Drohnenjournalismus und Vielfaltsmehrwert

Drohnenjournalismus und Vielfaltsmehrwert

Schließt Friedes Laden bald Frieden mit einem langjährigen Gegner? Außerdem auf der Agenda: Analysen zur medialen Wahrnehmung der Nazi-Morde.

Dass das Ereignis des TV-Wochenendes ein Film von 1977 ist, kommt heutzutage eher selten vor. „Informationen aus dem Hinterland. Günter Wallraff - der Mann, der bei BILD Hans Esser war“, heißt das vom WDR co-produzierte Werk, das mit der gebührenden publizistischen Unterstützung - die SZ hält heute online und in der Print-Ausgabe sogar unterschiedliche Texte zum Thema bereit - am Samstag im Nachtprogramm des WDR laufen wird. Zwischen 1977 und 2010 war der Film über Wallraffs verdeckte Recherche beim Boulevardblatt hausintern gesperrt - was zuletzt vor einem Jahr ein Thema war, als er in einer gekürzten bzw. „zensierten“ (Wallraff) Fassung zu sehen war. „Informationen aus dem Hinterland“ ist der Auftakt zu einer langen „Günter-Wallraff-Nacht“, die einen nicht ganz unprominenten Nebendarsteller hat: Springer-Chef Mathias Döpfner. Von dem sind nun lobende Worte zu hören über die Recherchemethoden, die Wallraff einst bei Bild anwandte:degeto

„Fest steht, dass mit dieser Aktion sozusagen der Undercover-Journalismus in Deutschland sich etabliert hat und damit eine journalistische Form etabliert worden ist, die sicherlich (...) gute Dinge bewirkt hat.“

Dieses Lob wirft - unabhängig davon, ob es aus rein taktischen Gründen formuliert wurde oder nicht - im Zusammenhang im Wallraff natürlich eine alte Frage auf: Kann jemand Pionier eines journalistischen Genres sein, der in einem starkem Maße auf Ghostwriter angewiesen war? Die Lektüre von rund ein Vierteljahrhundert alten Spiegel- und Zeit-Artikeln sowie eines relativ frischen bei den Ruhrbaronen ist diesbezüglich hilfreich. Dass man in der Wallraff-Nacht Anregendes zu dem Thema erfährt, ist aber wohl nicht zu erwarten. Bemerkenswert ist aus heutiger Sicht, dass der Spiegel Wallraffs Ghostwriter-Truppe damals als „Negerstab“ bezeichnete und in der Zeit von „anonymen Negern“ die Rede war. Bemerkenswert deshalb, weil die Texte 1987 erschienen sind und nicht 1957 oder 1967. Man denkt bei solchen Formulierungen dann schnell an die Kino-Doku „Schwarz auf Weiß“, für die sich der Undercover-Routinier schwarz schminken ließ (siehe Screenshot). Mit dem gelinde gesagt umstrittenen Film leitet das Erste bereits heute das Wallraff-Wochenende ein.

Einen interessanten Aspekt der Sperrungs-Thematik greift Hans Hoff in der Print-SZ (S. 15) auf. Es sei sehr skurril,

„dass der gesperrte (...) Film schon zweimal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gelaufen ist. Ohne Beanstandungen, aber weitgehend unbemerkt. Einmal bei Arte am 16. Juli 1992, einmal im WDR im Juni 2002. Die Turbulenzen um das, was Wallraff 2010 als Selbstzensur betitelte, wären also gar nicht nötig gewesen.“

Döpfner hat, nun wieder laut Oliver Das Gupta/sueddeutsche.de, zum Thema Wallraff noch zu sagen, dass

„damals Dinge in unserem Haus gelaufen sind, die sich mit unseren Vorstellungen, mit unseren Werten und im Rahmen unseres Handelns nicht vertragen".

Das bezieht sich auf Überwachungen durch den BND in den 70er Jahren. Eine „Seilschaft“ des Geheimdienstes habe seinerzeit „eine Parallelschaltung von meinem Büro in die Kölner Bild-Redaktion bewerkstelligt“, sagt Wallraff. Das Gupta erläutert:

„Die ausführenden Instanzen des Geheimdienstes wurden bis heute nicht belangt. Nun hofft Wallraff darauf, dass auch die Hintermänner enttarnt werden - ausgerechnet mit Springers Hilfe. Bekommt eine der giftigsten Feindschaften deutscher Nachkriegsgeschichte ein Happy End?“

Via Wallraff kommen wir zur aktuellen Politik: „Vor allem im BND waberte und dampfte regelrecht die braune Kacke“, sagt er im Rückblick auf die Bespitzelungen. Heute dampft diese Kacke ja bekanntlich vor allem bei einem anderem bundesdeutschen Geheimdienst. Womit wir also bei den mordenden Nazis wären. Andrej Reisin drückt bei publikative.org sein Erstaunen darüber aus, dass Journalisten erstaunt darüber sind, dass Nazis etwas tun, was in ihrem Wesen liegt. Reisin kritisiert die „unbewusste und unbeabsichtigte Entpolitisierung der Ideologie der Täter“ in den Medien sowie eine „bemerkenswerte Selbstgefälligkeit“ unter Journalisten und Experten - und alles in allem ähnliche Schwächen wie im Sommer bei der Berichterstattung über Anders Breivik. Stellvertretend für andere Beiträge knöpft sich Reisins Hans Leyendeckers Artikel „Reliquien des Irrsinns. Die rätselhaften Mörder der NSU“ aus der SZ von Mittwoch vor.

„Wer mehr als zehn Jahre lang im Untergrund lebt, sich klandestin organisiert und ein Kapitalverbrechen nach dem anderen verübt, der ist weder einfach ‚irrsinnig‘ noch ‚faul“ oder gar irrsinnig, faul und verblödet, wie Leyendecker suggeriert.“

Unter dem Titel „Tatort Deutschland“ machen Altpapier-Autor Matthias Dell und der Filmzeitschriftenverleger Simon Rothöhler im Freitag den „Versuch, eine reale Verbrechensgeschichte zu verstehen, die man aus dem Fernsehen zu kennen glaubt“:

„Das Irritierende an einer medialen Wahrnehmung des ‚Nationalsozialistischen Untergrund‘ ist nicht einmal, dass sich der Bereich der Verfassungsschutzarbeit einer Aufklärung entzieht, wie man sie aus dem ‚Tatort‘ gewohnt ist. Sondern vielmehr: dass der ‚Tatort‘ am Sonntagabend vor dem Hintergrund dieser überdeterminierten, widersprüchlichen Kriminalgeschichte nicht mehr zu der Realität passen will, in der die drei Nazis ihre Verbrechen begangen haben.“

[listbox:title=Artikel des Tages[Tatort Deutschland (Freitag)##An Oral History of a Vanity Fair Photographer's Arrest at Occupy Wall Street (Vanity Fair)##Kunzendorf: Männer mögen keine geländegängigen Frauen (Berliner Zeitung)]]

Weiteres aus dem Zusammenhang Naziterror-Berichterstattung: Der Tagesspiegel erwähnt, dass Spiegel und Spiegel Online wegen der Bekennervideos Ärger mit dem Presserat bekommen könnten - wozu zu sagen ist, dass man man hier unbedingt den Konjunktiv betonen sollte. Und das Neue Deutschland stellt das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin e.V. (apabiz) vor, das das Bekennervideo an den Spiegel verkauft hat. Der geschäftliche Vorgang kommt hier aber nicht zur Sprache, wesentlicher Anlass des Beitrags ist, dass die Organisation demnächst ihr 20-jähriges Bestehen feiert.

Für die medienpolitische Ungereimtheit der Stunde darf man wohl die Landesanstalt für Medien und Kommunikation (LMK) Rheinland-Pfalz verantwortlich machen. „Eine rechtliche Auseinandersetzung“ zwischen Sat 1 und der rheinland-pfälzischen Medienbehörde bahne sich an, weiß die Funkkorrespondenz. Es geht um die Sendezeiten der so genannten Drittanbieter, die die LMK für den Sender auswählt. Die Behörde will

„erneut und damit zum vierten Mal hintereinander die beiden bisherigen Drittanbieter zulassen. Dabei handelt es sich um das TV-Unternehmen DCTP von Alexander Kluge und die Produktionsfirma News and Pictures des Medienunternehmers Josef Buchheit. Beide Firmen sind seit 1998 Drittanbieter bei Sat 1, und das soll nach dem Willen der LMK nun auch bis 2018 so bleiben. Die Lizenzen werden jeweils für eine fünfjährige Periode vergeben.“

Das missfällt nun Sat 1, das ein Modell mit vier Drittanbietern favorisiert hatte bzw. „einen Vielfaltsmehrwert über zusätzliche Anbieter erzielen“ wollte, wie ein Sprecher zitiert wird. Klagen will auf jeden Fall einer der sich ausgebootet fühlenden Bewerber, der früher zur selben Familie wie Sat 1 gehörende Sender N24. Mit deren Geschäftsführer Torsten Rossmann hat die FAZ gesprochen (S. 37, siehe dazu auch Hamburger Abendblatt vom vergangenen Wochenende)


Altpapierkorb

+++ Vanity Fair rekonstruiert aus mehreren hausinternen Perspektiven die Verhaftung eines eigenen Fotografen bei einer Occupy-Wall-Street-Demo. Insgesamt wurden während der Occupy-Proteste bisher 26 Journalisten verhaftet (Storify-Überblick von Josh Stearns)

+++ Der New-York-Times-Blog The Lede spannt einen Bogen von den Verhaftungen der Journalisten bei den Occupy-Protesten zum RoboKopter, einer fliegende Minidrohne, die Luftbilder von Demonstrationen liefert und in Polen bereits zum Einsatz kam. Die Kollegen haben dafür auch gleich einen neuen Begriff kreiert: Drohnenjournalismus.

+++ Hat der DJV PR für einen Autovermieter gemacht bzw. bloß aus Versehen? Das fragt die taz.

+++ Die Jüdische Allgemeine stellt den expandierenden Nachrichtensender Jewish News One vor. Der von zwei berüchtigten ukrainischen Magnaten finanzierte und bereits in diesem Altpapierkorb erwähnte Sender mit Hauptsitz in Brüssel versteht sich als Konkurrenz zu Al-Jazeera.

+++ Neues von der Degeto, „Ihrer Lieblingsfirma aus Frankfurt“, wie es deren verstorbener Manager Jörn Klamroth gern süffisant gegenüber Journalisten formulierte: Die SZ hat in Erfahrung gebracht, dass Geschäftsführerin Bettina Reitz zum BR zurückkehrt und dort Fernsehdirektorin wird, weil sie so wohl noch rechtzeitig bemerkt hat, dass die Degeto ein Verein ist, in dem sie nichts verloren hat. Außerdem weist Christopher Keil darauf hin, dass sich die ARD-Intendanten Ende November mit einem internen Task-Force-Bericht sowie einer „Analyse der Wirtschaftsprüfer von KPMG“ zu den finanziellen Seltsamkeiten bei der Degeto befassen werden.

+++ Sorgen machen muss man sich möglicherweise um den NDR, nicht nur, weil er sehr ernsthaft erwägt, die Rolle des Hamburger „Tatort"-Kommissars mit einem nicht allseits beliebten Mimen zu besetzen, der in zivilisierteren Weltregionen wohl nicht einmal als Kellner reüssieren würde (siehe unter anderem Altpapier von gestern und David Denks heutige taz-Kolumne „Fernsehen“). Nein, Sorgen muss man sich auch machen, weil man es in Hamburg-Lokstedt für einfallsreich hält, ab Montag die alte Sat-1-Serie „Edel & Starck“ zu wiederholen (dwdl.de).

+++ Bemerkenswert ist, dass die SZ heute über einen konzerninternen Krisenherd berichtet, nämlich den ebenfalls zur Mediengruppe SWMH gehörenden Schwarzwälder Boten. Der hat gerade eine seiner Tochtergesellschaften aufgelöst. Mit der aktuellen Streiksituation im Südwesten (siehe erneut Altpapier von gestern) habe das aber „nichts zu tun“, wird Konzernchef Richard Rebmann zitiert. In aller Ausführlichkeit berichtet natürlich der Schwarzwälder Streik-Bote.

+++ Ein Interview mit dem Umwelt-TV-Veteran Volker Angres vom ZDF über die historische Entwicklung von Umwelt-Spezialsendungen beim ZDF sowie im deutschen Fernsehen generell findet sich in der Funkkorrespondenz (Disclosure: Das Interview ist von mir).

+++ Ebenfalls in der FK: Susanne Schmetkamp lobt den zweiten „Tatort“ mit dem von Joachim Krol und Nina Kunzendorf verkörperten hessischen Ermittlerduo Steier/Mey, der am Sonntag zu sehen sein wird: Wie bei der Filmfigur Conny Mey „der Fokus auf die weiblichen Reize gesetzt ist“, könne „man als chauvinistischen oder antifeministischen Blick entlarven“, doch da letzteres „so übertrieben oft und so direkt“ geschehe, habe man es hier mit Ironie zu tun.

+++ Die Berliner Zeitung hat die Mey-Darstellerin Kunzendorf interviewt. Die äußert sich zu den von den Schmetkamp so genannten „tussigen Powerfrau-Eigenschaften“ der Filmfigur: „Die Rolle ruft bei vielen Männern gespaltene Gefühle hervor, weil Conny Mey ein Typ Frau ist, der - mal abgesehen von der fragwürdigen Kleidung - mit seiner Hallo-hier-bin-ich-Art auch abschreckt. Männer finden doch eher weibliche und weiche Typen attraktiv und nicht diese Geländegängigkeit von Frau Mey.“

+++ Noch eine Wochenendkrimirezension: Nur bedingt empfiehlt die FAZ einen neuen „Rosa Roth“-Film zum Thema Menschenhandel, denn: „Das Drehbuch will zu viel.“

+++ Einen Teil ihres gestrigen Feuilleton-Schwerpunkts über Uwe Nettelbeck, den „Papst“ unter den Filmkritikern der 60er Jahre, hat die SZ inzwischen online gestellt: Gastautorin und Rosa-Roth-Darstellerein Iris Berben erläutert, warum sie Nettelbeck gewissermaßen ihre Schauspielerkarriere zu verdanken hat.

+++ Unbeliebt gemacht hat sich mal wieder ein Hamburger Unternehmen aus dem Reich des Bösen, dieses Mal beim Branchendienst text intern, der über die Küchen hiesiger Essensmagazinsverlage (S. 6/7) berichtet: „Der Jahreszeiten Verlag wollte text intern keine Auskunft über die Art der Nutzung der vorhandenen Verlagsküche geben.“ Zweifellos ein Fall für Wallraff!

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.

 

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