Der Kenntnisstand eines Eisbergs

Der Kenntnisstand eines Eisbergs

"Wetten, dass..?" dementiert Meldung über Andenken von Veränderungen. Telepool dementiert personelle Mauscheleien. Beim Spiegel soll Depression herrschen. Bei der "Libération" gehen die Journalisten nicht wegen des Chefredakteurs auf die Barrikaden. Die Quote misst falsch. Im Fall Edathy ist das Interview nicht das Medium der Aufklärung.

24 Zeilen ist die Meldung im gedruckten Spiegel lang (online ist sie länger), die hier und hier schon die Runde als Dementi macht. Was soll das ZDF auch anderes sagen zu den Gerüchten, im Sommer werde über die Zukunft von "Wetten, dass..?" entschieden und dafür würden "mehrere Szenarien durchgespielt"? Zustimmung geht schlecht, weil die Diskussion dann nicht im Sommer oder: nicht im ZDF, sondern jetzt und von allen geführt würde – die dafür noch Interesse aufbringen.

Denn aus einer ferneren Warte könnte man sich durchaus fragen, worin bei der Nachricht, das ZDF befasse sich mit Veränderungen bei "Wetten, dass..?", nun genau der Neuigkeitswert besteht. Man muss weder Fernsehkritiker noch "Schlaumeier" (Wolfgang Bosbach, CDU) sein, um festzustellen, dass die Sendung ästhetisch und historisch an ihr Ende gekommen ist. In einer Zeit, in der das öffentlich-rechtliche Fernsehen sich seiner selbst gewiss tatsächlich Gedanken darüber machte, was adäquate Unterhaltungsshows der Jetztzeit sein müssten, wäre "Wetten, dass..?" lange in den verdienten Ruhestand versetzt.

Dummerweise pappt an der niedergehenden Show noch immer ein vergleichsweise großer Batzen Zuschauer-Klebreis, bei dem dann Angst gehabt wird, dass er schlecht wird, wenn man die Sendung einstellt. Dass die Leute jetzt nur gucken, weil sie ja irgendwas gucken müssen und das also auch bei einer neuen Sendung tun könnten, kommt den Verantwortlichen nicht in den Sinn.

Und dass diese ganze Quotenmessung ein merkwürdiges Verfahren ist, auch nicht. Es gibt ja nur dieses, es liefert Abstraktionen, die man nicht hinterfragen muss, weil man sie darstellen kann. Dabei misst die Quote misst mitnichten, was die Zuschauer sehen wollen.

"Sie misst vielmehr, wann, was und wie lange jene Leute sehen, die Zeit und Nerven genug haben, an der Quotenmessung teilzunehmen. Die Differenz, der systematische Messfehler ist evident – die tatsächliche Quote kann nur niedriger sein als das, was die GfK veröffentlicht. Verständlicherweise hat aber niemand ein Interesse, diesen Messfehler genauer bestimmen zu wollen."

Schreibt Claudius Seidl in der FAS ausgehend von Erfahrungen des Schriftstellers Joseph von Westphalen. Der hatte vor drei Monanten über seine Zeit als Quotenbringer in der Münchner Abendzeitung geschrieben:

"Quoten sagen nicht wirklich etwas aus, und Statistiken lügen bekanntlich. Also habe ich vom Beginn meiner obskuren Tätigkeit an dagegen gelogen und betrogen. Zumal die ganze Messerei nur zum Teil der Ermittlung der Fernsehquote dient. Eigentlich wollen sie wissen, wie kaufkräftig man ist und mit welchen Konsumgütern man liebäugelt.

Der Schluss von Seidls Text lautet, dass vor allem ältere Menschen fernschauen.

"Aber man tritt unseren Senioren vermutlich nicht zu nahe, wenn man ihnen unterstellt, dass sie sich über anspruchsvolleres Fernsehen nicht beschweren würden. Dass sie von den Programmverantwortlichen als billige Quotenbeschaffer genommen werden, ist jedenfalls keine Seniorenfreundlichkeit. Es ist der reine Zynismus."

Wobei es für das Denken sicherlich hilfreich wäre, "Senioren" nicht als eine homogene Gruppe zu denken, nur weil das Alter sie aus der eigenen Sicht dazu zu machen scheint. Vermutlich gibt es genauso viele kluge und sportinteressierte, unmusikalische und gewaschene Menschen in dieser Altersgruppe wie in anderen Altersgruppen auch.

[+++] Apropos klug:

"'In der Chefredaktion herrscht ein intellektuelles Vakuum', jammert ein leitender Redakteur. 'Wir sind mitten in einer tiefen Depression.'"

Weiß der Handelsblatt-Text (S. 46) von Kai-Hinrich Renner über die Lage beim Spiegel. Der Artikel konzidiert zu Beginn zwar, dass Chefredakteur Wolfgang Büchner auch Auftritte absolviert, die als gelungen wahrgenommen werden, etwa letzte Woche bei der Präsentation des Projekts mit dem assoziationsreichen Namen "Eisberg".

Berichtet sonst aber eher von Flurschäden.

"Befeuert wird der Unmut durch die von Büchner angeordnete Absetzung seines Stellvertreters Martin Doerry zum 1. April. Das Verhältnis der beiden soll seit längerem gestört gewesen sein. Auslöser für die Absetzung war wohl Doerrys massive Kritik an der von Büchner verantworteten 'Spiegel'-Titelgeschichte vom 13. Januar."

Verspricht der Doerry-Ersatz Clemens Höger Besserung?

"Zu den Seltsamkeiten am Rande der Höges-Berufung zählt auch, dass der künftige Vizechef kurz vor seiner Ernennung an einem Treffen Büchner-kritischer Ressortleiter teilgenommen hat. Seither fragt man sich in der Redaktion, ob Höges als U-Boot des Chefredakteurs unterwegs war oder ob Büchner die wahre Einstellung seines künftigen Vizes womöglich unbekannt ist."

####LINKS####

"Eisberg" ist ja deshalb so ein assoziationsreicher Name, weil besagtes Gerät, abgesehen von der unglücklichen Rolle beim Untergang des Großdampfers Titanic, ein Bild dafür ist, dass man zumeist viel zu wenig sieht beziehungsweise weiß.

Das trifft naturgemäß auch auf den Fall Edathy zu, bei dem die wohl mit am besten informierte SZ in Gestalt von Hans Leyendecker und Tanjev Schultz heute eher piano fährt:

"Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft, die nun, als Ermittlungsmaterial an die Öffentlichkeit durchsickerte, eine Pressekonferenz abhielt, wirkt mindestens naiv. Aus Edathys Sicht ist es 'ungeheuerlich'. Vor der Presse wertete die Staatsanwaltschaft den Verdacht weit härter, als sie das in dem Schreiben an Lammert getan hatte."

Was auch immer man nicht weiß – die Gesprächsform scheint nicht das Medium der Aufklärung zu sein. Dass von "Günther Jauch" – hier die SpOn-Kritik – in dieser Hinsicht nichts zu erwarten war, kommt im dritten Jahr des sympathischen Quizmasters als ARD-Flagship-Talker nicht überraschend.

Dass das öffentlich-rechtliche Radio es nicht besser macht, womöglich schon. Wer je jungen Journalisten erklären will, was "knallhart nachgefragt", "grillen" oder "Kritik" heißen könnte – auf Friedbert Meurer und dessen DLF-"Interview der Woche" mit Wolfgang Bosbach (CDU) ließe sich nicht verweisen.

Auf die Frage, was Oppermann (SPD) dazu getrieben haben könnte, sich in einer Weise über Friedrich (CSU) zu äußern, dass der schließlich zurücktreten musste, antwortet der Leutseligkeitsperformer Bosbach (bei 8.31):

"Und das Motiv war, dass er gefragt worden ist, und dass er darauf geantwortet hat, seinen Kenntnisstand der Öffentlichkeit offenbart hat."

Nix Eisberg. Man fragt Politiker und dann offenbaren die ihren Kenntnisstand der Öffentlichkeit, so geht das. Das eigentliche Desaster an Bosbachs innerbetrieblichen Lamento ist aber, dass der Journalist, dem er gerade die Welt erklärt, nicht auf die Idee kommt, dass das vielleicht eine äußerst unbefriedigende Antwort sein könnte.

Eine Szene wie am Hofe.


Altpapierkorb

+++ Dabei schreiben wir 2014, wie Stefan Niggemeier in seinem FAS-Feuilletonaufmacher erinnert, in dem er die aktuell medial-befeuerte Argumentationsstruktur in Sachen Homophobie abbildet: "Die Menschen, die in Baden-Württemberg und anderswo auf die Barrikaden gehen, kämpfen für das Recht, Homosexualität und Homosexuelle 'nicht gut' finden zu müssen (als ergäbe das irgendeinen Sinn). Sie sind oder geben sich insoweit tolerant, als sie Lesben und Schwule nicht mehr verfolgt wissen wollen. Aber sie sagen: Das muss jetzt gefälligst reichen!" +++

+++ Bei Münchner Telepool erhält, wie der Spiegel meldet, der nicht mit Vornamen genannte Sohn des Chefs Thomas Weymar einen Posten. Allerdings irrt man sich, wenn man denkt, es handele sich um eine Mauschelei, wie dwdl.de zitiert: "Thomas Sierk, Leiter des Bereichs Filmhandel, sagte dem 'Spiegel', es habe sich um ein 'reguläres Bewerbungsverfahren' gehandelt. Telepool-Chef Thomas Weymar sei nicht eingebunden gewesen, gegenüber dem Nachrichtenmagazin wollte er sich auch nicht äußern." +++ Beruhigend ist auch eine weitere Spiegel-Geschichte: die über eine härtere Gangart in der Klatschpresse, angetrieben vom Magazin "Closer" und dem einstigen Springer-Mann Tom Junkersdorf. Am Ende kann aber vermeldet werden: "Doch für 'Closer' ist dieser brutale Kurs nicht wirklich nachhaltig. So kommen viele C- oder D-Prominente in 'Closer' vor. Denn die anderen gehen nicht selten gegen die oft haarsträubenden Geschichten rechtlich vor. Es könnte sein, dass schon bald niemand mehr von Relevanz mit dem Blatt sprechen möchte." Nachhaltiger Klatsch – das hätte sich der Forstwissenschaftler Heinrich Cotta nicht träumen lassen. +++

+++ Bei der französischen Tageszeitung Libération hieße das Turn-around-Projekt eher "Eiskaffee". Die TAZ berichtet über den geplanten Umbau der Marke zu einem Kommunikationszentrum mit Restaurant, and so does der Deutschlandfunk: "Die Hauptaktionäre, der Bankier Edouard de Rothschild und der Immobilienbesitzer Bruno Ledoux, wollen frisches Geld nur zuschießen, wenn die Redaktion einem Rettungskonzept zustimmt. Was sie den Journalisten an Ideen präsentierten, überzeugte aber nicht, im Gegenteil: Die Mitarbeiter gingen auf die Barrikaden. Denn die Geldgeber wollen unter der Marke des Blattes ein Kultur- und Konferenzzentrum aufbauen, kostenpflichtige Inhalte anbieten, an ein Restaurant, eine Bar, einen Treffpunkt in der Immobilie ist gedacht. 4500 wertvolle Quadratmeter in der Pariser Innenstadt." +++ Anne Haeming ist in der TAZ zum Start von Jimmy Fallon als Moderator der traditionsreichen "Tonight Show" des Lobes voll: "Er kann wahnsinnig witzig sein, verdammt gut Stars nachmachen und ist eine Spielernatur, die keine Scheu vor Albernheiten hat. Der hintergründige Talker ist er nicht. Aber er schafft es, mit seinen Gästen zu plaudern wie kaum ein anderer, weil er nahbar ist. Er wolle einfach seine Show weitermachen, wie die fünf Jahre und 996 Sendungen zuvor, verkündete er." +++ Markus Ehrenberg versteht im TSP die Olympia-Quoten nicht: "50,9 Millionen Zuschauer haben sich die erste Woche Olympia in Sotschi angeschaut, mehr als vor vier Jahren in Vancouver insgesamt. Ein Sog. Allein 9,21 Millionen Zuschauer sahen den Rodel-Männer-Einsitzer. Das sind so viele wie beim 'Tatort', mehr als bei 'Wetten, dass..?'. Da muss doch was dran sein. Nur: Was?" +++

+++ Und was ist dran am ZDF-Fernsehfilm mit dem polyoptionalen Titel: "Der letzte Kronzeuge – Flucht in die Alpen"? Ursula Scheer ist in der FAZ zufrieden: "Das Ende wird den Erwartungen, die der Film über eine Stunde schürt, nicht gerecht. Aber alles davor ist mehr als sehenswert." +++ Franziska von Malsen portraitiert in der SZ (Seite 17) den mitwirkenden Schauspieler Ken Duken, der  – das Geheimnis von Dukens Erfolg? – konziliant äußert: "Er habe den Film nicht gemacht, weil die Geschichte einen Logikpreis verdient, 'sondern weil er ein Thriller ist und eben genau dieses Genre bedient.'" +++ Alles also so peacig druff, und dann rantet Jens Müller in der TAZ, dass es eine Schau ist: "Stefan Kolditz hat natürlich auch die Weltkriegsmachwerke 'Dresden' und 'Unsere Mütter, unsere Väter' zu verantworten, die noch so viele Preise gewinnen mögen und dadurch nicht weniger verachtenswert sind. Aber immerhin – man merkt, es ist doch immer noch besser und unbedingt unterhaltsamer, etwas Verachtenswertes im Fernsehen zu gucken als etwas Liebloses." +++

Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.

weitere Blogs

Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.

Vom Versuch nicht zu hassen. Biografische Streiflichter von gestern, das irgendwie auch heute ist.