Geht der Trend zum Zweitwappen?

Geht der Trend zum Zweitwappen?

Rote, grüne, schwarze Journalisten – ach was, Siegerberichterstatter! Twitter frisst vielleicht doch nicht den Klatschjournalismus. Die Zeit will endlich Hamburg erobern, und wir geben Empfehlungen fürs neue Zeit-Wappen. Tom Buhrow nimmt eine ARD-Pressemitteilung von 2017 vorweg. Außerdem: vietnamesische Medien, kostenloser Cappuccino, Jugendkanal, Pierre Omidyar, Harald Schmidt.

Die Meldung vom Freitagabend, dass "Tagesthemen"-Moderator Ingo Zamperoni als Korrespondent nach Washington wechselt, ist nicht uninteressant. Vor allem ist die Deutung interessant, er schaffe sich dadurch ein Hintertürchen, um in der Nachfolge von Thomas Roth Hauptmoderator der "Tagesthemen" zu werden; sie steht etwa bei Meedia:

"Für Zamperoni ist der Wechsel nach Washington eine attraktive Alternative zur Moderation der 'Tagesthemen' und ein eventueller Umweg zur Hauptmoderation. Weil Zamperoni nämlich aus dem Hause des Norddeutschen Rundfunks kommt (NDR), konnte er nicht direkt auf Tom Buhrow folgen. Die Position musste damals ein WDR-Mann übernehmen. Sein künftiger Arbeitsort in Washington gehört nicht nur zu den wichtigsten Auslandsredaktionen der ARD, sondern wird auch vom WDR geleitet. Somit könnte schon bald ein Hintertürchen aufgehen, wenn Roths Vertrag bei den 'Tagesthemen' ausläuft."

Was an dieser Erklärung, die sofort plausibel erscheint, beim ersten Lesen gar nicht auffällt: In einem zweistufigen Vorgang wird hier zuerst die Herkunft eines Arbeitnehmers – NDR – höher bewertet als seine mögliche Qualifikation. Da erweist sich das föderale System als Gleichheitsverhinderer. Im zweiten Schritt wird dieser Systemfehler korrigiert, nicht aber, indem man die Bewertungsmaßstäbe verändert und Qualifikation höher bewertet, sondern indem sich selbst an den eigenen Kriterien über den Tisch zieht und die Herkunft des Arbeitnehmers verändert: Zamperoni wird in den WDR eingespeist.

Eine Überinterpretation? Vielleicht, macht aber Spaß. Um zum nackten Nachrichtenstand zurückzukehren: Ende Juni (siehe Altpapier) war die Rede davon, dass die Entscheidung für Zamperoni als Nachfolger von Thomas Roth bereits gefallen sei: diese Information war allerdings damals unbestätigt und ist es laut Spiegel Online noch immer (letzter Meldungssatz). In WDR-Intendant Tom Buhrows Satz über Zamperoni hört man freilich schon eine "Tagesthemen"-Personalie aus dem Spätjahr 2016 anklingen:

"An kaum einem anderen Ort kann er sein Profil besser weiterentwickeln als in Washington. Deshalb freue ich mich ganz besonders, dass wir auf diesem Wege gemeinsam mit dem NDR einen wichtigen Kopf für die ARD aufbauen."

Dass Pinar Atalay für Zamperoni zu den "Tagesthemen" stößt, soll nicht verschwiegen werden, es gibt derzeit lediglich über die Meldung hinaus keinen akuten Verhandlungsbedarf in den Medienmedien. Porträtierende Texte werden aber sicher kommen.

+++ Die zweite News des Tages stammt vom Spiegel und handelt von der Wochenzeitung Die Zeit, die sechs Stellen schaffen wolle, um in Hamburg einen Lokalteil zu erstellen – um also auf gut deutsch dem auf dem Weg von Springer zu Funke befindlichen Hamburger Abendblatt Konkurrenz zu machen, das weitgehend ohne solche ist, sieht man von der Morgenpost ab, die aber ein anderes Publikum bedient.

Hübsch ist die der Spiegel-Meldung zugehörige Miniaturschnurre über den Gebrauch des Stadtwappens im Kopf der Zeit, die eine schöne Quizfrage ergäbe: Welches Wappen nutzt wohl Die Zeit, die Wochenzeitung aus Hamburg? Das geht Richtung 125.000-Euro-Frage. Der Spiegel spoilert (wobei die Geschichte auch hier steht):

"Die Stadt Hamburg hatte 1946 'Zeit'-Gründer Gerd Bucerius das Verwenden des Stadtwappens verboten, weshalb im Kopf seitdem das Bremer Stadtwappen steht. 'Wir streben Verhandlungen mit der Stadt Hamburg an, dass wir das Wappen nun wenigstens für den Lokalteil verwenden dürfen', sagt [Zeit-Chefredakteur] di Lorenzo."

Der Trend geht also womöglich zum Zweitwappen. Falls es nicht klappen sollte mit Hamburg (Turi wieder schneller), gibt es viele andere schöne. Hübsch zum Beispiel: Zeulenroda-Triebes, Füssen, Bad Muskau oder – macht sich doch ganz gut da oben links – Strausberg.

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+++ Eine ganz andere Deutung als zum Beispiel Wolfgang Bok hat Nils Minkmar in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zur Frage anzubieten, wie politische Journalisten politisch ticken. Bok, damals Thema im Altpapier, klagte über die Rot-Grün-Vorliebe der Journalisten, über die es kurz zuvor eine Art Studie gegeben hatte. Minkmar verabschiedet die Frage nach einer Parteinähe. In seinem Text (der zum einen die These dieses fünf Wochen alten Artikels unterfüttert und erweitert; und mit dem er zum anderen sein neues Buch vorstellt, das von Peer Steinbrücks Wahlkampf handelt) geht es nicht um Journalisten, die eher der CDU oder eher der SPD nahestehen, sondern um Medien, die der Siegerberichterstattung zuneigen:

"Das scheint die zeitgemäße Haltung zu sein: Immer schön auf Seiten der Sieger stehen. Anhänger des dominierenden Fußballvereins sein, Fan der ewigen Kanzlerin und voller Inbrunst verkünden, was ohnehin alle schreiben – das verschafft offenbar eine gewisse Sicherheit in unübersichtlichen Zeiten. (...) Ich erwartete täglich einen Artikel mit dem Tenor, dass es sich doch gar nicht lohne, eine demokratische Alternative zur Kanzlerin aufzustellen, Merkel bleibe doch eh, dieser Wahlkampf sei Verschwendung. Wie zur Strafe wurde Steinbrück oft als ein einziges Ärgernis beschrieben. Man exotisierte ihn, suchte von der Stasinähe zur Schwarzarbeit alle möglichen Missetaten, ohne fündig zu werden."

Der denkbaren These, dann gebe es vielleicht auch einfach viele Unionsanhänger unter den Journalisten, widerspricht Minkmar explizit:

"Die meisten Kollegen hatten (...) gar nichts gegen [Steinbrück] als Person oder gegen die SPD: dass er ein möglicher Loser war, das machte sie aggressiv. Mit der Kanzlerin würden sie genauso verfahren – sobald sie Schwäche zeigte."

Denkbar, dass sie das deshalb tunlichst lässt, das Zeigen. Schwäche zeigen, da sind wir aber auch irgendwie bei Boris Becker, wobei man mit nur ein wenig Bild-Zeitung in den Genen sagen könnte, er zeige seine Stärken. Sein Twitter-Streit mit Oliver Pocher mündet nun in eine RTL-Fernsehsendung (siehe etwa berliner-zeitung.de via DPA), was zwangsläufig zur Nutzung der Redewendung "Aus Tweets Gold machen" führt. Hinterher kann man sich dann allerlei Dinge fragen zur Bedienung der Medienklaviatur, man kann es aber auch lassen.

Die FAS bietet zumindest auch im Becker-Twitter-Zusammenhang eine frische Interpretation an, die am Ende in ein Becker-Psychogramm abrutscht, aber vorher gibt es noch was über Twitter als Medium:

"Als die ersten Prominenten vor ein paar Jahren Twitter als Medium für sich entdeckten, gab es Analysen, die eine Identitätskrise des Klatschjournalismus vorhersagten. Dessen Wert könne dramatisch sinken, wenn die Stars das interessierte Publikum direkt (...) versorgen, ohne Umweg über die Paparazzi und Geschichtenerzähler in den Redaktionen",

schreibt Stefan Niggemeier und meint womöglich z.B. diese Analyse.

"Allerdings profitieren bislang auch die Journalisten davon. Die Äußerungen von Prominenten auf Twitter bilden eine neue, fast unerschöpfliche Quelle für Geschichten."

Alles Weitere, von Sport im Fernsehen über Pierre Omidyar bis Harald Schmidt, steht im Altpapierkorb.


ALTPAPIERKORB

+++ Noch eine ganz andere Geschichte über Aufmerksamkeit gibt es an diesem Tag: Die Süddeutsche schreibt über eine Tagung in Bad Boll, bei der es um Verbrechensopfer und Medien ging, endend unter anderem mit dem grundsätzlichen Konsens, "(d)ass Mitleid und ein vage definiertes öffentliches Interesse immer noch zu oft Vorwände sind, um das Leid eines Menschen auszubreiten" +++

+++ Altpapier-Autor Christian Bartels hat am deutsch-vietnamesischen Mediendialog in Hanoi teilgenommen und gibt für evangelisch.de Einblicke in die Medienlandschaft eines Landes, das auf Platz 172 von 179 im Reporter-ohne-Grenzen-Pressefreiheits-Ranking gelistet ist: "Sämtliche Zeitungen sind offiziellen Institutionen des Einparteienstaats zugeordnet, der Kommunistischen Partei, ihren Verbänden oder Ministerien. Ein Teilnehmer beim deutsch-vietnamesischen Mediendialog im Goethe-Institut Hanoi fasste das System so zusammen: Niemand dürfe etwas Schlechtes über den Vater sagen, also die Institution, die das eigene Medium herausgibt. An Onkeln aber, anderen Institutionen, sei Kritik gestattet. Über den Großvater wiederum – die Staats- und Parteiführung – dürfe überhaupt niemand Schlechtes sagen". Bartels schreibt auch, wie Netzpolitik-Blogger Markus Beckedahl, über das "Dekret 72", das letzteren in seiner Unklarheit an das deutsche Leistungsschutzrecht erinnere. Bartels: "Dem Dekret zufolge müssten Nachrichten-Quellen genannt und verlinkt werden; elektronische "Nachrichtenblätter", die nicht ausschließlich fremde Inhalte zitieren, sondern auch eigene bieten, seien nicht betroffen, so die Ministerialbeamtin. Doch die freundliche Auslegung scheint nicht allen plausibel. Vielmehr gehe es darum, durch ein schwammig formuliertes Gesetz auch bei Bloggern den politischen Druck zu schaffen, der bei Printjournalisten schon lange wirkt" +++

+++ Der Tagesspiegel schreibt unter Bezug auf eine Studie, dass es weniger Sport im Fernsehen gebe als vor zehn Jahren. Was nicht zur verbreiteten gefühlten Meinung passt: Es gebe nicht mehr Fußball als Tennis (Tennis allerdings bei Eurosport), und es gebe eine "Vielfalt der Wettbewerbe in den öffentlich-rechtlichen Kanälen" +++

+++ "Tatort ist wie Lindenstraße für den SZ-Magazin-Leser: Man ist behindert, man ist pervers, man ist Neonazi. Das kommt alles vor." Harald Schmidt in einem SZ-Medienseiten-Interview am Samstag, das DWDL zusammenfasst und "erfrischenderweise relativ ernst" nennt +++ Das gilt auch für das Freitag-Interview mit Martin Sonneborn: "Noch im 19. Jahrhundert wanderte man ins Gefängnis, wenn man seinen König als Birne karikierte. Heute gilt Lächerlichkeit nicht mehr als Qualitätsmangel. Wenn Rainer Brüderle in der heute- show untertitelt und ausgelacht wird, dann steigert das seinen Bekanntheitsgrad" +++ Zu diesem Interview gehört, jedenfalls im Gedruckten, mein eigener Freitag-Beitrag über Satire +++ Und die FAZ porträtierte Leo Fischer von Titanic +++

+++ Das Thema der vergangenen Woche – der Ebay-Gründer Pierre Omidyar plant Großes – ist noch Thema in der Berliner Zeitung und kurz in der FAS, die auf die Einstellung von Guardian-NSA-Enthüller Glenn Greenwald abhebt: "(W)ie es sich für ein erfolgreiches IT-Unternehmen gehört, steht auch Ebay der Datensammelwut der NSA in nichts nach" +++ Außerdem wundert sich SpOn-Kolumnist Georg Diez, was los ist "mit einem Journalismus, der die Grundlagen, die ökonomisch gefährdet sind, inhaltlich gleich selbst zerstört" +++

+++ "Der gemeinsame Jugendkanal von ARD und ZDF wird kommen. Nachdem man seitens des ZDF den Kanal ZDFkultur allerdings schon aufgegeben hat, will Intendant Thomas Bellut an ZDFneo und -info festhalten" (Meedia) +++ Frank Beckmann, über den vor einer Woche noch ein "Schlussstrich" unter die Probleme der Vergangenheit beim Kika vermeldet worden war und der soeben als NDR-Fernsehdirektor bestätigt ist, muss sich neue Vorwürfe gefallen lassen, die die TAZ aus dem Spiegel zitiert +++ Buzzword der Zeit: Buzzfeed-Kopie +++ "An unfinished list of ventures in journalism you should be watching (and why)" gibt es von David Bauer; Buzzfeed kommt auch vor, dazu Betaworks, Epic, Hi, Matter, Quarty, Storyful, Syria Deeply, Vox Media etc. +++

+++ Die Sendung "Formel 1" ist wieder da (BLZ), der Sport Formel 1 nicht (TAZ) +++ Währenddessen in der großen weiten Welt: Youtube werde größer und für etablierte Sender und Produzenten wichtiger, schreibt der Kollege Spiegel. Der zentrale Unterschied zur Zeit-Geschichte zum Thema vor zehn Tagen besteht in der größeren Skepsis des Spiegels, was die Wirtschaftlichkeit für Youtube-Netzwerke angeht. Folgen u.a.: "Da kommt man schon mal auf merkwürdige Ideen: Wenn der Moderator wie vor einigen Monaten bei endemol beyond aus einem Mazda sendet, bekommt die Produktionsfirma von dem Autokonzern Geld dafür". Hm. Da geht es also zu wie bei einigen Privatsendern? +++

+++ Dass die deutsche Huffington Post auch bei Carta nun HuP genannt wird, begrüßen wir ausdrücklich +++ Die TAZ fasst die Münchner Medientage zusammen. Es gab demnach kostenlosen Cappuccino am Stand von RTL +++

+++ Weltstars: Der Feuilletonaufmacher über Bob Dylans Tourauftakt "in Hannover" in der FAZ: super, obwohl mir Bob-Dylan-Texte sonst fast immer auf die Nerven gehen. Denn wen das Thema nicht interessiert, der glaubt hinterher auch nicht, dass es anders sei – das macht den Text zur Ausnahme unter den Dylan-Großauslegungen, die regelmäßig über nichtsahnende Leser kommen. Edo Reents schreibt heute über einen 72-Jährigen, der "seine gichtigen Finger" in ein Keyboard haut, und zählt anschließend praktisch alle Songs auf, die Dylan spielt, er schreibt, wann Pause ist und wie die Halle heißt, in der das Konzert stattfindet. "Es wird ein hervorragender Tanzkappenabend Tanzkapellenabend." Souveränes Liebhabertum ohne missionarische Anwandlungen +++ Veronica Ferres spielt eine Frau mit dem klingenden Namen Lena Fauch im Film "Lena Fauch – Gefährliches Schweigen" (ZDF, 20.15 Uhr) – einem Film, der sich Mühe gebe, "sehr viel Mühe", so die FAZ: "immer liegt etwas Unausgesprochenes in der Luft, aber so recht schafft es der Film nicht, diese ganze Atmosphäre zu etwas zu verdichten, was sich wirklich lebendig anfühlt" +++

+++ Mehr Fernsehen? Kein gutes hat Hans Hoff gesehen +++ Die Berliner Zeitung fand Johannes B. Kerners Comeback zum ZDF "okay"  +++ Das Drama "Zwei Mütter" rezensieren TAZ und Tagesspiegel +++ Und die SZ bespricht die medizinethische Doku "Der Traum vom perfekten Kind" (ARD, 22.45 Uhr) +++

Frisches Altpapier gibt es am Dienstag.

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