Die seltsamsten Vorstellungen über Journalisten und ihre Arbeit

Die seltsamsten Vorstellungen über Journalisten und ihre Arbeit

Kritischer Journalismus ist das Thema der Zeit. Wahrscheinlich deshalb, weil Journalismus zum Hobby werden könnte. So Gabriele Riedle am Samstag in „Markt und Medien“ des Deutschlandfunk. Sie schrieb den offenen Brief an Gruner und Jahr. Der Anlass war ihre Kündigung. Was dabei auf der Stecke bleibt, ist hier zu lesen. Eines scheint aber sicher zu sein. Frau Riedle wird weder Herausgeberin der FAZ, noch die Nachfolgerin Wolfgang Büchners beim Spiegel.

Ist Deutschland auf dem Weg in ein Einparteiensystem? Diese Frage kommt allerdings nicht aus dem Untergrund der Online-Kommunikation, wo man schon immer dieser Meinung gewesen war. Sie wurde am Sonntag von Eckart Lohse im Leitartikel der FAS gestellt. Er diagnostiziert eine Politik der eingeschlafenen Füße, die genau so ist, wie sie neulich im New Yorker vorgestellt worden ist:

CDU/CSU und SPD verschmelzen allmählich zu einer großen Volkspartei. Sie zanken nur noch an der Oberfläche, um das Wahlvolk zu blenden. Grüne und Linke haben sich (jedenfalls im Bund) so komfortabel in der Opposition eingerichtet, dass der Wille zum Kampf für die angeblich so anderen Inhalte von ihrer Bequemlichkeit erstickt wird. Ohne einen Vergleich mit früheren, düsteren Jahren zu ziehen, darf man fürchten, dass Deutschland auf dem Weg in ein Einparteiensystem ist.

####LINKS####Damit ist natürlich nicht die Weltverschwörung gemeint, sondern der Verlust einer Debatte mit praktischer Relevanz. Sie wird zum leeren Gerede, wenn sie politisch folgenlos bleibt. Sie bleibt folgenlos, weil die heutigen Oppositionsparteien niemals die Chance haben werden, etwas von dem durchzusetzen, was sie im Bundestag mit angestrengter Rhetorik einklagen. Im New Yorker hat George Packer den Bogen allerdings weiter gespannt, wie Julia Encke in der gleichen FAS deutlich machte:

 

George Packer, inzwischen wieder zu Hause in Brooklyn, wundert sich immer noch: „Natürlich hat es mich überrascht, dass so viele deutsche Journalisten Merkel unterstützt haben. In den meisten westlichen Ländern, wie in den USA, ist es ja eher üblich, dass Journalisten links der Mitte wählen. Die Haltung, die mir in Berlin begegnete, war eher die: ,Ich kann kaum glauben, dass ich es sage, aber ich finde, sie macht einen wirklich guten Job.‘“ Für Packer offenbart sich darin die Wirkungsmacht von Merkels Politik. Es zeige, wie sehr unter ihrer Regierung „die politische Debatte abgestumpft“ sei. Angela Merkel, sagt Packer, habe es geschafft, die CDU zu einer Partei der indifferenten Mitte zu machen. Und die Journalisten, ja die Deutschen insgesamt, seien ihr, getragen von Selbstzufriedenheit, dahin gefolgt. Das ist das erschütternde Fazit von George Packer.“

Im gleichen Artikel wird auch noch mit dem Mythos aufgeräumt, Journalisten wären im Zweifel links. Die Hauptstadtpresse, so die Erfahrung Parkers, wählt meistens die Kanzlerin. Sie hat sich nicht nur mit der Kanzlerin arrangiert, sondern ihre Füße sind schon genauso eingeschlafen, wie die der Leute, die im Bundestag Debatten simulieren. Was passiert aber mit einem Journalismus, der seinen existentiellen Kern verloren hat: Die Neugier, die Lust auf die Debatte und somit seine Kritikfähigkeit? Er wird genauso langweilig wie der Bundestag über den er berichtet. Nur hat das Folgen. Denn alle, die meinen, die Kanzlerin mache keinen guten Job, werden sich von diesem Journalismus abwenden. Sie finden sich mit ihren Themen und Sichtweisen nicht wieder. Sie erleben Journalismus als Hofberichterstattung. Die Journalisten reagieren darauf häufig mit Unverständnis, werten Kritik als Majestätsbeleidigung an ihrer höheren Weisheit. Dabei wäre eines schon zu fragen: Wenn die Politik von einer Einheitspartei dominiert wird, was passiert dann eigentlich mit den Medien? Werden sie etwa zu den Einheitsmedien? Das wäre zu befürchten, wenn sich Journalisten von dieser politischen Mentalität infizieren lassen. Sie die Politik dieser Einheitspartei für so alternativlos wie die Kanzlerin und ihr Vizekanzler halten. Und sich der kritische Geist am Ende darauf beschränken sollte, auf der eigenen Glatze feuilletonistische Girlanden zu flechten.

+++ Insofern ist die ungebrochene Attraktivität von RT-Deutsch in der Branche kein Zufall. Daran arbeiten sich immer noch alle ab. Die Reichweite dieses Senders kann es eigentlich nicht sein. So hat sich Jörg Eigendorf in der Welt als ein besonders gelungenes Exemplar für Selbstgefälligkeit erwiesen. In Russland gibt es nämlich schon längst jene Einheitsmedien, von denen eben die Rede war. „Konkurrierten in der Jelzin-Ära noch verschiedene Lager um die Meinungshoheit, hat Putin“, so Eigendorf, „das mediale Staatsmonopol zu neuer Größe geführt“. Das könne dem Westen aber nicht passieren:

Bei aller berechtigten Kritik am Mainstream-Journalismus – ein großer Unterschied wird oft vergessen: In funktionierenden Demokratien gibt es Korrektive. Dafür sorgen eine unabhängige Justiz und die Pressefreiheit. Unsere Politiker können nicht Soldaten in einen Krieg schicken und diesen immer noch negieren, wenn die ersten Särge zurückkommen.“

Das ist ein schlechter Witz. Die deutsche Politik konnte acht Jahre lang in Afghanistan Krieg führen, bevor erstmals im Jahr 2009 der damalige Bundesverteidigungsminister, Freiherr zu Guttenberg, tatsächlich von Krieg sprach. Das galt als eine heroische Tat des Jungstars. Dafür wurde er überall gelobt und gepriesen, bevor ihm seine in mühevoller Kleinarbeit entstandene Promotion auf die Füße gefallen war. Die Forderung nach dem Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan war bis dahin das Werk politischer Außenseiter gewesen, vor allem der Linken oder Hans-Christian Ströbele von den Grünen. Ansonsten plapperten die Medien in ihrer Mehrheit das nach, was ihnen die jeweiligen Bundesregierungen so aufgeschrieben hatten. Als es ein Bundesvorsitzender der SPD namens Kurt Beck 2007 wagte, das Tabu zu brechen, wurde ihm Hohn und Spott zuteil. Eigendorf musste das alles vergessen, weil er die Wahrheit über die Ukraine kennt. Sein Verständnis des kritischen Journalismus ist dialektisch. Man muss ihn aufheben, um ihn zu erhalten.

Der Kreml hat es auf geschickte Weise geschafft, eine Stärke des aufgeklärten Journalismus in eine Schwäche zu verwandeln. Journalisten lernen spätestens im Volontariat, dass sie alle Seiten anhören und nie nur einer Quelle vertrauen sollen. Das gilt besonders, wenn die Fakten nicht zu beweisen sind.“

Weil aber Russland und Putin immer lügen, sagen die Politiker des Westens immer die Wahrheit. Deshalb muss sich der Westen vor der Desinformation schützen, indem „Europas Regierungen realisieren, dass es eine strategische Antwort auf diesen Desinformationskrieg braucht.“ Die sei aber alles andere als trivial: „Eine Gesellschaft, die sich dagegen wehrt“, so Eigendorf, „läuft Gefahr, die eigenen Werte zu verraten und die Meinungsfreiheit einzuschränken.“ Das darf natürlich nicht sein. Also dürfe man „Propagandisten, die sich als Journalisten tarnen, eben nicht auf den Kanal“ lassen, außer man benennt sie als solche. In der Praxis funktionierte das wahrscheinlich so wie jene Gesetze in Russland, wo sich NGOs als "ausländische Agenten" registrieren lassen müssen. Nur steht bei uns „Propagandist“ auf dem Etikett. Eine vergleichbare journalistische Bankrotterklärung konnte man schon lange nicht mehr lesen.

+++ Die Politik ist im Westen zur Desinformation unfähig? In historischer Perspektive ist das genau das: Propaganda. Der Unterschied zwischen freien Gesellschaften und Diktaturen ist nämlich nicht das Fehlen von Desinformation, sondern die journalistische Möglichkeit, sie kenntlich zu machen. Kritik beginnt mit dem Misstrauen gegenüber der eigenen Regierung. Sich über Putin aufzuregen, ist bekanntlich für hiesige Hofberichterstatter die leichteste Übung. So hat Jan Gänger auf n-tv ebenfalls RT-Deutsch gelauscht. Er fällt dem klassischen Umkehrschluss zum Opfer. Weil die Kritik an den Verhältnisse im Westen propagandistisch instrumentalisiert wird, muss sie zwangsläufig absurd sein. So ist Gänger gar nicht aufgefallen, dass die von ihm referierte Kritik an der japanischen Geldpolitik von orthodoxen deutschen Ökonomen durchaus geteilt wird. Das kann man zwar für Blödsinn halten, aber das betrifft dann in gleicher Weise diesen deutschen Mainstream. Für wen ist das dann peinlicher? Deutsche Ökonomen oder RT-Deutsch? Besser macht es Uli Hufen im Osteuropa-Magazin auf WDR 5. Er sieht den Splitter im eigenen Auge bevor er sich dem Balken in Russland widmet. Eine gute Zusammenfassung dieser Diskussion der vergangenen Monate ist zudem bei Altpapier-Autor Rene Martens in der Funkkorrespondenz zu finden. Außerdem hat sich im Freitag Daniela Dahm dazu geäußert. Ob jetzt jemand von diesen Autoren als „Propagandist“ zu kennzeichnen ist? Als „strategische Antwort der Regierung“? Eigendorf ist nämlich auch gut im Raunen.

Deutschland ist für diese Form der Kriegsführung besonders anfällig. Es gibt hier viele Menschen, die Putin glauben. Das liegt einerseits am traditionell starken Anti-Amerikanismus. Andererseits ist es aber auch eine Folge der Geschichte: Viele Verbindungen und Netzwerke aus Zeiten des Ostblocks sind noch lebendig. … . Es ist zudem verdrängt worden, dass die alte Bundesrepublik einer der Hauptplätze für ostdeutsche und russische Spionage war. Nirgends hat es so viele Quellen gegeben, die heute noch kompromittiert werden können – ohne dass es erkennbar wäre.“

Damit hat man ja schon einmal einen Verdacht ausgesprochen. Wer ist der russische Spion?


Altpapierkorb

+++ Wo bleibt das Positive? Da gibt es durchaus einiges zu erwähnen. So etwa die "Bundeszentrale für politische Bildung"? Nein? Doch! Die Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte" der Wochenzeitung "Das Parlament" ist zwar alt und ehrwürdig. Aber genau deshalb zu empfehlen. So hat sie im November ein informatives Themenheft zu Russland und der Ukraine veröffentlicht. Darin auch ein kritischer Kommentar von Verena Bläser zur Rolle der Medien. "Bei aller Kritik, die dabei zum Ausdruck kommt, soll es jedoch keineswegs darum gehen, die Probleme Russlands zu beschönigen oder sein politisches Handeln zu beurteilen, sondern schlicht darum, die Art und Weise der journalistischen Berichterstattung in Deutschland zu analysieren." Das mittlerweile voranstellen zu müssen, weil man die Selbstgefälligkeit eines Eigendorf nicht teilt, ist schon ein Ausdruck für unsere gegenwärtigen Verhältnisse. Harald Staun drückte die Paradoxie in der FAS so aus. Es ging um eine Wortgefecht zwischen Christiane Amanpour und der RT-Journalistin Anissa Naouai auf CNN: "Wer das Transkript des traurigen Zanks liest, das mittlerweile beide Sender veröffentlich haben, kann gut verstehen, dass manch ein Zuschauer keiner Seite mehr glauben will. Wie man aber auf die Idee kommt, Russia Today eine Glaubwürdigkeit zuzugestehen, die Sender wie CNN verspielt haben, bleibt ein Rätsel."

+++ Aber kritischer Journalismus hat eine gute Tradition. Darauf machte Brigitte Baetz im DLF aufmerksam. Sie sprach von einem "unterschätzen Medium" – und meinte jenes Radio. So wird der Zündfunk im Bayerischen Rundfunk 40 Jahre alt. Auf WDR 5 wird dagegen an 30 Jahre 3 sat erinnert. Der Sender hat an diesem Montag Geburtstag. Das Interview mit Senderchef Gottfried Langenstein führte Daniel Bouhs. Ob der Zündfunk oder 3 sat, beide waren nie im Mainstream der deutschen Medien zu finden. Darin sollte man erinnern, wenn wieder einmal Medien nur an ihrer Massenwirksamkeit gemessen werden. Der Unterschied zu damals ist aber augenfällig. Es gab zwar immer wieder politische Proteste gegen solche Programme, aber der Mainstream war damals nicht der Meinung, in Medien dürfe nur er selbst Platz haben. Ist aber jetzt "Jung und naiv" schon Mainstream?

+++Was sonst noch fehlt? Angela Merkel jedenfalls nicht. Sie besuchte Steven Spielberg und Tom Hanks bei Dreharbeiten auf der Glienecker Brücke. Soviel Hofberichterstattung muss jetzt sein. Dazu passt sicher das Liebesleben der Bundeskanzler. Außerdem plant die "heute show", in Zukunft zwei Pferde aus ihrem Stall jeden Tag auslaufen zu lassen.

+++ Außerdem gibt es Neues aus der FAZ. Der Spiegel meldet die Neubesetzung des seit dem Tod Frank Schirrmachers vakanten Postens des Feuilleton-Herausgebers. Der Anwärter soll Jürgen Kaube sein, so schreibt das Blatt. Er gilt als ausgewiesener Kenner Max Webers. Wie sagte Weber in seinem berühmt gewordenen Vortrag "Politik als Beruf"? "Die seltsamsten Vorstellungen über die Journalisten und ihre Arbeit sind daher landläufig. ... . Das Leben des Journalisten aber ist in jeder Hinsicht Hasard schlechthin, und zwar unter Bedingungen, welche die innere Sicherheit in einer Art auf die Probe stellen wie wohl kaum eine andere Situation. Die oft bitteren Erfahrungen im Berufsleben sind vielleicht nicht einmal das Schlimmste. Gerade an den erfolgreichen Journalisten werden besonders schwierige innere Anforderungen gestellt. Es ist durchaus keine Kleinigkeit, in den Salons der Mächtigen der Erde auf scheinbar gleichem Fuß, und oft allgemein umschmeichelt, weil gefürchtet, zu verkehren und dabei zu wissen, daß, wenn man kaum aus der Tür ist, der Hausherr sich vielleicht wegen seines Verkehrs mit den „Pressebengeln“ bei seinen Gästen besonders rechtfertigen muß, – wie es erst recht keine Kleinigkeit ist, über alles und jedes, was der „Markt“ gerade verlangt, über alle denkbaren Probleme des Lebens, sich prompt und dabei überzeugend äußern zu sollen, ohne nicht nur der absoluten Verflachung, sondern vor allem der Würdelosigkeit der Selbstentblößung und ihren unerbittlichen Folgen zu verfallen. Nicht das ist erstaunlich, daß es viele menschlich entgleisten oder entwerteten Journalisten gibt, sondern daß trotz allem gerade diese Schicht eine so große Zahl wertvoller und ganz echter Menschen in sich schließt, wie Außenstehende es nicht leicht vermuten." Das liest sich erstaunlich aktuell, ist aber von 1919. Seriosität ist aber nicht mit den eingeschlafenen Füßen der Politik zu verwechseln. Das gilt nicht nur für die FAZ

+++ Was noch nicht in der FAZ steht, aber dafür im Handelsblatt. Was deshalb auch wohl alle zitieren. Der Chefredakteur des Spiegel, Wolfgang Büchner, soll in dieser Woche jetzt aber wirklich zurücktreten. Das Dementi des Verlags liest sich eher halbherzig. Eines muss man aber schon konstatieren: Die Hartnäckigkeit der Spiegel-Redaktion beim Absägen des ungeliebten Chefs ist wirklich beeindruckend.

+++ Außerdem gab es am vergangenen Wochenende zwei interessante Tagungen. Zum einen in Göttingen über "Politisches Handeln in digitalen Öffentlichkeiten". Dazu findet man alle wichtigen Links im Konferenzbericht von Andrea Jonjic im Sicherheitspolitik-Blog. Außerdem fand in Berlin der Journalistentag der DJU statt. Eine Dokumentation findet man hier.

+++ Was Arte plant, hat die Funkkorrespondenz notiert. Der Sender steigerte seinen Marktanteil um 10 % und erreichte damit die 1 % Marke. Ist das ein Argument gegen Arte - oder gegen den Zuschauer? Weder noch. Ohne solche Nischen wäre Journalismus schon längst unmöglich geworden. Die taz empfiehlt deswegen wahrscheinlich auch die Buddenbrooks auf Arte um 20:15 Uhr. Im ZDF ist dagegen Veronica Ferres als Polizeiseelsorgerin zu sehen. Die ARD beschäftigt sich um 22:45 Uhr mit der "geheimen Macht von Google." Geheimnisse sind halt auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Das Geheimnis über die Zukunft von Wolfgang Büchner ist allerdings in diesen Stunden immer noch nicht gelüftet.

+++ Der Journalismus als Hobby? Der Journalist ist im Gegenteil durchaus optimistisch. Was aber auch mit dem Geschäftsmodell des Branchenblatts zu tun haben könnte.

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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