Systematisieren, einordnen, bewerten

Systematisieren, einordnen, bewerten

Wir machen, was Wolfgang Schäuble rät: Gerhard Stadelmaier bekommt Herbert-Riehl-Heyse-Preis. Und das ZDF beschäftigt in vielerlei Hinsicht

"Was sollen, was können Journalisten?", fragt der jungalte Marc Felix Serrao heute in der SZ. Und will es gar nicht wissen.

So ähnlich beziehungsweise viel funkelnder würde der FAZ-Theaterliebhasser Gerhard Stadelmaier über den Text von Serrao schreiben (Seite 17), aber Gerhard Stadelmaier kann leider nicht, denn es geht in dem Text um ihn (und außerdem schreibt er zumeist auch nur über Texte von Dichtern).

Der Grund: Gerhard Stadelmaier hat den Herbert-Riehl-Heyse-Preis der SZ bekommen, und eine Rede bei dieser Versammlung der Riesen in der deutschen Journalistenwelt, hat Wolfgang Schäuble gehalten. Sie ist ebenfalls in der SZ abgedruckt (Seite 17) und darin steht auch die Antwort auf die eingangs gestellte Frage:

"Es ist ihre Aufgabe, angesichts der unendlichen Vielfalt der verfügbaren Informationen diese zu systematisieren, einzuordnen und zu bewerten."

Eben. Kann keiner was gegen sagen, steht vermutlich auch in zahlreichen Handbüchern und womöglich würde man solch eine Definition auch in diesem Internet finden, von dem alle immer so geheimnisvoll reden.

So wenig man Stadelmaier den Preis madig machen möchte – ein wenig unangenehm ist einem die verklemmte Selbstfeier der Riesen dann doch. Weil man sich fragt, ob es wirklich des billigen Bloggerdisses bedarf ("Auf diese von Was-mit-Medien-Bloggern und anderen Durchblickern immer wieder neu zerkaute Frage"), um die Riesen noch riesenhafter erscheinen zu lassen, und ob es die Aufgabe von Journalisten nicht wäre und angesichts des gelobten Theaterkantinenmeiders Stadelmaier ("Nur wer einsam lebt, lebt angenehm") nur um so angemessener, kritische Distanz zu halten zur Politik, statt sich vom Finanzminister – und nicht von, sagen wir, Werner Düggelin – auf die Riesenschultern klopfen zu lassen.

Zumal dann der große Kurt Kister am Ende des Textes noch zitiert wird mit:

"Obwohl Konkurrenten, säßen beide Blätter schließlich 'im selben Boot'. Was der FAZ schade, schade auch der SZ - 'sei es auf dem Anzeigenmarkt, sei es durch Rechteklau im Internet oder auch durch manche eher controllergetriebene Hauspolitik'."

Da fragt man sich, was nur aus unserem schönen Wettbewerb geworden ist, und bedauert, dass die FDP gerade andere Sorgen hat, als die Leistungsgesellschaft einzuklagen.

Aber vermutlich, disclaimen wir hier, sind wir nur von Neid und protestantischer Selbstgeißelung zerfressen in den einsamen Morgenstunden unseres Was-mit-Medien-Kolumne-Bloggens. Deshalb fügen wir uns rasch, ist eh schon viel zu spät, in unsere Aufgabe und machen den Schäuble: systematisieren, einordnen, bewerten.

Gar nicht so leicht heute, denn es geht nur ums ZDF, das aber in allen möglichen Variationen.

So darf ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut sich Aussichten auf das größere Intendantenbüro "drei Türen weiter" (SZ, Seite 17) machen. Seiner Wahl zum fünften ZDF-Intendanten am 17. Juni steht kein Gegenkandidat und kein Gerangel der nach der Opposition der seligen Bonner Jahre geordneten politischen Freundeskreise im Rundfunkrat des staatsfernen Rundfunks im Wege.

Während die SZ ihrer Vorhersage die Nachricht vom "sehr ehrgeizigen", 39-jährigen, neuen ZDF-Programmbereichsleiter "Quiz und Showentwicklung/ZDFneo" Andreas Gerling beimengt, erlaubt sich Ralf Mielke in der Berliner subtile Ironie in Bezug auf den dritten ZDF-Intendanten:

"Darf man nach der prunkvollen Hochzeit des britischen Thronfolger-Thronfolgers, eigentlich den Begriff "Kronprinz" noch jenseits royaler Zusammenhänge benutzen? Zumal wenn es um das ZDF geht, das ja von keinem König regiert wird, jedenfalls nicht mehr, seit Dieter Stolte den Chefposten vor knapp zehn Jahren räumte? Will man trotzdem vom Kronprinzen sprechen, dann trifft das wohl auf wenige so exakt zu wie auf Thomas Bellut, der nun ziemlich sicher als künftiger ZDF-Intendant gelten darf."

Im Tagesspiegel orientiert Joachim Huber über die neue ZDF-Sendung "ZDFzoom", die künftig die ZDF-Sendung "ZDF.Reporter" ersetzen soll.

"Die „handelnden Autoren“, so nennt sie Hauptredaktionsleiter Theo Koll, sollen quasi als Stellvertreter des Zuschauers agieren."

Ob das nun ein Segen ist, bleibt offen. Vielleicht gibt es ja auch noch Zuschauer, die keine Stellvertreter wollen, sondern Journalisten, die profund systematisieren, einordnen und bewerten. Ganz klar wird zudem nicht, ob Zoom nun ganz nah meint (von wo aus man im Zweifel nicht so gut sieht) oder doch eine gewisse Beweglichkeit:

"Autoren und Kameraleute müssen gute Gründe finden, das Thema aus der Vogelperspektive in den Blick zu nehmen."

Die Vogelperspektive gilt gemeinhin doch eher als Metapher des Drauf- und Überblicks. Vielleicht ist aber auch die Raubvogelperspektive gemeint, bei der aus kühnen Höhen herabgestürzt wird, um ein Thema beim Schopfe zu packen und im eigenen Horst gepflegt zu sezieren.

Den Unterschied zwischen Drauf- und Ansicht zeigen die Berichte über eine andere ZDF-Innovation namens ZDFkultur, die als Digitalkanal den Theaterkanal ersetzen soll.

[listbox:title=Die Artikel des Tages[ZDF-Intendant (Berliner)##ZDFzoom (TSP)##ZDFkultur (Berliner)##Sympathy for Kai Pflaume (TAZ)##]]

Peer Schader, das wäre die Vogelperspektive, hat in der Berliner zwar Sympathien für Programmexperimente (Pop-Konzertübertragungen) und Nachwuchsmoderatorenpflege übrig, verhehlt aber nicht, dass aus inhaltlichen Erwägungen die Zusammenlegung von ZDFneo und ZDFkultur nahe liegend wäre, ginge es nicht um die Wahrung der Pfründe, die darauf aus ist, die einst abgetrotzten drei Digitalkanäle nicht aufzugeben.

Außerdem kommt er zu dem durchwachsenen Schluss:

"Dass das ZDF sich Neues traut, ist zweifellos hervorragend. Dass es mit der Art und Weise gleichzeitig die Trägheit seines Hauptprogramms zementiert, ist und bleibt hingegen ein Armutszeugnis."

Jan Scheper zoomt in der TAZ dagegen nah ran ans ZDFkultur-Vorhaben und dann fällt der ganze ZDF-Kontext dann weg. Übrig bleibt:

"Im Zentrum des Programms steht aber die (Pop-)Musik als 'wesentliches Element', inklusiver enger Verschränkung mit dem Internet. Daniel Fiedler, einer der beiden führenden Köpfe von ZDF.Kultur, kündigt bis zu '60 Stunden Musik pro Woche' an."


Altpapierkorb

+++ Osama bin Ladin beschäftigt noch immer: Während Juliane Schäuble, die Tochter des bekannten Journalismustheoretikers, es im Tagesspiegel richtig findet, kein Bild des toten Osama bin Ladin zu veröffentlichen, fügt Bernd Graff auf Sueddeutsche.de diesem und den gestrigen bildexegetischen Ansätzen (siehe Altpapier) den nicht unwichtigen Hinweis hinzu, dass es sich beim Bild vom Public Viewing der OBL-Tötung im Weißen Haus nicht um einen Schnappschuss, sondern um eine Inszenierung handelt. +++ In der FAZ (Seite 37) hat sich Aaron Y. Zelin in Dschihadisten-Foren nach Reaktionen auf den Tod bin Ladins umgetan ("Skepsis, Jubel, Rache") – was auch eine komische Seite hat, weil auf diesen Netzwerk-Zusammenhang die Vorstellungen von Vereinsmeierei appliziert werden, von denen mancher Witz in Greser&Lenz-Karikaturen lebt ("In dem einflussreichen „Shmukh al-Islam Arabic Forum“ zog der Administrator Abu Turab al-Muhajir die Glaubwürdigkeit Amerikas genauso wie diejenige arabischer Medien in Zweifel.") +++

+++ Wie komisch und realitätsnah sich die Tarifstreitigkeiten in einer krisenhaften Branche wie der Zeitungswirtschaft ausnehmen (FAZ, Seite 37), mag jeder selbst entscheiden. +++ Die TAZ bringt das Thema mit der Meldung auf, dass auch bei der SZ gestreikt wurde. +++

+++ Ebenfalls in der TAZ bekennt auf amüsante Weise David Denk seine Sympathie für Kai Pflaume. +++ Und während der Tagesspiegel aus dem Sony-Datenklau Verbraucherhinweise ableitet (Passwörter wechseln), beruhigt der "Sicherheitsexperte" Sandro Gaycken im TAZ-Interview die Gemüter. +++

+++ Die NZZ lobt die Reportagen des Österreichers Florian Klenk. +++ Die Nachrufe auf 9Live (siehe Altpapier von gestern) fallen nicht schwer, etwa in der FTD. +++ Und Joachim Król wird von Tilmann P. Langloff im KSTA auf seinen upcoming Tatort-Kommissar angesprochen. +++

Neues Altpapier gibt's Montag wieder ab 9 Uhr.
 

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