Mit dem Einsamkeitsbarometer 2024 hat die damalige Familienministerin Lisa Paus vor einem Jahr erstmals eine umfassende Analyse des Einsamkeitserlebens in Deutschland vorgelegt. Das Kompetenznetz Einsamkeit hat die Daten als Langzeitbeobachtung und in einem Factsheet aufbereitet. Demnach ist die Einsamkeitsbelastung der deutschen Bevölkerung zwischen 1992 und 2017, um dann im ersten Pandemiejahr 2020 stark anzusteigen (2017: 7,6 %; 2020: 28,2 %). Zwar sinken die Zahlen 2021 wieder ein wenig (11,3 %), doch die Einsamkeit als gesellschaftliches Gesamtphänomen bleibt, der hohe Krankheitsstand auch.
Besonders beunruhigend ist die Zunahme der psychischen Erkrankungen bei Kindern. Was viele Familienforscher bereits durch die ständigen Schulschließungen und dem Sportverbot befürchtet hatten, ist Wirklichkeit geworden: Laut den Ergebnissen der Studie "Kind sein in Zeiten von Corona" des Deutschen Jugendinstituts (DJI) fühlten sich vor allem Kinder aus Familien mit schwieriger finanzieller Lage einsam (48 Prozent) gegenüber 21 Prozent der Kinder aus Familien, die mit ihrem Einkommen gut leben können.
Nach ihrem Volontariat in der Pressestelle der Aktion Mensch arbeitete Alexandra Barone als freie Redakteurin für Radio- und Print-Medien und als Kreativautorin für die Unternehmensberatung Deloitte. Aus Rom berichtete sie als Auslandskorrespondentin für Associated Press und für verschiedene deutsche Radiosender. Seit Januar 2024 ist sie als Redakteurin vom Dienst für evangelisch.de tätig.
Auch mit emotionalen Problemen wie Niedergeschlagenheit, Ängste und Sorgen haben mehr Kinder aus finanziell schlechter gestellten Familien zu kämpfen (44 Prozent versus 18 Prozent) – und zwar umso mehr, je angespannter die Eltern ihre wirtschaftliche Situation empfinden. "Sich in zwischenmenschlichen Beziehungen eingebunden zu fühlen, gilt als menschliches Grundbedürfnis, dessen Nichterfüllung als leidvoll erlebt werden kann", erklärt Christine Witthuhn. Die 36-Jährige arbeitet als Lehrerin an einer Schule in MV. Sie hat während der Pandemie unterrichtet und miterlebt, wie sehr Kinder unter den Lockdowns und Schulschließungen gelitten haben. Nachwirkungen dieser schwierigen Zeit sieht sie heute noch.
Corona-Zeit hat schwere Spuren hinterlassen
"Diese Zeit hat bei Kindern schwere Spuren hinterlassen, gerade bei Kindern aus schwierigen Verhältnissen und bei Kindern, die sowieso schon zu Depressionen geneigt haben", erklärt Witthuhn, die auch Sonderpädagogin ist. Die Nachwirkungen der Corona-Krise seien auch heute noch zu beobachten. "Trotz einer Normalisierung des sozialen Lebens können sich einige Kinder wieder schwer an die normalen Unterrichtsabläufe gewöhnen, sich in die Klasse integrieren und soziale Kontakte aufbauen."
Nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass man als Kind den Erwachsenen zum Teil schutzlos gegenübersteht. "Wenn das Kind quasi nonstop häuslicher Gewalt ausgesetzt ist, also auch nicht einmal mehr eine Auszeit am Vormittag hat, also in der Schule, ist das die Hölle für ein Kind", weiß Witthuhn zu berichten. Die Folge: Schwere Traumata und psychische wie körperliche Erkrankungen, die Lehrerinnen und Lehrer vermehrt beobachten. Laut einem Bericht des Robert-Koch-Instituts wurden bereits während der Corona_krise vermehrt bei Kindern auftretende psychische Störungen wie akute Belastungsreaktionen, Anpassungsstörungen, Trauer und posttraumatische Belastungsstörungen beobachtet. Zwei Studien, die während der COVID-19-Pandemie durchgeführt wurden, berichten von Unruhe, Gereiztheit, Anhänglichkeit und Unaufmerksamkeit sowie von einem zunehmenden Medienkonsum bei Kindern und Jugendlichen während der Quarantäne.
Frühzeitige Prävention ist entscheidend
"Ich merke schon, dass die Kinder verstört sind", so Witthuhn, die selbst zweifache Mutter ist. "Im Unterricht versuche ich, sie in die Gemeinschaft zu holen, indem ich vermehrt Gruppenarbeit im Unterricht integriere. So werkeln sie nicht alleine vor sich hin, sondern setzen sich mit ihren Schulkameraden auseinander, was wiederum die soziale Kompetenz stärkt." Wichtig hierbei sind auch Ruhephasen. "Wenn ich feststelle, dass ein Kind überfordert ist, sozial wie auch inhaltlich, dann biete ich dem Kind eine Auszeit an und es kann sich ausruhen." Einzelgespräche mit den Kindern gehören ebenso zur Präventionsarbeit, wie auch der Austausch mit den Eltern.
"Als Lehrerin kann ich nur beobachten, wie es einem Kind in der Schule geht, daher suche ich auch immer ein Gespräch mit den Eltern." Bei schweren Verhaltensstörungen wird dann auch mal die Kinderärztin und die Schulsozialarbeit hinzugezogen. "Ich achte gerade bei Kindern aus schwierigen Verhältnissen darauf, wenn sie besonders still sind oder aber sehr aggressiv", so Witthuhn. Nicht nur im Unterricht, auch in den Pausen beobachten die Erzieher das Verhalten der Kinder. Spielen sie mit anderen Kindern? Sind sie oft in Streitigkeiten verwickelt oder stehen sie alleine in der Ecke? Die sozialen Kontakte sind sehr wichtig für ihre Entwicklung.
Das Gepräch mit Eltern suchen
"Auch im Gespräch mit den Eltern erfahren wir, ob das Kind Freunde hat oder ständig alleine ist. Denn während wir die Kinder im Schulunterricht durch Gruppenarbeit animieren, miteinander ins Gespräch zu kommen, müssten diese Rolle zu Hause die Eltern übernehmen." Das sei aber nicht immer der Fall, so Witthuhn. Einige Eltern arbeiten oder sind mit sich selbst, ihrem Beruf oder ihrer Karriere beschäftigt, und das Kind wächst sozusagen alleine auf. "Viele Kinder haben zudem gar keine Spielkameraden, da auf dem Land beispielsweise nicht alle Eltern die Möglichkeit haben, ihre Kinder zum Sport oder zu ihren Freunden zu fahren", so Witthuhn. "Diese Kinder sind es gewohnt, alleine zu sein. Sie kennen nur Mama und Papa und sollen jetzt auf einmal mit vielen Kindern im Kindergarten oder in der Schule interagieren."
Diese Kinder werden auch schnell aggressiv, wenn ihnen eine Situation einfach schlichtweg zu viel wird. Kontraproduktiv für ein gesundes Heranwachsen ist in einigen Fällen auch die zunehmende Digitalisierung, da viele Kinder vermehrt vor dem Computer oder Smartphone sitzen und zum Teil nur "virtuelle" Freunde haben. Auch sogenannte Helikoptereltern können sich negativ auf das Heranwachsen des Kindes auswirken, da sie sich ständig um ihr Kind kümmern, ihm nichts zutrauen und ihm kein Freiraum lassen. So kann sich das Kind nicht ausprobieren, selbst aktiv werden, seine Vorlieben erkennen und Aufgaben selbstständig übernehmen. "Die Teilnahme an zu vielen Freizeit- und Sportangeboten kann meiner Meinung nach auch negativ sein, da die Kinder dann zwar viele andere Kinder kennen, aber mit keinem der anderen Kinder eine tiefe Freundschaft aufbauen", gibt die zweifache Mutter zu Bedenken. "Und dann gibt es auch Kinder, die gerne alleine sind.