Religiöser Hass, Gender-Klischees und der sogenannte "Love-Jihad"

Ein Mann steht mit ausgebreiteten Händen unter einem Regenbogen, neben ihm liegt ein aufgespannter Regenschirm.
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Religiöse Hassmanifestationen operieren laut Heiner Bielefeldt immer mit Gender-Klischees.
Religiöser Hass, Gender-Klischees und der sogenannte "Love-Jihad"
Interview mit Heiner Bielefeldt, dem ehemaligen UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit
Sechs Jahre war Heiner Bielefeldt der UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Der katholische Theologe, Historiker und Philosoph über Religionsfreiheit und –feindlichkeit in Deutschland und der Welt, den sogenannten "Love Jihad" und die Rolle von Gender in religiösen Konflikten.

Herr Professor Bielefeldt, wie steht es weltweit um die Religionsfreiheit?

Heiner Bielefeldt: Ich zucke immer ein bisschen zusammen, wenn ich gleich die ganze Welt erklären soll. Was wir wissen ist, dass die Situation in den letzten Jahren in einigen Regionen wie zum Beispiel im Nahen Osten sehr viel schwieriger geworden ist. Dort brechen alle Strukturen weg, das Klima war schon immer repressiv, aber es wird jetzt zusätzlich noch gefährlich: Bürgerkriegsgefahren drohen und religiöse Minderheiten können dann sehr schnell zwischen die Mühlsteine der großen Politik geraten. Die mangelnde Religionsfreiheit in Fernost wird auch oft unterschätzt, weil wir darüber vergleichsweise wenig Berichterstattung haben - das gilt für China, Vietnam, aber auch für andere Staaten wie Indien. Dort sehen wir ein völlig anderes Muster als in Nahost. Wir haben auch immer noch Bürgerkriege in Zentralafrika, in die die Religion irgendwie mit hineingezogen wird.

Wie steht es um die Religionsfreiheit in Europa?

Bielefeldt: Selbst in Europa sieht nicht alles gut aus. Denken wir doch nur an den Umgang mit Flüchtlingen: da verweigern einige Nachbarstaaten nicht nur die Aufnahme von Flüchtlingen, sondern sie verweigern sogar die minimal Solidarität - mit dem Hinweis, dass es sich bei den Flüchtlingen um Muslime handle.

Hat sich in Deutschland eine steigende Religionsfeindlichkeit entwickelt?

Bielefeldt: Ich hatte vor einigen Jahren mal in der behauptet, so etwas wie einen aggressiven, religionsfeindlichen Säkularismus gebe es in unserer Gesellschaft nicht sehr stark. Ich habe meine Meinung dann angesichts der Beschneidungsdebatte vor sechs Jahren korrigiert. Das war für mich ein Blick in den Abgrund: oft hasserfüllte, vor allem aber ätzend-verächtliche Kommentare über religiöse Riten, die sowohl  für  Juden als auch für Muslime identitätsstiftend sind. Es gibt also tatsächlich ein Unverständnis gegenüber Religion und es gibt mangelnden Respekt dafür, dass Religion für viele Menschen existenziell ist. Man muss ja nicht verstehen, um was es geht, aber ein Stück Respekt wäre schon gut. Daran fehlt es zum Teil. Hinzu kommt dann natürlich noch einmal die ganze Nervosität bezogen auf den Islam - es gibt bei uns Islamfeindlichkeit, die zum Teil mittlerweile auch parteipolitisch unterstützt wird.

Welche Bedeutung hat Religionsfreiheit?

Bielefeldt: Es geht bei der Religionsfreiheit um eine zentrale Dimension menschlichen Lebens. Menschen sind Wesen mit Überzeugungen und Religion steht ein Stück weit für diese Grundüberzeugungen. Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beschäftigt sich nicht nur mit Religion, sondern auch mit Gewissens- und weltanschaulichen Überzeugungen. Es geht darum, dass Menschen komplizierte Wesen sind, die sich orientieren, die in der Orientierung suchen, nach Orientierung dursten und dafür Freiraum brauchen: Ohne Religionsfreiheit würde der gesamte Anspruch der Menschenrechte Schaden nehmen - eigentlich sogar seine Glaubwürdigkeit einbüßen.

Heiner Bielefeldt über Europas Bemühungen für die Menschenrechte und über Vorurteile und Islamfeindlichkeit in Deutschland.

Wie stehen Sie dazu, dass manche Menschen von Christenverfolgung in Deutschland sprechen?

Bielefeldt: Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, in der Christen nicht mehr so ungebrochen tonangebend sind, wie man sich das vielleicht vor zwei Generationen noch vorgestellt hat. Nicht alles, was einem da auch an manchmal robust vorgetragener Skepsis entgegenkommt, ist dann gleich als Christenverfolgung und Menschenrechtsverletzung zu bezeichnen. Da plädiere ich für mehr Nüchternheit.

Wie sehen Sie die Diskussion um den Antisemitismus in Deutschland?

Bielefeldt: Es ist beschämend, wenn jüdische Kinder in ihren Schulen Mobbing erleben und sich Schulleitungen offenbar in einzelnen Fällen dann wegducken. Das kann die Gesellschaft nicht hinnehmen. Darüber müssen wir sehr klar reden: Wir müssen darüber reden, dass das eben auch in migrantischen Milieus vorkommt - möglicherweise auch wachsend vorkommt. Wird dürfen keine Debatte scheuen, aber man kann diese Problematik natürlich auch nicht bei den migrantischen Milieus abladen. Das Thema Antisemitismus betrifft die gesamte Gesellschaft.

Wieso werden Konflikte, die eigentlich entlang unterschiedlicher wirtschaftlicher, ethischer oder auch sozialer Konfliktlinien verlaufen, oft auf das Religiöse reduziert?

Bielefeldt: Vielleicht ist das Pendel da in die falsche Richtung geschwungen. Wenn man in den Debatten 30 Jahre zurückgeht, hatte man den Eindruck, dass Religion überhaupt kein Faktor internationaler Politik war. Wir entwickeln uns mehr und mehr zu religionslosen Gesellschaften hin und man hat erkannt, dass das woanders ganz anders ist. Vielleicht entsteht auch deshalb die Neigung jetzt Religion sehr isoliert zu betrachten - so als sei der Konflikt im Jemen schlichtweg aus der Differenz von Sunniten und Schiiten zu erklären. Dass das nicht so einfach geht, lässt sich sehr schnell zeigen, denn es gibt nach wie vor Gesellschaften, in den Schiiten und Sunniten völlig problemlos miteinander leben und auch untereinander heiraten. Es liegt also nicht an der Religionsdifferenz als solcher, dass im Jemen Krieg herrscht, sondern daran, dass manche mit dieser Religionsdifferenz spielen und politische Herrschaftsansprüche daran binden.

Welche Ursachen für die Verletzung der Religionsfreiheit?

Bielefeldt: Die Ursachen sind ganz vielfältig: es kann mit Korruption oder mit Landkonflikten zu tun haben, eine oft übersehene Ursache ist aber auch Gender. Die Fragen sollte man nicht unterschätzen. Außerdem rufen zum Teil sehr schnelle demografische Entwicklungen in manchen Regionen nie aufgearbeitete historische Traumatisierung hervor. Eine Ursache ist tatsächlich auch religiöse Intoleranz - also dogmatische Ansprüche, die mit Militanz und möglicherweise damit staatlicher Durchsetzungsgewalt gegen andere durchgefochten werden. Die Ursachen sind also schon sehr vielfältig.

Heiner Bielefeldt über seine Erfahrungen als ehrenamtlicher Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Religions- und Weltanschauungsfreiheit im Einsatz.

Wie hängen Gender und eingeschränkte Religionsfreiheit zusammen?

Bielefeldt: Ich würde mal behaupten, dass religiöse Hassmanifestationen immer mit Gender-Klischees operieren. Ein Beispiel: In Indien oder überhaupt in Südasien hört man häufig den Begriff "Love Jihad". Dahinter steht die Vorstellung: die Muslime dürfen mehrere Frauen haben und die gehen jetzt gezielt  auf die "Töchter des Landes", um ganz viele von denen zu ehelichen und sie so aus den Familien herauszunehmen, um auf diese Weise die demographische Balance innerhalb von ein oder zwei Generationen zu kippen. Das hören Sie in Myanmar, Sri Lanka, Indien - überall. Es ist eines der Angst-Klischees, das sich jetzt auf Muslime richtet und dahinter dann sozusagen diese atavistische Vorstellung: "Wir müssen unsere Frauen und Töchter schützen".

Wie steht es im Augenblick um die Handlungsfähigkeit der "Global Player" hinsichtlich der Religionsfreiheit?

Bielefeldt: Im Moment leben wir leider in einer Zeit, in der das, was aufgebaut wurde, mit der Abrissbirne zum Teil zerschlagen wird. Multilaterale Institutionen - auch die UNO - sind durch politische Polarisierung gelähmt wie lange nicht mehr. Wichtig wäre, dass wir uns davon aber nicht ins Bockshorn jagen lassen.

Sie sind als UNO-Sondergesandter viel gereist und haben gesehen, was auch religiös motivierte Konflikte anrichten können. Welches Potential sehen Sie denn in den Religionen?

Bielefeldt: Religionen sind etwas ganz tief Menschliches. Religionen antworten auf menschliche Sehnsüchte, auf menschliche Orientierungsbedürfnisse. Religionen liefern Bilder, die es uns ermöglichen uns selbst in einem größeren Ganzen zu sehen. Und wir wissen auch, dass Religionen Ansporn sein können, dass Menschen über sich hinauswachsen - im negativen wie im positiven Sinne. Religionen können also Ansporn zur Überwindung von Egoismus und von Ängstlichkeit. Religion steht nicht per se für Verengung, Starrsinn und Fanatismus - mindestens genauso für das Gegenteil.