Fifty-fifty

Fifty-fifty

Das ZDF, Altersgenosse von "Sportschau" und "Panorama", wird 50 Jahre alt – und Befürworter und Ablehner des "Klotzes im Wind" halten sich heute die Waage. Die Grünen üben sich derweil in Mediensymbolpolitik

 

Weil es ja ein kleiner Einschnitt ist, wenn er auch weitgehend untergeht: Harald Schmidt hat soeben, relativ unbeachtet von den meisten Fernsehkritikern, seine letzte Sendung in der ARD hinter sich gebracht. Und wie war's so? Zwei Rezensionen gab es dann doch: eine am Samstag in der Süddeutschen, die mangels Schmidt-Konkurrenz nicht recht weiß, mit welchen Maßstäben sie die "leidenschaftslose Sendung" beurteilen soll – nur Benjamin von Stuckrad-Barre macht sie als potenziellen Nachfolger aus, "allerdings wohl erst in ein paar Jahren, wenn er seine Zappeligkeit in den Griff bekommen hat".

Und eine zweite Rezension steht im Kölner Stadt-Anzeiger:

"Schmidt macht das, was er in letzter Zeit immer gemacht hat. Er ignoriert die ehernen Gesetze des Fernsehens, streicht in aller Gemütsruhe auf seiner Liste die bislang absolvierten Programmpunkte aus und überlässt es dem Zuschauer, sich zu mopsen" –

was insofern für uns heute hier von Belang ist, als hier von den ehernen Gesetzen des Fernsehens die Rede ist, deren Fan wir bei Facebook gerne wären.

Die ehernen Gesetze führen uns nämlich direkt zum Hauptthema: Das Zweite Deutsche Fernsehen, manchen bekannt als "ZDF", wird exakt heute 50. Am 6. Juni 1961 wurde der ZDF-Staatsvertrag unterzeichnet, was, die Medienhistoriker wissen Bescheid, nicht bedeutet, dass gleich gesendet worden wäre – Sendestart war 1963, was insofern gut ist, als es dann ja auch 2013 noch was zu feiern und zu meckern gibt.

Die Frage ist heute: Was ist ehern am ZDF, was hat sich verändert – und was heißt das nun in der heutigen Medienlandschaft? Damit beschäftigen sich etwa der "Journalist", die FAZ und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Aber weil Geburtstag ist, darf die ZDF-Pressestelle ausnahmsweise erstmal selber mal was sagen:

"Nach 50 Jahren ist im digitalen Zeitalter aus dem langjährigen Einkanalsender eine multimediale Programmfamilie geworden mit dem ZDF-Hauptprogramm, mit den Digitalkanälen ZDFneo, ZDFkultur und in Kürze ZDFinfo sowie mit dem programmergänzenden beziehungsweise begleitenden Online-Angebot zdf.de."

Klingt, als wäre heute Disco und Dalli-Dalli auf einmal, doch Hans Hoff nennt die angesprochene Digitalentwicklung im "Journalist", dem Medienmagazin des Deutschen Journalisten-Verbands: Auslagerung junger Zuschauer in Seitenarme. Klingt nicht so nett, sein Artikel aber, unterstellen wir mal, dürfte mit dem an sich ja auch mal nicht ganz falschen Gedanken entstanden sein, dass eine weitere pauschale Großlästerei über den "Klotz im Wind" ganz schön langweilig wäre (noch nicht online, anbei das Inhaltsverzeichnis).

Weshalb man in Hoffs Text eher findet, was das ZDF alles richtig mache. Namentlich zum Beispiel Programmdirektor Thomas Bellut: "Sein Stilgefühl hat sich tief ins Programm eingegraben. Fast könnte man sagen, er habe dem ZDF erst so etwas wie Leichtigkeit eingeimpft." Oder Chefredakteur Peter Frey: "enttäuscht bislang alle. Jene, die ihn als Parteimarionette begrößten, und jene, die ihn als willfährigen Erfüllungsgehilfen betrachteten." Oder Intendant Markus Schächter: "Er kann einfache Sachverhalte so kompliziert formulieren, dass einem beim Zuhören schwindelig wird. Das ist indes keine Schwäche, das ist Taktik." In diesem Zusammenhang sei an die Rubrik "Reden wie Markus Schächter" in Peer Schaders Medienpiraten-Blog erinnert. Hoff liefert aber auch gleich selbst ein Beispiel für seine Interpretation:

Dieser Schächter nenne, der "die jungen Dinger", nämlich die zwei Kumpels mit den schwer unterscheidbaren Zielgruppen, ZDFneo und ZDFkultur, "einen 'auffälligen Innovationsmotor'". Hoff nun schreibt über die Digitalstrategie:

"In erster Linie geht es aber wohl darum, Abspielflächen zu schaffen. Teuer bezahlte Filme und Beiträge können sich nun nach ihrer Ausstrahlung im Hauptprogramm erst sieben Tage in der Mediathek bewähren und danach ihren Weg durch die Spartenkanäle nehmen. Oder umgekehrt."

Was mal eine Erklärung jenseits der Zielgruppen- und Quotenlogik ist dafür, dass es diese Kanäle überhaupt braucht. Zugleich aber sind wir hier schon bei der Politik angekommen – und deren Verwobenheit mit dem ZDF, die, man hat ja einen Ruf zu verlieren, die Frankfurter Allgemeine Zeitung am Samstag in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen zum 50. Jahrestag stellte.

Michael Hanfeld interviewte dort die medienpolitische Sprecherin der Grünen (und frühere ZDF-Redakteurin) Tabea Rößner – zur Prüfung des Staatsvertrags durch das Bundesverfassungsgericht infolge der Einmischungen von Politikern (äh, Roland Koch) in die Personalpolitik des Senders (äh, tschüssi, Chefredakteur Nikolaus Brender).

Lesenswert für alle an Medienpolitik Interessierten. Es geht darum, was nicht ehern sein könnte am ZDF-Staatsvertrag – der ZDF-Staatsvertrag nämlich.

[listbox:title=Artikel des Tages[##Tabea Rößner im FAZ-Interview##"Sportschau"-Betrachtungen (BLZ)]]

Auf eine Passage muss allerdings noch gesondert hingewiesen werden. Als Hanfeld fragt, ob die Grünen nun, da sie fresh in drei Landesregierungen eingezogen seien, nicht doch auch – die von ihnen geforderte Staatsferne hin oder her – vielleicht ein wenig Lust hätten, ein paar Regierungsleute in die sogenannten Gremien zu entsenden, antwortet Rößner:

"Das haben wir nicht im Sinn. Um ein Signal zu setzen, werden wir aus Rheinland-Pfalz in den ZDF-Fernsehrat statt eines Politikers den ehemaligen Verfassungsrichter Brun-Otto Bryde entsenden. Es geht nicht darum, dass wir, weil wir an der Regierungsmacht sind, unseren Einfluss ausbreiten. Kein Politiker, keine Regierung kann ein Interesse haben an unkritischen, gleichgeschalteten Medien."

Kurz rübergezappt aber in die Süddeutsche Zeitung vom Montag (S. 15). Was ist da zu lesen?

"SPD und Grüne haben nach dem Wahlsieg in Baden-Württemberg ihren Einfluss im Verwaltungsrat des Südwestrundfunks (SWR ) geltend gemacht. Wie aus dem Sender bestätigt wird, vertreten künftig Staatsministerin Silke Krebs (Grüne) und der Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten Peter Friedrich (SPD) die Stuttgarter Landesregierung in dem Gremium – anstelle der Politiker Ulrich Müller (CDU, Verwaltungsratsvorsitzender) und Ulrich Goll (FDP/DVP). Der Wechsel sei ein 'Routinevorgang', heißt es aus dem SWR. 'Die Unabhängigkeit des Senders stand und steht auch in Zukunft völlig außer Frage', sagte Intendant Peter Boudgoust."

Aber schon klar, das ZDF ist nicht die ARD, der ZDF-Fernsehrat ist nicht der SWR-Verwaltungsrat, und Symbolpolitik ist nur wichtig, wenn auch jemand hinschaut. Womit wir wieder bei Hans Hoffs Artikel im "Journalist" wären. Er schreibt:

"Dass das ZDF bevorzugtes Ziel von Abschaffungsforderungen ist, ergibt sich nicht aus den Neuerungen im Sender und schon gar nicht aus fundierter Kenntnis der Postulierer. Es hat vielmehr mit der Tatsache zu tun, dass das ZDF ein viel einfacheres Ziel darstellt als die vielen Anstalten der ARD."

Ein einfacheres Ziel, aber auch eine bessere Projektionsfläche für die große Liebe, wie wir in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung lesen können, der Jugendbeilage der FAZ,, wo Harald Staun seinem einstigen Lieblingssender einen Offenen Brief schreibt (am Montagmorgen nicht frei online):

"Dass du das Zweite warst, der Kleine, die Alternative: Das war für mich immer ein Grund für instinktive Sympathie." Heute dagegen vermisse er das "Gespür für Zeitgemäßheit, (...), das Gefühl, die Leidenschaft und das Bewusstsein für die eigene Relevanz. (...) Hast du denn wirklich noch nicht gemerkt, dass sich nicht jede Veränderung in Zahlen ausdrückt?"

Man kann das alles vielleicht in eine kleine Formel fassen: Bejaher und Kopfschüttler, wenn es ums ZDF geht – heute fifty-fifty.


Altpapierkorb

+++ Es gibt nicht noch mehr Jubiläen: Neben dem schon abgefeierten Politprogramm "Panorama" wurde am Samstag auch die "Sportschau" 50 – zu letzterer gibt es Betrachtungen in der Berliner Zeitung vom Samstag, und die Funkkorrespondenz blättert dazu im Archiv der Rundfunkgeschichte und stellt fest: Die "Sportschau" lief zunächst im zweiten Programm, freilich nicht zu verwechseln mit dem ZDF: "In den 18 Monaten seiner Existenz wurde im zweiten Programm der ARD eine Reihe von Ideen ausprobiert, die schon länger in den Redaktionen geschlummert hatten, jedoch mangels Sendeplätzen nicht ausprobiert werden konnten" +++

+++ 6. Juni, da war doch noch was? Genau, der Start des Kika-Prozesses. Die FAZ (S. 31, "Die ARD und ZDF sitzen sie auf der Anklagebank") hat die Zusammenhänge, gewohnt systemkritisch: "Der Kika ist ein Gemeinschaftsunternehmen von ARD und ZDF, und so geht es auch um die Anfälligkeit dieses von den Gebührenzahlern getragenen Systems, die der Fall des mutmaßlichen Millionenbetrügers besonders deutlich gemacht hat: Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten Bestechlichkeit und Untreue in 48 besonders schweren Fällen vor" +++ Eine nachrichtliche Ankündigung des Prozesses bringt auch die SZ auf der Medienseite +++

+++ Mehr zum Thema Staatsferne: RTL-Chef Zeiler zieht seine Kandidatur beim ORF zurück. Ihm sei "klar geworden, dass man diese zentrale Personalie nicht nach Fach- sondern parteipolitischen Erwägungen betreibe. Eine kuriose Einsicht, denn einer wie Zeiler weiß das: Seit es Österreich und den ORF gibt, ging es beim General dieses beherrschenden öffentlich-rechtlichen Mediums immer um Politik" (Süddeutsche, S. 15) ++ Die FAZ schreibt: "Zeiler musste einsehen, dass er keine Chance hat, die Wahl ist dank der politischen Hinterzimmergeschäfte der regierenden sozialdemokratischen Partei SPÖ nämlich längst gelaufen" +++ Die taz schaut nach Weißrussland, wo kritische Journalisten des Landes verwiesen würden +++ Die Berliner Zeitung nach Ägypten, wo von Jungfrauentests und am Rande auch von Pressefreiheit die Rede ist +++

+++ Ihren Medienseitenaufmacher widmet die SZ deutschen Fernsehsprechern: Katharina Riehl hat etwa Olli Mink besucht, Sprecher bei "Germany's Next Topmodel" oder den ewigen Christian Brückner, Sprecher bei allem anderen bei Guido-Knopp-Filmen +++ Am Wochenende lief "Schlag den Raab" erstmals mit neuem Moderator, Steven Gätjen – Besprechungen bei der Frankfurter Rundschau / Berliner Zeitung ("Die Souveränität seines Vorgängers hat er noch nicht, und mit ironischen Bemerkungen hielt Gätjen sich zurück"), KSTA.de und sueddeutsche.de +++

+++ Das Verhältnis zwischen dem zur "Sportschau" wechselnden Gätjen-Vorgänger Mathias Opdenhövel und Stefan Raab sei abgekühlt, konstatiert die BLZ / FR: "Daran, dass Raab auf diesen offensichtlich stinksauer sein muss, können kaum noch Zweifel bestehen: In der fünfstündigen Sendung wurde Opdenhövels Name am Samstag kein einziges Mal erwähnt, obwohl Raab und er lange Zeit nicht nur Kollegen, sondern Kumpel waren" +++ DWDL geht diesbezüglich ebenfalls von Ärger aus: "Nicht einmal fiel in der Sendung der Name des Vorgängers. Der wurde konsequent ausgeblendet als habe es ihn nie gegeben, dabei hat er die Marathon-Show 28 Folgen lang moderiert und wurde 2007 für die Moderation der Sendung mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet" +++

+++ Ein Hörfunkbeitrag im Tagesspiegel: "Privatfunk-Lobbyist Klaus Schunk wehrt sich gegen das drohende Aus für das UKW-Radio" +++ Im Fernsehen für den Berlin-Brandenburger: "Kesslers Expedition" (TSP und BLZ)+++

+++ Crowdfunding – eher nicht, aber vielleicht ja doch ein Mittel, um Quotendiskussionen zu beenden: Filme, die gedreht werden, wissen ihr Publikum hinter sich: Der Spiegel mit der Meldung, dass TeamWorx nun den Weg der Spendenfinanzierung beschreite – lustigerweise um einen Erotikfilm zu drehen. Die Klickerzeugungslogik, übertragen auf den Film +++

+++ Im Spiegel steht eine "Korrektur" zur Lierhaus-Berichterstattung von vor einer Woche (S. 17, siehe Altpapierkorb von vergangenem Montag): Die Meldung "Das oberste Aufsichtsgremium der ARD empfiehlt, die Fernsehmoderatorin Monica Lierhaus als Werbebotschafterin bei der Fernsehlotterie auszuwechseln" ist hiermit nicht mehr nur mehrfach dementiert, sondern offiziell falsch: "Eine derartge Empfehlung (...) hat es nicht gegeben", heißt es heute. Es sei im Protokoll der Gremiensitzung jedoch von einem "erheblichen Umwillen der Gremien" die Rede, notfalls seien "Konsequenzen zu ziehen" +++

+++ Und es gibt Nachrufe auf den Filmautor Curth Flatow, online etwa in der FR und eine Fotogalerie bei FAZ.net +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.

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