Unanständigkeiten

Unanständigkeiten

Al Capone haben sie auch nur wegen Steuerhinterziehung drangekriegt: Der Fall zu Guttenberg als Geschichte von Aufstieg und Fall einer Medienfigur. Dazu Neues von Thilo "Dialog" Sarrazin, natürlich in seinem Hausorgan


Man stelle sich vor, Thilo Sarrazin, dem zuzutrauen wäre, dass er sogar in einem Telefongespräch den Dialog verweigert, bekäme von einer großen ernstzunehmenden Zeitung den prominentesten Platz im Feuilleton eingeräumt, damit er dort den Chef dieses Feuilletons dafür kritisieren kann, dass der von vornherein den Dialog verweigere. Wäre das nicht crazy?

Was? Wie? Hat er wirklich? Tatsächlich: Hat er wirklich.

Bestsellerautor Thilo S. hat mal wieder einen FAZ-Feuilletonaufmacher hingelegt. In der vergleichsweise haltbaren Samstagsausgabe war das, und sein Text endet mit dem Satz: "Hier hat sich ein Autor – und wohl auch ein Mensch – wirklich verrannt."

Er meint FAZ-Feuilletonleiter Patrick Bahners, denn der hat ein Buch über die politische Debatte in Deutschland geschrieben, in dem Sarrazin ein kritisches Kapitel gewidmet ist. Und damit dem Typen, den FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher in allen Varianten durchgeritten hat; den er in die Tonne gekloppt und wieder herausgeholt hat, den er einen Tag lang begleiten und am 24. Dezember, einem Tag, an dem eine vergleichsweise haltbare Zeitungsausgabe produziert wird, einen erstaunlich verlogenen Feuilletonaufmacher schreiben ließ. Kurz, Bahners Buch, das ich übrigens nicht gelesen habe, wird wohl auch von der FAZ handeln. Und Sarrazin schreibt etwa:

"Wenn man ein Buch liest oder eine Meinung hört, bei der man den Grundansatz nicht teilt, sollte man gleichwohl für die Argumentationsrichtung des anderen offen bleiben, sonst gibt es keinen Dialog."

Dass Bahners es geschrieben hat, ist bemerkenswert. Aber Thilo S., der wahrlich keinen Dialog angestoßen hat, so etwas schreiben zu lassen, um auf die Art das Buch des Chefs zu bewerben – schon klar, offiziell heißt das: Debatte. Aber darf man diese Volte nicht doch auch ein bisschen "unanständig" (Sarrazin) nennen?

Springer-Autor Henryk M. Broder, der bei Bahners offenbar ebenfalls schlecht wegkommt, nämlich als die Krawallschachtel, die er ist, tut Bahners den Gefallen, sein Buch in der Welt am Sonntag in Grund und Boden zu verreißen. Im Spiegel wird neben Bahners selbst auch Necla Kelek befragt, die in Bahners Buch abgewatscht wird, wie wir am Stammtisch sagen. So bleibt die ganze Diskussion immer schön unter denselben fünf Hanseln.

Bleiben wir bei der FAZ bzw. ihrer Sonntagsausgabe: Auf den Seiten 2 bis 4 geht es hier um den Verteidigungsminister (was die Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst an Karl-Theodor zu Guttenberg betrifft: Gutes Timing für Fotojournalisten, siehe Foto). Auf FAS-Seite 2 aber geht es vor allem um die Debattenkultur des Axel Springer Verlags (derzeit nicht frei online).

"Bei Deutschlands auflagenstärkster Zeitung vergeht kaum eine Ausgabe ohne den Messias. In gut vier Monaten seit Anfang Oktober wird er weit über hundert Mal erwähnt, rechnet man die Gattin dazu, figuriert 'Guttenberg' sogar in mehr als 150 Artikeln. Vorgänger Franz-Josef Jung – nicht mit Glamour-Faktor und Glamour-Gattin gesegnet – wurde im Vergleichszeitraum 2007/08 gerade zwanzig Mal bedacht."

(Siehe hierzu auch Bildblog.) Erwähnenswert auch der Umgang der FAS mit dem damaligen Umgang der BamS mit dem Soldatentod in Afghanistan:

"Alle Aufmerksamkeit muss vom Minister weg auf die 'Gorch Fock' gelenkt werden. Da trifft es sich gut, dass 'Bild am Sonntag' mit neuen Enthüllungen über die Zustände an Bord des Schiffes aufwarten kann. Freitagnacht rast der Minister durch Osthessen und ruft: 'Es reicht!' So stellt es jedenfalls die Zeitung dar, deren stellvertretender Chefredakteur an Guttenbergs Seite im Fond des Dienstwagens sitzt."

usw.

Wer war eigentlich an Guttenbergs Seite gerade in Afghanistan? Zuletzt war es die halbe Medienbranche Deutschlands gewesen, angeführt von Johannes Baptist K. vom Fernsehen. (Für die Transparenz: Ich persönlich musste damals wegen Unlust absagen.) Diesmal, schreibt FAZ-Herausgeber Berthold Kohler, sei nur einer dabei gewesen. Und da sein Text auf Seite 3 der Samstags-FAZ klingt, als könnte er selbst irgendwo in der Nähe gewesen sein, schlussfolgern wir mal: Es handelte sich um Berthold Kohler.

"Nie habe er sich so auf eine Reise an den Hindukusch gefreut wie dieses Mal, scherzt Guttenberg noch über die ihm nachjagenden Schlagzeilen, als das Flugzeug das Schwarze Meer überfliegt. Dabei wollte er dieses Mal gar keine machen. Das extrem zwiespältige Echo auf seine Reise in der Vorweihnachtszeit, als er seine Ehefrau, den Talkmaster Kerner und einen ganzen Tross von Kameraleuten mit an den Hindukusch nahm, hat er nicht vergessen."

Vom "Gipfel der Selbstinszenierung, der vor dem Fall kommt", schreibt Kohler. "Das war der Moment, in dem die Bahn seines raketenhaften Aufstiegs brach, weil in diesen Sphären die Luft zu dünn ist zum dauerhaften Überleben." Was dann, nebenbei, auch noch eine Antwort auf die noch gar nicht gestellte Frage wäre, wann sich der Wind für zu Guttenberg gedreht hat.

In der FAS wiederum schrumpft Guttenbergs vorgebliche Journalistenkarriere bei Springers Welt ("Freier Journalist bei der usw.", siehe seine Homepage) zum Praktikum, was nur insofern nicht weiter meldenswert ist, als es ein alter Hut ist. Erwähnenswert ist aber doch der alte Mechanismus, der der Kommunikationswissenschaft als Existenzberechtigung dient: dass das ausschließlich zu einem Zeitpunkt gegen ihn verwendet wird, da Guttenberg wegen anderer Angelegenheiten bis zum Hals in der Latrine steckt.

Auch die Spiegel-Titelgeschichte über zu Guttenberg liest sich wie eine Abrechnung mit einem Prinzip, für die es eigentlich keines Anlasses bedurft hätte:

"Aus dem Munde dieses Mutigen kommen dann Sätze wie: 'Ich werde mir den Optimismus nicht ausreden lassen.' Das ist die guttenbergsche Version von Zivilcourage: Verbote zu übertreten, die nicht existieren.
Er sagt auch gern, man solle dem Volk nicht nach dem Munde reden. Solche Mantras liebt das Volk. Guttenberg betreibt den Antipopulismus als höchste Form des Populismus."

[listbox:title=Artikel des Tages[Berthold Kohler flog mit (FAZ)##GuttenPlag meldet sich später noch (Carta)##Ist Jörg Pilawa entertaining? (BLZ)##Sigmund Gottlieb im Wortlaut über eine Lichtgestalt (FK)]]

Nach diversen Regeln der Kunst wird Guttenberg also von dem Thron geholt, auf das ihn Medien und Guttenbergs Fähigkeit, sie zu bedienen, gehievt haben. Es ist jetzt vermutlich albern, darauf hinzuweisen, dass man ihn ja nicht so hoch hätte schreiben müssen. Sagen wir nur mal so: Harald Staun interviewte für der FAS-Medienseite den Philosophen Robert Pfaller zum Fernsehen. Subjektiv ist das der spannendste Text der Medienseitenlektüre am Wochenende und Montag (derzeit nicht frei online). Pfaller sagt darin:

"Was die politische Talkshow prekär macht und des Werts beraubt, den sie haben könnte, ist, dass die Rollen so festgelegt sind. Es ist ja bezeichnend, dass die Gäste immer schon mit ihrer These vorgestellt werden."

Damit kann man weiterarbeiten. Berthold Kohler erklärt am Fall zu Guttenberg so:

"Der überirdische Edelmann hat sich als fehlbar erwiesen. Blut ist im Wasser, das lässt in deutschen Gewässern sogar noch Rotaugen zu Haien anwachsen. Wie bei der Verehrung wird jetzt auch bei der Verfolgung keine Gnade gewährt werden."


Altpapierkorb

+++ Bevor wir noch zu den weiteren zu-Guttenberg-Quellen kommen: Die im Iran inhaftierten Reporter sind frei. Blöd für den Spiegel (S. 148), der die Schwestern von Marcus Hellwig noch zu den "Bemühungen um eine Freilassung der Journalisten" interviewt, schön für die Reporter. Wer mehr dazu wissen will, sollte auf keinen Fall F.J. Wagner fragen, der in Bild schreibt: "Der Beruf eines Reporters ist kein Partyservice." +++ Aha +++ "Kanzlerin Merkel dankte in der Bild am Sonntag allen, die in den vergangenen Monaten für die Freilassung der Journalisten gearbeitet hatten" (taz, S. 17) +++ U.a. der Tagesspiegel berichtet über die außenpolitischen Umstände und die Zahlung einer Geldbuße +++ Springers Welt erzählt einen Krimi ("nervenaufreibend", "alles sehr schnell", "gerade noch rechtzeitig")+++

+++ Zurück zu zu Guttenberg: Die Berliner Zeitung befragt den Vorsitzenden der Bundespressekonferenz zum Auftritt des Verteidigungsministers vor ausgewählten Journalisten +++ Bei Facebook hat er auch den einen oder anderen Verteidiger gefunden +++ Neben dem Spiegel widmet ihm auch der Focus seinen Titel, dazu "auf einer Strecke von elf Seiten" das Thema "So werden Sie 100" +++ Die Funkkorrespondenz druckt Sigmund Gottliebs Guttenberg-"Tagesthemen"-Kommentar im Wortlaut +++

+++ "Die SPIEGEL-Dokumentation hatte bis Freitagabend 62 Stellen gefunden", informiert Der Spiegel über die möglichen Plagiatsstellen in zu Guttenbergs Doktorarbeit. Spiegel Online berichtet etwas intensiver über die Konkurrenz. Um die kümmert sich auch Carta und benennt die mediale Bedeutung der besagten, GuttenPlag: "Am Montag wird es zu einer kleinen Zäsur in der Mediengeschichte dieses Landes kommen: Eine Website, die es vor einer Woche noch nicht gab, wird unter breiter öffentlicher Aufmerksamkeit einen Zwischenbericht über mögliche Plagiate in der Guttenberg-Dissertation vorlegen. Und dieses Material wird – aller Voraussicht nach – vollständiger und präziser sein als das, was Der Spiegel am gleichen Tag am Kiosk präsentiert. (...) Rund 60 Plagiats-Stellen vermag der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe zu benennen – die fleißigen GuttenPlag-Helfer im Web fanden kollektiv über 300." +++

+++ In eigener Sache: Dass Wolfram Weimer vom Focus wie jeder ordentliche Medienzar eine Fanpage bei Facebook hat, kann man nicht feststellen, ohne hinterherzuschieben, dass es einen in Erklärungsnöte bringt, wenn man "Fan werden" muss, obwohl nur "Newsletter abonnieren" gemeint ist +++

+++ Der ZDF-Film wird traditionell auf der FAZ-Medienseite besprochen (S. 29) +++ Die SZ (S. 15) widmet ihren Medienaufmacher (Guttenberg ist Feuilletonaufmacher) dem Drehbuchautor des Films +++ Auch der Tagesspiegel rezensiert, genau wie die Berliner +++

+++ Mehr zum Fernsehen: Jörg Pilawa auf Entertainer-Fähigkeiten testet die BLZ +++ Das ZDF wolle evtl. den Gottschalk-Nachfolger casten, meldet Der Spiegel +++ Der auch Michael Glos interviewt, welcher zu viel Show in der Politik wähnt, diweil er selbst als CSU-Generalsekretär ja ausschließlich in leisem Ton Sachargumente vortrug +++

+++ " Der Fernsehrat des ZDF hat bei seiner Sitzung am vergangenen Freitag einen Beitrag des ZDF Politmagazins Frontal21 kritisiert, das Gremium entschärfte aber teilweise Vorwürfe einiger Unionsmitglieder gegen die Sendung" (SZ, S. 15) +++ Die taz beschäftigt sich auf Aufmacherlänge mit dem Fall – es geht um einen Beitrag über die Hamburger Bildungspolitik, der C-Politikern wohl nicht passte +++

+++ Die taz gibt es seit wenigen Tagen nicht mehr zum, geldbeutelmäßig betrachtet, Nulltarif kompletto libero im Netz, sondern kostet jetzt 0,79 Euro +++

+++ Irgendwas war mit Lena Meyer-Landrut. Falls hinterher jemand sagt, vorher hätten alle nur gemeckert und hinterher hätten sie dann was vom Kuchen abhaben wollen – hier eine Klarstellung: Ich will nichts vom Kuchen +++

+++ Nacktrodeln. Auch ein echtes Trending Topic heute +++

Morgen im Altpapier um 9 Uhr unter Umständen mehr vom Kollegen darüber.

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