Wer nach der Teewurst wirft

Wer nach der Teewurst wirft

Szenen aus dem gewöhnlichen Kapitalismus: BDZV-Kongress. Szenen aus dem Unrechtsstaat: die grenzenlose Stasi. Außerdem: Twitter, Mohammed-Cartoonisten.

Unruhig geschlafen. Später geweckt worden vom Eingangsgeräusch einer neuen Mail in unserem Postfach, die wir unserem Google Alert "Leistungsschutzrecht" zu verdanken haben. In Essen hält der BDZV, der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, einen Bundeskongress ab – und Steffen Grimberg berichtet in der TAZ, dass auch das Leistungsschutzrecht auf der Tagesordnung stand.

Es ging aber aus wie das Hornberger Schießen.

"Während sich Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) lieber an einer Anhörung zu Google in der Bundhauptstadt Berlin unter Federführung des Innenministeriums beteiligte, als den in der Kulturhauptstadt Essen versammelten Zeitungsgranden ihre Aufwartung zu machen, mühte sich Max Stadler redlich: Die Absicht, ein neues Leistungsschutzrecht einzuführen, stehe weiterhin im Koalitionsvertrag, man sei 'aber noch im Prozess der Meinungsbildung'."

Der dauert noch ein wenig an. Bis er abgeschlossen ist, steht also nur fest, was man schon wusste:

"Man werde durch neue Gesetze keinesfalls 'Schonräume schaffen für Geschäftsmodelle, deren Zeit abgelaufen ist', sagte Leutheusser-Schnarrenberger schon vor drei Monaten."

Was anderes würde man von einer anständigen Marktwirtschaft auch nicht erwarten. Wer kann denn ein Interesse daran haben, den freien Wettbewerb durch Schutzzonen oder Grenzwälle einzudämmen.

Fotografische Impressionen vom BDZV-Kongress liefert übrigens die verbandseigene Homepage (bisschen scrollen). Bewegte Bilder von der Diskussionen zwischen "Peter Boudgoust (ARD), Mercedes Bunz (herself/Guardian), Mathias Döpfner (ASV) und Frank Schirrmacher (F.A.Z.)" liefert Carta (und wir grübeln noch immer über den Hintersinn des Wortspiels "Federhandschuh" statt "Fehdehandschuh"). Bei der geht es praktisch darum, dass Döpfner ("Zerstörung"), Schirrmacher ("Weg gehen") und herself streng in Richtung Boudgoust gucken, wobei letztere, weil sie in England arbeitet, dem öffentlich-rechtlichen Boudgoust auch noch vorwerfen kann, dass die BBC das Geschäft der Verleger in England viel innovativer kaputtmacht. Man wüsste gern, was der BEZV, der Bundesverband Englischer Zeitungsverleger dazu sagt.

Bei so viel Kapitalismuskritik ("Das Problem mit den Intendanten ist, sie so freundlich und so verständnisvoll, aber hinter ihnen stehen unglaubliche, riesige, gewaltige Apparate") kann den ein oder anderen womöglich der Gedanke beschleichen, dass früher einiges besser gewesen ist.

"Dass die DDR ein Unrechtsstaat war, vermag im politischen Streit nicht jeder zu erkennen. Die ehemalige HR-Chefredakteurin und Präsidentschaftskandidatin der Linken, Luc Jochimsen, stellte es – als pauschalisierende Bezeichnung – vor einiger Zeit in Abrede, so auch der CDU-Politiker Lothar de Maiziere, letzter Ministerpräsident der DDR."

Beschreibt der wachsame Michael Hanfeld die verfahrene Lage auf Seite 35 der FAZ. Zum Glück präsentiert das ZDF jetzt aber – aus Anlass seines Todes? – zwei Dokumentationen, nach denen einem "derartige Reden vielleicht noch etwas schwerer fallen".

Wer je die Wirkung von Fernsehen in Frage gestellt hat, hier nimmt sie esoterisch-halluzinogene Züge an: einmal zwei ZDF-Filme geguckt und schon klappt's auch wieder mit der Geschichtsschreibung. Man muss ja wohl pauschalisierend Unrechtsstaat sagen müssen, wenn man so was liest:

"Sie stellte sich allein gegen den Staat, dessen Unrechtscharakter manche Politiker heute zeitgeistig in Abrede stellen. Die Stasi dachte, sie spitzele für die DDR, dabei hatte sie Kontakte zur CIA."

Oder:

"Die zweite Dokumentation von Steffen Bayer legt dar, dass die Stasi bei der Verfolgung von 'Verrätern' keine Grenzen kannte, rechtsstaatliche schon gar nicht."

Davon wussten wir nichts. Und was macht Kerstin Decker im Tagesspiegel? Stellt zeitgeistig in Abrede, dass man nicht pauschalisieren darf:

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Sind Westspione besser als Ostspione? (TSP)##Welchen Sinn macht Twitter? (SZ)##Wer war Molly Norris? (FAZ)##Was macht das Leistungsschutzrecht? (TAZ)##]]

"Zu Beginn dieser Doku geht es um den Leipziger Besitzer eines Elektroladens 1951, der für die Amerikaner spioniert. Das wären, gleich am Anfang, schon mal zwei Geheimdienste. Oder sollen wir uns sagen: Militärspionage für die USA ist gut, ist gewissermaßen Spionage für die Freiheit, und deshalb ist es auch doppelt mies von der Staatssicherheit, den Spion der Freiheit auszuspionieren?"

Eine Antwort auf diese Frage finden wir bei Björn Wirth in der Berliner Zeitung nicht. Er konzentriert sich auf die Details von "Deckname Anett – Im Netz der Stasi":

"'Rosel Staudte fühlt sich ohnmächtig', spricht die Stimme. Also geht Bettina Zimmermann einen langen Flur entlang und eine große Treppe herunter und sieht dabei sehr verzweifelt und auch ein bisschen ohnmächtig aus. Ansonsten darf sie Sätze wie 'Ich hab dir eine Stulle geschmiert. Mit Teewurst, die magst du doch' aufsagen."

Angesichts solcher Umstände ist die Hoffnung, die Bernd Gäbler bereits letzte Woche auf stern.de äußerte, fromm:

"Allmählich kommen die beiden DDR-Narrative, das vom lebenswerten Leben im falschen System und das von der Angst einflößenden Stasi-Diktatur, etwas näher zusammen."

Mal sehen, was in fünf Jahren ist.


Altpapierkorb

+++ Von Dell lernen heißt etwas über Social Media lernen: Der nimmermüde Netzökonom Holger Schmidt interviewt in der FAZ (Seite 19) Manish Mehta, den eben Social-Media-Chef des Computerherstellers Dell. Und der sagt etwa auf die Frage, welchen Fehler man als Unternehmen in diesem Feld nie machen sollte: "Intransparent zu sein." +++ Dirk von Gehlen erklärt in der SZ den Sinn von Twitter: "Viele Menschen nutzen den Dienst also mittlerweile nur lesend wie eine kostenfreie Presseschau, die sie auf ihre individuellen Interessen zuschneiden." +++

+++ Der Tagesspiegel vermeldet, dass die Haushaltsabgabe für den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk GEZ-Fahnder nicht arbeitslos macht und auch noch mit dem Datenschutz kompatibel sein soll. +++ Hans Hoff sieht in der SZ (Seite 17) die Zukunft des "Rheinischen Merkur" in einer Beilage der "Zeit". +++ In der FR ist vom Ende der zweiten Marburger Lokalzeitung "Neue Marburger Zeitung" zu lesen. +++

+++ Die Funkkorrespondenz unterhält sich mit Jörn Röver, Geschäftsführer von NDR Naturfilm, ausführlich über den Stand der Tierdokumentation. +++ Aus diesem Anlass sei auf Georg Seeßlens zurückliegende Kritik der Grzimek-DVD aus der Zeit verwiesen, die erklärt, wovon die frühen Expeditionen ins Tierreich auch handeln. +++ Dass bei der Verleihung des Deutschen Radiopreises vor allem vom Fernsehen gesprochen wurde, weiß die FAZ (Seite 35). +++

+++ Die FAZ informiert über die Cartoonisten Molly Norris, die aus Angst vor Todesdrohungen von Islamisten – wegen einer Mohammed-Karikatur und dem Aufruf, es ihr gleich zu tun – untertauchen musste. +++ In der Berliner versucht sich Antje Hildebrandt an einem Portrait Daniela Katzenbergers. +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.
 

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