War die FTD zu links?

War die FTD zu links?

Der RBB hat Geldsorgen, Sky kauft sich bei Sport1 ein, und einer sympathischen Schweizer Nischenzeitung gelingt ein Coup in Sachen (Gegen)spionage. Außerdem auf der Agenda: der Todestag einer Wirtschaftszeitung, das Interview als Selbstbefriedigung und „das Internet der Tiere“.

####LINKS####Die Frage, wie man den Tod Nelson Mandelas so aufbereitet, dass man sich abhebt von der Konkurrenz, hat man sich in den letzten Stunden nicht überall stellen können. In Deutschland kam die Nachricht, als gerade die wegen Xaver verspätet gestarteten „Tagesthemen“ liefen, also zu einer Tageszeit, in der die Redaktionen nur dünn besetzt sind. Die New York Times hatte diesen zeitzonenbedingten Nachteil nicht, und insofern hat sie sich auch mit der eingangs erwähnten Frage befassen können. Resultat: Sämtliche Afrika-Korrespondenten, die seit 1976 für die Zeitung berichtet haben, kommen zu Wort, nicht nur in Form von Artikeln, in denen sie über Begegnungen mit Mandela berichten, sondern auch in Form von Video-Statements. Einen Überblick über internationale Titelseiten zu Mandelas Tod, Websiten-Aufmachern und möglicherweise geplante Magazincovern liefert der Guardian. Aggregationsfans werden natürlich gut bedient von der derzeit viel diskutierten Plattform Buzzfeed, zum einen mit emotionalen Fotos, zum anderen mit Politiker-Tweets.

 

Infolge von Mandelas Tod eine gewisse latente Aktualität erlangt hat der Aufmachertext der SZ-Medienseite. Es geht um „Nachtbüros im Ausland“: Laura Hertreiter und Jürgen Schmieder werfen die Frage auf, was es hiesigen Medienhäusern bringt, Journalisten in anderen Zeitzonen zu stationieren, damit sie dort dann in die Tasten hauen, wenn hier zu Lande die meisten Menschen schlafen. Unter den vorgestellten Auslandseinsatzkräften sind auch bild.de-Gesandte, die in einer WG in Los Angeles leben und arbeiten. Eine SZ-in-eigener-Sache-Passage fehlt in dem Text auch nicht:

„Von Januar an schickt auch diese Redaktion einen Kollegen ins Ausland. Er soll aus dem Silicon Valley zur europäischen Nachtzeit die Website füllen, nicht mit blanken News, sondern mit eigenen Stücken.“

[+++] Die in Zürich erscheinende Wochenzeitung (WoZ) ist in Deutschland nicht sonderlich bekannt, weil die Papier-Ausgabe im hiesigen Kiosk- und Bahnhofsbuchhandel so gut wie gar nicht zu bekommen ist, und vielleicht auch, weil sie - wogegen ja nichts zu sagen ist - immer nur eine kleine Auswahl ihrer Artikel online stellt. Nun aber hat die WoZ sich mit „einer journalistische Meisterleistung“ (FAZ) auch über die Landesgrenzen hinaus Aufmerksamkeit verschafft. „Jetzt spionieren wir“ lautete neulich eines der Motti, mit dem die SZ und der NDR für ihre Serie „Geheimer Krieg“ warben, und ähnlich sind es auch die Schweizer angegangen. Die haben sich dabei allerdings auf eine Person konzentriert, nämlich Markus Seiler, den Chef des Schweizer Nachrichtendienstes NDB. Die Autoren beschreiben ihr Vorgehen so:

„Wir wollen wissen, was man über einen Menschen herausfinden kann, ohne dass man ihn wissen lässt, dass man etwas über ihn herausfinden will. Dies ist die Methode der Geheimdienste mit ihrer flächendeckenden, präventiven Überwachung, und wir wollen sie auf ihre Nummer eins in der Schweiz selbst anwenden.“

Eine unter Seilers Namen firmierende Website mit diversen Unterrubriken („Meine Freunde“, „Meine Feinde“, „Meine Kirche“) hat die WoZ ebenfalls gebaut, und es gibt auch ein Fake-Erpresservideo, das in erster Linie ein Werbeclip für die Zeitung ist.

Jürg Altwegg wird in der FAZ sehr, sehr grundsätzlich, wenn er hervorhebt, dass das Geheimdienstchef-Porträt

„zeigt, was der investigative Journalismus leisten kann - schon noch ein bisschen mehr als Google.“

An anderer Stelle relativiert Altwegg indes: 

„Das Groteske an der Sammelwut der öffentlichen und geheimen Nachrichtendienste macht die WoZ auf amüsante Weise sichtbar. Deren Gefährlichkeit wird durch den witzigen Gag aber eher verharmlost“.

süddeutsche.de und stern.de berichten ebenfalls. Jene deutsche Zeitung, die der WoZ, trotz unterschiedlicher Erscheinungsweise, am meisten ähnelt, also die taz (der eine ähnliche Aktion möglicherweise zuzutrauen wäre), beschreibt die Vorgänge relativ nüchtern:

„Die Journalisten (waren) in den vergangenen Wochen hinter Seiler hergereist – um zu symbolisieren, dass auch er Teil eines Überwachungssystems werden kann, dessen Ausmaß seit den Enthüllungen Edward Snowdens viele Menschen beschäftigt.“

[+++] In einer Echokammer lebt derzeit möglicherweise Kurt Sagatz vom Tagesspiegel. Jedenfalls geht der Vorspann des dortigen Medienseiten-Aufmachers so los:

Ganz Deutschland diskutiert über die zusätzliche Gebührenmilliarde für ARD und ZDF. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg hat jedoch wenig Grund zum Jubeln."

Ganz Deutschland? Die Kalkulation, dass man die Diskutierenden in zwei Reisebussen unterbringen könnte, käme der Realität möglicherweise ein bisschen näher. Auf jeden Fall zu den Busbesatzungen gehörten dann Kai-Hinrich Renner (Handelsblatt) und Willi Steul (Deutschlandradio-Intendant). Letzterer hat ersterem gerade exklusiv (!) erzählt, dass - und jetzt bitte Trommelwirbel einblenden - die demnächst ergebenden Mehreinnahmen aus der Rundfunkabgabe (siehe Altpapier) 1,1 Milliarden Euro betragen werden. Und nicht etwa rund eine Milliarde, wie gestern noch zu lesen war.

Um aber zum eigentlichen Thema des Tagesspiegel-Textes, der Finanzlage des RBB, zurückzukommen:

„Obwohl im Haushalt 2014 bereits vier Millionen Euro extra an Gebührengeldern enthalten sind, rechnet Intendantin Dagmar Reim mit einem Fehlbetrag von über 25 Millionen Euro. Auf der Rundfunkratssitzung des RBB erklärte Verwaltungsdirektor Hagen Brandstäter die Unterdeckung am Donnerstag zum einen mit dem Sportjahr 2014, in dem die Olympischen Winterspiele in Sotchi und die Fußball-WM in Brasilien stattfinden.“

[+++] Über die Stichworte Geld und Sport im Fernsehen kommen wir zu einem Deal, über dessen Folgen für den hiesigen Sportfernsehmarkt man spekulieren darf. dwdl.de berichtet:

„Sky Deutschland übernimmt die Sport-Produktionsfirma Plazamedia, deren größter Kunde Sky ohnehin bereits ist, komplett von Constantin Medien. So oder so hätte Sky die Firma weitgehend im Alleingang getragen - eine Übernahme erscheint mittelfristig also tatsächlich sinnvoller als mit Abstand wichtigster Kunde des abhängigen Unternehmens zu bleiben.“

Diese Alles-palleti-Botschaft, die in der Formulierung „so oder so“ mitschwingt, überrascht bei einem TV-unternehmensfreundlichen Laden wie dwdl.de nicht, aber dann folgt noch etwas Interessantes:

„Neben der vollständigen Übernahme der Produktionsfirma, die übrigens auch die Champions League für das ZDF erstellt, beteiligt sich Sky mit jeweils 25,1 Prozent an der Constantin Sport Marketing GmbH sowie der Sport1 GmbH.“

Das bedeutet: Ein im wesentlichen vom Sport lebendes Pay-TV-Unternehmen steigt bei einem frei empfangbaren Sportsender ein und wird künftig auch noch verbandelt sein mit dem ZDF.

[+++] Ob es in Zukunft Usus werden wird, die Todestage von Zeitungen oder Zeitschriften zünftig zu begehen, lässt sich derzeit noch nicht absehen, die früheren Redakteure der Financial Times Deutschland tun es jedenfalls an diesem Samstag:

„Mehr als 200 ehemalige Mitarbeiter wollen den Todestag der Wirtschaftszeitung in Hamburgs hipp-krawalligem Schanzenviertel feiern“,

schreibt Petra Sorge in ihrer Cicero-Online-Medienkolumne, deren Rezipienten möglicherweise so unhip bzw. „unhipp“ sind, dass sie vom Schanzenviertel noch nie etwas gehört haben. In dem Text geht es darum, was einige der früheren Mitarbeiter mittlerweile so treiben, und worin sie heute die Gründe für das Scheitern der Zeitung sehen. Es sind bekannte Erklärungen darunter, aber auch zumindest eine sehr erstaunliche des Ex-Autors Hubert Beyerle:

„Die FTD war den Werbetreibenden zu links. Zu keynesianisch. Zu unabhängig.“

Falls was dran sein sollte: Wo die Werbetreibenden, denen die FTD „zu links“ war, politisch stehen, möchte man lieber nicht wissen. Welche Location sich die „mehr als 200“ bzw. „rund 250“ Kollegen für ihre Sause ausgesucht haben, steht in dem Artikel allerdings nicht, da müssen wir die Autogrammjäger unter unseren Lesern enttäuschen.

Auf der SZ-Medienseite findet die morgige Fete zwar keine Erwähnung, dafür erfährt die verblichene Zeitung aber eine ausführliche Würdigung:

„Der Zeitung ging es ein wenig wie den Grünen, deren Kernthemen heute in allen Parteiprogrammen stecken: Sie wurde Opfer ihres publizistischen Erfolgs. Mehr Einordnung als reine Nachricht - der berühmte Kontext-Absatz vorne im Text, auf den jeder Neuankömmling in der Redaktion verpflichtet wurde - erschien plötzlich auch anderswo. Auch andere Blätter entdeckten die Lust an der Personalisierung, und dass das Layout zuweilen die Textmenge definiert statt umgekehrt, kommt heute selbst bei der Süddeutschen Zeitung vor.“

Die These mit den Grünen ist nicht unsteil, aber das macht Alexandra Borchardt mit der Aus-dem-Nähkästchen-Passage am Ende des Zitats wieder gut.

[+++] Mehr über den Ex-FTD-Verlag Gruner + Jahr: Die Überschrift „Das Stern-Interview als wohldefinierte Methode zur genussreichen Onanie“ dürfte in diesem Monat im Genre der Medienkritik nicht leicht zu toppen sein. Ausgeheckt hat sie Stefan Niggemeier, der sich bekanntlich viel antut, auch Interviews mit Sylvie Meis, die bis vor kurzem noch mit Nachnamen van der Vaart hieß. Eines der Beispiele für die in der Überschrift erwähnte Selbstbefriedigung der Interviewer sei, so Niggemeier, folgender Fragenblock:

„Es gibt drei ungelöste Rätsel in der Bundesrepublik Deutschland: Wer hat Kohl die Spenden überreicht? Wer saß neben Margot Käßmann, als sie angetrunken Auto fuhr? Und was geschah Silvester 2012 bei den van der Vaarts?“

stern.de kündigt derweil viele, viele neue Blogs an (siehe meedia.de, horizont.net). Das in dieser Woche gestartete Ressort „Stern-Stimmen“ soll jedenfalls kräftig ausgebaut werden. Derzeit seien „14 spannende Blogger“ im Einsatz, heißt es bei stern.de selbst, und das weckt nun keine allzu großen Hoffnungen. Aber vielleicht ist das bloß ein Beweis dafür, dass der Verfasser der Ankündigung nicht auf den Wolf Schneider in sich gehört hat. Und was sagt Chefredakteur Dominik Wichmann zu dem Vorhaben?

„Die Erde ist keine Scheibe.“

Das war jetzt ein kleiner, Niggemeier würde vielleicht sagen: onanistischer Scherz, tatsächlich wird Wichmann in dem Text, in dem Blogger „spannend“ genannt werden, so zitiert (und auch jetzt bitte den Trommelwirbel einblenden):

„Blogs ergänzen den Journalismus.“

Ein anderes Zitat steht bei horizont.net:

„Wenn der Stern sich markentreu bleiben will, muss er die Wundertüte Internet intelligent kuratieren.“

Da als Wundertüte ja früher der Stern galt, möchte Wichmann mit der Formulierung ja möglicherweise andeuten, seine Illustrierte sei in ihren besseren Zeiten so eine Art Internet avant la lettre gewesen.


ALTPAPIERKORB

+++ Dass heute noch Medienkongresse stattfinden, die man lieber nicht verpasst hätte, ist eigentlich kaum vorstellbar, aber Katrin Schuster war gerade bei einem. In epd Medien (Seite 3 bis 5, derzeit nicht online) berichtet sie über den Netzkongress #zf42, den die Macher der BR-Radiosendung „Zündfunk“ organisiert hatten. Zu sehen gab es Ausschnitte eines neuen arte-Magazins zum Thema Netzkultur, das „42“ heißen wird und von dem sich die Teilnehmer des Kongresses wünschten, dass es keine „‚Hype-Maschine‘ wie die arte-Sendung ‚Tracks‘ werden dürfe“ (Schuster). Außerdem bekam einen Einblick in „die letzten Widerstandsnester im Netz, wo man noch Inhalte findet, die nicht sofort kommerzialisiert werden können“ (womit über die Qualität der Inhalte aber noch nichts gesagt ist) sowie in „das Internet der Tiere“ („Aktuell sind etwa 50.000 Tiere weltweit mit GPS-Sendern versehen - das revolutiniert nicht nur die Forschung, sondern dient auch dem Menschen“).

+++ Der dieswöchige Leitartikel im anderen kirchlich verantworteten Mediendienst, also in der Funkkorrespondenz, stammt von Tilmann P. Gangloff, und gewidmet ist er der Zuschauerforschung der Fernsehsender. „Es gibt hierzulande rund ein Dutzend namhafte Institute, die sich auf qualitative Zuschauerforschung spezialisiert haben“, weiß Gangloff.

+++ Außerdem in der FK: Neuerungen, die Frank Beckmann, der Programmdirektor des NDR und Vorabendkoordinator der ARD, für 2014 ankündigt oder zumindest in Aussicht stellt (Disclosure: Der Text ist von mir).

+++ Xaver und die Folgen: Weil die Blätter des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages (Husumer Nachrichten, Sylter Rundschau etc.) orkanbedingt vielerorts nicht zugestellt werden konnten, gibt es die E-Paper-Ausgaben des Hauses heute für jedermann gratis.

+++ Geilomat: Bei faz.net entstehen zehn neue Arbeitsplätze. Der seit Anfang Oktober amtierende FAZ-Digitalchefredakteur Mathias Müller von Blumencron macht es möglich (meedia.de).

+++ Berti Burda und sin Fru haben am Donnerstag im Wulff-Prozess ausgesagt. Unter anderem der Tagesspiegel war dabei.

+++ „Gibt es eine deutsche Klimablogosphäre?“ Das fragt David Pachali (Carta).

+++ Zur Netzpolitik finden sich im Koalitionsvertrag bloß „uneindeutige Formulierungen“, konstatiert die taz.

+++ Der Blog waahr.de, der maßgebliche (kultur)journalistische Texte aus prä-digitalen Zeiten (nicht zuletzt aus nicht mehr existierenden Zeitschriften) wieder zugänglich machen will, widmet sich der Frage, ob man Nazis interviewen sollte - und republiziert zwecks Diskussionsbefeuerung ein problematisches (to say the least) Tempo-Gespräch mit dem verstorbenen Michael Kühnen aus dem Jahr 1989.

+++ Gestern bei „Maybrit Illner“ „übten die neuen Koalitionspartner noch ihre Rollen“, meint FAZ-Wirschaftsredakteur Philipp Krohn in seiner Frühkritik. Thema war die Energiepolitik.

+++ „Ich möchte eine Show machen, die in einem richtigen Zirkus spielt, mit Messerwerfer und allem Drum und Dran. Meine eigene Band, die Rhythmus Boys, soll die Zirkusmusik machen, und ich will der Clown sein. Damit möglichst viele Leute das sehen, soll es zur Tarnung in einem Fernsehkrimi versteckt sein“ - das hat Ulrich Tukur nicht gesagt, aber der dritte „Tatort“ mit ihm wirkt so, als ob er es gesagt haben könnte, und deshalb hat Jan Wiele sich das für eine unterhaltsame (Nicht-)Rezension des Films (FAZ, Seite 39) ausgedacht.

+++ Der „wohl schönste Interview-Einstieg des Jahres“ lautet „Guten Tag, mein Name ist Lavinia Meier-Ewert …“. Das findet jedenfalls Paul Raue (journalismus-handbuch.de). Verwunderlich ist diese Einschätzung ist nicht, denn dieser Einstieg ist in der Thüringer Allgemeinen erschienen, und dort ist Raue Chefredakteur.

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.

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