Auf der Schwelle

Auf der Schwelle

Von Zeit zu Zeit die Welt beobachten. Diesen Tag jetzt. Er ist wie eine Schwelle. Wie die kleine Stufe zwischen meiner Wohnung und dem Treppenhaus, wie die etwas größere vor der Haustür. Dort beginnt das „Draußen“.

An diesem Tag jetzt, auf der Schwelle, liegen hinter mir Kanzlerinnenworte, Virologenpodcasts, Großeinkäufe, Lock-Down. Hinter mir diese vielen Wochen, in denen sich  alles zusammenzog auf ein winziges Stück Erdoberfläche: Kleinstradius Zweiraumwohnung - Briefkasten- Mülltonnen - Supermarkt - Grünanlage - Tabakladen - Balkon. Kleinstradius Herz vollgestopft mit Sehnsucht, Neid, Angst, Ideen, Käfer- und Himmelsbeobachtungen, sich verheddernde Liebe. Kleinstgrößtradius Leben, in dem ich zum ersten Mal selber Hummus machte (es ist gar nicht schwer), regelmäßig Weißbrot buk, weinte, lachte, trank und betete, alle meine Nachbar*innen grüßte, allen Verkäufer*innen immer dankte und feststellte, dass keine 100 Meter von mir entfernt welche Bienen haben und Honig verkaufen.


An diesem Tag jetzt also setze ich meinen Fuß auf die Schwelle. Gehe zwei Schritte oder drei oder hundert oder tausend. Erweitere den Radius. Ich werde in nächster Zeit wieder Zug fahren, wohl in Straßencafés sitzen ab und zu, Menschen sehen ohne Bildschirm dazwischen, einen sogar umarmen. Ich werde wieder unbequemere Schuhe tragen, meine Haare schneiden lassen und wohl auch wie zuvor an Orten sein müssen, an denen ich nicht gern bin.

Gut, dass jetzt der Sommer kommt. In Süddeutschland die Pfingstferien. Anderswo bald die großen Ferien. In der Kirche die sogenannte „festlose Zeit“ - das nächste große ist erst wieder Erntedank. Gut, denn ich für meinen Teil muß etwas mein Herz auslüften. Ich muß sortieren, was alles war. Mich wieder einmal fragen, wie ich leben möchte. Und wie ich mir die Welt wünsche, unser Land, Europa. Ich will Gott durch mich hindurchwehen lassen, damit er fortnimmt, was ich nicht mehr tragen will. Und in mich hineinpustet, was ich brauche für das, was kommt.

 

Wochenaufgabe also für mich (und für dich ja vielleicht auch):

Geh an einen Ort mit Weite und Wind.

Breite deine Arme aus.

Sag zu Gott:

Vergib. Mach neu. Sei da.

Amen.

 

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