Morgan: Fühle mich weiter als Aktivistin

Jennifer Morgan
epd-bild/Hans Scherhaufer
Seit März 2022 ist Jennifer Morgan Staatssekretärin und Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik im Auswärtigen Amt.
Klimabeauftragte im Außenamt
Morgan: Fühle mich weiter als Aktivistin
Seit einem Jahr ist Jennifer Morgan (56) Deutschlands Chef-Verhandlerin in der internationalen Klimapolitik. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst erläutert die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt die Knackpunkte des nächsten Klimagipfels, verteidigt den deutschen Kurs in der Energiekrise - und verrät, dass sie Angst hat, bei ihrer Aufgabe zu scheitern.

epd: Frau Morgan, vor einem Jahr, im März 2022, sind Sie von der Greenpeace-Spitze ins Auswärtige Amt gewechselt. Hat Sie dieser Rollenwechsel verändert?

Jennifer Morgan: Nein. Denn auch in der Diplomatie kann man mit Leidenschaft für ein dringliches Thema eintreten. Ich versuche weiter, die Menschen dort abzuholen, wo sie sind: Wenn ich zum Beispiel mit einem Experten für Sicherheitspolitik spreche, mache ich deutlich, welche Bedrohung die Klimakrise für die internationale Sicherheit darstellt. Und wenn ich mich mit Vertreterinnen und Vertretern von Unternehmen austausche, geht es darum, wie wir unseren Wohlstand mit Klimaschutz sichern. Ich höre zu und stelle mir die Frage, wie ich mein Gegenüber erreichen kann. Ich fühle mich weiter als Aktivistin - als Aktivistin in der Klima-Diplomatie.

Was halten Sie von den Protestformen der "Letzten Generation", deren Aktivisten sich zum Beispiel auf Straßenkreuzungen festkleben und Kunstwerke attackieren? Sie haben ja selbst lange Jahre für eine Organisation gearbeitet, die für spektakuläre und nicht immer unumstrittene Aktionen bekannt ist.

Jennifer Morgan: Ich kann den Frust der jungen Leute verstehen: Trotz eindringlicher wissenschaftlicher Warnungen sind wir beim Klimaschutz bislang nicht ausreichend vorangekommen. Engagement für Klimaschutz ist extrem wichtig - das erzeugt auch Hoffnung in der Gesellschaft. Aber jeder Aktivismus muss sich unbedingt an die geltenden Gesetze halten. Denn Gesetze schützen uns alle.

Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müssen die weltweiten Emissionen vor 2025 ihren Höhepunkt haben und danach deutlich zurückgehen: Haben Sie manchmal Angst, an dieser großen Aufgabe zu scheitern?

Jennifer Morgan: Absolut. Ich habe Angst, dass wir die Kipppunkte überschreiten, ab denen sich klimatische Veränderungen nicht mehr zurückdrehen lassen: Wenn das Eis in Grönland bis zum Verschwinden weiterschmilzt und dadurch der Meeresspiegel schneller steigt, wenn der Amazonas nicht mehr als CO2-Speicher funktioniert, wenn die Welt aus dem Gleichgewicht gerät. Ich denke ständig darüber nach, welche neuen Ansätze es geben könnte, das zu verhindern. Meine Hauptsorge ist, dass wir mit der Emissionsreduktion nicht schnell genug vorankommen. Diese Gefahr darf man nicht schönreden.

Deutschland fördert den Ausbau erneuerbarer Energien in Entwicklungs- und Schwellenländern, bezieht aber seit Beginn des Ukraine-Krieges verstärkt Steinkohle aus Ländern wie Südafrika. Hat die deutsche Klimaaußenpolitik ein Glaubwürdigkeitsproblem?

Jennifer Morgan: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch energiepolitisch eine Zeitenwende markiert. Das hat unsere Energiesicherheit in Frage gestellt. Deshalb mussten wir kurzfristig reagieren. Einerseits ging es uns darum, uns schnellstmöglich aus Russlands Energieabhängigkeit zu befreien, anderseits standen wir natürlich in der Pflicht gegenüber den Menschen in Deutschland, die Energieversorgung sicherzustellen. Deswegen hat Deutschland viel Energie gespart - Bürger und Bürgerinnen wie Unternehmen. Wir haben ein sehr ambitioniertes Gesetzespaket verabschiedet.

"Letztlich haben wir die Energiewende erheblich beschleunigt"

Als Notmaßnahme haben wir genug Kohle aus der Reserve geholt, um durch den Winter zu kommen. Aber alle Maßnahmen, die wir getroffen haben, mussten konsistent sein mit dem deutschen Ziel bis 2045 klimaneutral zu sein. Letztlich haben wir die Energiewende erheblich beschleunigt. Unsere Klimaziele sind klar: bis 2030 mindestens 80 Prozent Strom aus Erneuerbaren, bis 2045 Klimaneutralität.

Wie steht es um das Vorhaben der Bundesregierung, in die Gas-Infrastruktur im Senegal zu investieren?

Jennifer Morgan: Bislang gibt es keine Entscheidung über Kooperation zur Gas-Förderung mit dem Senegal - darüber wird in der Bundesregierung weiter diskutiert. Wir konzentrieren uns in unserer Zusammenarbeit mit Afrika auf den Ausbau der Erneuerbaren.

Die nächste Klimakonferenz in Dubai wird mit Sultan al-Dschabir der Chef eines Ölkonzerns leiten. Wie beurteilen Sie diese Personalie?

Jennifer Morgan: Al-Dschabir hat ambitionierte Ziele: Er bekennt sich zum 1,5-Grad-Ziel, will eine Verdreifachung der erneuerbaren Energien und strebt eine klare Bilanz der bisherigen Klimamaßnahmen an. Wir erwarten aber auch, dass wir über einen Ausstieg aus den fossilen Energien verhandeln.

Der Ausstieg aus fossilen Energien und ein Arbeitsprogramm zur CO2-Minderung waren ja schon Knackpunkte bei der letzten Klimakonferenz. Gibt es Signale, dass es diesmal konkretere Ergebnisse gibt?

Jennifer Morgan: Es gab bei der Konferenz in Scharm el-Scheich 80 Länder, die den Ausstieg aus den fossilen Energien unterstützt haben. Und wir sind alle nach wie vor entschlossen, das durchzusetzen. Das wird also eines der großen Themen bei der Klimakonferenz in Dubai sein. Wir wollen außerdem eine sehr starke Entscheidung für erneuerbare Energien sehen. Die Vereinigten Arabischen Emirate als Gastgeber haben hier die Chance, Geschichte zu schreiben.

In diesem Jahr soll beim Klimagipfel eine Bilanz der bisherigen Umsetzung des Pariser Klimaabkommens gezogen werden, der "Global Stocktake". Wie fällt Ihrer Ansicht nach die bisherige Bilanz aus?

Jennifer Morgan: Der "Global Stocktake" ist der Moment zu analysieren, ob Länder unter dem Pariser Abkommen genug gemacht haben, um Emissionen zu reduzieren, Anpassungsmaßnahmen umzusetzen und Finanzierung für Entwicklungsländer bereitzustellen. Aktuelle Studien zeigen schon, dass wir vom Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, noch weit entfernt sind. Wenn wir weitermachen wie bisher bedeutet das, dass die Welt 2,6 bis 2,9 Grad wärmer wird. Und wir haben das Versprechen aus dem Pariser Klimaabkommen noch nicht erfüllt, den ärmeren Ländern ab 2020 100 Milliarden Dollar jährlich für Klimaschutz und Anpassung bereitzustellen.

Was folgt daraus?

"Wir brauchen eine Reform der internationalen Finanzinstitutionen"

Jennifer Morgan: Wir brauchen bei der nächsten Klimakonferenz grundsätzliche Entscheidungen darüber, wann die CO2-Emissionen ihren Höhepunkt erreicht haben müssen, und was jedes Land zusätzlich zur Minderung der Treibhausgase tut. Wir brauchen sektorale Initiativen, die konsistent mit dem 1,5-Grad-Ziel sind, zum Beispiel zum Ausstieg aus der Kohle. Finanzinstitutionen sollen alle ihre Investitionen in Lösungen für das Klima investieren - nicht in das Problem. Und wir brauchen eine Reform der internationalen Finanzinstitutionen.

Wie sollten Institutionen wie die Weltbank reformiert werden?

Jennifer Morgan: Der Klimaschutz soll Schwerpunktthema der Weltbank und der regionalen Entwicklungsbanken werden. Künftig müsste dann etwa bei der Armutsbekämpfung der Klimawandel mitbedacht werden. Auch sollten die Finanzinstitutionen alles tun, um erneuerbare Energien voranzutreiben und dafür auch Geld aus dem Privatsektor mobilisieren. Auch Schuldenmoratorien für Länder, die akut von einem Extremwettereignis betroffen sind, halte ich für denkbar.

Sind Sie zuversichtlich, dass Deutschland sein Versprechen einhält, ab 2025 mindestens sechs Milliarden Euro an Klimahilfen für arme Staaten bereitstellen? Bundesfinanzminister Christian Lindner strebt für 2024 offenbar Kürzungen in den Haushalten von Entwicklungsministerium und Auswärtigem Amt an.

"Für unsere Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern ist es wichtig, uns an unsere Zusagen zu halten"

Jennifer Morgan: Die sechs Milliarden Euro sind eine Zusage des Bundeskanzlers bei der letzten Klimakonferenz in Ägypten. Es ist letztlich in unserem nationalen Interesse, dieses Geld bereitzustellen. Ich bin zuversichtlich, dass wir im Haushalt 2024 dem Ziel näherkommen. Im Haushalt für dieses Jahr ist kein Aufwuchs der Mittel vorgesehen, deswegen muss jetzt geliefert werden. Für unsere Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern ist es wichtig, uns an unsere Zusagen zu halten.

Beim letzten UN-Klimagipfel haben Sie federführend an den Verhandlungen über einen Fonds für arme Länder mitgewirkt, die klimabedingte Schäden und Verluste erleiden. Ein Komitee soll nun Vorschläge zur Funktionsweise des Fonds erarbeiten. Wie sollte der ideale Fonds aussehen?

Jennifer Morgan: Der Fonds richtet sich ausschließlich an die verletzlichsten Länder und schließt die Lücken, die bei der internationalen Unterstützung bestehen. Es gibt bereits andere Programme, etwa beim Green Climate Fund, die Hilfe bei Schäden und Verlusten bereitstellen. Diese müssen ergänzt werden. Zu dem Fonds sollten alle Länder einen Beitrag leisten, die dazu die Mittel haben - nicht nur die Industrieländer.

Zum Beispiel China?

Jennifer Morgan: China ist nicht das einzige Land, das einen Beitrag leisten sollte - da gibt es weitere. Zudem müssen wir innovative Finanzinstrumente entwickeln, die den Fonds speisen. Die am wenigsten entwickelten Länder haben zum Beispiel eine Steuer von fünf Euro auf jedes Flugticket vorgeschlagen. Und UN-Generalsekretär António Guterres plädiert für eine Übergewinnsteuer.

Zur Person: Die langjährige Umweltaktivistin Jennifer Morgan ist seit März 2022 Staatssekretärin für internationale Klimapolitik im Auswärtigen Amt. Für die hochrangige Funktion nahm die gebürtige US-Amerikanerin die deutsche Staatsbürgerschaft an. Beim jüngsten Klimagipfel im ägyptischen Scharm el-Scheich trug sie federführend zur Einigung auf einen Fonds bei, der arme Länder bei klimabedingten Schäden unterstützen soll.

Geboren wurde Morgan 1966 in Ridgewood (US-Bundesstaat New Jersey). Nach dem Studium der Politikwissenschaft und der internationalen Beziehungen war sie ab Mitte der 90er-Jahre für verschiedene Umweltorganisationen tätig, darunter das Climate Action Network USA. Im Rahmen eines Stipendiums der Bosch-Stiftung von 1996-1997 arbeitete sie im Bundesumweltministerium. Dabei schrieb sie unter anderem Reden für die damalige Ministerin Angela Merkel (CDU).

Anschließend leitete Morgan von 1998-2006 als Direktorin die globale Klima-Kampagne der Umweltstiftung WWF. Es folgten weitere Führungsfunktionen, etwa beim World Resources Institute in Washington. Als Expertin wurde sie in den Wissenschaftlichen Beirat des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (2010-2017) und des Rats für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung (2013 bis 2016) berufen. Von 2016 bis 2022 war sie Geschäftsführerin von Greenpeace International.

Lebenslauf auf der Seite des Auswärtigen Amtes: http://u.epd.de/2ekr