Kampagne will Armut sichtbar machen

Armuts-Betroffene Sasa Zatata
© epd-bild/Maria Wagner
Sasa Zatata demonstriert mit anderen von Armut Betroffenen in Berlin für ihre Forderungen. Hashtag #IchBinArmutsbetroffen.
Auf Twitter und auf der Straße
Kampagne will Armut sichtbar machen
Armut ist ein Problem, das in Deutschland sichtbarer wird. In sozialen Netzwerken wird dazu aktuell eine gesellschaftliche Debatte angestoßen. Unter dem Hashtag #IchBinArmutsbetroffen erzählen Menschen auf Twitter ihre Geschichte.

Rund 20 Menschen haben sich vor dem Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale in Berlin, versammelt. Sie halten Schilder hoch, auf denen der Hashtag #IchBinArmutsbetroffen steht. Bei der Demo dabei ist auch Sasa Zatata. Die 35-jährige Mutter einer einjährigen Tochter will Aufmerksamkeit schaffen: für sich und andere Betroffene, die unter Armut leiden. "Es gibt nicht ohne Grund ein Existenzminimum. Niemand darf mehr darunter fallen", sagt die Berlinerin, die selbst von Erwerbsminderungsrente lebt.

"Viele können nicht auf die Kundgebung kommen. Einerseits aus finanziellen Gründen, andererseits aus gesundheitlichen", sagt sie. Das Thema Armut sei schambehaftet. Daher wollten viele anonym bleiben.

Als arm gilt in Deutschland, wem weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens zur Verfügung stehen. Laut Statistischen Bundesamt war im Jahr 2018 rund jede fünfte Person in Deutschland von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen.

Auch Jörg Mertens lebt von der Erwerbsminderungsrente. Er ringt um Fassung aufgrund einer Bemerkung eines jungen Mannes. Dieser habe ihm in einem Gespräch gesagt, ein Erwerbsminderungsrentner brauche keine Waschmaschine: "Der hat Zeit, mit der Hand zu waschen." Solche Sätze machen den 60-Jährigen wütend. "Ich kann mit der Grundsicherung gerade bis zur Hälfte des Monats leben", sagte er dem Evangelischen Pressedienst. Die restliche Hälfte bedeute für Mertens, wie er klagt, "Hunger und Verzicht".

Aufmerksamkeit erregen, Debatte anstoßen

Anni W. ist die Initiatorin der Kampagne. Ihr Anliegen ist es, Sichtbarkeit für Betroffene zu schaffen. "Armut begleitet uns den ganzen Tag über. Es beginnt beim Lebensmitteleinkauf und endet bei der Miete", sagt die zweifache Mutter. Besonders berührt habe sie ein Tweet, in dem eine Frau erzählt, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben eine Mango gegessen habe. Die Frucht sei für sie ein Luxusgut und eigentlich zu teuer.

Ziel der Bewegung #IchBinArmutsbetroffen sei es, eine gesellschaftliche Debatte anzustoßen. Die Aufmerksamkeit von Menschen, denen es finanziell gut geht, ist für die 39-Jährige wichtig. Die Jugendorganisationen der Grünen und der SPD, die Grüne Jugend und die Jusos, hätten sich bereits bei ihnen gemeldet und zu verstehen gegeben: "Wir sehen euch." Anni W. betont aber: "Unsere Bewegung ist und bleibt parteilos."

Neuer Höchstwert

Nach einer Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbands hat die Armutsquote in Deutschland im vergangenen Jahr einen neuen Höchstwert erreicht. Demnach leben 13,4 Millionen Menschen in Deutschland in Armut. Prognosen zufolge könnte im Jahr 2024 jede vierte Person von Armut betroffen sein.

Armut hat einen negativen Einfluss auf die psychische und körperliche Gesundheit. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) haben von Armut betroffene Menschen ein höheres Risiko für Herzkreislauferkrankungen und eine geringere Lebenserwartung.

Strom oder Lebensmittel, das ist oft die Frage

Der Armutsforscher Christoph Butterwegge sagte dem Evangelischen Pressedienst: "Einkommensschwache Haushalte, die von der Teuerungswelle am stärksten betroffen sind, muss der Staat gezielt unterstützen." Die Koalition müsse deshalb rasch höhere Sätze für Beziehende von Hartz IV und der Grundsicherung beschließen.

Die Initiative #IchBinArmutsbetroffen hat auch in Österreich Wellen geschlagen. Auch hier äußern Menschen unter dem Hashtag ihren Unmut. Regina Zauchner ist eine von ihnen. "Ich bin seit einigen Monaten chronisch krank und dadurch nicht arbeitsfähig", sagt die 36-Jährige, die als Betreuerin von Menschen mit Behinderungen gearbeitet hat.

Sie kennt viele, deren Situation noch brenzliger ist als ihre eigene. "Es gibt Menschen, die sich entscheiden müssen, ob sie ihre Stromrechnung bezahlen oder Lebensmittel einkaufen." Die Bewegung will weiter Druck machen. Die nächsten Demonstrationen seien bereits geplant, sagt Initiatorin Anni W.