Leyendecker: Fall Relotius kein Beleg für Systemkrise

Leyendecker: Fall Relotius kein Beleg für Systemkrise
Der frühere Investigativjournalist Hans Leyendecker sieht den Fall Relotius nicht als Beleg für eine Systemkrise. "Da war einfach ein junger Mann, der offenbar Furcht hatte, nicht immer die beste Geschichte zu haben", sagte der 69-Jährige im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es sei falsch, daraus abzuleiten, dass die Reportage an sich in Gefahr sei. Den ganzen Fall sogar mit den "Hitler-Tagebüchern" zu vergleichen, wie es Springer-Chef Mathias Döpfner tat, lehnt Leyendecker ebenfalls ab: "Darauf wäre ich in meiner Einfachheit nicht gekommen."
13.04.2019
epd
Michael Ridder und Franziska Hein

Wohl aber zwinge der Fall alle Journalisten, genauer hinzuschauen und noch einmal über die Regeln nachzudenken. "Mir fiel auf, dass alles immer so perfekt war bei ihm. Ich habe gedacht: Gut, das ist eben ein junger Außerirdischer", sagte Leyendecker. "Aber einer Redaktion kann das schon auffallen - so viele Außerirdische gibt es auch beim 'Spiegel' nicht. Nicht mal bei den Alten." Relotius hatte im Dezember nach internen Untersuchungen massive Fälschungen zugegeben und das Nachrichtenmagazin verlassen. Der Journalist bestätigte anschließend öffentlich über seinen Anwalt, dass er "über mehrere Jahre hinweg vielfach Fakten falsch dargestellt, verfälscht und hinzuerfunden hat".

Leyendecker zeigte sich in dem epd-Gespräch erfreut über zunehmende Kooperationen im Investigativjournalismus. "Wir haben heute eine Art Ökumene des Journalismus, wo noch einmal ganz andere Geschichten entstehen als früher", sagte der frühere Ressortleiter der "Süddeutschen Zeitung". So würden beispielsweise Recherchen von Journalisten, die ermordet wurden, von anderen Reportern europaweit fortgeführt. "Zu meiner Zeit bin ich beim 'Guardian' kaum am Pförtner vorbeigekommen, heute arbeitet man häufig zusammen", lobte Leyendecker die internationale Zusammenarbeit bei Projekten wie den "Panama Papers".

Bestimmte gesellschaftliche Phänomene seien durch intensive Berichterstattung verbessert worden, sagte Leyendecker, der auch Präsident des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentags in Dortmund ist. Korruption in Rathäusern sei nicht mehr so ein Thema wie früher, weil die Kommunen nach vielen Skandalen ein Vier-Augen-Prinzip eingeführt hätten. Dies gelte auch bei einem Teil des Waffenhandels. "Früher wollte ein Abteilungsleiter bei einem Konzern brillieren und hat Libyen oder den Irak mit Waren beliefert, die für den Waffenhandel bestimmt waren", so Leyendecker. "Dann haben die Konzerne aber erlebt, dass es eine Imagekatastrophe ist, wenn man sich für ein paar Millionen Euro an solchen Sachen beteiligt."