Dünnhäutige Verfassungsrechtlerinnen

Dünnhäutige Verfassungsrechtlerinnen

Sigmar Gabriel nimmt kein Blatt vor den Mund. Marietta Slomka legt den Parlamentarismus eigenwillig aus. Frank Beckmann macht den ARD-Vorabend zum Produzentenparadies. Es war nicht alles schlecht im deutschen Fernsehen.

Frank "Nicht zu verwechseln mit Reinhold" Beckmann ist Fernsehdirektor beim NDR und Vorabendprogrammkoordinator bei der ARD. Er war einmal Programmgeschäftsführer beim Kinderkanal, hatte aber von den kriminellen Machenschaften fehlgeleiteter Einzelner keine Ahnung. Dieser Umstand hat, wie immer im Leben, zwei Seiten: Dass Beckmann als Vorgesetzter nichts wusste und also dem korrupten Treiben auch kein Ende bereiten konnte, birgt für das Gebührengeld den Nachteil, dass es futsch ist. Für Beckmanns Karriere dagegen, Glück im Unglück, wenn man so will, ergibt sich der Vorteil, dass sie weitergehen kann.

AP-Autor René Martens muss in seinem großangelegten Beckmann-Text in der TAZ auch erstmal diese Vorgeschichte erklären.

"Über jenen großen Skandal, mit dem der Name des Senders noch Jahre verbunden sein wird, äußert sich der 48-Jährige, der vor rund einem Monat seine zweite Amtszeit beim NDR angetreten hat, dagegen nicht nur ungern, sondern gar nicht."

Zumindest das Gericht gibt Ruhe.

"Für Frank Beckmann ist das Thema Kinderkanal unter juristischen Gesichtspunkten jetzt abgehakt, weil die Staatsanwaltschaft Erfurt Mitte Oktober ein Verfahren gegen ihn eingestellt hat – gegen die Zahlung einer Geldauflage von 30.000 Euro. Die Ermittlungen gegen Beckmann, der im Laufe der ausgiebigen juristischen Aufarbeitung der Affäre stets beteuerte, keine Kenntnis gehabt zu haben von K.s Scheinrechnungen, betrafen lediglich einen Randaspekt: Im Zusammenhang mit den Kosten für seine Verabschiedung im Rahmen des Kika-Sommerfests 2008 in Erfurt hatte sich ein Verdacht auf Untreue ergeben."

Die Höhe des futschen Geldes ist dem Text zufolge neuerdings auf 9,96 Millionen Euro gestiegen (Stand vorher: 8,2 Millionen), wobei man 1,5 Millionen abziehen kann, die aus "Schadenswiedergutmachungen" reingekommen sind.

Es gibt aber auch Gegenwart im Leben von Frank Beckmann (Stichworte: Karriere, weitergehen). Interessant ist hier wiederum, dass Beckmann sich selbst als "binge viewer", also Seriensüchtiger bezeichnet, solche Gefühle seinem Publikum aber nicht zumuten will. So machen deutsche Fernsehmacher Fernsehen. Und es lässt sich sogar argumentieren.

"Die HBO-Serie 'The Newsroom', die den Alltag einer fiktiven TV-Nachrichtenredaktion zeigt, schätzt er sehr: 'Da geht es um die Unabhängigkeit von Nachrichtensendungen.' Aber: 'Dieses Grundproblem stellt sich in Deutschland nicht.' Schließlich sei die Tagesschau 'völlig unabhängig von politischer Einflussnahme. Politisch gefärbte Nachrichten sind eher ein amerikanisches Thema, das die Zuschauer hierzulande gar nicht nachvollziehen können.' Beckmann ist der zweithöchste Mann [Korrektur: der zweithöchste Mann in der stellvertretende Intendant Arno Beyer; man muss sich Beckmann als ranghohen Mann im NDR vorstellen, MD] in einem der wichtigsten Sender der ARD, natürlich sagt er das ohne einen Anflug von Ironie."

Inwieweit "politisch gefärbte" Nachrichten ein exklusiv amerikanisches Thema sind, müsste Beckmann dann vielleicht doch noch mal den Richtern in Karlsruhe erklären, die gerade das Hinterzimmelgemauschel der Rundfunkräte begreifen wollen.

Oder auch Sigmar Gabriel, der gestern abend Marietta Slomka ein jetzt schon legendäres Interview gegeben hat. In dessen Verlauf – die Welt hat die hottesten Stellen bereits transkribiert – kommt auch kurz der Vorwurf auf, SPD-Politiker würden tendenziell schlechter behandelt als CDU-Parteifreunde:

"Gabriel: 'Frau Slomka, es wird nicht besser, wenn wir uns gegenseitig so behandeln. (...) Es ist nicht das erste Mal, dass Sie im Interview mit Sozialdemokraten nichts anderes versuchen, als uns das Wort im Mund umzudrehen.'
Slomka: 'Herr Gabriel, Sie werden mir jetzt nicht unterstellen ... Man muss das nicht so sehen, aber man kann doch darüber diskutieren.'"

Selbst wenn es stimmte, dass die SPD unfairer behandelt würde bei Frau Slomka – der Chef dieser SPD ist naturgemäß der letzte, der das sagen kann, damit man es glaubt. Spannend wäre die Frage schon, weil Wohlstandskatholiken und andere High-End-Bezahlte in den Medien sich für die Idee eines auch symbolischen Projekts wie dem Mindestlohn natürlich nicht zu interessieren brauchen – sie haben doch eh immer mehr verdient. Vielleicht können die Studenten von Prof. Lilienthal mal eine Langzeitbeobachtung aufsetzen.

"Am Ende des Tages" (Karl-Heinz Rummenigge) geht es in der Gabriel-Slomka-Battle um das Verhältnis der Medien zur Politik. Slomka hatte sich ja bereits mit einer wegweisenden Dankesrede über diesen Komplex Gedanken gemacht – also darüber, warum Politiker im Fernsehen immer nur Politikersätze sagen, denen man nichts anhaben kann. Gabriel ist in dieser Frage von anderem Format: Es hat Lust am Streit und nimmt kein Blatt vor den Mund.

Ulrich Exner formuliert das im besagten Welt-Text so:

"Zum anderen wurde aber auch klar, wie blank die Nerven des SPD-Vorsitzenden inzwischen liegen. Anders lässt sich die Dünnhäutigkeit, mit der sonst bei laufender Kamera souveräne Sozialdemokrat an diesem Donnerstagabend agierte, kaum erklären. Dieses Gespräch, keine Frage, wird noch für einige Debatten sorgen in den kommenden Tagen."

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Was dann auch wieder so Journalismus-Dienst-nach-Vorschrift ist, dass man sich am Ende schön die Tür offenlässt, um Gabriels Abweichung vom normierten Gerede in den nächsten Tagen gegen die SPD auszuweiden. Statt es als Meinungsäußerung zu nehmen und gar zu loben, dass sich ein Politiker hier mal stellt. Man kann es Journalisten nicht recht machen: Wenn Politiker Politikersätze sagen, sind sie glatt und blass, wenn sie wie Gabriel Gummi geben, dünnhäutig. Das ist leider sehr langweilig.

Und damit zu Slomka, für die Exner nach unserer Wahrnehmung des Gesprächs treffendere Worte findet:

"Was bleibt ist zum einen die Frage, warum Marietta Slomka mit keinem Wort auf die im Grunde nachvollziehbare Argumentation Gabriels eingegangen ist, stattdessen als Moderatorin die moralinsaure Rechthaberin gab. Keine sonderlich gute Figur, die die ZDF-Nachrichtenfrau in diesen Fernsehminuten abgab."

Denn selbst wenn man unterstellte, dass Gabriel nur auf gute Laune macht und "dünnhäutig" ist, weil es in der SPD rumort wie nichts Gutes, dann hätte Slomka da doch hingemusst mit geschickten Fragen. Das, was die ZDF-Moderatorin in diesem – aus unserer Sicht – immer so eitel-spitzfindigem Gefrage aber abzieht, ist die "Ich bin die kritische Journalistin, die knallhart nachfragt"-Show. Alles für die Galerie: Es braucht einen Stichwortgeber, mit dem man Gabriel am Zeug flicken kann ("imperatives Mandat"), und dann wird immer nur auf diesen vermeintlichen Fleck auf dem Jackett gezeigt – anstatt auf die Widerrede des SPD-Vorsitzenden einzugehen und sich in das Gespräch zu begeben.

Frank Lübberding verhandelt in seiner Illner-Besprechung für FAZ.net das Interview vorneweg und orientiert in wieder mal eleganter Nüchternheit über Slomkas fehlgeleitete Eifrigkeit ("Wieso hat man sogar im ZDF die Grundlagen unseres parlamentarischen Regierungssystems vergessen?"). Er legt dar, dass das SPD-Basisvotum vor Jahren unumstritten gewesen wäre.

"Das hat sich geändert, wie Frau Slomkas interessante Fragen dokumentieren: Nämlich wie frühere Selbstverständlichkeiten mittlerweile bezweifelt werden. Sie meinte, die parlamentarische Demokratie zu verteidigen, und legte doch nur die Axt an deren Grundlagen. Frau Slomka bediente, sicher ungewollt, die zum Ressentiment gewordene Kritik an den Parteien. Dass sich bei ihr dann noch die politisch gemeinte Kritik verfassungsrechtlich kostümiert, ist ihr nicht vorzuwerfen. Es ist zur Unsitte geworden, alles und jedes, was einem nicht passt, mit dem Totschlag-Argument der Verfassungswidrigkeit auszustatten. Sogar das Bundesverfassungsgericht neigt zu einer extensiven Auslegung seiner Kompetenzen."

Feststeht was Holger Schmale für die Berliner der ebenfalls rituellen Illner-Kritik voranstellt:

"Ein selten offenes Wortgefecht in einer deutschen Fernsehnachrichtensendung und von bemerkenswerter Dauer: Erst nach siebeneinhalb Minuten findet Slomka ein Ende und sagt verkniffen lächelnd: 'Herr Gabriel, vielen Dank für das Gespräch.'"

Und da wir in der Wirklichkeit zurücksind: Was bleibt von Frank Beckmanns Vorabendplänen?

"Der Vorabend steht für regionale Schmunzelkrimis, deren Quoten ausbaufähig sind, aber Beckmann sagt: 'Man muss es mal so sehen: Der Vorabend, wie wir ihn jetzt gebaut haben, ist der größte Impuls für die deutsche Produzentenlandschaft, den es in den letzten zehn, fünfzehn Jahren gegeben hat. Jetzt sind wir gefordert, aber auch die Produzenten müssen zeigen, was sie können.'"

Immerhin ist das wahrscheinlich relativ ehrlich. Produzenten können etwas produzieren.


Altpapierkorb

+++ Es war nicht alles schlecht im deutschen Fernsehen. Volker Bergmeister zeigt sich in der Funkkorrespondenz hellauf begeistert von Klaudia Wicks Fernsehfilmfestival in Baden-Baden. Eine Sprachpreisträgerin würde an dem Text womöglich bemängeln, dass der Text es sich mit mancher Formulierung zu einfach macht, weil da nur auf Autovervollständigen gedrückt wird in der Manier eines Reinhold Beckmann: "Dass die Macher von 'Kreutzer' (Regie: Richard Huber, Buch: Christian Jeltsch) am Ende dennoch jubeln konnten, verdanken sie der Jury der Filmhochschulstudenten, die mit dem skurrilen Stück im Klinikirrenhaus mehr anfangen konnten und ihren Studentenpreis an 'Kreutzer' vergaben. Vielleicht sollte man ja für das nächste Jahr überlegen, ob man nicht einen der 'jungen Wilden' in die Hauptjury beruft." Nichts für ungut, aber welchen "Jungen" sind denn heute "wild" – Studenten auf Filmhochschulen, die in Jurys sitzen? Ist dieser institutionelle Rahmen nicht eher das Gegenteil von so was wie "wild", nämlich die Einübung in die kommende Verwaltung? +++ Klaudia Wick hält das Fernsehen, in dem Fall das private, noch an anderer Stelle hoch, in der ZDFneo-Sendung "Bambule" von Sarah Kuttner. Hier die Sendung, und hier der Text zu, den dwdl.de geschrieben hat, und in dem Wick vorkommt als diejenige, "die Fiction, weltweite Korrespondenten und den Aufwand, den RTL jährlich mit dem Dschungelcamp betreibt, lobend hervorhebt." +++ Richtig fernsehen ist nicht leicht, Jürn Kruse warnt in der TAZ vor falscher Anwendung: "Wer unvorbereitet fernsieht, dem ist danach auch schlecht. Trotzdem machen viele es immer wieder, genau wie beim Einkaufen auf leeren Magen. Doch fürs korrekte, sparsame Einkaufen gibt es Verbraucherzentralen oder das Bundesministerium für Verbraucherschutz oder die Stiftung Warentest, die die Menschen an die Hand nehmen. Wer 'nicht hungrig einkaufen' googelt, findet 224.000 Treffer: Wer 'nicht unvorbereitet fernsehen' in An- und Abführung setzt, findet: nichts." +++

+++ Groß im FAZ-Feuilleton, noch nicht online: ein lesenswertes Gespräch zwischen Frank Rieger und René Obermann, wobei die erste Überraschung darin besteht, dass CCC-Aktivist und Konzernboss vertraut scheinen: "Du sprichst für einen der größten Telekommunikationskonzerne." +++ Auch ein schönes Interview: Jörg Michael Seewald spricht für die FAZ-Medienseite (S. 39) mit – "Sie sind eine Qualitätsschauspielerin" – Barbara Auer, die – im positiven Sinne – sehr indisch rüberkommt: "Mitte fünfzig ist ein schönes Alter – so jenseits von Gut und Böse, wie man das früher sah. Man muss sich anders aushalten." Man sollte einen Kalender mit Barbara-Auer-Sätzen auflegen. +++ Ebenfalls in der FAZ, ebenfalls von Seewald: der BR will Hörfunk- und Fernsehdirektor zum Informationsdirektor verschweißen. Würde dann nicht Valerie Schönenborn oder Jörg Weber heißen, sondern Thomas Hinrichs: "Die bayerische Sender-Strukturreform ist bislang ohne Beispiel. Nur beim Rundfunk Berlin-Brandenburg hat man im Mai 2009, um das Haus 'zukunftsfähig' (Intendantin Dagmar Reim) zu machen, die Fernseh- und Hörfunk-Direktion zusammengelegt und aus dreizehn getrennten Radio- und Fernsehbereichen fünf gemacht. Der Akzeptanz beim Publikum hat das erheblich geschadet." +++

+++ In der SZ berichtet Oliver Hollenstein von der Lage des Journalismus in Russland: "Die Pressefreiheit in Russland ist so stark eingeschränkt wie seit dem Ende der Sowjetunion nicht mehr. Aus Angst vor Repression, aber auch aus einem unkritischen Selbstverständnis zensierten sich die Journalisten selbst. Der Kreml versuche zudem massiv, die Berichterstattung im Ausland zu beeinflussen." +++ Im Tagesspiegel schreibt Barbara Junge über die Käufersuche für das Wirtschaftsmagazin Forbes: "Steve Forbes hatte große Summen in die Wahlkämpfe gesteckt und geriet in finanzielle Schwierigkeiten. Um Schulden zu tilgen, versilberte die Familie ihre Sammlung an Fabergé-Eiern, ihre Jacht, das alte Verlagsgebäude in New York und Immobilien weltweit. 2006 folgte dann der Verkauf eines 45-Prozent-Minderheitsanteils des Unternehmens an die Investorengruppe Elevation Partners, an der auch der U2-Sänger Bono beteiligt ist. Steve Forbes selbst kann sich seine Zeitung nun also nicht mehr leisten." +++ Claudia Tieschky gratuliert in der SZ (Seite 23) dem – vom ehemaligen SZ-Redakteur Holger Liebs geleiteten – Kunstmagazin "Monopol" zur 100. Ausgabe. +++ Nicht nur Sonja Álvarez im Tagesspiegel vermeldet die Tatort-Jahresstatistik, die tatort-fundus.de gestern rausgeben hat: "Die häufigsten Todesarten laut 'Tatort-Fundus': 1. erschossen (23 Leichen), 2. erstochen (elf), 3. erschlagen (sieben), 4. erstickt (fünf) und 5. erdrosselt oder – nach Bewusstlosigkeit – ertrunken (jeweils drei). Die einzige Giftleiche des Jahres gab es im Münchner 'Tatort: Aus der Tiefe der Zeit' von Dominik Graf (27. Oktober)." +++

+++ Nachrufe auf Wolf Jobst Siedler im TSP, der FAZ oder der Berliner: "An Angeboten, anderswo sesshaft zu werden, mangelte es nicht. Aber als die FAZ ihn als Herausgeber wollte, empfahl er stattdessen seinen Autor Joachim Fest. Auch der Wochenzeitung Zeit, die ihm zwar 'sympathisch, aber völlig fremd' war, sagte er ab. Die Wurzeln seiner Kraft lägen in Berlin, sagte er später resümierend." +++

Der Altpapierkorb füllt sich Montag wieder.

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