Murdochs Titanic

Murdochs Titanic

Welches journalistische Ressort hat am wenigsten mit den Grundsätzen des Journalismus zu tun? Außerdem: Neuigkeiten von Wikileaks und dem Kinderkanal.

„Das ist ein sehr guter Tag für den Medienstandort Deutschland“, hat gestern Christian Seifert gesagt, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Deutschen Fußball-Liga. Zitiert hat dies heute die FAZ in ihrem Medienseiten-Aufmachertext über den Start des Sportnachrichtensenders Sky Sport News HD. Das Standort-Statement ist vielleicht ein guter Anlass, mal daran zu erinnern, dass der neue Newskanal - wie auch der Schwestersender, der die Spiele aus Seiferts Liga live zeigt - zu einem Medienimperium gehört, über das in den vergangenen Monaten beinahe täglich neue unappetitliche Details ans Licht gekommen sind, zuletzt vor allem in einem Untersuchungsausschuss des britischen Parlaments (siehe heutiger Altpapierkorb). James Murdoch, der im Vorstand der News Corp. seines Vaters Rupert für Sky Deutschland zuständig ist, musste sich von einem britischen Politiker kürzlich sagen lassen er, Murdoch junior, sei „der erste Mafia-Boss in der Geschichte, der nicht wusste, dass er eine kriminelle Unternehmung führt“. Man könnte als Standortpatriot, gewisse medienmoralische Anwandlungen vorausgesetzt, also auch durchaus argumentieren, dass es gar nicht so schlecht wäre, wenn sich Rupert Murdochs Leute vom Acker machen.

Vergessen wir aber mal für den Rest des Tages die Mafia- und Standort-Folklore und kümmern uns alltagsgeschäftsmäßig um den neuen Nachrichtensender. Markus Ehrenberg schreibt im Tagesspiegel:

„Manche sagen, zum ersten Mal mache Sky richtiges Fernsehen, produziert im eigenen Haus, mithilfe hochmoderner Produktions- und Sendetechnik. Ein Prestigeobjekt. Sky-Hauptaktionär Rupert Murdoch gab 48 Millionen Euro dazu.“

Ehrenberg kritisiert allerdings die Fußball-Lastigkeit. Zu einer „TV-Grundversorgung für Sport“ trage Sky Sport News nichts bei. Am Ende des Artikels hat sich der Tagesspiegel-Mann möglicherweise von Ror Wolf beeinflussen lassen:

„Was vom ersten Tag des Sportkanals besonders in Erinnerung bleibt (...): Nachrichten in 27-minütigen Blöcken, Reporter vor leeren Fußballstadien, Reporter vorm Trainingsgelände, Schaltgespräche. Klopp, Raul, Watzke, Hoeneß, Allofs. Fußball.“

„Sportliche Dauerberieselung im CNN-Stil“ lautet die nach Verriss klingende Headline bei meedia.de, der folgende Artikel meint es dann aber eher gut mit dem Sender, wobei Stefan Winterbauers positives Urteil wohl nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass ihm die Hauptmoderatorin Kate Abdo zusagt („braungebrannt, lange Haare, sehr weißes Lächeln“). Hat der Sender möglicherweise auch was mit Journalismus zu tun? Der Blogger Jonathan Sachse schreibt dazu in einem Kommentar zu einem später hier noch zur Sprache kommenden Beitrag des Bloggerkollegen Daniel Drepper:

„Es wird alles bestätigt, war leider auch nicht anders zu erwarten. Aufmacher mit einem Grußwort von Blatter, Phrasen von Beckenbauer und Twitterkönig Becker. Heute ging ein 24-h-Sportentertainment-Sender live, aber kein journalistischer 24-h-Sportsender.“

Die ausführlichsten Gedanken macht sich erwartungsgemäß Kai Pahl, der fleißigste Mediensportbeobachter im Lande:

„Es gibt Stimmen, die Sky Sport News als ‚Titanic‘ bezeichnen, als Sender der Sky Deutschland finanziell runterreißen wird. Alles lässt sich damit rechtfertigen, dass man irgendwelche Marketingeffekte erreicht – aber lassen sich durch einen verschlüsselten Sender soviele Neukunden gewinnen? (...) Auf der einen Seite erhofft man sich positive Effekte davon, dass der Sky-Kunde am Freitag morgen um 6h37 über Neuigkeiten beim Biathlon informiert wird. Auf der anderen Seite haben die eigenen Sportübertragungen eher dürftige Vorberichte. Aktuell sind es drei Minuten Vorlauf bei der DEL. Bei den Bundesliga-Freitags- und Sonntagsspielen sind es (Werbung abgezogen) fünf bis sieben Minuten.“

Einem anderen aktuellen Aspekt der Sportberichterstattung widmet sich Michael Brake in der taz. In der Kolumne „Fernsehen“ schreibt er über die gerade beginnende TV-Wintersportsaison:

„Wieso wird ausgerechnet dieser antitelegene Wintersport in derart epischer Breite abgedeckt? Wieso tauchen 90 Prozent der olympischen Sommerdisziplinen bloß genau alle vier Jahre im deutschen Fernsehen auf, während vom Winterprogramm jede popelige Weltcup-Qualifikation gezeigt wird? Es ist mir unbegreiflich. Rodeln etwa: Da werden um einen Eiskanal herum 20 Kameras angebracht, und alle zeigen, wie ein Schlitten sehr schnell vorbeihuscht. Der Zuschauer starrt derweil auf die Zeitanzeige, wer am Ende vier Tausendstelsekunden vorn liegt. Das kann man sich genauso gut im Videotext anschauen. Beim Riesenslalom, Eisschnelllauf, Bob und Langlauf ist es ähnlich. Die einzige Ausnahme ist Biathlon, bei dem die Fernsehregisseure in den letzten 15 Jahren die Inszenierung von Hektik perfektioniert haben.“

Wie es grundsätzlich um die Sportberichterstattung hier zu Lande bestellt ist - das ist das Schwerpunktthema in der Dezember-Ausgabe des Monatsmagazins journalist. Ronny Blaschke fragt in der Titelgeschichte:

„Wenn die Mehrheit der Sportjournalisten sich mit Inszenierung beschäftigt, mit Personalisierung, Pathos, Helden verehrung: Wer beobachtet dann das System, das den Sport umgibt, vereinnahmt, politisiert – und vielen Reporterkollegen die Existenz sichert?”

Der Text steht noch nicht online, der oben erwähnte Daniel Drepper ist in seinem Blog aber bereits darauf eingegangen. Ein weiterer Grundsatzgedanke Blaschkes:

„Die Mehrheit der Sportjournalisten verengt die Pyramide traditionell auf ihre Spitze: Nationalmannschaft, Bundesliga, Olympia. Eine Kontrollinstanz dieses Apparats hat sich nie etablieren können. Gibt es ein anderes journalistisches Ressort, das so wenig mit den Grundsätzen des Journalismus zu tun hat?“

[listbox:title=Artikel des Tages[Der antitelegene Wintersport (taz)##Terry Eagleton über Privatsphäre und Privatbesitz (freitag.de)##Wider die alte Mär von den verblödeten Verlierern (publikative.org)]]

Neben einem Interview mit Roman Steuer von Sky Sport News findet sich in dem journalist-Schwerpunkt auch ein Beitrag, der bereits seit Mittwoch online verfügbar ist. Darin geht es um die Rudelbildung von Fußballberichterstattern in der Mixed Zone, eine der nutzlosesten Formen der Informationsbeschaffung seit Erfindung der Druckerpresse (Disclosure: Ich war zumindest sporadisch schon an der Bildung solcher Rudel beteiligt). Verfasst hat den erhellenden Beitrag - in dem eine Passage zu Sky Sport News nicht fehlen darf - Philipp Selldorf, der derzeit auch wegen eines weniger durchdachten Kommentars für die Mittwoch-Ausgabe der SZ im Gespräch ist. Nicole Selmer hat ihn deshalb bei publikative.org zum „Heiopei der Woche“ gekürt. Unter der nicht gerade anspielungsarmen Headline „Philipp Selldorf und die ‚Brandstifter‘“ wirft sie dem SZ-Redakteur vor, dass er neonazistische Fußballfans und Freunde der Pyrotechnik in einem Kommentar abhandelt bzw. „durch ein nonchalantes ‚wenn auch mit anderem Hintergrund‘ miteinander verknüpft“. Allgemeiner gesagt: Der Hinweis darauf, dass Äpfel keine Birnen sind, ist halt nicht viel wert, wenn man ihn beim weiteren Schreiben ignoriert.

Selldorfs Kommentar ist natürlich ein ideales Objekt für publikative.org, denn erstens hat der Blog sich in letzter Zeit mehrmals mit der fragwürdigen Berichterstattung über Fangewalt beschäftigt (hier und hier), und zweitens gehört die Auseinandersetzung mit der medialen Aufarbeitung des NS-Terrors dort zu den Spezialthemen (siehe Altpapier). In einem aktuellen Beitrag zu diesem Thema kritisiert Andrej Reisin - wobei er sich unter anderem auf einen Text Jana Hensels für den Freitag bezieht - „die Klischees von den ‚dummen Nazis‘, den ‚dumpfen Schlägern‘ und den ‚grölenden Skins‘“, die „seit der Mordserie des so genannten Nationalsozialistischen Untergrunds wieder durch alle Medien geistern“:

„Kaum etwas könnte weiter weg sein von einer adäquaten Beschreibung der Realität als die alte Mär von den verblödeten Verlierern. (...) Wer den Zusammenhang zwischen Sarrazins Gerede von Genen und Gemüsehändlern und der Nazi-Rhetorik vom aussterbenden Volk auch jetzt noch nicht sehen will, dem ist nicht mehr zu helfen. (...) Wer (...) glaubt, dass das Angebot der Nazis nur auf Dummheit basiert, (..) und wer sich der Illusion hingibt, die braune Dominanz der Jugendkultur (...) im Osten würde von allein wieder verschwinden – der begeht gleich mehrere schwere Fehler, die (...) weitere Menschenleben kosten werden. Den Nazis entgegen zu treten heißt, sie ernst zu nehmen: politisch, polizeilich, juristisch. Denn sie meinen es ebenfalls ernst – todernst."


Altpapierkorb

+++ „Was hat das Abhören von Anrufbeantwortern mit dem Mittelalter und was mit dem Spätkapitalismus zu tun?“ Zu dieser Frage lässt sich Terry Eagleton bei freitag.de durch die Arbeit des britischen Untersuchungsausschusses zur Abhöraffäre inspirieren. Der Literaturtheoretiker schreibt: „Letzten Endes machen die Medien aus dem Privatleben einzelner Leute öffentliche Spektakel, weil die Medien von der Macht und dem Vermögen Einzelner betrieben werden. Wenn heute jedes Privatleben potenziell der Öffentlichkeit gehört, dann liegt das daran, dass der Privatbesitz die Verantwortung der Öffentlichkeit untergraben hat. Unsere Achtung vor der Privatsphäre eines Menschen macht uns das Hacking von Telefonen so widerwärtig und unsere Achtung vor dem privaten Profit lässt solche Verletzungen der Privatsphäre blühen. Um diesen Widerspruch zu lösen braucht es allerdings mehr als einen Parlamentsausschuss.“

+++ Im gedruckten Freitag (S. 5) fragt sich Wolfgang van Deuverden, warum die Website politik.de redaktionell so unzureichend betreut wird, dass sich in den Kommentaren dort Nazis austoben können - und das obwohl das Unternehmen, das das Forum betreibt, die Tochter einer Firma ist, die aufgrund öffentlicher Aufträge finanziell sehr gut gepolstert ist.

+++ Möglicherweise überraschend: Wikileaks ist noch aktiv. Dieses Mal im Fokus der Organisation: die Überwachungsindustrie (NZZ).

+++ Die Reaktionen der Zeit-Leser auf die Guttenberg-Kampagne (siehe Altpapier von gestern) werten heute SZ und taz aus.

+++ Ebenfalls ein Thema für SZ und taz: Der Kinderkanal möchte, dass nun langsam auch mal wieder über seine Programminhalte berichtet wird (Disclosure: Der erstgenannte Text ist von mir).

+++ Wer schon einen Kalender für 2012 hat, kann sich den 22. März vormerken. An diesem Tag findet vor dem Landgericht Köln die zweite Verhandlung in Sachen Verleger gegen Tagesschau-App statt. Dies weiß die Funkkorrespondenz, weil sie den Hinweisbeschluss gelesen hat, in dem das Gericht seine „vorläufige Rechtsauffassung“ festgehalten hat (siehe Altpapier). Kernpunkt: Die Klage sei „in der jetzigen Form unzulässig“, schreibt der Fachdienst, Formulierungen à la „hörfunk- und/oder fernsehähnlich“ seien „ungeeignet, das beantragte Verbot zur Verbreitung der ‚Tagesschau‘-App ‚hinreichend bestimmt zu umschreiben‘“.

+++ Die Funkkorrespondenz berichtet außerdem, Radio Bremen steuere „mit Beginn des Jahres 2013“ auf einen „Liquiditätsengpass“ zu. Diesen „wollen die Senderverantwortlichen mit Intendant Jan Metzger an der Spitze über eine Kreditaufnahme verhindern. Die Rundfunkanstalt benötigt 2013 und 2014 jeweils rund 7 Mio Euro mehr, weil sie davon ausgeht, dass die Einnahmen bei gleichbleibender Haushaltsabgabe nicht steigen werden“. Der Sender wolle „aber keinen (weiteren) Bankkredit aufnehmen“, sondern mit der ARD über einen Kredit verhandeln, weiß Volker Nünning.

+++ Noch nie was Positives über Peer Steinbrück in dieser Kolumne gelesen? Bitte sehr: Er hat gerade ein paar gar nicht so dumme Sachen über Michael Ciminos Film „The Deer Hunter“ gesagt, einen „dieser bis heute nicht restlos verdaulichen Hollywood-Hämmer der siebziger Jahre“, wie Tobias Kniebe in der SZ (S. 14) den Film nennt. Anlass des Artikels ist die neue Veranstaltungsreihe „Mein Film“, die die Deutsche Filmakademie in Zusammenarbeit mit der Sonntags-FAZ präsentiert.

+++ Der Feuilleton-Chef der FAS, Claudius Seidl, äußert sich „im großen Jahresrückblicksinterview“ von V.i.S.d.P. unter anderem zum Thema Ressortleiterglück: „Sie würden uns unterschätzen, wenn sie glauben würden, es ginge um Meinungen, um Recht behalten. Es geht darum, den klügstmöglichen Vorschlag zum Weiterdenken zu machen. Ich sage: Ich will unbedingt einen großen Aufmacher aus folgendem Grund. Und der Autor schreibt dann das komplette Gegenteil. Das macht mich froh.“

+++ Die taz darf weiterhin aus Mails eines Rechtsextremisten zitieren, in denen dieser zu einem Putsch innerhalb des Dachverband „Deutsche Burschenschaft" aufruft. Das hat nach der ersten Instanz nun auch das Berufungsgericht entschieden.

+++ Dirk von Gehlen wirft die Frage auf, ob „Live-Bloggen eine preiswürdige journalistische Tätigkeit“ sei. Weitere Einschätzungen zu dem Thema hat poynter.org gebündelt.

+++ Geschichtsunterricht in Sachen „Wetten, das ...“ gibt Klaudia Wick in der Frankfurter Rundschau und der Berliner Zeitung: Wie war das eigentlich, als Frank Elstner und Wolfgang Lippert moderierten?

 +++ „Nur weil der Inhalt stimmt, ist der Film noch nicht stimmig. Manchmal ist Wirklichkeit zu komplex für einen Spielfilm; als Dokumentarfilm hätte es grandios werden können“ - so fällt in der FAZ Jan Ludwigs Urteil über „Strahlende Wüste“ aus, ein „Uran-Drama in Niger“, das arte heute zeigt.

+++ Mittlerweile online: Evgeny Morozovs gestern an dieser Stelle als „großes Digitalgrundsatzkino“ gelobte Beitrag für die neue FAZ-Kolumne „Silicon Democracy“.

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.

 

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