundesvorsitzende des Verbandes, Gökay Sofuoglu, der Deutschen Presse-Agentur am Montag. „Ich denke, dass Leute nach Blut definiert werden, hat 1945 aufgehört. Das ist absolut deplatziert.“ Sicherlich musste sich noch nicht einmal Fritz Szepan vor 1945 einen Bluttest unterziehen, um Nazi sein zu dürfen. Es sagt übrigens auch nur Erdogan, dass deutsche Bundestagsabgeordnete Türken wären. Außer Nazis natürlich. Diese könnten auch solchen Unfug formulieren.

+++ Ansonsten wird Franz Beckenbauer für die Bild die deutschen Spiele bei der Fußball-Europameisterschaft kommentieren, sicherlich auch ohne vorherigen Bluttest. Warum es beim Fußball um Geld geht, wird zugleich mit diesem Artikel deutlich. Wer hätte das gedacht? Alle, sogar Alexander Gauland.

+++ Autor der FAZ TV-Kritik war Peter Carstens, nicht Michael Hanfeld. Wir haben diesen Fehler korrigiert. 

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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