Es ist ein Craig

Es ist ein Craig

Ist Markus Lanz der Daniel Craig der Fernsehunterhaltung? Das ZDF verabschiedet Intendant Markus Schächter. Und wenn Madsack auch die Paywall hochzieht: Die 620 Fotos von zum Teil eingesperrten Tieren bleiben frei

"Geschnappt: Dieser Braunbär ergattert im Wildpark Knüll bei Homberg/Efze ein Stück Brot, das ein Wildhüter ins Gehege geworfen hat." Berichtet, trotz Paywall erstaunlich frei zugänglich, die Hannoversche Allgemeine online. Können wir auch: "Irgendein Vieh relaxt hier links in einem Tierkaufhaus, in dem wir mal Zeit totschlugen, ordentlich an der Glasscheibe ab."

Mehr Flausch dann im Altpapierkorb. Vorher zur zweiten Lanz-Welle, die am Tag nach der ersten rollt: Es wird nachgelegt auf den Medienseiten zur "Wetten, dass..?"-Übernahme durch Markus Lanz. Lanz' Qualitäten sind demnach – vorgezogenes Tagesfazit – das, was man gemeinhin wohl umstritten nennt.

"In seinem mittlerweile mit Publikum gut gefüllten Boulevard-Salon zeigt sich Lanz auffällig vorbereitet", befindet Christopher Keil in der SZ, und auch Alexander Krei befindet bei DWDL nach einigem Abwägen: "Durch gute Vorbereitung wird der neue Samstagabend-Matador die Gespräche mit den prominenten Gästen aufwerten".

Peer Schader dagegen stellt in Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau die Prämisse, Lanz sei gut vorbereitet, infrage und drückt Zweifel aus, dass die bescheinigte "harte Arbeit" ausreiche, um "Europas größte Samstagabendshow einem Mann anzuvertrauen, dessen Interviewtalent daraus besteht, dass er die Fragen anderer mopst und sie mit der eigenen Pseudoesoterik mischt":

"Er macht mentale Häkchen hinter das, was erledigt ist, und wenn ein Gast die erwartete Geschichte an der falschen Stelle erzählt, unterbricht er: 'Darüber werden wir gleich noch zu reden haben.' Lanz ist im wahrsten Sinne Stichwortgeber. Er fragt: 'Was passierte da? Sie waren in einer Bibliothek.' Dann weiß der Interviewte, dass jetzt die Sache mit der Bibliothek kommen soll."

[listbox:title=Artikel des Tages [Der Stichwortgeber (BLZ)##Die perfekte Servicekraft (FTD)##Lanz oder gar nicht (FAZ)##Markus Schächter, ein KEF-Trickser? (taz)##Die Erbfolgeregelung des ZDF (TSP)##620 rattenscharfe Tierfotos (haz.de)]]

Was sich neben dieser Umstrittenheit des zentralen Lanz-Themas – Talkfähigkeiten – andeutet, ist die Schaffung einer ganzen Batterie von möglichst umfassenden Charakterisierungen in wenigen Worten: Die FTD nennt Lanz "eine perfekt ausgebildete TV-Servicekraft", die aber wenigstens ihre "Selbstverliebtheit gut im Griff" habe. Die taz schreibt über Lanz, er sei "der personifizierte Mainstream, ein notorischer Kuschler mit treuherzigem Blick" sowie "Mr. Konsens" – wobei er, wie man an der Berichterstattung sieht, eigentlich ja gerade nicht Konsens ist, wenn auch wohl mehrheitsfähig.

Lanz selbst vergleicht sich im Interview mit Joachim Huber vom Tagesspiegel so sehr durch die Blume mit Daniel Craig, dass man aalglatt meinen möchte, er habe seine Selbstverliebtheit tatsächlich im Griff:

"Vergleichen Sie die Show mal mit 'James Bond 007'. Man dachte, alle Tricks, alle Konstellationen, alle Stunts sind durch. Aber '007' mit Daniel Craig lebt und reüssiert besser denn je rund um die Kernidee herum."

Im selben Interview behauptet Lanz, und hier geht die Berichterstattung dann etwas weg von seinen Bühnenfähigkeiten, überzeugt habe ihn letztlich,

"(d)ass das ZDF auf meine Vorstellung von redaktioneller Mitsprache eingegangen ist. Es ging nicht ums Geld und nicht um die Frage, ob ich mit meiner Firma Mhoch2 mitproduzieren kann."

Er widerspricht damit der Aussage der SZ vom Montag (siehe Altpapier), seinen Produktionspartner "Heidemanns mit mhoch2 in die Gestaltung von 'Wetten, dass ..?' einzubeziehen, soll eine der wenigen Bedingungen gewesen sein, die Lanz stellte."

Fernsehstrukturalist Michael Hanfeld von der FAZ, der Lanz kürzlich für seinen Interviewstil – siehe hierzu auch die oben zitierten Ausführungen von Peer Schader – kritisierte (was wiederum gestern die SZ zurückwies), zeichnet ein größeres Bild, in dem nicht nur Personen auftauchen, sondern auch Instutionen und schreibt über den "Handschlagvertrag", mit dem sich Lanz und ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut geeinigt hätten:

"Doch darf man sich die Sache nicht allzu romantisch vorstellen. Am Ende geht es ums Geld, das Moderatoren vor allem dann verdienen können, wie sie mitproduzieren. So ist denn nun die von Lanz und seinem Kompagnon Markus Heidemanns geführte Firma 'mhoch2' mit von der Partie, die schon Lanzens Talkrunde fürs ZDF erstellt. (...) Damit vollzieht der neue ZDF-Intendant, was er nach dem Abgang des All-inclusive-Moderators Johannes B. Kerner im Frühjahr 2009 eigentlich zu vermeiden trachten wollte - sich von einem Moderator allzu abhängig zu machen."

[+++] Womit wir beim zweiten großen Thema des Tages wären, dem eigentlich größeren, das aber – wir Medienjournalisten sind ja letztlich auch nur die Quotengeier, die zu sein wir den Sendern bisweilen vorwerfen – vergleichsweise wenig Niederschlag in den Zeitungen findet, jedenfalls heute noch: ZDF-Intendant Markus Schächter gibt am Mittwoch seine Abschiedsparty, "in der Mainzer Phönix-Halle", wie Hanfeld weiß. Programmdirektor Bellut folgt ihm nach.

Bernd Gäbler blättert aus diesem Anlass für den Tagesspiegel ein paar Runden zurück in der Geschichte der "Erbfolge", in der das ZDF, das er eine "widersprüchliche Institution" nennt, "de facto" regiert werde: Einem Intendanten folgte stets dessen Programmdirektor nach. Zur Würdigung von Schächters Arbeit:

"Seine eigene Brückenfunktion hinein ins digitale Zeitalter sieht er als hinreichend erfüllt an. Flotte Beiboote wie neo, kultur und info hat er dem ZDF verschafft. Das Ziel, vom Ein-Kanal-Sender zur digitalen Familie zu mutieren, ist formal erreicht. Aber zum Ende seiner Amtszeit hat die KEF, das für die Gebührenzuweisung zuständige Gremium, für das ZDF erstmals strikte Sparauflagen beschlossen. Bis dahin schauten die KEF-Leute stets wohlwollend auf die Expansionen des Zweiten. Erst sein Nachfolger wird den Kampf darum aufnehmen müssen, ob sich das traditionelle, in Programmen gebündelte und auf fest definierten Sendeplätzen angebotene Fernsehen in Konkurrenz zu Youtube, Google-TV und vielleicht auch der Telekom noch als Leitmedium behaupten kann."

Steffen Grimberg schreibt den taz-zwei-Aufmacher, arbeitet die KEF-Geschichte weiter aus und lässt Schächter auch selbst zu Wort kommen:

"Die KEF monierte, das Zweite sei ihren Sparvorgaben nicht nachgekommen, und fordert nun, in den kommenden vier Jahren die Personalausgaben um 75 Millionen Euro zurückzufahren. Der immer so überkorrekt wirkende Schächter – ein KEF- Trickser? 'Das ist ein Hagelschlag, der uns hart getroffen hat – und das ärgert mich schon', sagt der Nochintendant. 'Unsere Gremien haben uns grünes Licht für drei Digitalkanäle gegeben, wir haben vorbildliche Freie-Mitarbeiter-Strukturen geschaffen, wir haben die Mediathek aufgebaut. Gleichzeitig haben wir mehr gespart, als vorgegeben war. Wir haben aber zu akzeptieren, was die KEF uns vorgibt. Wir werden es ohne betriebsbedingte Kündigungen bis 2016 schaffen.'"

Was denkbar ist: Den freien Mitarbeitern mit den unsichersten Verträgen – die FAZ spricht von den Mitarbeitern des "dritten Kreises" – muss man ja nicht betriebsbedingt kündigen. Deren Verträge werden halt einfach nicht verlängert.


Altpapierkorb

+++ Mehr vom Tag – zur Paywall bei Madsack (Meedia). Etwa Welt Online berichtet darüber: "Die Mediengruppe, zu der 17 deutsche Tageszeitungen gehören, verlangt künftig Geld für die exklusiven Artikel seiner Online-Zeitungen." Wenn Welt Online über Medienthemen berichtet, die nicht direkt mit dem Fernsehprogramm zu tun haben, ist freilich irgendwas faul. Und so kann man die Madsack-Berichterstattung dort bei Bedarf wohl auch als verklausulierte Berichterstattung in eigener Springer-Sache verstehen +++ Und zu den oben erwähnten Tierbildern"Puh, zum Glück sind die 619 Tierbilder der Woche (!) bei der HAZ nicht von der Paywall umschlossen", twitterte am Montag Konrad Lischka. Danke für den abendfüllenden Hinweis +++

[+++] Und sonst: Spotify startet in Deutschland (TSP) +++Bei einer Konferenz in Köln kritisiert der langjährige WDR-Journalist Gert Monheim die "Selbstkommerzialisierung" der Öffentlich-Rechtlichen (FK) +++ Die FAZ ist in ebenfalls Köln in die "rasante Poetik des Spitzenfernsehens" eingetaucht (S. 29) +++ Die SZ porträtiert Schauspieler Bjarne Mädel (S. 15): "Mit seinem Käppi, seiner schmucklosen Jacke und dem für die Dietmar-Rolle sprießenden Bart wirkt er ein wenig verlottert, in die Welt geworfen, hilflos den Unwägbarkeiten des Alltags ausgeliefert. Niemand würde in diesem Typen einen höchst erfolgreichen deutschen Schauspieler vermuten. Mädel besitzt diese besondere Fähigkeit, in der Masse verschwinden zu können. Man wird in seiner Gegenwart das Gefühl nicht los, dass man auf ihn aufpassen muss, damit er nicht abhandenkommt" +++ Und die taz greift eine Analyse des "Internetfeldzuges gegen Joseph Kony" auf +++ Klaudia Wick schreibt Thomas Gottschalk eine Bewerbung als Sidekick... nee, doch nicht (BLZ): "So ein Sidekick könnte Ihnen dann auch schnell mal zurufen, was Ihnen jetzt Ihre Redaktion zuruft – zum Beispiel wie 'meine kleine Freundin vom Wetter' heißt, die in dieser Woche bei Ihnen zu Gast ist. Und die übrigens NICHT Ihre kleine Freundin ist. Wie auch ich nicht die Frau bin, die Sie suchen" +++ Und der KSTA schreibt über Kritik am "Jugendwahn" des WDR +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Mittwoch.

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