TV-Tipp: "Die goldenen Jahre"

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25. August, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Die goldenen Jahre"
Nach der Pensionierung entgleitet Peter das Leben, während seine Frau Alice von neuen Möglichkeiten träumt. "Die goldenen Jahre" erzählt von einer Ehe am Wendepunkt – und davon, wie Mut, Verlust und späte Freiheit alles verändern können.

Nach 37 Jahren als Sachbearbeiter ist Peter "endlich frei"; so lautet zumindest die Parole für das Fest, mit dem die Familie seine Pensionierung feiert. Peter selbst macht allerdings gar nicht den Eindruck, als fühle er sich frei, im Gegenteil: Er wirkt wie ein Vogel, der keineswegs davonfliegt, als die Tür seines Käfigs geöffnet wird. Stattdessen stürzt er sich fast schon besessen in sportliche Aktivitäten, als wolle er der Leere, mit dem ihn der Lebensabend konfrontiert, auf dem Rennrad davonbrausen, und wandelt sich zum abstinent lebenden Veganer. 

"Die goldenen Jahre" lautet der ironische Titel dieses Dramas, das von einer schon oft erzählten Geschichte handelt. Die Rollen sind dabei stets auf gleiche Weise verteilt: Eine unternehmungslustige Frau freut sich darauf, endlich mit dem Gatten auf Reisen zu gehen, neue Menschen kennenzulernen, Abenteuer zu erleben; aber der hat dazu gar keine Lust. Entsprechend überschaubar ist Peters Freude angesichts einer Kreuzfahrt, die Sohn und Tochter den Eltern geschenkt haben. Die Liebe kann die Beziehung auch nicht mehr retten: Sie ist im Verlauf von über vier Ehejahrzehnten irgendwann auf der Strecke geblieben. Im Grunde haben sich Peter (Stefan Kurt) und Alice Waldvogel (Esther Gemsch) nichts mehr zu sagen. Zu allem Überfluss ist dem Mann auch noch die Lust auf Sex abhanden gekommen. 

Das ZDF zeigt die schweizerisch-deutsche Koproduktion im Rahmen seiner Reihe "Der Komödiensommer", was womöglich falsche Erwartungen weckt. Der Film mag komische Momente haben, aber selbst das Etikett "Tragikomödie" wäre trotz der munteren Musik deplatziert, zumal es mit der zerrütteten Ehe der zudem allzu trinkfreudigen Tochter ein weiteres Drama gibt. Die Anregungen stimmen dafür umso nachdenklicher. Ähnlich wie den Waldvogels geht es schließlich vielen Paaren; die Erkenntnis, dass sie sich auseinandergelebt haben, stellt sich nicht selten bereits ein, wenn die Kinder aus dem Haus sind.

Drehbuchautorin Petra Volpe durchkreuzt die Vorhersehbarkeit der Handlung mit Hilfe eines unvorhersehbaren Ereignisses: Bei einer gemeinsamen Wanderung bricht Alices beste Freundin Magalie zusammen und stirbt in ihren Armen. Ihre letzte Bitte gilt einem Bündel mit Liebesbriefen, die Alice an sich nehmen soll. Auf diese Weise findet sie zu ihrem grenzenlosen Erstaunen heraus, dass Magalie 15 Jahre lang ein Verhältnis hatte: Jeden Sommer ist sie allein nach Südfrankreich gereist, um einige unbeschwerte Wochen mit Claude zu verbringen. Sehr viel später, als Alice dem vermeintlichen Geliebten die Nachricht vom Tod überbringen will, erlebt sie eine weitere Überraschung, die sogar noch größer ist.

Zunächst tritt das Ehepaar jedoch die Kreuzfahrt an. Um den nun verwitweten Heinz (Ueli Jäggi), der außerdem sein bester Freund ist, auf andere Gedanken zu bringen, schlägt Peter vor, ihn mitzunehmen; prompt verbringt er mehr Zeit mit ihm als mit seiner Frau. Die lernt dafür eine deutsche Mitreisende (Guni Ellert) kennen, die ihr letztes Lebensdrittel nach der Scheidung in vollen Zügen genießt. Kurz entschlossen kehrt Alice vom Landausflug in Marseille nicht mehr zurück und macht sich stattdessen auf den Weg nach Toulouse. Unterwegs lernt sie ein Paar kennen, das seinen Traum lebt: Ingrid und Josef (Theresa Harder, André Jung) fahren seit Jahren mit ihrem Wohnmobil kreuz und quer durch Europa und Nordafrika; ganz bestimmte Pilze ("Magic Mushrooms") sorgen für fröhliche Abende. Bei Claude lernt sie zudem einen gänzlich anderen Entwurf für einen ausgefüllten Lebensabend kennen. 

Der Film ist 2022 auch hierzulande in die Kinos gekommen, im Fernsehen aber viel besser aufgehoben, zumal die Schweizer Regisseurin Barbara Kulcsar die Geschichte sehr unaufgeregt umgesetzt hat. Das gilt auch für die Darbietungen, die allerdings ein nicht unerhebliches Manko haben: "Die goldenen Jahre" ist auf Schwizerdütsch gedreht worden, die einheimischen Mitwirkenden haben sich selbst synchronisiert, weshalb das Drama mitunter ähnlich künstlich klingt wie der Schweizer "Tatort". Hängen bleibt trotzdem, was Magalie sinngemäß zu Beginn bei der Feier sagt: Am Ende ihrer Tage bereuten die meisten Menschen, zu viel Zeit ihres Daseins mit Arbeit verbracht und viel zu selten ihre wahren Gefühle gezeigt zu haben. Es ist jedoch vor allem der dritte Aspekt, der Alice schließlich dazu bewegt, ein neues Kapitel aufzuschlagen, als sie getreu der Empfehlung ihrer Freundin den Mut findet, ihr eigenes Leben zu leben. Wie das aussieht und dass Peter darin trotzdem noch eine Rolle spielt, beschert dem Film eine weitere Überraschung.