Mit konzentriertem Blick wickelt Lotta die Mullbinde um Mikas Hand. Erst vor Lottas abgespreiztem Daumen entlang, dann dahinter, so wie Notarzt Guido Teckemeyer es ihnen vorgemacht hat. "Du musst deine Hand stillhalten", ermahnt die neunjährige Lotta ihre gleichaltrige Kurspartnerin und befestigt das Ende der Mullbinde mit einem braunen Klebestreifen. Mika kichert und sagt, sie wolle vielleicht später mal Ärztin werden.
"Das muss hier keiner perfekt machen", ruft Teckemeyer in die Runde der rund 20 Kinder, die beim Chef der Unfallaufnahme im Osnabrücker Klinikum einen Erste-Hilfe-Kurs belegt haben. Und obwohl die meisten von ihnen noch im Grundschulalter sind, ist es für etliche der 7- bis 13-Jährigen nicht die erste Erfahrung dieser Art. "Unsere Sportlehrerin hat mit uns auch schon Erste Hilfe gemacht", sagt Lotta.
Nebendran betrachten die beiden Jüngsten, Fine (7) und Lisa (8), ihre erstaunlich professionell aussehenden Werke. Sie sind hellauf begeistert und können sich an ihren Hand- und Fingerkuppen-Verbänden gar nicht sattsehen. Gegenüber sitzen Emma (12), Enno (9), Arne (10) und Felix (12) mit ebenfalls ziemlich gelungenen Kopfverbänden und schlecken in der Pause erst mal ein Eis.
So wie Mika, Felix und Lisa werden jährlich Zehntausende Kinder und Jugendliche an Erste Hilfe und Wiederbelebung herangeführt. Neben Kliniken bieten vor allem Hilfsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und die Johanniter-Unfall-Hilfe Kurse in Schulen und sogar in Kindergärten an. Einige Bundesländer wollen Reanimation und Erste Hilfe verpflichtend in Lehrplänen verankern.
Rettung auf dem Lehrplan in ganz Deutschland
Das wäre flächendeckend für ganz Deutschland notwendig, sagt der DRK-Bundesarzt Bernd Böttiger. "Jeden Tag sterben immer noch mehr als 200 Menschen in Deutschland an einem plötzlichen Herztod." Nur in etwa 50 Prozent der Notfälle versuchten Umstehende, mit Wiederbelebungsmaßnahmen das Leben der Menschen zu retten. In Skandinavien, wo Wiederbelebung im Bildungssystem verankert ist, liegt diese Quote nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Erste Hilfe bei 70 Prozent.
Auch Jugendliche und Kinder seien, ausgestattet mit dem nötigen Wissen, in der Lage, in einer Notsituation zu handeln, sagt Böttiger, der auch Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin der Universitätsklinik Köln ist: "Es ist mit der entsprechenden Ausbildung und Auffrischung sehr leicht umzusetzen, mit zwei Händen ein Menschenleben zu retten."
Üben an Teddys und Puppen
Der Intensivmediziner und Anästhesist Teckemeyer bietet die Erste-Hilfe-Kurse im Sommer bereits seit 14 Jahren an. Sie sind ihm ein Herzensanliegen. Ihm ist es vor allem wichtig, den Kindern die Angst zu nehmen. Dann gingen sie in der Regel unvoreingenommen an die Aufgaben heran und hätten anders als Erwachsene keine Bedenken, etwas falsch zu machen. "Selbst Achtjährige können schon eine Herzdruckmassage vornehmen."
Wie das geht, zeigt Lisa. Seitlich vor einer Dummy-Puppe knieend legt die Zweitklässlerin die Handballen übereinander auf den Druckpunkt am Brustbein. Dann beginnt sie zu pumpen. "100 Mal pro Minute", weist der Arzt sie an und nickt ihr aufmunternd zu. "Das ist ganz schön anstrengend", findet Lisa nach wenigen Auf-und-Ab-Bewegungen. "Du machst das prima", lobt Teckemeyer.
Auch der Osnabrücker Ambulanz-Chef wünscht sich verpflichtenden flächendeckenden Reanimationsunterricht ab Klasse 7. Immerhin erlebe er aber in seinen Kursen, dass immer mehr Kinder das Thema inzwischen zumindest punktuell in ihren Schulen behandeln.
Seine Kinder im Kurs üben derweil die stabile Seitenlage. Sophia (12) war sich eigentlich sicher, dass sie diese Übung beherrscht. Aber jetzt kommt sie bei Arne als Versuchsperson doch ins Grübeln. "Zwei Sachen fehlen noch", ruft Lotta. Und tatsächlich: "Sophia hat vergessen, den Hals zu überstrecken und das Gesicht so zu platzieren, dass eventuell Erbrochenes aus dem Mund herauslaufen kann", erklärt der Notarzt.
Teckemeyer hofft, dass die Kinder mindestens zwei Dinge mit nach Hause nehmen: "Die stabile Seitenlage und den Notruf 112." Arne ist zufrieden mit dem, was er an diesem Nachmittag gelernt hat. Der Zehnjährige engagiert sich bei der Jugendfeuerwehr und kannte einige Inhalte schon. Er findet es aber wichtig, sich stetig weiterzubilden, erklärt er mit großem Ernst. "Es ist immer gut, wenn du weißt, wie du Menschen helfen kannst."