Eine Frage der Einstellung

Eine Frage der Einstellung

Ein Fernsehbranchendienst wird zehn – aber nicht nur deshalb dreht sich heute alles ums Fernsehen: seine Geschichten, seine Gestrigkeit, seine Heutigkeit, seine Echtheit, seine Transparenz und, ja ja, auch um sein Personal.

Zehn Jahre DWDL, dazu auch von hier herzlichen Glückwunsch an das Fernsehblog, das Medienmagazin, den TV-Branchendienst, wie auch immer. Für alle, die sich nicht bei Preisverleihungen herumtreiben, stellt sich natürlich zuallererst die Frage, warum DWDL eigentlich DWDL heißt. Aber DWWNDCDL – das weiß wohl nur der Chef des Ladens.

Zum Zehnten hat das stets bescheiden bleibende und nun angemessen bescheiden in New York Geburtstag feiernde DWDL-Team diverse Fernsehnasen für Interviews ausgegraben. Was nicht abwertend klingen soll: NSTO – Nasen sind total okay! Nur mit dem Fernsehen gibt es halt ein paar Probleme, und die sind dann auch das Thema besagter Interviews. Allerjüngst kamen Bastian Pastewka, Günther Jauch ("Zum ersten Mal!" "Exklusiv!" In diesem bescheidenen Medienmagazin!) und der Medienjournalist Stefan Niggemeier dazu.

Mittlerer findet das mit der Talkshow ganz okay, ersterer und letzterer sagen in mancher Hinsicht nicht allzu voneinander unterschiedliche Sachen, wenn auch nicht beide bei DWDL – Pastewka hatte offenbar Interviewtage und ließ den Spiegel unter anderem auch wissen, dass er "Wetten, dass..?" einstellen würde, was mittlerweile eigentlich keine Meldung mehr ist. Genau wie Anke Engelkes, mit der zusammen Pastewka interviewt wurde, Absage für "Wetten, dass..?" nur eine weitere ist (die exklusiv und zum ersten Mal überhaupt DWDL und der Tagesspiegel zusammenfassen).

Stefan Niggemeier sagt also im Interview zum Fernsehen:

"Mein Hauptfrust ist eigentlich, dass es das echte Leben so wenig ins Deutsche Fernsehen schafft, jenseits von Inszenierungen wie 'Bauer sucht Frau' oder 'Raus aus den Schulden'. 'Danni Lowinski' ist ganz schön und 'Mord mit Aussicht' finde ich wunderbar. Aber damit hat es sich dann auch schon. Hätte ich einen Wunsch frei, wäre das mehr echtes Leben und mehr Live-Fernsehen. Das wäre ein Anfang."

Und Pastewka sagt im Interview mit dem Spiegel (geführt von Spiegel-Autor Niggemeiers Kollegen Alexander Kühn und Martin U. Müller):

"Fernsehen ist nicht verlogen, aber überinszeniert. Und weil so vieles im Fernsehen unecht ist, rechnen die Menschen schon damit, planmäßig betuppt zu werden. Viele denken, wir im Rateteam von 'Genial daneben' würden die Antworten schon kennen – was Quatsch ist. Mancher Zuschauer hat die Unbefangenheit gegenüber dem Fernsehen verloren. Das ist schade."

Halten wir fest: DEFZ – Das Echte fehlt ziemlich.

Und das stimmt natürlich: Reality – wie in Reality-Fernsehen – ist nur eine von vielen möglichen Realitätsproduktionen; History – wie in Guido Knopp – ist medial vermittelte Geschichte, die ihre mediale Vermitteltheit aber nicht thematisiert. Ganz echt ist das ja oft nicht. Eher so The-Real-Bushido-trifft-Schäfer-Heinrich-mäßig echt (Foto: dpa).

Andererseits, erstens: In der Fiktion ist der Trend ja normativ nicht zwangsläufig schlecht (siehe Nina Rehfelds FAZ-Text über neue Serien in den USA, der jetzt frei online steht). Und zweitens könnte an dieser Stelle eigentlich mal eines der neuen Philosophie-Magazine bei der Themensuche fündig werden. Deren erste Ausgaben hat am Sonntag, nach einigen anderen (s. Altpapier), auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung besprochen (und für recht ausbaufähig befunden). Philosophisch deepe Frage: GDDE – Gibt's das, das Echte? Oder anders: Ist nicht alles irgendwie echt?

[listbox:title=Artikel des Tages[Kulturgut "Tatort"? (BLZ)##Zum Geburtstag: Niggemeier im Interview (DWDL)##Zum Geburtstag: Pastewka im Interview (DWDL)]]

Ist die Fernsehbranche nach dem Gebrauch von Naturkosmetika zum Beispiel noch echt oder schon unecht? Das ist eine Frage, die die taz aus Baden-Baden aufwirft, einer Stadt, in der die Jugend NEAR – nach eigenen Altpapier-Recherchen – nachmittags noch vorm Mäcces abhängt. Sie schließt ihre Fernsehfilmfestivalberichterstattung mit einem Bericht aus der Hotelbar von Brenners Parkhotel ab, wo man, wie auch anderswo, wohl nicht schlecht plaudern kann:

"Der Sponsor der Preisverleihung des Fernsehfilm-Festivals Baden-Baden hat auch in diesem Jahr wieder Naturkosmetika an die Gäste verschenkt – die diese nach vier Tagen mit je bis zu fünf Filmen und kaum Schlaf ganz gut gebrauchen können."

David Denk erzählt auch von Festivalgepflogenheiten wie dieser:

"In der Diskussion über den wohl schwächsten Beitrag, 'Der verlorene Sohn' (Regie: Nina Grosse), ergreift auch NDR-Fernsehfilmchef Christian Granderath für die Filmemacher das Wort, wie es in Baden-Baden gute Sitte ist, und ermahnt die Jury, wie es in Baden-Baden Unsitte ist: 'Es wäre besser, wenn die Kritik ein bisschen respektvoller rüberkäme.' Er klingt beleidigt."

Jochen Hieber schließt aus solchen oder ähnlichen Festivalerlebnissen im FAZ-Feuilleton (S. 30): "Dringend trennen sollte man (...) die Diskussion der Jury von der beifallumrauschten Vorstellung der jeweiligen Filmemacher und deren Einlassungen in eigener Sache."

Er klingt ansonsten bemerkenswert fernsehfilmfreundlich:

"Die zwölf Fernsehspiele, die im Wettbewerb des 23. Fernsehfilm-Festivals in Baden-Baden um den Hauptpreis konkurrierten, wurden während des vergangenen Jahres in der ARD, im ZDF, bei Sat.1, im ORF, im Schweizer Fernsehen, auf Arte und bei 3sat erstmals ausgestrahlt und dürften dabei in der Summe deutlich mehr als dreißig Millionen Zuschauer erreicht haben. Wir haben es also mit dem publikumswirksamsten aller künstlerischen Genres zu tun."

WMJMSD – wird man ja mal sagen dürfen. So was Nettes übers Fernsehen.

Was aber deswegen noch lange nicht ungebrochen so stehen bleiben muss.
Berliner Zeitung
und Frankfurter Rundschau benennen in ihrer "Tatort"-Bestandsaufnahme diverse Kritikpunkte, die fürs Erste hierin gipfeln:

"Der 'Tatort' führt dem Publikum fast jede Woche vor Augen, woran es dem führenden deutschen Kriminalfilm fehlt. Geschichten, an die man sich auch montags noch erinnert, interessante Figuren, knappe Dialoge und eine Optik, die erkennbar aus diesem Jahrhundert stammt."

Und weil – URHDWDLH – unser roter Faden heute DWDL heißt, kommen von dort noch zwei andere Perspektiven zum Fernsehen. Stefan Niggemeier bittet nämlich um ein wenig mehr Anarchie:

"23 Uhr ist doch eine Sendezeit, zu der Leute wie Du und ich noch Fernsehen schauen und uns auf kluge, unbekannte, aufregende Dinge einlassen könnten. Es muss ja nicht mal elitär sein. Es müsste nur unberechenbar sein."

Und Bastian Pastewka setzt gezielt Tine-Wittler-Möblierungsvokabular ein, um zumindest zwischen den Zeilen das nahende Ende des Fernsehens, wie wir es kannten, auszurufen:

"Ich glaube, dass das Fernsehen sich allmählich darauf einrichtet, nur noch eine bestimmte Generation zu begleiten: die, die es schon kennt. Das Bewährte wird auf Biegen und Brechen fortgeführt, demnächst kommt auch noch an Feiertagen ein neuer 'Tatort'. Aber niemand erwägt, den Klassiker 'Wetten, dass..?' in zwei Wochen würdig für immer zu verabschieden, um stattdessen mal eine neue Show zu erfinden."

TSTSTSSSDZ: Ts ts ts, so sind die Zeiten.


Altpapierkorb

+++ Machen wir an der Stelle doch gleich weiter: mit dem Fernsehprogramm des Montags. Die Süddeutsche Zeitung (S. 15) kritisiert am ZDF-Film "Es war einer von uns" letztlich dann doch den Mangel an Wagnis: "Natürlich, und das muss erwähnt sein, traut sich auch dieser deutsche Fernsehfilm am Ende nicht, auf eine versöhnliche Abrundung zu verzichten. Man will den Zuschauer schließlich nicht mit allzu vielen offenen Fragen ins Bett schicken" +++ Im direkten Vergleich lobt die FAZ (S. 31) eher den anderen Film zu einem ähnlichen Thema, "Der Brand" (Donnerstag, 23 Uhr, SWR) – weil "Es war einer von uns" vergleichsweise mit "auf Hochglanz gezogener Pädagogik" besteche +++

+++ Mehr, strukturell: Wo ist die Transparenz versteckt?, fragt sich Transparency International – und "fordert", wie die Funkkorrespondenz berichtet, "die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender auf, ihre Auftragsvergaben nach außen offener und kenntlicher zu machen." Die FK zitiert aus dem noch nicht veröffentlichten Bericht: "In den letzten Jahren haben sich zahlreiche Skandale und Affären im Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlichen Anstalten und Auftragsproduzenten bzw. einzelnen Mitarbeitern der öffentlich-rechtlichen Sender entwickelt (Kinderkanal, Unterhaltungs- und Sportsektor des Mitteldeutschen Rundfunks, Drehbuchaffäre beim NDR etc.). Es ist daher anzuraten, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in einem jährlichen detaillierten Produzentenbericht darüber Auskunft gibt, wofür welche Gebühreneinnahmen verwendet werden" +++

+++ Abschlusszahlen: Die Süddeutsche berichtet im Anschluss an ihre Degeto-Berichterstattung (siehe Altpapierkorb vom Freitag und Tagesspiegel vom Wochenende), die Degeto habe bereits 2010 "'ihr Budget für den Beschaffungsaufwand deutlich überschritten' (...). Das habe 'im WDR-Jahresabschluss zu einer genehmigungspflichtigen Überschreitung von 3,5 Millionen Euro geführt'" +++

+++ Mehr zur Filmwirtschaft in der SZ: "Das Medienboard Berlin-Brandenburg, in dem die Investitionsbanken der beiden Bundesländer ihre Filmförderung bündeln, baut seine Angebote weiter aus. Inzwischen ist das Medienboard sogar an den Filmen beteiligt –auch im Misserfolg. Ein solches Risiko geht keine andere Filmförderung in Deutschland ein" +++

+++ Der Journalist Eberhard Piltz ist gestorben (Nachruf in der ZDF-Mediathek; bei FAZ.net) +++ Netzwerk Recherche verleiht den Leuchtturmpreis an FAZ und FAS für ihre Berichterstattung über die Plagiatsaffäre zu Guttenbergs: "Die FAZ ist in der Guttenberg-Affäre ihren Grundüberzeugungen treu geblieben, obwohl sie damit einem Sturm von Teilen der eigenen Guttenberg-begeisterten Leserschaft standhalten musste" +++

+++ Mehr Fernsehen: Das Erste plane, berichtet der Spiegel, "Das Ernste" – zum Humordefizitausgleich +++ Ebenfalls im Spiegel eine Niggemeier-Kolumne über den "Burnout" als Medienthema, der Einstieg erfolgt über die Spiegel-"Burnout"-Titel und die hübsche Frage: "Wird Burnout das neue Hitler?" +++ Und noch ein kleiner Text über ZDF-internen "Unmut" über das "heute journal"-Herumgeschiebe, das Michael Hanfeld kürzlich in der FAZ glossierte +++

+++ Noch mehr Fernsehen: Der Tagesspiegel besucht das Set von "Weissensee" +++ Und, nicht nur Fernsehen: Thomas Gottschalk sagt im Spiegel (S. 50ff.) im Gespräch über seinen Glauben das Glaubensbekenntnis auf Lateinisch auf +++

DASSWAD – Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.

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