Albern, lässig und absurd

Albern, lässig und absurd

Zur Wulff-Affäre gehört auch eine Bild-Affäre: Die komfortable Situation der Bild-Zeitung, in wechselnden Posen immer nur über die Moral anderer sprechen zu müssen

Man könnte auch mal mit was anderem anfangen, der schönen, 30-jährigen Geschichte des C64 etwa, wie sie Detlef Borchers in der FAZ (Seite 33) erzählt:

"Zunächst einmal aber war der C64 ein Rückschritt: Im Herbst 1981 befahl Commodore-Boss Jack Tramiel den Bau eines einfachen Computers, als er von Plänen der Konkurrenten Atari und Tandy erfuhr, Homecomputer in großen Stückzahlen auf den Markt zu werfen."

Aber am Ende landet man doch immer wieder bei der Bild-Affäre als Teil der Christian-Wulff-Affäre. Schon weil auf den Zeitungsseiten noch manche Betrachtung zur "Günther Jauch"-Sendung vom Sonntag erscheint. In der SZ (Seite 15) schreibt Katharina Riehl:

"Jauch hat das mit der bewussten Verspätung nun nachgeholt - eine ruhige Sendung ohne Geschrei, mit einem vielleicht manchmal etwas zu defensivem Moderator. Als CDU-Politiker Vogel fragte, warum der Mailboxinhalt nicht unmittelbarer von Bild bewertet wurde, schien Bild-Mann Blome verlegen."

"Schien" scheint der richtige Ausdruck zu sein, wenn man die Beobachtungen von Matthias Kalle im Tagesspiegel ernstnehmen wollte, der etwas anderes gesehen hat:

"Am meisten redeten Nikolaus Blome, Vize-Chef der 'Bild', und 'Spiegel'-Chefredakteur Georg Mascolo. Sie hatten der Jauch-Rekordkulisse von 5,81 Millionen Zuschauern auch am meisten zu erzählen (wenn auch nichts Neues) und sorgten mit einer gewissen Lässigkeit dafür, dass die albernen Einwürfe, es würde sich um eine 'Kampagne' und um 'Medienhetze' handeln, vor allem albern blieben."

Das Praktische an dieser Form von, soll man noch sagen: Kritik ist, dass man nichts begründen muss, weil das Prädikat "albern" als Behauptung keine Fragen offen lässt.

[+++] Ob es deswegen schon stimmt? Im Gastbeitrag von Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz, die im letzten Jahr eine Studie für die Otto-Brenner-Stiftung zum Geschäftsmodell von Bild verfasst haben, auf evangelisch.de steht:

"Die öffentliche Diskussion lässt sich von 'Bild' dumm machen, schließt aus, dass jemand Täter und Opfer zugleich sein kann, thematisiert nicht einmal, dass "Bild" und Pressefreiheit in verschiedenen Sphären beheimatet sind."

Der Ex-Springer-Mann Michael Spreng spricht in seinem Blog angesichts der Lage jedenfalls lieber von Absurditäten:

"Da preist der 'Spiegel'-Chefredakteur bei Günther Jauch sein 'morgen erscheinendes Heft' an, in dem das Blatt aus Wulff-Telefonaten mit BILD-Chef Kai Diekmann und Springer-Chef Matthias Döpfner zitiert, während der stellvertretende BILD-Chefredakteur neben ihm sitzt und dann prompt bestätigt, dass 'Der Spiegel' korrekt berichtet. Da wird der 'Enthüllungsjournalist' Hans Leyendecker von der 'Süddeutschen Zeitung' in BILD ausführlich mit einem Interview zitiert, in dem erklärt und bewertet, was Christian Wulff Kai Diekmann auf die Mailbox gesprochen hat. Absurder geht’s kaum."

Stefan Niggemeier korrigiert in seinem Blog Aussagen von Bild-Blome bei Jauch:

"Und schließlich sagte er noch, dass einige der PR-Schlagzeilen, die 'Bild' Wulff in den Zeiten bester Zusammenarbeit schenkte und die Jauch gezeigt hatte, bloß aus den Regionalausgaben von 'Bild' stammten. Blome sagte die Unwahrheit. Jede der gezeigten Geschichten war in der Bundesausgabe."

Über die kaum hinterfragte Rolle von Bild notiert Niggemeier zu Beginn seiner Überlegungen:

"Ich frage mich, ob man als 'Bild'-Zeitung-Macher manchmal darunter leidet, dass man es zu leicht hat. Man kann heute alle Register eines unseriösen Schmuddelblattes ziehen, und sich morgen wieder als seriöse Zeitung geben. Man hat die Wahl, Dinge zu veröffentlichen, Dinge nicht zu veröffentlichen und Dinge zu veröffentlichen, ohne sie zu veröffentlichen. Man kann es mit der Wahrheit ganz genau nehmen oder schon das Konzept 'Wahrheit' an sich als eine Erfindung von Korinthenkackern abtun. Man muss niemandem Rechenschaft ablegen oder tut es einfach nicht. Und keine Sekunde muss man sich um sein dummes Geschwätz von gestern kümmern."

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Bild-Affäre: Absurder geht's nicht (Sprengsatz)##Bild-Affäre: Blome sagt die Unwahrheit (Niggemeier)##Bild-Affäre: Verdummte Öffentlichkeit (Evangelisch.de)##ORF-Aufregung: Parteienpersonalpolitik (TAZ)##]]

Das geht anderen Leute eben anders. Wie der Bundespräsident, in diesem Fall freilich nicht zu Unrecht, zu spüren bekommt. Wie sehr er die Berichterstattung bestimmt – die damit letztlich abbildet, dass Wulff ein Thema ist, das in jedem Alltagsgespräch funktioniert –, zeigt, dass er mittlerweile in fast jedem Ressort anschlussfähig ist.

Maxim Leo hat sich in der Berliner mit den Wulff-Witzen beschäftigt, die in den sozialen Medien die Kommunikation am Laufen halten:

"Interessant ist auch, was zum Beispiel die Franzosen zur Wulff-Krise sagen... Jemand hatte ein Foto des Klinkerhauses eingestellt, für dessen Kauf sich Wulff auf so seltsame Weise Kredit verschaffte. Die Franzosen fanden das kleine Haus sehr lustig. 'Wie sieht denn das richtige Haus des Präsidenten aus?', fragte einer. Und viele, viele lachten, als sie die traurige Wahrheit erfuhren."

Steffen Grimberg blickt in der TAZ auf die Ausstrahlung der Langfassung von Lutz Hachmeisters Peter-Hartz-Film auf 3sat (22.25 Uhr), der im November schon in einer Halbstundenversion in der ARD lief, aus heutiger Perspektive. Über die Hartz-Affäre bei VW heißt es:

"Die Empörung war 2005/2006 groß. Und mit als Erster saß derjenige als niedersächsischer Ministerpräsident auf dem Zaun, der qua Amt automatisch VW-Aufsichtsrat ist: 'Die, die sich etwas zu Schulden kommen haben lassen, werden ihre Plätze räumen', gibt Wulff den Aufräumer. Er erläutert auch die innige Verbindung zu seinem mittlerweile geschassten Sprecher und Intimus Olaf Glaeseker. Der sei bei Journalisten beliebt, weil er 'die Wahrheit' und ab und zu auch 'gar nichts' sage, statt sie für dumm zu verkaufen."

Und auf Springers Welt-Online ist vom – man wusste nicht, dass es so was überhaupt gibt – Neujahrsempfang bei Springers Hamburger Abendblatt zu lesen, zu dem sich Wulff-Gattin Bettina "wagte", wie es beim Abendblatt selbst vor der Bezahlschranke heißt:

"Angesichts der Kredit- und Medienaffäre ihres Mannes Christian erhofft sich Bettina Wulff nach Angaben von 'abendblatt.de', dass wieder Ruhe für ihre Familie einkehrt und sie gemeinsam mit ihrem Mann ihren Aufgaben nachgehen kann."

Bleibt die Frage, ob das "albern" oder "lässig" ist.


Altpapierkorb

+++ Stefan Raab hat sich was Neues für die ESC-Auswahl "Unser Star für Baku" überlegt (und nimmt doch in der Jury Platz): "Bei den insgesamt acht Sendungen wird der Zwischenstand des Zuschauervotings permanent eingeblendet. 'Das ist die Einführung der Blitztabelle in die Unterhaltung', erklärte Raab am Montag in Köln." Schreibt Thomas Gehringer im Tagesspiegel. +++ Genauer erklärt den Modus Thorsten Keller im KSTA: "Sobald sich alle Kandidaten in 30 Sekunden kurzen Trailern vorgestellt haben - also noch vor dem ersten Song des Abends -, werden die Leitungen für das Telefonvoting geöffnet. Wer dabei die wenigsten Stimmen bekommt, muss im eigentlichen Wettbewerb als Erster auf die Bühne, und hat dann die Chance, sich nach vorne zu singen. Die aktuellen Zwischenstände werden als Balkendiagramm permanent eingeblendet. 'Sie sehen, auch während der Kandidat singt, wie sich sein Ranking verändert', sagt Raab." +++ Raabs PR-Menetekel, in 15 Jahren würden Bundestagswahlen so entschieden, ignoriert Hans Hoff in seinem Beitrag für die SZ (Seite 15). +++

+++ In den USA geht ein Streit über das Gesetz, das Internetpiraterie bekämpfen soll, bei dem Kritiker aber fürchten, dass das Internet als solches danach ein anderes wäre: Sopa, Stop Online Piracy Act. In der FAZ berichten Wirtschaftsteil (Seite 17) und Feuilleton (Seite 31). +++ Ebenfalls in den USA, ebenfalls in der FAZ (Seite 33): ein neues Verlegertool, in das auch Springer investiert – "News Right" soll die Verwendung von Content im Internet nachverfolgen und lizenzieren. +++ In Österreich: Ein junger SPÖ-Stutzer namens Niko Pelinka sorgt als Büroleiter von ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz für Aufregung. Die TAZ berichtet, dass auch Elfriede Jelinek mit einem Text interveniert: "'Sie töten die politische Bewegung, aus der ihre Altvorderen gekommen sind. Und jetzt ist sie tot, die Sozialdemokratie, sie weiß es vielleicht noch nicht, ich glaube, sie weiß es wirklich nicht, wenn ich mir diese Gesichter so anschaue.'" +++

+++ Hierzulande: Im Tagesspiegel stellt Joachim Huber die neues "Aspekte"-Moderatorin Katty Salié vor. +++ In der Berliner berichtet Stefan Strauss, dass der gewesene Radio-Fritz-Moderator Ken Jebsen Crowdfunding für die Zukunft der eigenen Arbeit betreibt. +++

+++ Und: "Stimmige Genrekrimis der härteren, schlanken, nicht blasierten Art haben wir nicht allzu viele. Das ist einer davon." (FAZ, Michael Hanfeld). +++ "Heino Ferch musste auf so eine Rolle lange warten. Er hat es ausgehalten." (SZ, Christopher Keil). +++ "Abgründiger Thriller, virtuos gespielt". (FR, Klaudia Wick). +++ Betrifft: "Spuren des Bösen" (ZDF, 20.15 Uhr). +++

 

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