Wer wie ein Sieger auftritt, darf sich nicht wundern, wenn sich die anderen wie Verlierer fühlen. Die Wunden, die in den frühen Neunzigerjahren der Nachwendezeit gerissen wurden, sind bis heute nicht verheilt. Aber darum geht es in "ZERV – Zeit der Abrechnung" nur am Rande. Die Ostberliner Kommissarin Karo Schubert ist nicht nur eine vorzügliche Ermittlerin, sondern auch nicht auf den Mund gefallen; damit muss der Kollege Peter Simon aus Bremen erst mal klarkommen. Fabian Hinrichs ist der zweite Grund, warum die knapp dreihundert Minuten (TV-Premiere war 2022) ausgesprochen kurzweilig sind.
Die Geschichte spielt 1991, die Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität ist soeben gegründet worden, und natürlich resultiert der Reiz der Serie aus dem bewährten Prinzip, dass zwei zu einer Einheit zusammenwachsen sollen, die das gar nicht wollen.
Der erste gemeinsame Fall des ungleichen Duos führt mitten hinein in einen Abgrund aus Habgier und alten Seilschaften. Auf politischer und menschlicher Ebene mag der Prozess der Wiedervereinigung äußerst mühsam gewesen sein, aber in der Welt der Wirtschaftskriminalität hat er reibungslos funktioniert. Nach dem scheinbaren Suizid eines Mannes, der mit der Auflösung der Nationalen Volksarmee beauftragt war und die Waffenbestände der NVA einer neuen Bestimmung zuführen sollte, sehen sich Schubert und Simon mit Gegenspielern konfrontiert, die eine Nummer zu groß für sie sind. Quasi vor den Augen der Behörden wird Kriegsgerät gestohlen. Die Gegenseite ist der Polizei stets einen Schritt voraus, weil sie offenbar laufend über den Stand der Ermittlungen informiert wird; die Drahtzieher sind die gleichen, die auch schon vor dem Fall der Mauer ihr Unwesen getrieben haben.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Da sich die ZERV nicht nur um Wirtschaftsdelikte, sondern auch um Regierungskriminalität kümmert, gibt es zwei Nebenstränge, die zwar interessant und bewegend sind, aber wie Exkurse wirken, weil sie abgesehen von den handelnden Personen nichts mit dem Hauptstrang zu tun haben: Simon kümmert sich um einen einstigen "Republikflüchtling", dessen kleine Tochter zwangsadoptiert wurde, Schubert sorgt dafür, dass der frühere Leiter (Jörg Witte) eines Jugendwerkhofs für die Vergehen an seinen Schutzbefohlenen zur Rechenschaft gezogen wird. In diesem Fall gibt es immerhin einen konkreten Bezug zu ihrer Familie: Die Freundin der Tochter ist eins der Opfer des Mannes; die beiden jungen Frauen (Vanessa Loibl, Caroline Cousin) spielen das sehr glaubwürdig. Emotional ungleich spannender ist jedoch Karos direkte Betroffenheit bei der zentralen Erzählung. Ihr Vater ist angeblich vor fünf Jahren bei einem Unfall ertrunken. Seine Leiche ist jedoch nie gefunden worden; sie ist überzeugt, dass er noch lebt. Axel Schubert war Spediteur und regelmäßig im Westen; dabei hat er offenbar nicht nur Antiquitäten transportiert.
"ZERV" ist als Spielfilm in sechs Teilen konzipiert, wobei die einzelnen Folgen mal mit einem Knüller, mal mit einem Knaller enden; und einige Male mit einem gemeinen Cliffhanger. Der heitere Tonfall des Auftakts bleibt allerdings irgendwann auf der Strecke, weil beim Überfall auf das Waffenlager Simons beste Mitarbeiterin schwer verletzt wird. Henriette Hölzel ist die Entdeckung der Serie, aber auch viele weitere wenig namhafte Mitwirkende sind sehenswert. Für die Prominenz gilt das nicht minder. Thorsten Merten verkörpert seine Rolle als Mittäter derart vielschichtig, dass der Mann fast zum Sympathieträger wird.
Ähnlich viele Pointen hat nur Fritzi Haberlandt: Kriminaltechnikerin Uta ist Karos beste Freundin und immer für einen Spruch gut. Im Vergleich zu den beiden Frauen mutet Hinrichs’ Rolle als wichtigtuerischer Besserwessi fast eindimensional an. Tiefe bekommt er durch die Einsamkeit, die ihn umflort; sein tragisches Schicksal wird erst ganz zum Schluss offenbart. "ZERV" geht auf eine Idee von Michael Klette zurück, der ebenso wie Produzentin Gabriela Sperl zum vielköpfigen Drehbuchteam gehört. Regie führte Dustin Loose ("Rampensau", Vox 2019) war. Gerade die Arbeit mit dem Ensemble ist ganz vorzüglich. Respekt gebührt auch Szenen-, Masken- und Kostümbild. 3Sat zeigt die Serie ab heute freitags in Doppelfolgen.