Beim Blick in den Spiegel

Beim Blick in den Spiegel

Medienbeobachtung ist ein anstrengendes Geschäft: Man sieht am Ende doch immer nur sich selbst. Die großen Fragen des Tages lauten aber weiterhin: Wie entschuldigt man sich richtig, wenn man etwa Jürgen Klopps Urlaubsautomarke vergessen hat, aus dem Text über Jürgen Klopps Urlaub zu redigieren? Und welchen Sport hätten's denn gern im öffentlich-rechtlichen Fernsehen?  

"Komik, die von einer politischen Haltung zeugt, verzieht sich in Nischen."

Ist auf der dienstäglich erscheinenden Seite "Das Politisches Buch" in der Süddeutschen Zeitung (Seite 15) zu lesen. Franziska Augstein, die die Seite betreut, schreibt über ein Buch mit Texten des einstigen TAZ-China-Kolumnisten Christian Y. Schmidt. Weiter heißt es:

"Dazu gehörte die China-Kolumne von Christian Y. Schmidt in der taz. Aber diese Kolumne kann der Autor Schmidt sich nun nicht mehr leisten. Geld zum Leben hat er damit nämlich nicht verdient. Zum Abschied hat er seine taz-Kolumnen in einem Buch zusammengefasst und mit einem großartigen Vorwort versehen, aus dem man mehr über China erfährt, als deutsche Medien für gewöhnlich bieten."

Ein wenig stutzt man als Leser ob des tiefen Bedauerns über Schmidts Abschied, wo doch die Süddeutsche Zeitung ein Medium wäre, das Interesse an einer Kolumne haben könnte, in der man mehr erführe über China, als deutsche Medien für gewöhnlich bieten. Außerdem dürfte die SZ noch höhere Zeilensätze haben als die TAZ.

Aber das ist das Elend der Medienbeobachtung – und wer wüsste dessen Lied, seufz, besser zu singen als wir hier: Man guckt, was die anderen machen und schaut doch immer nur sich selbst an.

Etwa im Text von Dominic Johnson in der TAZ, der wohlwollend von einer Londoner Initiative handelt, die mehr diversity in den Medien einfordert. Johnson fragt sich, ob so was Vorbildcharakter für Deutschland haben könnte und erinnert sich, dass da auch schon mal was war, Stichwort Forderungen:

"Und im Mai forderte die 'Initiative Schwarze Menschen in Deutschland' (ISD) in einem offenen Brief an die taz, Nichtweiße 'als ExpertInnen zum Themenfeld Rassismus und Diversity anzuerkennen und für die Medienstrukturen nachhaltig zu gewinnen'. Noch fehlt eine Kampagne wie die in London, damit dieses Anliegen gehört wird."

Was nun auch wieder eine lustige Formulierung ist: Die Botschaft steht schon da, aber gleichzeitig wird beschieden, dass diese lauter formuliert werden müsste, damit sie gehört werden kann. Auch wenn die TAZ gerade keine Stelle zu besetzen hätte, mit ein wenig Empathie, die im Johnson-Text von der Londoner Iniatorin Samantha Asumadu gefordert wird, ließen sich ab heute schon sinnlose N-Wort-Exhibitionismen vermeiden. Was ist eigentlich aus der "Serie Diskriminierung" geworden?

Aber der Rückzug gilt nicht umsonst als militärische Meisterleistung, Entschuldigung ist kein leichtes Geschäft, wie unaufhörlich gezeigt wird. Erst die Geschichte mit der SZ-Illustrationsbetextung (siehe Altpapier), dann die Auszeichnung des Spiegel mit der "Kompassnadel" des Schwulen Netzwerkes NRW für vorbildliche Berichterstattung, die, wie Stefan Niggemeier darlegte, eher, äh, überraschend kam.

Und nun ein Schleichwerbungstext in der "Grazia", über den der Tagesspiegel berichtet. Moralisch sicherlich der läppischste der drei Fälle, ökonomisch dagegen wohl der daumenschraubigste: Das Boulevardmagazin hat Jürgen Klopp im Urlaub auf Sylt getroffen und dummerweise vergessen, aus dessen Aussagen über das Auto, das er dort fährt, den Markennamen zu streichen:

"Dafür hat 'Grazia' als Aufmacherfoto das Werbebild vom am Auto lehnenden Klopp gewählt; die Passage, in der Klopp den Wagen lobt, als einzigen Textteil auf der Seite blau unterlegt."

Eine Anzeige des Autoherstellers findet sich im Heft auch noch. Vermutlich hat "Grazia" also Klopp besucht, damit das alles genauso zustandekommt. Das – also die reale Macht von Anzeigenkunden über eine darbende Printzeitungslandschaft – kann man aber schlecht so deutlich sagen, weshalb sich die Statements von allen Beteiligten im Text von Sonja Alvarez lesen wie ein herrlicher Eiertanz:

"Klopps Agentur Projekt b versichert, dass es von den Unternehmen keine Vorgaben gebe, wann, wo und wie oft der Trainer in Interviews die Marken nennen müsse. Aber als Botschafter stehe er hinter den jeweiligen Marken."

Ist es nicht schön? In dieser Formulierung klingt es auch noch fast so, als ob Klopp nicht werbe, weil er dafür Geld bekommt, sondern weil er die Produkte so toll findet. So lobt jede Stellungnahme die jeweiligen ethischen Standards und moralischen Wünsche ihres Beritts, und die Mitte in dieser Interessenskonstellation, in der eigentlich die Schuld sich selbst kasteiend Vergebungstänze aufführen müsste, bleibt frei für eine vage Figur wie den Fehler, die blassen Eckensteher.

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Bei den drei genannten Fällen hätte – wie wir einmal nassforsch ohne intimere Kenntnis der Debattenlagen beim Spiegel behaupten würden – dem Nachrichtenmagazin die Entschuldigung für die lüsterne Homophobie seines pensionierten Autors Hans Halter am leichtesten fallen können, weil Halter eben pensioniert und alles auch eine Weile her ist. Dafür liest, so weit die Pressemeldung das rekonstruiert, die Rede vom preisentgegennehmenden Spiegel-Redakteur Markus Verbeet eher enttäuschend schwurbelig:

"Es war nicht alles gut, was wir damals geschrieben haben."

Interessant ist das noch, weil einer von Niggemeiers Kommentatoren (ST) einen Gedanken geäußert hat, der nicht ohne Reiz ist:

"Schon merkwürdig, dass da keine größer angelegte Korrektur kommt, z.B. so ähnlich wie beim Guardian. ich glaube, die erste deutsche Zeitung, die sich selbst kritisieren und korrigieren kann, hätte mittelfristig einen unschätzbaren Wettbewerbsvorteil."

Sollte man meinen. Vermutlich endet dieser Offenheit aber auch wieder an den Grenzen des ökonomischen: Der Guardian druckt unter seine Klopp-Portraits ja auch Sätze, die der der den Termin organisierende Ausrüster dort einfordert. "Grazia" muss man mit dem Wettbewerbsvorteil also nicht kommen.

Der Blick in die Regularien klingt derweil wie Statistik, die keinen interessiert:

"Dass Redaktionen immer mehr unter Druck stünden und sich womöglich auf solche Gegengeschäfte einließen, um Prominente im Blatt zu haben und dadurch im Wettbewerb besser dazustehen, 'darf nicht die Entwicklung sein', warnt Edda Kremer vom Presserat."


Altpapierkorb

+++ Eine andere knifflige Frage wird heute diskutiert: Was sollen aus der Nicht-Übertragung des Wimbledon-Finales in der ARD für Schlüsse gezogen werden? "Es gibt, und das gilt für die Sender wie für die Gebührenzahler, kein Grundrecht auf Sport. Sport ist kommerzielle Unterhaltung, und solche kommerzielle Unterhaltung gehört nicht zum öffentlich-rechtlichen Kerngeschäft", bescheidet Joachim Huber aufreizend humorlos im TSP. +++ Da kommt der Kasten im Text von Claudia Tieschky und Thomas Hahn in der SZ (Seite 25) zu einem anderen Befund: "Großereignisse im Sinn des Gesetzes sind die Olympischen Spiele; bei Fußball-WM und -EM zählen die Spiele mit deutscher Beteiligung dazu sowie - egal wer spielt - Eröffnungsspiel, Halbfinalspiele und Endspiel. Frei empfangbar sein müssen auch die Halbfinalspiele und das Endspiel um den Vereinspokal des Deutschen Fußball-Bundes, Heim- und Auswärtsspiele der deutschen Fußballnationalmannschaft sowie Endspiele der europäischen Vereinsmeisterschaften im Fußball (Champions League, UEFA-Cup) bei deutscher Beteiligung." Einig sind sich beide Texte, dass die Angelegenheit vertrackt ist, weil sich etwas, das nicht Markt ist (ARD/ZDF) wie Markt benimmt. Huber im TSP: "Im Sportprogramm offenbart sich ein merkwürdiger Spagat. Das ZDF kauft für 53 Millionen Euro 18 Livespiele pro Champions-League-Saison. Das Zweite hat sich den Gesetzen des Sportrechtemarktes unterworfen und den Privatsender Sat 1 schlichtweg überboten. Daraus ist kein anderer und kein besserer Fußball erwachsen, doch dank des Erfolges von Bayern München und Borussia Dortmund hat es das Zweite zum Marktführer im deutschen Fernsehen gebracht. Toll?" Eher nicht so. Die SZ konstatiert: "In Wirklichkeit aber ist das Fernsehen längst ein rein wirtschaftliches Geschäftsmodell für die Sportbranche, in dem die Sender alle paar Jahre in den Bieterverfahren gemolken werden wie eine Kuhherde, wenn es darum geht, Live-Bilder möglichst profit- und strategieträchtig zu platzieren." Immerhin könnte eine Diskussion beginnen, bei den Öffentlich-Rechtlichen gibt es ja, wie Sport am Samstag im DLF mit einem MDR-Rundfunkrat zeigte, schön länger Überlegungen zur Neujustierung der Übertragsmengen. +++ Die Berliner (Seite 25) stellt derweil ein Mitbieten von Facebook und Google um Bundesligarechte in Aussicht, sollte sich Springers Move mit den Ausschnitten online als erfolgreich erweisen. +++

+++ Google macht schon so genug Ärger. Stefan Schulz in der FAZ (Seite 31) über die Politik des Unternehmens: "Die kleinsten Probleme bestehen darin, dass Google inzwischen kaum noch offene Standards verwendet oder gar fördert. Sowohl die Unterstützung des offenen Chat-Protokolls 'Jabber' als auch die Förderung des offenen Publikationsformats 'RSS' hat Google mit dem Ende von 'Google Talk' und des 'Google Readers' eingestellt." +++ Prism, Tempora, Überwachung sorgt dagegen für anregende Texte. Peter "Die Welt ist eine Google" Glaser schreibt in der Berliner eine hübsche Kulturgeschichte schwindender Privatsphäre (auch am Beispiel des Telefonzellendesigns, wobei hier nationale Verschiedenheiten nicht diskutiert werden) unter der ebenso hübschen Überschrift (oder stammt die von der redigierenden Redakteurin?): "Edward mit den Sharing-Händen". Dort heißt es gleich zu Beginn: "2010 erschien in der Washington Post die Artikelserie „Top Secret America“, für die Journalisten zwei Jahre lang recherchiert hatten. Sie kamen zu dem Schluss, dass die Welt der amerikanischen Geheimdienste ein bizarres Ausmaß angenommen hat. Hinter den öffentlichen USA existiere ein zweites, geheimes Amerika. Der damalige Verteidigungsminister Robert Gates sagte in einem Interview, der Geheimdienstapparat sei seit den Anschlägen vom 11. September so angeschwollen, dass sogar der Chef der CIA und er selbst nur schwer den Überblick behielten." +++ Dass die Geheimdienste außer Kontrolle geraten sind (was Glaser noch einmal in Form des Bonmots von Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn festhält, „die USA sollten lieber ihre Geheimdienste überwachen statt ihre Verbündeten“) ist auch dem Interview Felix Stephans mit den Kennern John Mroz und Sandro Gaycken in der SZ (Seite 13) zu entnehmen, da gibt es tolle Oneliner zum Thema: "Die Geheimdienste sind völlig außer Kontrolle geraten." (Mroz) "Es gibt Freiheit im Internet nur so lange, wie sich niemand dafür interessiert. (Gaycken). Oder auch etwas länger: "Vielleicht gibt es auch deshalb keinen russischen Whistleblower: Es wäre einfach keine Nachricht. Das ist vielleicht das Hauptproblem an Prism: Die USA haben ihren moralischen Vorsprung verloren und können nicht mehr behaupten, sie seien besser." (Mroz) +++ In der FAZ berichtet Stefan Schulz (Seite 27) zu den praktischen Fragen des Selbstschutzes anlässlich der Sigint-Tagung in Köln: "Trotz aller Bemühungen der 'Cryptoparty'-Veranstalter stimmt also doch die alte Weisheit der Hacker: Es gibt keine technische Lösung für gesellschaftliche Probleme, weil man sich auf Technologie nicht verlassen kann." +++ Daneben antwortet Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf Sigmar Gabriel mit hochgekrempelten Ärmeln: "Nur wenige Tage nach den ersten Enthüllungen durch Edward Snowden luden Bundeswirtschaftsminister Rösler und ich die Spitzen der IT-Wirtschaft zu einem Krisengipfel in das Wirtschaftsministerium ein. Neben der Tatsache, dass sich Facebook gleich dem Dialog entzog, blieben nach Ende des Gesprächs mehr Fragen offen als vorher", geht der Text los, der rot-grüne Landesregierungen daran erinnert, wer für die Vorratsdatenspeicherung gestimmt hat. +++ Informativ ist auch das Interview mit Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom aus der Berliner von gestern: "Die NSA hat 40.000 solcher Wörter festgelegt. Zum Vergleich: Der BND durchsucht den internationalen elektronischen Datenverkehr auf der Basis von 1 500 Suchbegriffen. Hinzukommen bei der NSA weitere Kriterien wie etwa bereits als Zielobjekte festgelegte Einwahl- und Auswahlnummern."

+++ Fernsehen gibt's auch: Nazis im BND (Arte, 22 Uhr). "Neu ist das alles allerdings nicht. Wer sich mit dem Thema einigermaßen auskennt und ein aufmerksamer Zeitungsleser ist, dem bieten sich in dem Film keine Überraschungen....Der Film bleibt dann auch nicht mehr als eine zwar sehenswerte, aber an der Oberfläche bleibende Geschichtsstunde", schreibt Andreas Förster in der Berliner. +++ "Der Film von Christine Rütten birgt keine Enthüllung, die nicht schon in den vergangenen Jahren über die klassischen Printmedien an die Öffentlichkeit gelangt wäre", bescheidet Willi Winkler im klassischen Printmedium SZ (S. 25). +++ Von "Der Chefankläger" (ARD, 22.45 Uhr) ist Behrang Samsami in der TAZ nicht begeistert: "Vetter und Gentile enttäuschen mit einem sehr zahmen und langatmigen Werbefilm für den Protagonisten." Den er eitel nennt. Philip Kovce sieht es in der FAZ (Seite 31) anders: "Sechs Jahre lang haben die Regisseure Marcus Vetter und Michele Gentile denjenigen, um den es in diesem Film eigentlich geht, hinter den Kulissen begleitet: Luis Moreno Ocampo, der sagt, dass er nicht glaube, „dass ich in eurem Film eine Hauptfigur bin“. Damit meint der charismatische Advokat nicht, Jolie habe die Hauptrolle; auch bestreitet er nicht, dass er zweifelsohne die Person ist, deren Wirken hier aufgezeichnet wird; jedoch weist er ebenso bescheiden wie geschickt auf diejenigen hin, für die er, Ocampo, in Den Haag sitzt." +++

+++ Stefan Niggemeier hat einen Aufsatz von Anwälten gelesen, die zu dem Schluss kommen, dass das Leistungsschutzrecht nicht den Urhebern zugute kommen muss: "Die Urheber haben laut Heine und Stang keinen Anspruch, an möglichen Einnahmen beteiligt zu werden, die Verlage zukünftig von Aggregatoren und Suchmaschinen durch die Übernahme von Snippets erzielen. Und der ihnen zustehende Anteil aus der Lizenzierung kompletter Artikel sei minimal. Heine und Stang sind Rechtsanwälte in der Kanzlei Raue LLP in Berlin. Die Kanzlei Raue LLP berät die Verlegerverbände VDZ und BDZV bei urheberrechtlichen Fragen."

Der Altpapierkorb füllt sich morgen gleich wieder

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