ras Ende

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Peter Alexander ist gestorben, Thomas Gottschalk will abtreten, Stefan Raab schickt sich an, ihr Nachfolger zu werden: Drei Männer, eine Frage – wohin geht denn nun die deutsche Fernsehunterhaltung?

Für alle, die gerade vom Mars auf die Erde gefallen sind und sich fragen, was los ist: Erstens, unser aller Thommi will, wie er am Samstag verkündet hat, bald nicht mehr "Wetten, dass..?" moderieren. Zu den Details siehe z.B. evangelisch.de und, falls sich jemand für den Wortlaut seiner Rückzugsankündigung interessiert: aber bitte gerne.

Zweitens, am Samstag ist eine andere Fernsehshowgröße, Peter Alexander, gestorben. Das führt zu vielen Screenshot-Möglichkeiten auf den Onlineseiten, die den Nachruf auf Alexander und die Geschichte von Gottschalks Rückzug direkt unter- oder nebeneinander behandeln, etwa Welt Online, FAZ.net, Tagesspiegel.de und Sueddeutsche.de; einen Zusammenhang aber hat vor allem Bild Online hergestellt, wie etwa Fiete Stegers bei Twitter festhielt (siehe Screenshot):

"Bild.de, drei Themen, eine Schlagzeile: "Die gute alte Zeit ist tot." #gottschalk #mubarak #peteralexander"

Dieter Bartetzko spricht im auf Seite 1 angerissenen Peter-Alexander-Nachruf auf Seite 27 der FAZ schlichter von einem zeitlich "sonderbaren Zufall":

"Es war der Tag, an dem abends Thomas Gottschalk seinen Rücktritt als Moderator der letzten samstäglichen Familienshow des deutschen Fernsehens ankündigte. Doch auch ohne diesen sonderbaren Zufall wissen wir, dass mit Peter Alexander eine Ära unwiederbringlich zu Ende gegangen ist."

Die beiden Männer jedenfalls sind, eindeutig, die dominierenden Medienthemen des Montags. Man kann schließlich auch im Fall Gottschalk wohl vom "Ende einer Ära" sprechen, weshalb Ralf Mielke in der Frankfurter Rundschau, Altpapier-Autor Henrik Schmitz im Kommentar bei evangelisch.de und Michael Hanfeld in der FAZ das auch unabhängig voneinander tun.

Zur Chronologie der Ereignisse: Bild und FAZ.net ahnten schon am Samstagmorgen, was bei Gottschalk abends bevorstehen würde, während die Welt am Sonntag, jedenfalls online, dummerweise dagegen wettete (siehe Bildblog). Journalismus als Glücksspiel – warum auch nicht?

Außerdem wurde, etwa bei FAZ.net, auch schon Gottschalks Nachfolger genannt, über den seit heute trotzdem ausführlich diskutiert wird – nach dem Motto: Vielleicht kann man Jörg Pilawa noch verhindern, wenn er es jetzt ordentlich mit der Keule kriegt. Die taz hat etwa ein paar schöne Vorschläge, unter anderem Welt.de und abendblatt.de lassen einfach abstimmen – hey, ist ja nicht "Stuttgart 21" hier.

Und die SZ schreibt Pilawa prophylaktisch schon mal ungefähr auf die Größe eines Showpraktikanten herunter:

"Dass die Stars ihm begegneten wie einem guten alten Bekannten, war ein Merkmal der Sendung. Sie wird anders sein ohne Gottschalk, wie sehr anders, das kann man schon daran erkennen, dass tatsächlich Jörg Pilawa als Nachfolger gehandelt wird. Naomi Campbell würde den nicht Institution nennen. Weil er keine Institution ist und nie eine werden wird. Naomi Campbell würde einen Pilawa, wie es ihre Art ist, durchs linke Nasenloch inhalieren.

Die Süddeutsche hat, wie die FAZ, Peter Alexanders Tod für die Seite 1 gewählt, die Seite 3 aber hat sie ganz "Wetten, dass..?" gewidmet; Nebenprodukt ist dieses Interview, online. Christopher Keil und Holger Gertz trafen Gottschalk nach der Sendung in Halle im Hotelzimmer 505:

"Auf dem Tisch stehen Pralinen in Zellophanpapier, der Früchtekorb ist nicht ausgepackt, die Flasche Wasser unberührt. Nebenan liegt das Handy und fiept, wenn eine SMS kommt. Es fiept sehr oft. Gottschalk schaut aufs Display. Wirft das Handy wieder weg. Reibt sich die Augen. Er hat sich für den Schnitt entschieden. Er wird damit leben müssen, dass es nun welche gibt, die glauben: Er hat seine Resignation nun als verantwortungsvolles Handeln getarnt."

Der Tagesspiegel hat seine Seite 3 dagegen dem Nachruf auf Peter Alexander gewidmet:

"Seine Scherze überstiegen nie die Grenzen des sogenannten guten Geschmacks, was ihm seine mit ihm älter werdende Klientel herzlich dankte. Heranwachsenden, die auf die Rolling Stones oder Alice Cooper standen, konnten folglich mit Alexander und seinen sedierend wirkenden Unterhaltungsprogrammen wenig anfangen."

Die Welt ergänzt: "Er war der Gottschalk, der auch singen, tanzen, spielen konnte. Und über dessen makellosen Smoking und seine immergleiche Frisur man sich nie lustig zu machen brauchte."

Im Zusammenspiel aller Texte offenbart sich eine interessante Kritikerlogik: Über Alexanders "hausbackenen Habitus" stolpert man heute, aber im Vergleich zu Gottschalk repräsentiert er die "gute alte Zeit" (wie in Joachim FuchsbergersBild-Kommentar). Gottschalk wiederum repräsentiert die "gute alte Zeit" im Vergleich zu Dieter Bohlen, der im einen oder anderen Text als Vergleichsgröße aufblitzt. Etwa bei Michael Hanfeld in der FAZ, die ihre Seite 29 des Feuilletons zur verkappten Medienseite macht – die eigentliche Medienseite ist, wie immer montags, auf einen Klappentext zum Fernsehprogramm eingedampft. Hanfeld singt dort ein vielleicht etwas arg (wie wir Älteren sagen) De-mortuis-nihil-nisi-bene-artiges Loblied auf Gottschalk, mit dem er auch sein eigenes konservatives Profil schärft:

"Für ihn, der Marcel Reich-Ranicki nach dem Eklat beim Deutschen Fernsehpreis wieder mit dem Fernsehen versöhnte, der bei Reinhold Beckmann mit dem Theologen Hans Küng über den Glauben sprach und der für diese Zeitung über seinen Besuch bei den Passionspielen in Oberammergau schrieb, sollte das ZDF unbedingt noch Verwendung haben."

[listbox:title=Artikel des Tages[Wortlaut Gottschalks (DWDL)##Nachruf auf Peter Alexander (TSP)##Gottschalk im Wortlaut-Interview (Sueddeutsche.de)]]

Abgesehen davon, dass Gottschalk also für die guten alten Werte steht, wie Hanfeld hier andeutet: Warum noch sollte man ihn weitermachen sehen wollen? Die Begründung liefern Berliner Zeitung, Tagesspiegel und Spiegel Online: weil ihn die Kritiker ja in Wahrheit doch mögen – wie gesagt, im Vergleich mit anderen.

Die Berliner schreibt, eines sei "nicht nur schade, sondern fast tragisch: dass Thomas Gottschalk womöglich gar nicht weiß, wie sehr ihn auch seine Kritiker schätzen."

Spiegel Online schreibt: "Oft haben wir geschimpft über ihn, in den letzten Jahren immer häufiger: Gottschalk veronkelte zusehends, fanden wir, erinnerte immer mehr an einen Lehrer, der früher mal witzig war, aber nun schon seit Jahren dieselben Scherze riss (...). Alles gesehen, alles über ihn geschrieben. Wir hatten ja keine Ahnung, wie es kommen sollte."

Und der Tagesspiegel: "In den vergangenen Jahren wurde die Kritik an Gottschalk – auch von dieser Stelle – lauter. (...) Aber wie zum Beweis, dass seine Kritiker Unrecht haben – und als Warnung an alle anderen, die sich das Format zutrauen, legte Gottschalk am Samstag einen Galaauftritt hin."

Und an noch einer weiteren Stelle in der Presse taucht Gottschalk auf, und diese Stelle ist deswegen interessant, weil sie am Samstagabend schon längst geschrieben gewesen sein dürfte und die deshalb weniger nach Nachruf als nach Offenheit klingt: im Porträt Stefan Raabs im Spiegel (S. 46ff.), mit dem er, anders als einst mit Focus, offenbar gesprochen hat – was, wer mag, auch als Strafe für den Focus verstehen kann. Jedenfalls, der Spiegel: ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber wird darin heute zitiert,

"Am Ende dieses Jahres (...) wird Stefan Raab Thomas Gottschalk als wichtigsten Unterhalter Deutschlands überholt haben."

Seit Samstagabend ist sicher: Schreiber hat Recht.


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+++ Auf der eingedampften FAZ-Medienseite (S. 31) steht, fürs Protokoll, eine Kritik über den Sat.1-Film "Die Verführung – Das fremde Mädchen" +++ Im Tagesspiegel eine Kritik von "Deutschland unter Druck" +++ Ebenfalls in der SZ (S. 17) +++

+++ Ebd.: 80 Jahre Radio Vatikan im Aufmacher +++

+++ Wolfgang Herles ("aspekte"), der neue Mann fürs Lesen beim ZDF, im kurzen Spiegel-Interview (online angerissen) +++ Die Union mischt sich bei "Frontal 21" ein – Freunde, geht's noch? +++ Und ebenfalls Der Spiegel nennt eine Summe in der Causa Lierhaus +++

Das Altpapier gibt's morgen wieder.
 

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