Geschenkpapier I: Kekilli-Hype und Kult-Muttis

Geschenkpapier I: Kekilli-Hype und Kult-Muttis

Im ersten Geschenkpapier zum zehnten Geburtstag des Altpapiers beschreibt Perlentaucher-Medientickerer Rüdiger Dingemann, wie eine Schauspielerin gepusht und eine Ministerin zur "Herren-Reiterin" der Politik wird, wie eine Grüne zum "Power-Blümchen" degradiert und wie man (vielleicht) Opfer der Blogger-Welt wird.

Fans des deutschen Fernsehkrimis konnten am Wochenende die Geburt eines neuen Stars miterleben: Zumindest, wenn man den Kollegen der Fernsehkritik glauben will, die schon seit ein paar Tagen die Schauspielerin Sibel Kekilli kräftig nach oben schreiben.

In der ZDF-Serie "Der Kommissar und das Meer" spielte sie am Samstag in der Folge "Ein Leben ohne Lüge" eine verzweifelte Mutter (Foto), deren Kind man entführt hatte und die darüber hinaus erfahren musste, dass ihr Ehemann ein Doppelleben führte. Zu sehen war aber nur ein müder, hölzern inszenierter Film, angesiedelt im "exotisch"-skandinavischen Ambiente der Ostseeinsel Gotland.

Im neuen "Tatort" aus Kiel, der am Sonntag über die Mattscheibe flimmerte, wurde Kekilli auf Umwegen als zukünftige Kollegin von Borowski eingeführt, wovon beide in dieser aktuellen Folge aber noch nichts ahnen; das kommt erst in der nächsten Borowski-Folge. Gestern durfte die so umworbene Kekilli die patente Landfrau Sarah Brandt mimen und dem eigenbrötlerisch-sympathischen Borowski erst einmal auf seinen alten Dienstwagen auffahren, den sie (natürlich entsprechend dem ihr auf den Leib geschriebenen Rollenklischee "selbst ist die Frau") auch gleich reparieren kann.

Im ZDF-Samstags-Krimi spielte Kekilli eine leidende Frau am Rande der Unerträglichkeit, am Sonntag durfte sie keck und kess sein. Begleitet worden war dieser Doppelauftritt mit zahlreichen Vorabberichten. Die SZ bot in der Wochenendausgabe ein großes Interview mit der vielfach ausgezeichneten "Schauspielerin mit Migrationshintergrund" auf.

Etwaiger Migrationshintergrund ist ja seit Sarrazins Rundumschlag ein willkommener Anlass, sich eingehend mit Multi-Kulti zu beschäftigen. Da passt auch die richtungsweisende Bekräftigung unserer allseits hochgeschätzten Ursula vom Arbeitsministerium, nur "Einwanderer, die zu uns passen" sollten ins Land geholt werden. Nachzulesen u. a. in der Montags-FR über den allseits beklagten Fachkräfte-Mangel.

Der Focus ist so hingerissen von der CDU-Politikerin, dass er sie nicht nur auf das heutige Titelbild setzt, sondern auch gleich aufs Pferd. Was soll uns das sagen? Klar, diese Amazone überspringt jedes Hindernis, und ihre Chefin hat sie offensichtlich auf das richtige Pferd gesetzt ... Wenn das "Power-Blümchen", wie Ursula v. d. L. von Focus bezeichnet wird, ihr mal nicht im Galopp noch vorbeizieht ...

Auf dem Titelblatt ist zu lesen: „Ursula von der Leyen: Die Kult-Mutti. Warum der Super-Ministerin beinahe alles gelingt". Das Münchner Magazin nimmt, seitdem Wolfram Weimer das Kommando auf der Brücke des Fakten-Fakten-Blatt-Dampfers übernommen hat, nun so richtig Fahrt auf. Man ahnte es schon seit letzter Woche, wo die Reise hingehen soll, als uns der Bundespräsident als Türke verkauft werden sollte. „Würde des Amtes“ ade ... An diesem Montag hat der Focus darüber hinaus ebenso spannende Themen im Angebot und berichtet investigativ vom "versteckten Leben des TV-Millionärs" Stefan Raab, verkündet sensationell neue medizinische Hoffnungen in der Stammzellenforschung und hält die überaus aktuelle Nachricht parat, das Professoren vor Burn-out warnen. Alles noch nie gelesen oder wie?

Doch damit noch nicht genug: Focus überrascht mit einem Doppelcover: Schlägt man das erste um, erscheint Renate Künast als "Die Multi-Kulti". Im Innenteil liest man dann, der Kalauerei ist noch lange nicht genüge getan, vom "Power-Grünchen“, das für die Grünen das "Rote Rathaus erobern" wolle. Wahrlich ein überaus reicher Kessel Buntes aus den Redaktionsstuben an der Isar, der da an diesem trüben Montagmorgen an die Kioske kommt.

So richtig überrascht werden wir am Beginn dieser letzten Woche der Sommerzeit von einer Nachricht aus Köln, die natürlich auch gleich wieder dementiert wurde, wie die taz meldet: Verleger Konstantin Neven DuMont, der allzeit präsente Verlagserbe des Hauses M. DuMont Schauberg, wolle angeblich das Handtuch werfen. Er selbst habe aber dementiert, zu seiner "bizarren Blog-Kommentaraffäre" schweige er weiterhin. Für das Online-Medienmagazin „turi2“ dagegen ist klar: Die "Konstantingate" zeitige nun Folgen, der 40-Jährige, bisher im Verlagsvorstand für "Strategie und Kommunikation" (sic!) zuständig, werde "offensichtlich vom Management und der eigenen Familie aus dem Vorstand gedrängt". Er werde sich "ins Kreative" zurückziehen, heißt es. Na ja, die angeblich von ihm anonymen Kommentare im Blog von Stefan Niggemeier waren da sicher eine schöne Fingerübung.


Altpapierkorb

+++ Nötigung durch Bild? fragt die SZ und konstatiert eine "nackte Kanone gegen Ottfried Fischer". Ein früherer Bild- Journalist steht vor Gericht: Er soll den Schauspieler genötigt haben. Es gehe dabei um ein angebliches Sex-Video und ein Interview. Die alles entscheidende Frage: „Was ist im Boulevardgeschäft eine ‚Drohung’"? +++

+++ Welt-Late Night: In der TV-Kritik über Anne Wills Grabenkampf um die Ersatzreligion Bio-Lebensmittel fragt sich die Welt, ob "Bio" eine Art Ersatzreligion geworden sei. In Anne Wills Talk-Arena hätten sich "gute" Bio-Bauern und "böse" Lebensmittelhersteller getroffen ... +++

+++ In der SZ-Wochenendausgabe führte Rebecca Casati ein Gespräch mit dem "Sonderwesen" Tilda Swinton. Die Schauspielerin spricht über ihr auffälliges Aussehen, ihr Leben in einem schottischen Zeitloch und verrät, warum sie sich nur elf Jahre alt fühlt. +++

+++ Die FR berichtet vom "Schmerz und Wurstbrotigkeit" des Büchner-Preisträgers Reinhard Jirgl, der am Sonntag von der Darmstädter Akademie ebenso wie Karl-Markus Gauß und Luca Giuliani gehrt wurde. Der Kritiker Helmut Böttiger habe ihn als den Autor gelobt, „wovor uns die Germanistikprofessoren immer gewarnt" hätten. +++

+++ Die FR geht der Frage nach, wer eigentlich bei Wikipedia schreibe. Die "Sachwalter des Wikipedia-Wissens" seien überwiegend männlich, 40 Jahre alt und mehrheitlich "linksliberal mit grünen Zügen". Quelle_ eine Umfrage des Projekts Wiki-Watch. +++
 

Rüdiger Dingemann schreibt für perlentaucher.de den täglichen "Medienticker". Das nächste Geschenkpapier kommt am Dienstag von sueddeutsche.de-Chefredakteur Hans-Jürgen Jakobs.

 

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