Skandal! Christen beten in Kirche!

Skandal! Christen beten in Kirche!
© Getty Images/iStockphoto/catalin_marcu
Rechte Hetzer hielten eritreische Christen für Muslime. Was wir daraus über das momentane Amüsement hinaus lernen können.

Hach, das ist mal wieder was fürs linksgrünversiffte Herz: Einige stramm rechts orientierte geistige Tiefflieger posteten voll dazugehörender obligatorischer Entrüstung ein Video aus der Martin-Luther-Kirche in Dresden. Inhalt: Angeblich in dieser Kirche betende Muslime! Kirche entweiht!!! Ende des Abendlandes!!! Nun werden schon die Kirchen übernommen!!!!!!!!!

Ach, Sie können sich das inzwischen leider schon mehr als genug vorstellen, wie da die Maschinerie auf allen Kanälen wieder mal anlief und immer noch weiterläuft. Da brauchen wir hier in diesem Blog gar nicht weiter zu eskalieren, es ist sattsam bekannt, wie so was abläuft. Immer und überall das gleiche Schema.

Dabei ist es auch ziemlich egal, ob das, was da verbreitet wird, eigentlich stimmt. Hier jedenfalls – stimmte überhaupt nichts. Was auch ziemlich leicht herauszufinden gewesen wäre, denn an der Tür der Kirche stand ein Schild: "Zur Zeit feiern eritreisch-orthodoxe Christen in unserer Kirche Gottesdienst. Sie sind herzlich dazu eingeladen."

Aber was tut schon so ein Schild zur Sache, wenn da fremd (und damit bedrohlich) aussehende Menschen in einer fremden (und damit bedrohlich wirkenden) Sprache fremde (ach, Sie wissen schon) Rituale aufführen und mindestens ebenso fremde Gesänge von sich geben! So was kann man einfach ganz wunderbar für die eigenen Zwecke verwenden. Immerhin einige Personen haben sich zu einer Richtigstellung durchgerungen – doch das Video kursiert natürlich immer noch weiter und sorgt für die üblichen Aufregungsspiralen.

Nun, für alle, die das noch nicht mitbekommen haben sollten:

Das Christentum ist eine weltweite Gemeinschaft. Weltweit. International. „Katholisch“ heißt eigentlich genau das: „Auf der ganzen Welt“. In diesem Sinne sind auch wir Protestanten katholisch – nur halt nicht römisch-katholisch. 

Weltweit heißt: Nicht überall auf der Welt ist die Gottesdienstsprache Deutsch. Nicht überall sind die Gottesdienste eher trocken und steif, so wie das bei uns halt oft der Fall ist. Nicht überall auf der Welt werden Sprechgesänge mit Melodien aus dem frühen Mittelalter aufgeführt, so wie beispielsweise die Introiten in Bayern. Ganz im Gegenteil: Das Christentum ist bunt. Sehr bunt. Und wir pflegen Kontakte und Partnerschaften in die ganze Welt. Das bereichert unseren Glauben, unsere Gottesdienste, unsere Lieder. Aus Lateinamerika fanden lebendige Melodien den Weg zu uns (Bewahre uns Gott, EG 171 – aus Argentinien, aber vom schwedischen Theologen Anders Ruuth). Gospels haben Einzug in den Gottesdienst gehalten und meditative Gesänge aus Taizé in Frankreich. Afrikanische Melodien (EG 116: Er ist erstanden, Halleluja – aus Tanzania) und was weiß ich noch alles. Und das Vaterunser und die zwei Glaubensbekenntnisse verbinden uns über alle Sprach- und sonstigen Grenzen hinweg. 

Ganz natürlich ist es, dass sich im Ausland Gemeinden bilden, die durch die gemeinsame Sprache zusammengehalten werden. Ein Stück Heimat in der Fremde ist es für viele, wenn sie wenigstens den Gottesdienst in der Sprache und in der Form feiern können, die sie als Kind gelernt haben. Über 100 deutschsprachige evangelische Gemeinden gibt es laut EKD im Ausland. Und umgekehrt gibt es auch bei uns in Deutschland die verschiedensten Gemeinden. Manche sind nahe an unserer eigenen Kultur, manche weit davon entfernt. Aber uns alle verbindet der Glaube an Jesus Christus. Und vielerorts genießen die meist kleinen fremdsprachigen Gemeinden Gastrecht in anderen Kirchen. Denn bei aller Verschiedenheit und allen Konflikten: Wir alle folgen Jesus Christus nach.

Eritreisch-orthodoxe Christen, wie sie in Dresden mit wunderschönen, aber für uns fremd klingenden Melodien Ostergottesdienst feierten, gehören sozusagen zum Urgestein unseres Glaubens. Zu den ältesten Christengemeinden überhaupt. Es ist schön, dass wir eine solche Vielfalt des Glaubens und der Glaubenspraxis haben. Es ist schön, dass wir weltweit zusammengehören. Schade und beschämend für uns Deutsche, dass diese Gemeinde nun zutiefst verunsichert ist, zumal die Gemeindeglieder ja schon vor Verfolgung nach Deutschland geflohen sind und hier Aufnahme und etwas Sicherheit gefunden haben.

Für die, die nur Hetze, Angst und Ausgrenzung kennen und irgendwie immer noch meinen, damit den christlichen Glauben zu verteidigen, wünsche ich mir sehr diese Einsicht: Das Christentum ist nicht deutsch. Es ist auch nicht europäisch. Es ist weltweit, bunt, manchmal verstörend bunt. Es ist lebendig und oft auch sehr sehr fremd für uns. So fremd, wie schon ein Christus am Kreuz für die Welt damals war – und es heute meist auch noch ist. 

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