TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Du gehörst mir"

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27. August, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Du gehörst mir"
"Du gehörst mir" ist eher ein Psychothriller als ein Krimi. Drehbuchautorin Khyana el Bitar sorgt mit zwei Handlungssträngen für doppelte Spannung. Unser Autor meint: Nichts für schwache Nerven.

Der Fall ist klar, zumindest für Doreen Brasch: Als eine junge Mutter kurz abgelenkt war, ist ihr Baby entführt worden. Die alleinerziehende Studentin Lana ist überzeugt, dass ihr Ex-Freund der Täter ist. Der Mann hat die Trennung nicht verkraftet und verhält sich laut Lana nun wie ein klassischer Stalker. Brasch kann in seiner Wohnung zwar keinerlei Hinweise auf die gerade mal zwei Monate alte Lucy entdecken, aber ein Smartphone-Video beweist, dass er am Tatort war; und auf dem Kinderwagen, der irgendwann gefunden wird, sind seine Fingerabdrücke. 

Drehbuchautorin Khyana el Bitar verrät allerdings gleich zu Beginn, dass die Magdeburger Kommissarin (Claudia Michelsen) komplett auf dem Holzweg ist: Zu aggressivem Rap lenkt Lana (Hannah Schiller) das Gefährt durch die Innenstadt, als sie Zeugin wird, wie eine junge Skaterin mit einem Passanten zusammenstößt. Als der Mann, stinksauer, handgreiflich wird, mischt Lana sich ein. Diesen Moment nutzt eine Frau, um sich mit dem Kinderwagen davonzumachen.

In der Revierbesprechung kommt Brasch der Wahrheit bereits denkbar nahe, als sie vermutet, bei der Entführerin könne es sich um eine Mutter handeln, die nicht über den kürzlichen Verlust eines eigenen Kindes hinwegkommt; aber dann drängt sich Lanas Ex-Freund Novak (Max Hemmersdorfer) als Verdächtiger geradezu auf. 

Bis zu diesem Punkt erzählt "Du gehörst mir" ein typisches Krimidrama. Die Autorin hat dem achtzehnten Fall für Brasch, die mit diesem Film ihr Zehnjähriges feiert, jedoch einen besonderen Dreh gegeben: Eigentlich wollte Revierleiter Lemp (Felix Vörtler) am Morgen zu einer dreimonatigen Auszeit in Schottland aufbrechen.

Als er einer Nachbarin hilfsbereit den Kinderwagen die Treppe hochträgt, endet die Reise, bevor sie begonnen hat: Inga Werner (Franziska Hartmann) knüppelt Lemp mit einem Hockeyschläger nieder, fesselt ihn mit Paketklebeband an einen Rollstuhl und schiebt ihn in eine Abstellkammer. Auf diese Weise sorgt El Bitar für doppelte Krimispannung, zumal Brasch ihren Chef im Sabbatical wähnt und keine Ahnung hat, dass der schwerverletzte Kriminalrat in Lebensgefahr schwebt, während sie ein Stockwerk tiefer seine Katze füttert. 

"Du gehörst mir" ist ohnehin, wie auch der Titel andeutet, eher ein Psychothriller als ein Krimi. Das ist nicht zuletzt Felix Vörtler zu verdanken, der den nicht immer sympathischen Lemp diesmal vor allem physisch und daher buchstäblich "verkörpern" muss. Aufgrund der erheblichen Schmerzen ist der Polizist kaum bei Sinnen.

Quälend lang zeigt Regisseur Jens Wischnewski, wie Lemp im stillen Kämmerlein versucht, sein Telefon aus der Hosentasche zu fingern; als es ihm gelingt, fällt das Gerät prompt runter. Schließlich kann er eine Hand befreien und seine Kollegin anrufen, aber die wischt ihn weg, weil sie gerade in einer Vernehmung ist. Szenen wie diese gibt es mehrfach, weshalb der Film nichts für schwache Nerven ist.

Der Moment, als Lemp seine durch einen der Schläge herausgesprungene Kniescheibe einrenkt, tut selbst beim Zuschauen weh. Hinzu kommt, dass sich der Kriminalrat keinen Reim darauf machen kann, warum ihn seine Nachbarin derart zugerichtet hat; eine beiläufige Bemerkung über die veränderte Haarfarbe des Kindes hat bei Inga eine Kurzschlussreaktion ausgelöst. 

Wischnewski hat unter anderem für das ZDF den fesselnden Polit-Thriller "Gefährliche Wahrheit" (2022) mit Lisa Maria Potthoff als Reporterin und zuvor einen sehenswerter "Tatort" aus Stuttgart mit Katharina Marie Schubert als vermeintlicher "Engel des Todes" (2019) gedreht. Für die ZDF-Serie "Neuland" (2022), ein faszinierendes Sittengemälde betuchter Kleinstadtfamilien, hat er den Grimme-Preis bekommen. Für die Kamera war hier wie dort Jakob Wiessner verantwortlich, der die düstere "Polizeiruf"-Geschichte in entsprechend dunkle Bilder umsetzt.

Die Handlung trägt sich zu großen Teilen in der Wohnung der Entführerin zu, hier hat sie ihre äußerst unleidliche bettlägerige Mutter gepflegt; kein Wunder, dass die finsteren Räume eine erhebliche Freudlosigkeit ausstrahlen. Trotz allem entwickelt sich so etwas wie eine fast freundschaftliche Beziehung zwischen Inga Werner und Uwe Lemp.

Franziska Hartmann, als Hauptdarstellerin von "Neuland" im Frühjahr ebenfalls Grimme-preisgekrönt, gelingt es ohnehin, diese Frau nicht zum Unhold werden zu lassen, obwohl sie schließlich sogar zur Mörderin wird. Dafür sorgen zwar auch Szenen wie jene, als Inga vergeblich versucht, das Baby zu stillen, aber es ist vor allem ihr vielschichtiges Spiel, das Mitgefühl weckt.