Harald Schmidt ist Helmut Kohl

Harald Schmidt ist Helmut Kohl

Die Top-Juristen der deutsche Verlage brauchen Nachhilfe, die Piratenpartei ist beleidigt, und die Bundesregierung lässt sich von der Presse nicht ihre Rechenkünste zerreden.

Wenn wir hier zu Lande an Pay-TV-Ökonomie denken, dann vor allem an Geldverbrennung. Es gibt einen Fernsehsender, der Fußballklubs groteske Summen zahlt. Grotesk deshalb, weil er das Geld, das er ausgibt, nicht wieder einnimmt. Einen anderen Blickwinkel auf das Thema Pay-TV und Geld hat naturgemäß David Simon, der Erfinder von „The Wire“. In einem Gespräch mit Spex (November/Dezember-Ausgabe) erläutert er, was gut ist am amerikanischem Pay-TV-Systen.

„Nüchtern gesehen wurde mit den Bezahlkanälen zunächst einmal einfach ein ökonomisch funktionierendes Modell von Fernsehen entwickelt. Es hat die Tendenz, die Autoren das machen zu lassen, was sie wollen, und so machen wir halt ein idiosynkratisches Fernsehen, das uns und andere persönlich anspricht. (...) Es gibt uns nur, weil wir die Werbung losgeworden sind. Werbung ist nichts dem Fernsehen Äußerliches, sie beeinflusst das Erzählen einer Geschichte über den finanziellen Druck, der in den Werbeblöcken steckt - bis hin zu dem Punkt, an dem automatisch der strukturell größtmögliche Bullshit entsteht. Denn wenn du deine Story alle zwölf Minuten unterbrechen musst, um sie beim Sender loszuwerden, muss sie einfach gutartig und bequem sein.“

Zehn Seiten (inclusive Fotos) ist das Interview von Thomas Groß lang. Es ist das Nebenprodukt einer Reise nach Baltimore, die er für die Zeit unternahm - anlässlich Simons kürzlich auf deutsch erschienener Mammut-Reportage „Homicide“, um die es auch im Spex-Gespräch geht (siehe Altpapier).

Kommen wir zur deutschen Medienökonomie. Zu den halbwegs amüsanten und in diesem Theater nicht selten aufgegriffenen Geschichten in diesem Sektor gehört der Versuch diverser großer Verlage, die „Tagesschau“-App der ARD zum Teufelsding des Jahrzehnts zu erklären, weil sich so möglicherweise prima ablenken lässt von all den Managementfehlern, die man in digitalen Dingen gemacht hat und noch macht. Da die Verleger finden, die App sei allzu „presseähnlich“ und habe keinen „Sendungsbezug“, klagen sie bei der Wettbewerbskammer des Landgerichts Köln. Am Donnerstag trafen sich die Parteien dort zum ersten Mal. Am reportagigsten geht Caspar Busse in der SZ das Thema an, er beschreibt erst mal dern Herrn Vorsitzenden:

„Dieter Kehl ist ein besonnener Mann und auf Ausgleich bedacht. An diesem Donnerstagmorgen hat der Vorsitzende Richter der 31. Zivilkammer (...) bereits einen kleinen Erfolg errungen: Zwei mittelständische Produzenten von Ventilmembranen haben sich auf einen Vergleich geeinigt.“

Ein bisschen mehr Pep als bei den Membranen war dann wohl drin in der App-Sache, obwohl nach einer Stunde schon Schluss war. Quintessenz: Die Parteien mögen sich doch bitte außergerichtlich einigen. Welt Online zitiert die ARD-Vorsitzende Monika Piel mit den Worten, das Gericht habe „die ‚Tagesschau'-App grundsätzlich nicht infrage gestellt“. Die überraschend sachliche Überschrift lautet: „Gericht stärkt in App-Streit die ARD-Position“. Bei faz.net verbreitet eine Sprecherin des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger Zweckoptimismus: „Wir richten uns auf einen langen Verhandlungsweg ein.“ Die erhellendste Passage findet sich in einem dpa-Text, der auf der Website des nordhein-westfälischen Justizministeriums zu finden ist (in kürzerer Form steht der Sachverhalt auch in der SZ und bei Welt Online):

„(Richter Kehl) forderte die Verleger-Seite auf, zu konkretisieren, was das Gericht ihrer Meinung nach verbieten solle. ‚Worüber genau sollen wir befinden?‘ Im Kern gehe es ja wohl darum, dass die Textbeiträge aus der App verschwinden oder möglichst weit eingestampft werden sollten, sagte er. (...) Kehl wies darauf hin, dass die Kammer nicht entscheiden könne, wie hoch der Textanteil nun genau sein solle oder wie viel Prozent der Beiträge sendungsbezogen sein müssten. Ein Zivilgericht dürfe keine allgemeingültigen Regeln aufstellen, sondern immer nur im Einzelfall entscheiden.“

Die Funkkorrepondenz fasst zusammen:

„Letztlich hielt das Gericht die vorliegende Klage nicht für entscheidungsreif.“

Kaum zu fassen: Da trompeten die Schwerdenker der acht beteiligten Verlage seit Monaten in die Stratosphäre, wie wichtig diese Klage sei, und dann bekommen die Rechtsgelehrten, die auf den Gehalts- und Honorarlisten dieser Medienhäuser stehen, nur ein Schriftstück zustande, das offenbar formale Unzulänglichkeiten aufweist. Unabhängig von dem Verhandlungstermim formuliert Oliver Keymis, grüner Medienpolitiker und Mitglied im Rundfunkrat des WDR, in einem Leitartikel für die Funkkorrespondenz einige generelle Einschätzungen zu dem „so symbolhaften wie lächerlichen Streit“. Dieser mache

„deutlich, dass sich die Verleger hier immer noch am eigentlichen Problem vorbei verkämpfen – und dieses Problem ist die enorm wachsende Marktmacht der Global Player im Internet. Statt auf ihrem Konfrontationskurs zu beharren, sollten die Verleger endlich mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den Privatsendern markt- und medienpolitisch für die Vielfalt und die publizistische Freiheit an einem gemeinsamen Strang ziehen.“

[listbox:title=Artikel des Tages[Die Gerichtsverhandlung zur Tagesschau-App (SZ)##Schmidt ohne Segen (Tagesspiegel)##Staatstrojaner sind schattige Gewächse (FAZ)]]

Wie es um die „enorm wachsende Marktmacht“ zumindest eines Global Players bestellt ist, verdeutlicht im Übrigen eine Grafik, die Sascha Lobo zu den Seitenabrufen im World Wide Web im Juli 2011 gebastelt hat. In seinem Funkkorrespondenz-Beitrag liefert Keymis insgesamt „zehn Antworten“ auf die Frage: „In welcher Verfassung befindet sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland?“ liefert. Darunter auch folgende Einlassung: 

„Noch immer ist nicht hinreichend erklärt, warum es nicht mindestens einmal pro Woche zur besten Sendezeit (im deutschen Fernsehen immer noch der 20.15-Uhr-Termin) eine 90-minütige hart-investigative Dokumentation geben kann. Warum werden die lediglich 30- oder manchmal auch 45-minütigen Formate erst um 22.45 Uhr oder später gezeigt? Immer wieder lautet ein Vorwurf, dass die interessantesten Sendungen ‚zu spät‘ gesendet würden. Immerhin, er belegt, dass es solche Sendungen noch gibt.“

So etwas erfrischend Utopisches hört man von den Grünen ja normalerweise nicht. Eine 90-minütige Doku um 20.15 Uhr? Für die öffentlich-rechtlichen Programmhierarchen dürfte das eine schreckliche Vorstellung sein - ungefähr so schrecklich wie für Ulf Poschardt die, dass Sahra Wagenknecht Bundeskanzlerin wird.

Überhaupt nicht gut auf die Öffentlich-Rechtlichen zu sprechen sind derzeit einige Mitglieder der Piratenpartei und ihre Sympathisanten. Anlass ist dieser bemüht alberne, eigentlich nicht der Rede werte Beitrag in der NDR-Sendung „Menschen und Schlagzeilen“ (siehe Screenshot oben). Die Piraten fühlen sich in dem Film als Knallchargen dargestellt (wofür sie aber auch einige Vorlagen geliefert haben). Eine an die zuständigen Landesmedienanstalten gerichtete Programmbeschwerde gibt es bereits, eine aus gegebenem Anlass zusammen gestellte „schwarze Liste“ mit missliebigen Medien aber inzwischen schon nicht mehr. Auffallend an den zum Beispiel hier und hier losgebrochenen Shitstürmen ist, dass sich der Tonfall nicht nennenswert von dem unterscheidet, in dem sich die Altparteien und ihre Anhänger über die Öffentlich-Rechtlichen empören. Wenn dieses Milieu auf Kinkerlitzchen wie den NDR-Film schon derart beleidigt reagiert, möchte man lieber nicht wissen, wie die Reaktionen bei substanziellerer Kritik ausfallen.


Altpapierkorb

+++ Schon lange keinen Abgesang mehr auf Harald Schmidt gelesen? Heute singt Joachim Huber im Tagesspiegel: „Er war Papst, demgegenüber alle anderen nur Luther waren“, doch jetzt gehen „die Quoten gehen von Mal zu Mal in den Keller“. Trotzdem wolle Sat 1 „nicht wahrhaben“, dass sein Late-Night-Programm „nicht länger attraktiv“ sei. Huber vergleicht Schmidt implizit mit Helmut Kohl in der Endphase dessen Kanzleramtsendphase. 

+++ Die Bundesregierung kann besser rechnen als Zeit und Tagesspiegel. Diese Eindruck soll wohl eine Meldung des Bundestags-Pressedienstes erwecken: Man bleibe dabei, dass es zwischen 1990 und 2008 46 Todespfer rechter Gewalt gab - und nicht etwa 90 mehr, wie die Holtzbrinck-Medien berichtet hatten.

+++ Neues zur Trojaner-Causa: Jan Füchtjohann schreibt im SZ-Feuilleton (S. 11), „die Entdeckung der Schnüffel-Software“ habe den Chaos Computer Club „in die angenehme Situation gebracht, sich gleichzeitig als die besseren Programmierer und die besseren Verfassungsschützer präsentieren zu können.“ Über den Umweg Walter Benjamin landet Füchtjohann bei einer launigen Utopie: „Die Hacker und die Polizei könnten sich verbünden“, nämlich gegen „die wahren Trojaner“, also Google, Facebook und Konsorten - und dann „wirklich einen Verfassungsschutz gründen, der besser programmieren kann“. Constanze Kurz kolumniert für die FAZ „aus dem Maschinenraum“: „Sobald man sich in den Sumpf des Einsatzes staatlicher Spionagesoftware begibt, verschwinden echte Gewissheiten. Hinterrücks eingebrachte Programme wie der Staatstrojaner sind von Natur aus schattige Gewächse, da sie sich vor Virenscannern verstecken müssen. Im daher zwangsläufig auf Verborgenheit und Täuschung ausgerichteten Programmcode noch zusätzliche Funktionen zu verbergen, liegt gewissermaßen nahe.“ Die Zeit wirft im Wirtschaftsteil einen Blick auf „das weltweite Geschäft mit den Staatstrojanern“, also die „Lauschfabrikanten“, die die „Spähsoftware“ programmieren. (S. 25)

+++ Dass der „arabische Frühling“ wenig gebracht hat für die Pressefreiheit in jenen Staaten, wo der Frühling ausbrach, berichtet der Guardian.

+++ Poynter hat Vertreter verschiedener US-Medien befragt, wie sich die Intensität der Berichterstattung über die Occupy-Wall-Street-Bewegung und deren Ableger entwickelt hat.

+++ Die SZ beschäftigt sich mit den angeblichen Auflagenmanipulationen beim Wall Street Journal Europe, also einem neuen potenziellen Murdoch-Skandal: „Aufgedeckt hat den Fall einmal mehr die britische Zeitung The Guardian. (...) Dem Bericht zufolge hatte ein Whistleblower aus dem Unternehmen bereits im vergangenen Jahr den Verantwortlichen im Verlag Dow Jones, der zu Rupert Murdochs Gruppe News Corp gehört, von den Vorgängen unterrichtet. (...) Über den Fall informiert gewesen sein soll auch der ehemalige Dow-Jones-Chef und Murdoch-Vertraute Les Hinton.“ Siehe dazu auch Tages-Anzeiger, The Atlantic und das Wall Street Journal höchstselbst.

+++ Nicht nur auf die Expansion der Huffington Post nach Frankreich (siehe Altpapier), sondern auch auf deren neuen Ableger Gay Times geht die taz ein. 

+++ „Besonders gelungen, aber auch besonders grausam und traurig“ sei der 50. Film aus der ZDF-Samstagskrimireihe „Ein starkes Team“, findet Michael Hanfeld (FAZ, S. 35)

+++ Und das FAZ-Fernsehblog hat, um aus dem Alltagstrott der TV-Kritik auszubrechen, einfach mal zwei Sendungen verglichen, die sich nicht vergleichen lassen: den ZDF-Film „Das große Leben“ der gestern Abend lief, und die erste Folge der neuen Stafffel der EinsPlus-Wissenscomedy „Es geht um mein Leben“, die am kommenden Dienstag zu sehen ist. Kann man machen.

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag. 

weitere Blogs

Symbol Frau und Sternchen
Geschlechtsneutrale oder geschlechtssensible Sprache erhitzt seit Jahren die Gemüter. Nun hat die Bayrische Landesregierung das Gendern verboten. Die Hessische Landesregierung will das Verbot ebenfalls einführen.
Eine Ordensschwester im Kongo wurde wieder freigelassen – weil der Bandenchef keinen Ärger wollte.
Ein spätes, unerwartetes Ostererlebnis der besonderen Art