Friedensorganisationen: Fokus zu stark auf Militär

Illustration von Friedenstaube, die über Stacheldraht und Ruinen fliegt
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"Rechtserhaltende Gewalt" wird in der neuen Denkschrift als Teil der Friedensethik akzeptiert, das sorgt für Kritik.
Kritik an EKD-Friedensdenkschrift
Friedensorganisationen: Fokus zu stark auf Militär
Die Arbeitsgemeinschaft Dienst für den Frieden kritisiert die neue Ausrichtung der evangelischen Friedensethik als zu stark militärisch geprägt.

Friedensverbände in der evangelischen Kirche üben Kritik an der am Montag veröffentlichten Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die Denkschrift fokussiere sich darauf, militärisches Handeln friedensethisch zu rehabilitieren, heißt in einer Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF), die in Bonn veröffentlicht wurde. So frage die Denkschrift nicht, was passiere, wenn Abschreckung scheitere.

Insgesamt dominiere in der Denkschrift das Interesse, sich auf sicherem, "politisch realistischem" Terrain zu bewegen. Zudem seien die Erfahrungen der Fachorganisationen für Friedensforschung, zivile Konfliktbearbeitung und Friedensbildung nicht in die Denkschrift eingeflossen, die hätten helfen können, "Möglichkeiten und Grenzen ziviler Konfliktbearbeitung in Konflikt- oder Kriegssituationen in den Blick zu nehmen", heißt es in der Stellungnahme.

Die AGDF ist ein Dachverband, in dem sich Organisationen und Initiativen mit der Zielsetzung "Dienst für den Frieden" im Bereich der evangelischen Kirchen zusammengeschlossen haben. Sie versteht sich zugleich als Fachverband für Friedensarbeit und Friedenspolitik. Ihr Vorsitzender ist der ehemalige badische Landesbischof, der Theologe Jochen Cornelius-Bundschuh.

Auch der Vorstand der Bonhoeffer-Niemöller-Stiftung äußerte sich nach der Veröffentlichung der Denkschrift: Er habe die neue Denkschrift  erschüttert zur Kenntnis genommen, heißt es in einer Pressemitteilung. Das Ziel, die Institution des Krieges aus der internationalen Politik zu entfernen, sei aufgegeben. 
Damit falle das Ratspapier hinter die Charta der Vereinten Nationen und hinter den aktuellen friedensethischen Diskurs zurück.

"Auslieferung an die Regierungspolitik"

Anders als die Denkschrift von 2007, die noch "einen stellvertretenden Konsens für die ganze Gesellschaft" formulieren wollte, bescheide sich die ‚Denkschrift‘ damit, "Orientierung" (S.6) zu geben zur Prüfung der eigenen Position. Ehrlicherweise, so heißt es in der Erklärung weiter, solle das Papier deshalb als "Handreichung" bezeichnet werden, wie bisher in der EKD üblich. "Wir bedauern, dass selbst dieser reduzierte Anspruch einer Handreichung nicht erfüllt wird. Zu durchsichtig ist das Bemühen, allen alles und damit niemand etwas zu geben. Damit gibt es weder echte Anstöße noch ist es ein wirklicher Konsens, aber eine Bestätigung des Bestehenden, ja eine Auslieferung an die jeweilige Regierungspolitik."

Für die Stiftung sei die Formel von der "rechtserhaltenden Gewalt" eine Rechtfertigung für Gewalt: "Mit der Formel von der ‚rechtserhaltenden Gewalt‘ meint der Text einen Kniff gefunden zu haben, mit dem militärische Gewaltanwendung jetzt und künftig gerechtfertigt werden kann", so Dr. Uwe-Karsten Plisch, Vorstandsvorsitzender der Stiftung. "Wenn es aber primär um die Erhaltung des Rechts geht, müsste ebenso nachdrücklich z. B. die Beachtung des internationalen Strafgerichtshofs gefordert werden, der von gewaltaffinen Staaten wie den USA, Russland oder Israel nicht anerkannt wird", sagte er weiter.

Appell zum Atomwaffenausstieg fehle

Die Ächtung von Atomwaffen hielte der Text zwar für ethisch geboten, politisch aber für unverantwortlich. Es gäbe keinen Appell, aus dieser Logik der Massenvernichtung auszusteigen. "Die Autor:innen erliegen dem Mythos der erlösenden Gewalt und können sich nicht zwischen der Nachfolge der gelebten Friedenspraxis Jesu und einem aus der Zeit gefallenen Staatskirchentum entscheiden", so Uwe-Karsten Plisch weiter.

Mit einer vierseitigen Stellungnahme hat auch die "Initiative Christlicher Friedensruf" auf die Veröffentlichung der EKD-Denkschrift "Welt in Unordnung - gerechter Friede im Blick" am Montag reagiert. Die EKD-Denkschrift verenge das von Jesus Christus vertretene Prinzip der Gewaltfreiheit und dränge nicht-militärische und gewaltfreie Perspektiven an den Rand, heißt es in der ebenfalls am Montag veröffentlichten Stellungnahme. Gewaltfreie Friedensarbeit werde in der EKD-Denkschrift unterschätzt.

Die "Initiative Christlicher Friedensruf" wird stark von Pfarrerinnen, Pfarrern und Ehrenamtlichen aus Württemberg getragen. Sie hatte im Mai das "Ökumenische Friedenszentrum" parallel zum Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hannover organisiert.

Die EKD hatte am Montagvormittag während der Tagung ihrer Synode die neue Friedensdenkschrift veröffentlicht. Anlass für den neuen Grundsatztext ist die russische Vollinvasion in der Ukraine 2022. Im Zuge dessen kam es zu innerevangelischen Debatten über die Zulässigkeit von Waffenlieferungen. Die neue Denkschrift akzentuiert anders als ihre Vorgängerin 2007 den Schutz vor Gewalt und gibt ihm einen Vorrang, für den auch militärische Gewalt gerechtfertigt sein kann.