EKD-Präses Schwaetzer fordert Stärkung der Erinnerungsarbeit

Irmgard Schwaetzer
© Thomas Meyer/Ostkreuz
Irmgard Schwaetzer setzt sich für eine stärkere Erinnerungsarbeit an die NS-Zeit ein.
EKD-Präses Schwaetzer fordert Stärkung der Erinnerungsarbeit
Für eine Intensivierung der Erinnerungsarbeit zur NS-Zeit hat sich die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Irmgard Schwaetzer, ausgesprochen.

"Wir stehen an einem entscheidenden Punkt", sagte Schwaetzer am Donnerstagabend bei der Buchvorstellung "Evangelische Kirche und Konzentrationslager" in der evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau. In einer Zeit, "wo Erinnerungskultur infrage gestellt und Gedenken verunglimpft wird", müssten mehr Menschen "das Erinnern raustragen in die eigene Lebenswelt", sagte die frühere Bundesministerin, die zum ersten Mal in der KZ-Gedenkstätte in Dachau war.

Die Forschungsarbeit der Kirchenhistorikerin Rebecca Scherf zum Verhältnis von Evangelischer Kirche und dem System der Konzentrationslager würdigte Schwaetzer als wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte. Vor allem das bislang unerforschte Kapitel der evangelischen Lagerseelsorge von 1933 bis 1937 zeige, "dass Kirche damals als loyaler Partner an und auf der Seite des NS-Regimes" gestanden habe. Das Buch gebe den Impuls, "genau hinzuschauen und Verstrickungen von Kirche und NS-Regime aufzuarbeiten, wo immer sie sich zeigen".

###galerie|152508|Der Pfarrerblock: Evangelischer Widerstand im Konzentrationslager Dachau###

Die Autorin Rebecca Scherf verwies bei der Buchvorstellung darauf, dass die evangelischen Lagerseelsorger die "Rückführung der Gefangenen in die deutsche Volksgemeinschaft" als ihren Auftrag begriffen. Sie seien stolz gewesen "auf den eigenen Beitrag zur Umerziehung der Inhaftierten", sagte Rebecca Scherf, die sich bei ihrer Doktorarbeit unter anderem auf eine bislang unentdeckte Mappe zur "Lagerfürsorge von 1933 bis 1941" aus dem Berliner Evangelischen Zentralarchiv stützte.

Die Kirchenhistorikerin betonte, dass es dem NS-Regime zunächst wichtig gewesen sei, ein positives Verhältnis zur Kirche als tragender Säule der Gesellschaft zu pflegen. So habe das Innenministerium 1933 der bayerischen Landeskirche die Erlaubnis zur Seelsorge für Gefangene in Schutzhaft erteilt. Im März 1937 sprach Reichsführer Heinrich Himmler dann in einem Schreiben an den Reichskirchenausschuss ein grundsätzliches Verbot von Lagergottesdiensten durch externe Seelsorger aus, weil die Gefangenen die Gottesdienste beispielsweise zum Briefschmuggel missbraucht hätten.

"Das Schweigen der Kirche wird ab diesem Zeitpunkt symptomatisch", bilanzierte Scherf. Während bis 1937 noch eine aktive Auseinandersetzung mit dem KZ-System stattgefunden habe, sei die Kirche nach dem Seelsorgeverbot 1937 verstummt.

An seine Besuche bei seinem Vater Martin Niemöller, der von 1941 bis 1945 im KZ Dachau inhaftiert war, erinnerte sich dessen Sohn Heinz H. Niemöller. Besonders in Erinnerung geblieben sind dem heute 95-Jährigen die "Pappschachteln, in denen man die multivalente Asche seiner verstorbenen Angehörigen mitbekommen hat - das war Kollektivasche", sagte Niemöller. Offene Gespräche seien wegen des Wachpersonals nicht möglich gewesen. "Aber die Eltern hatten ein gut wirkendes System, wie zwischendurch Vitalnachrichten aus der Gemeinde ausgetauscht werden konnten", erinnerte sich der Zeitzeuge.

Die Gestapo hatte Martin Niemöller als Pfarrer der Bekennenden Kirche wegen regimekritischer Aussagen bereits 1938 inhaftiert, zunächst im KZ Sachsenhausen. 1945 wirkte er am "Stuttgarter Schuldbekenntnis" der EKD mit. 1967 war Niemöller der erste Prediger in der Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Die Kirche befindet bis heute in EKD-Trägerschaft und ist das einzige evangelische Gotteshaus in einer KZ-Gedenkstätte.