Wenn man mit Witzen nichts mehr erreicht

Wenn man mit Witzen nichts mehr erreicht
Was tun, wenn „sich komplett irregeleitete Paralleluniversen durch die sozialen Netzwerke gegenseitig nur noch bestätigen in ihrer Sicht auf die Dinge“? Was nützen Diskussionen um „Glaubwürdigkeit“? Sollte der Journalismus „verstaatlicht“ werden, und zwar sofort? Außerdem: die Inszenierung der „Banalität des Bösen“.

Nichts gegen Selbstreflexion, Workshops oder Redaktionen, die sich Experten in Haus einladen, aber gegen ein ungutes Gefühl beim Lesen des folgenden Satzes kann ich mich nicht wehren: 

„Journalisten und Wissenschaftler diskutierten im Tagesspiegel-Haus bei einem Redaktionsworkshop die Frage, warum Medien Glaubwürdigkeit verlieren und wie sich diese zurückgewinnen lässt.“

Das steht heute in einem Text auf der Medienseite des Tagesspiegel, und das ungute Gefühl hat mit der Vorahnung zu tun, die Diskussionen über die „Glaubwürdigkeit“ des Journalismus könnte eine neue Form der Beschäftigungstherapie werden, nicht unähnlich jener, die um die „Zukunft“ des Journalismus kreist. Diese Debatten haben dem einen oder anderen Wanderprediger oder dem einen oder anderen Jeff Jarvis aus Kleinkleckersdorf möglicherweise finanziell ganz gut getan, aber der darüber hinaus gehende Nutzen ist bisher nicht allzu groß gewesen.

Juliane Leopold, die Chefredakteurin von Buzzfeed Deutschland, hat neulich in einem Gast-Altpapier geschrieben, wir bräuchten keine Journalisten, die sich in „endlosen Diskussionen darüber ergehen, ob ihr Publikum sie als Lügenpresse bezeichnen darf oder nicht“. Um mal hemdsärmelig daran anzuschließen: Journalisten, die glaubwürdige Arbeit abliefern möchten, sollen es halt tun, und wenn sie Chefredakteure, Programmdirektoren und andere übliche Verdächtige daran hindern, sollten sie daran arbeiten, den Laden von innen heraus zu reformieren. Gewiss, die Forderung hat ein klugscheißerisches Odeur, zumal wir hier beim Altpapier machen können, was wir wollen - was für die meisten, über die wir hier schreiben, ja eher nicht gilt.

Unsere, tja, Workshop-Chronistenpflicht wollen wir aber nicht völlig vernachlässigen. Günter Bentele, „emeritierter Professor für PR und Öffentlichkeitsarbeit an der Uni Leipzig“, hat zum Beispiel gesagt:

„Niemand ist in der Lage, alles wahrzunehmen. Also sucht man sich die Medien, die möglichst nah an dem sind, was man selbst denkt (...) Rezipiert man dagegen ein Medium, das eine andere Position vertritt, als man selbst, ist man leichter geneigt zu sagen: Das Medium berichtet einseitig.“

Zu den Workshoppern gehörte i.Ü. auch der effekthascherische Öffi-Renegat und „Zwangsgebühren“-Dooffinder Wolfgang Herles, und ob es nun zur „Glaubwürdigkeit“ des Tagesspiegel beiträgt, solche Windmacher einzuladen, ist noch mal eine andere Frage.

[+++] Wer jetzt Bedarf nach erfrischenderem Debattenstoff hat, ist möglicherweise gut bedient mit einem Interview, das Jürn Kruse für die taz mit dem Satiriker Dietmar Wischmeyer geführt hat, der bei der „heute show“ mitarbeitet und regelmäßig im Radio zu hören ist. Kruse fragt unter anderem, warum es in Wischmeyers Programm „verhältnismäßig wenig“ um AfD, Pegida und Co. geht.

„Es ist halt sehr leicht, auf Pegida einzudreschen. Wem soll ich denn bitteschön noch erklären, dass das verbohrte Idioten sind? Meine Zuschauer oder Zuhörer wissen das doch sowieso schon längst. Und denen, die es nicht wissen, brauch ich es nicht zu sagen, weil ich dann ja eh Teil der Lügenpresse bin. Die würde ich also auch noch bestätigen.“

Ähnlich grundsätzlich geht es weiter:

„Aber viele von denen, die nicht merken, was für Idioten da auf der Straße sind, erreichen Sie gar nicht mehr. Die erreichen auch andere nicht. Bereitet Ihnen das nicht Sorge, dass sich da eine parallele Desinformationsgesellschaft mithilfe der sozialen Medien entwickelt?“

„Das ist wirklich bedrohlich. Es ist nicht dieses Einzelphänomen: Irre auf dem Dresdner Striezelmarkt, die sich auf den Nationalsozialismus einen runterholen. Es ist viel schlimmer, dass sich komplett irregeleitete Paralleluniversen durch die sozialen Netzwerke gegenseitig nur noch bestätigen in ihrer Sicht auf die Dinge, und man gar nicht mehr eindringt in diese Welt. Da kann man mit Aufklärung, Satire und Witzen auch nichts mehr erreichen.“

Mag sein, dass sich hier noch der eine oder andere Zwischenton ergänzen ließe, aber mit diesem Befund müssen wir wohl klar kommen. Oder, um an das Thema Glaubwürdigkeit anzuknüpfen: Wer in diesem Milieu nicht als "glaubwürdig" gilt, sollte das als Anerkennung auffassen.

[+++] Katharina Riehl hat für die SZ einen anderen Satiriker getroffen: Jochen Busse, der von 1996 bis 2005 die RTL-Show „7 Tage, 7 Köpfe“ moderierte und gerade seine Autobiographie „Wo wir gerade von belegten Brötchen reden – Die Komödie meines Lebens“ veröffentlicht hat. Riehl blickt anlässlich dessen zurück in „eine Zeit, in der das deutsche Privatfernsehen für Dinge stand, die man dort heute kaum noch findet“. Beziehungsweise:

„Busse stand mit diesem und anderen Formaten für eine Epoche im Privatfernsehen (...) ‚7 Tage, 7 Köpfe‘ war eine Sendung, in der mehr oder weniger witzige Gestalten wie Carrell oder Mike Krüger im Halbkreis saßen und sich über die Ereignisse der Woche lustig machten. In den Anfängen zumindest war das der Versuch von RTL, politische oder zumindest aktuelle Themen in einem Schlagabtausch humorvoll für sein Publikum aufzubereiten. Formate wie dieses, aber auch kleine, dialoglastige Serien wie ‚Das Amt‘ mit Busse als Bauamtsleiter und, Zitat Busse, ‚Deutschlands beliebtestes Arschloch‘, sind bei den Privaten selten geworden.“

[+++] Zu den künftigen finanziellen Rahmenbedingungen dessen, was wir tun, hat vor einigen Tagen Jens Rehländer Pointiertes gebloggt, er klingt ähnlich draufgängerisch wie in anderem Kontext der oben zitierte Wischmeyer.

„Verstaatlicht den Journalismus! Sofort!“

lautet Rehländers auf den ersten Blick verblüffende Forderung. Warum fordert er das?

„Der Markt für unabhängigen, anspruchsvollen und kritischen Journalismus funktioniert nicht mehr (...) Der Abwärtstrend scheint unumkehrbar.“

Was andererseits zum Beispiel Cordt Schnibben (siehe dieses aktuelle Interview bei Deutschlandradio Kultur) nicht so sieht beziehungsweise anders sehen muss. Rehländer jedenfalls meint:

„Staatliche Subventionierung befähigt das öffentlich-rechtliche System zur Erbringung einer Leistung, die sich privatwirtschaftliche Verlage und Startups auf Dauer nicht mehr leisten können: kritischen, unabhängigen Journalismus, aufwändige Recherchen, zeitintensives Arbeiten. Warum sollte dieses Prinzip nicht auch (...) im besonders schwer gebeutelten Print-Sektor funktionieren?“

Warum Rehländer den Rundfunkbeitrag als „staatliche Subventionierung“ bezeichnet, weeß ick nich, aber Beiträge, die die wirklich zentrale Frage im Themenkomplex „Zukunft des Journalismus“ aufs Tapet bringen, also die, ob die „Grundversorgung der Bürger mit anspruchsvollem, hintergründigem Journalismus“ künftig „nur mit Staatsknete sichergestellt“ werden kann, sind stets zu begrüßen. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf einen Beitrag Wolfgang Michals, der das Ganze vor 15 Monaten elaborierter anging als Rehländer.

Für eine Art öffentlich-rechtliche Version dessen, was man bisher Verlags-Journalismus nannte, Strukturen zu schaffen, die es verdient hätten, staatsfern genannt zu werden - das wäre dann die große Aufgabe. Die auch deshalb groß zu nennen ist, weil das mit der Staatsferne beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja so eine Sache ist:

„In Zeiten, in denen ,Lügenpresse‘ als Kampfbegriff von Demokratiefeinden inflationär gebraucht wird, sollte sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk um Transparenz, Glaubwürdigkeit und damit auch Staatsferne bemühen. So ein dreistes Vorgehen empört mich ungemein.“

So schimpft Madeleine Henfling, die medienpolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion in Thüringen, und Anlass der Empörung ist die Nominierung des früheren sächsischen CDU-Ministers und -Fraktionschefs  Steffen Flath als Kandidat für den MDR-Rundfunkratsvorsitz. Die Personalie war am Freitag bereits Thema im Altpapier, heute findet nun die Wahl statt. Siehe dazu auch Ulrike Simons Wochenend-Interview mit MDR-Intendantin Karola Wille für die Leipziger Volkszeitung („Personalentscheidungen im Rundfunkrat sind Sache des Gremiums, Rechtsfragen sind Sache der Länder“, lautet Willes Kommentar zur Sache), Viola Schenzs gestrigen SZ-Artikel zur verfassungsrechtlichen Fragwürdigkeit des gesamten MDR-Rundfunkrates sowie die Archivrecherche von queer.de zu „homophoben“ Äußerungen des CDU-Mannes.

Funfact: Steffen Flath könnte der zweite neue Steffen sein, der im Reich des MDR demnächst eine wichtige Position einnimmt.

[+++] Ausführlich besprochen wird auf einigen Medienseiten heute der arte-Siebenteiler „Jesus und der Islam“, der sich mit der Frage befasst, warum die „Gründerfigur des Christentums im Koran eine herausragende Gestalt (ist)“, wie es der Sender formuliert. Ursula Scheer würdigt den Mehrteiler in der FAZ:

„In Zeiten, in denen der Koran von Salafisten in deutschen Fußgängerzonen verteilt wird und Massenmörder ihn weltweit zur Rechtfertigung ihrer Verbrechen heranziehen, regt sich neben reflexartiger Abwehr im Westen – die oft Bibelkritik mit einschließt, nach dem Motto: da stehen ebenfalls grausame Dinge – auch der Reflex, dem Koran vermeintlich mit besonderer Gutwilligkeit begegnen zu müssen, um keine religiösen Gefühle zu verletzen. (Die Autoren) Mordillat und Prieur entgehen solchen naiven Formen der Auseinandersetzung, indem sie Forscher – keine religiösen Lehrer – verschiedener Schulen und Traditionen Textkritik betreiben lassen. Nicht mehr und nicht weniger. Wir beobachten eine Art intellektuelle Filetierarbeit unter dem Sprachmikroskop. Wer die Geduld aufbringt, ihr zu folgen, lernt eine Menge.“ 

Das Hamburger Abendblatt erwähnt, dass „26 Religionsforscher aus aller Welt“ sich äußern, und lobt, die Filme machten „klar, wie eng die einzelnen Weltreligionen durch ihre Geschichte miteinander verwoben sind“. Tilman P. Gangloff (Stuttgarter Zeitung) ist indes nicht zufrieden mit dem Großprojekt: 

„Die gut 360 Minuten (bestehen) aus nichts anderem als redenden Köpfen vor schwarzem Hintergrund, hin und wieder unterbrochen durch sanfte Kameraschwenks über alte orientalische Dokumente. Dieser Telekolleg-Stil ist enorm ermüdend, denn es gibt keinerlei Ablenkung.“ 

Die hübsche Headline „Hörbuch mit Bildern“ würde indes auch zu manch anderen Dokus passen.


Altpapierkorb

+++ Im Zusammenhang mit dem Massenmord im kalifornischen San Bernardino spricht die Kölner Journalistikprofessorin Marlis Prinzing (Tagesspiegel, European Journalism Observatory) von „medialen Fehlleistungen, auf die viele Studien bereits aufmerksam machten“ (siehe auch Altpapier von Montag). Beziehungsweise: „Hier wird eine Form der ‚Banalität des Bösen‘ inszeniert als absurder Infoporno.“ 

+++ Für die FAZ-Medienseite greift Nina Rehfeld die Diskussion der US-Medien über die Entscheidung der New York Times auf, einen Kommentar für die Verschärfung des Waffenrechts auf Seite 1 zu stellen. 

+++ Ellipsen sind ein Stilmittel, die das Tempo und die Eindringlichkeit eines Textes erhöhen sollen. Wenn ein kurzer Text zu mehr als der Hälfte aus Ellipsen besteht, entsteht aber eher ein gegenteiliger Effekt. Das zeigt Stefan Austs erstes Editorial als Welt-Chefredakteur. Wüsste man nicht, dass Aust als Spiegel-Chefredakteur recht selten in die Tasten gehauen hat, müsste man sich Sorgen um machen um die Welt (also Springers), aber natürlich nur, sofern man überhaupt zu jenen Zeitgenossen gehört, die sich um diese sorgen. 

+++ Andere Chefredakteure schreiben bekanntlich jeden Tag einen Newsletter. Stefan Kläsener, der Chefredakteur des Schleswig-Holsteinisches Zeitungsverlages, gehört dazu. Aktuelle Kostprobe: „Ich glaube nicht, dass es eine Regionalzeitung in Deutschland gibt, die sich derartig gut in Sicherheits- und Rüstungsfragen auskennt wie die unsere. Das liegt daran, dass wir Kollegen haben, die zu Luft, zu Lande und zur See gedient haben. Darauf muss man auch erst einmal kommen. 

+++ Weil die bayerische CSU-Landtagsfraktion meint, auf ihrer Facebook-Seite gepostete Kommentare, die zum Mord an Claudia Roth aufrufen, nicht löschen zu müssen, hat die Landtagsfraktion der Grünen Strafanzeige gegen den für den Facebook-Auftritt Verantwortlichen gestellt (BR, Münchener Merkur, ND)

+++ Eine Bilanz der ersten Sendungen des neuen „Literarischen Quartetts“ zieht der Tagesspiegel.

+++ Spiegel Online kritisiert die unzureichende Reaktion des Bundesverkehrsministeriums auf einen Bericht des Magazins „Monitor“ über mutmaßliche Opel-Tricksereien bei Abgaswerten.

+++ Der Tages-Anzeiger würdigt die womöglich letzte TV-Doku des bahnbrechenden britischen Sportkriminalitäts-Experten Andrew Jennings.

+++ Viel Platz für Dokumentarisches ist heute auf der FAZ-Medienseite, nicht nur für „Jesus und der Islam“ (siehe oben). Differenziert gewürdigt wird „Mollath – Und plötzlich bist du verrückt“: „Der Film ist poetisch gehalten, nicht klassisch journalistisch ... (Er) inszeniert einen zu Unrecht Weggesperrten, vergisst aber die Graustufen nicht.“ Eine andere Frankfurter Zeitung, die Rundschau, lobt die „wohltuende Gelassenheit“ des Films.

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.

weitere Blogs

Traupaar während der Zeremonie in St. Johannis
Am schönen Datum 24.4.24 standen in ganz Bayern Kirchen offen für spontane Segnungen und Trauungen
Lesbisches Paar
Was hat der 01. Mai mit queerer Theologie zu tun? Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Queerness immer schon Teil der Arbeiter*innenbewegung war. Und weil die Lesbian Visibility Week erst gestern zu Ende gegangen ist, nimmt der Beitrag ein Beispiel aus der lesbischen Geschichte auf.
Illustration blauer Stuhl
Dieses Jahr blieben beim Pessach-Seder viele Stühle leer.